(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/05, 4) < home RiV >

Auf nach Waldhagen !

 

- Der MHR-Frau zum Abschied -

 

Als Karin Wiedemann mir anlässlich meiner Pensionierung im Januar 1998 ein paar
überaus freundliche Worte nachrief
[1], ahnte keiner, dass nur sieben Jahre später der Tag gekommen sein würde, ihr selbst - um ihre damaligen Worte abzuwandeln: als unserer MHR-Frau - den Abschiedsgruß zu entbieten.

Nach den Spuren ihres Wirkens braucht man nicht lange zu suchen: Die MHR, wie wir sie seit deren erster Nummer des Jahres 1985 kennen, sind ihre Kreation, und zwar auch der Name selbst, der wohl etwas vom Prestige der Monatsschrift „MDR“ für unser Vereinsblättchen abzweigen sollte (um welch’ gelungener Assoziation wegen unsere Mitteilungen auch meist grammatisch falsch im Singular zitiert werden). Ein paar Jahre zuvor hatte ich „In eigener Sache“ geschrieben[2]: „Dieses Mitteilungsblatt (scil.: das damals in unregelmäßigem Abstand herausgebracht wurde) ist ein schlichtes Ding: schwer lesbar, grau, bildlos und dürr. Andere Landesverbände zeigen mehr her: gefälligen Druck, Glanzpapier, Bilder. ... Ob wir etwas ändern sollten und gegebenenfalls was – darüber haben wir im Vorstand debattiert ....“. Was im schäbigen Kleid bloßer Matrizenabzüge steckte, war substanziell allerdings durchweg gar nicht übel; unsere lebhafte, teils erbitterte „Friedendiskussion“ (über Nachrüstung und Pazifismus)[3] ist nur ein Beispiel für vieles; auch Karin Wiedemann findet sich zu dieser frühen Zeit schon unter den Autoren[4]. 1985 tritt sie dann der Redaktion bei[5], was feierlicher klingt als es war: denn von da ab machten wir beide das Blatt gemeinsam, ohne förmliche Kompetenzabgrenzung; ein Impressum gab es noch nicht, Roland Makowka, der große Vorsitzende, und sein Vorstand wussten Bescheid und waren froh, dass man sich drum kümmerte. Karin Wiedemann sorgte nun dafür, dass unser Blättchen Gesicht und eine ansprechende Form erhielt; wie, das steht in ihrem Gruß von 1998[6]. Auch ihre eigenen Beiträge finden sich alle Folgejahre in dichter Fülle - über Architektur, Gerichtsgebäude, Ausstellungen[7], über historische Persönlichkeiten und Jahrestage, kurzum: zu ihren Lieblingsthemen Urkunde, Quelle, Buch, Mensch, Kunst und Historie, wobei vielleicht noch eine spezielle Geschichte: die des Hamburgischen Richtervereins besondere Erwähnung verdient[8].

Ich hatte das alles jetzt nur noch einmal durchblättern wollen, bin dabei aber oft in erneuter Lektüre hängen geblieben: alte
Zeiten, viel Erinnerung...! Gefunden habe ich allein bis Ende 1997 kaum weniger als
fünfundfünfzig Wiedemann’sche Aufsätze
[9]. Da aber die sicherste Methode zu langweilen im Aufzählen besteht, verzichte ich auf dergleichen, freilich nicht ohne ein gewisses Bedauern[10]. Aber ein paar Beiträge sollten doch erwähnt werden, weil sie heute nicht mehr ganz so beiläufig klingen wie zur Zeit ihrer Niederschrift: Ende 1995[11] beplaudert die Autorin „Neues aus Waldhagen“, was später seine Fortsetzungen findet im „Waldkrieg“[12], in „Kindergärten und andere Freuden in Waldhagen“[13] und „Hund und Politik“ [14]. Sie berichtet also von Schenefeld – von ihrem Ärger, ihrer Ungeduld und Verzweiflung, aber auch ihren Freuden und Erfolgen in der örtlichen Kommunalpolitik. Alles menschlich, gar zu menschlich, ja oft lächerlich; aber doch überaus wichtig, weil sich das wirkliche Leben nicht in abstrakten Höhen, sondern konkreten Räumen abspielt, z.B. eben in Schenefeld. Dort muss man sich klug machen, reden, diskutieren, Mehrheiten suchen, Kompromisse finden, um etwas zu bewirken.

Karin Wiedemann – um nur ein Wort zum Hintergrund zu sagen – war etwa zehn Jahre, nachdem ich selbst nach zwanzigjähriger Mitgliedschaft aus der SPD im Zorn ausgetreten war, eingetreten – nicht dort freilich, sondern in die CDU. Sie hatte im Milieu des Landesverbands, wie Ihre gewiss taktvoll abgeschwächten Berichte in den MHR zeigen, dann nicht nur schöne Erfahrungen gesammelt, war aber tapfer, zäh und fleißig geblieben, hatte sich auch durch Rückschläge, deren Natur und Anlässe man sich mit einiger Phantasie aus der aktuellen Internet-Information zu Ihrer Person zusammenreimen kann, nicht entmutigen lassen, die Ärmel aufgekrempelt, die CDU-Frauen hinter sich versammelt, sich durchgebissen – durchgebissen durch eine kompakte, verfilzte Männerkumpanei und sich gegen diese in der Partei und ihren Gremien letztlich behauptet. Aus solchen Erfahrungen (die mir persönlich fremd sind und für die das Hamburger Milieu, zumal aber das unserer Justiz, kaum Parallelen oder eigenen Stoff bietet) erkläre ich mir das zuweilen kämpferische Eintreten unserer MHR-Autorin für Frauenrechte und -vorrechte. Dazu haben natürlich auch Frauen selbst durchaus unterschiedliche Erfahrungen und Ansichten[15].

Aber zurück zu den Mitteilungen: Eine hervorragende Neuerung, mit der die Wiedemann’sche Ära beginnt, ist ihr Editorial: Dort wird, wann immer nötig, justizpolitisch ein deutlicher Ton angeschlagen. Das - zusammen mit den entsprechenden Beiträgen im Blatt - machen die Postille natürlich nicht gleich zum „Kampfblatt“[16], signalisieren aber den Selbstbehauptungswillen von Richter- und Staatsanwaltschaft - auch gegenüber einer offenen oder verdeckten Kommerzialisierung, die mit bombastischen Begriffen werbend daherkommt - ein ewiges Thema, welches mit Recht immer wieder angeschlagen wird und die Mitteilungen eigentlich schon seit Makowkas Zeiten durchzieht.

Fast überflüssig anzumerken, dass Karin Wiedemann mit CDU-Funktionären (wie früher z.B. dem „Fraktionsvorsitzenden Ole von Beust“) nicht weniger deutlich ins Gericht geht als mit Leuten anderer couleur[17].

Aus Waldhagen ist nun also Kiel geworden, leider nicht das dortige Justizministerium; aber in der Politik wird ein letztes Wort bekanntlich nicht schon am Anfang einer Legislaturperiode gesprochen; und welche Rundreisebilletts die Politik gelegentlich auch Hamburgern ausstellt, wird an den Karrieren Lore Maria Peschel-Gutzeits und Klaus Hard­rahts augenfällig.

 

Und was wird aus den MHR? Das wird der Hamburger Vorstand zu entscheiden haben. Aber Frau Wiedemann selbst hat die
maßgebliche Weiche wohl rechtzeitig mit sicherer Hand gestellt: Bei Wolfgang Hirth liegen die MHR und ihre inzwischen über Hamburg hinaus anerkannte innere und äußere Gestalt in erfahrener, kundiger und bewährter Hand
[18], und auch unsere Christiane Hamann, die als tätiges Glied zur „Dreierbande“ hinzugehört hat, bleibt nach wie vor treu auf ihrem Posten[19]. So wird man nun abwarten, ob Karin Wiedemann ihren guten Vorsatz, auch vom fernen Kiel her den MHR gelegentliche Beiträge zu senden, einlösen wird; ihre ernste Absicht steht außer Zweifel; aber ultra posse nemo obligatur: sie wird einstweilen ganz andere Sorgen haben!

 

Jetzt kann man ihr nur einen guten Einstand wünschen: Mut, Kraft und eine glückliche Hand[20]. Ach ja: und ein großes, lichtes Zimmer, das sie wie ihr altes im Ziviljustizgebäude einlädt, es mit Bildern, Kunst und Weisheitszeugnissen zu schmücken, auf dass der schnöde Geist von Wirtschaft und Verkehr dort nicht übermächtig werde: aber vielleicht lässt sich die alte Symbiose „Kultur & Justiz“ ja – sinngemäß! - auf das neue Terrain übertragen. Die Spalten der MHR stünden für einen Bericht auch darüber gewiss weit offen!

 

Günter Bertram


 

[1] MHR 1998 Heft 1 S. 13: „Der MHR-Mann“

[2] Mitteilungen vom 11.09.1981: Nr. 2/1981, S. 32

[3] 1983 Heft 3; Heft 6 mit elf kontroversen Beiträgen; 1984 Heft 1, S. 15-21; dazu zehn Jahre später die Retrospektive von Bertram/Hahnfeld in MHR 1994 Heft 3, S. 24–27 

[4] z.B. 5/83, 1/84, 3/84: Dr. Hermann Langenbek; 5/84: Börse und Handelskammer in Hamburg: Ausstellung im Ziviljustizgebäude.

[5] nicht erst 1989, wie es in einer Internet-Information heißt.

[6] vgl. Fn. 1); MHR Heft 1/1986 weist erstmals mich als verantwortlichen Redakteur auf; m.E. hatte zuvor in einer Vorstandssitzung ein presserechtlich versierter Kollege dergleichen für unbedingt geboten erklärt.

[7] allein über Gerichtsgebäude finden sich in den Jahren 1985 – 1989 insgesamt elf und 1994 ein abschließender zwölfter Aufsatz – mit historischen Exkursen, Bildern, Skizzen und Plänen.

[8] MHR 1989 Heft 1, S. 18-24; zum 80. Geburtstag des Hamburgischen Richtervereins MHR1998 Heft 4, S. 5-10.

[9] zu Kultur und Justiz, zwei Justiztagen, dem Mahnmal – als unendlichem Thema und vielem mehr. Für die Folgegezeit bis zum heutigen Tage kommt man - das Editorial ab Heft 1/1998 eingeschlossen – noch einmal auf die gleiche Zahl von Beiträgen.

[10] Fast willkürlich, aber doch ihres tieferen Sinns wegen möchte ich eine kleine Betrachtung herausgreifen: Der Tempel ist tot, es lebe das Design, MHR 3/98 S. 24 f. Die Trauer des Abschieds von einer Lebensepoche, deren Erfahrungsbestände sich unwiederbringlich verflüchtigen, bleibt unausgesprochen – wird niemandem oktroyiert; und gerade deshalb ist diese Miniatur so vortrefflich!

[11] MHR 1995 Heft 4, S. 17

[12] MHR 1996 Heft 3, S. 21 ff.

[13] MHR 1996 Heft 4, S. 17 ff.

[14] MHR 1997 Heft 1, S. 19 ff.

[15] vgl. die freundschaftliche Kontroverse zwischen ihr und Inga Schmidt-Syassen in MHR 2/2004 (S. 14 ff: „Frauen im Recht“, insb. 14 f und 20 ff einerseits, Editorial andererseits).

[16] vgl. MHR 3/98, Editorial

[17] dazu z.B. MHR 1999 Heft 3, Editorial; auch MHR 2001 Heft 4, Editorial: kritisch zum „neuen Senat“; MHR 2003 Heft 3, Editorial: „Abfuhr“ an der Drehbahn; MHR 2004, Heft 4 Editorial: Senator Kuschs Maulkorberlass

[18] vgl. z.B. MHR 2002, Hefte 1 (mit Hinw. auf DRiZ 1992, 69), 3 und 4, jew. Editorial, 2004 Heft 1, Editorial

[19] zu ihrer Würdigung vgl. MHR 2001 Heft 4: Editorial und „Seele der MHR – Christiane Hamann“, S. 22 f.

[20] Man wird diesen Segensspruch wohl nicht ganz strikt auf einen rein persönlichen Wunsch limitieren müssen. Freilich: Anno 1993, nachdem Roland Makowka sich von seinem Freund Martin Willich (CDU) hatte breitschlagen lassen, nach einer erfolgreichen Bürgerschaftswahl (die dann aber schief ging) im September als parteiloser Justizsenator in eine „bürgerliche“ Regierung einzutreten, war die empörte Aufregung gerade in seinen eigenen „Bezugsgruppen“ am Sievekingplatz, innerhalb deren ein sozialdemokratisches Engagement vermutlich als schlichte Normalität gegolten hätte, ganz beträchtlich; der verantwortliche Redakteur musste eingedenk dessen auf die neutrale Form seiner guten Wünsche besonders Bedacht nehmen: MHR 3/93 S. 3, re. Sp.: „Zur Lage“. Bei Karin Wiedemann fehlen diese besonderen gruppendynamischen Umstände sicherlich, so dass hier alle guten Wünsche überparteilichen Konsens finden dürften.