Politik sei nichts für sie, meinen meine Freunde und blicken nach Bonn auf unsere Parteienlandschaft. Was sie sehen ist - unabhängig von der Parteizugehörigkeit - nichts, das einen Citoyen durchgehend freuen könnte. Warum er denn in der CDU sei, wurde Michel Friedman wiederholt gefragt, ein so kluger und kritischer Kopf wie er. Er habe sich die Partei ausgesucht, mit deren Positionen er wenigstens zu 51 % übereinstimme. Mehr sei nicht erreichbar. Und so ist es, welche Partei es auch sei.
In der Kommunalpolitik geht es um anderes. Mehrfach im Jahr tauchen neue, die Szene beherrschende Themen auf. War es im vergangenen Jahr noch die erfolgreiche Durchführung eines Bürgerbegehrens nach § 16 GO S.-H. zum Erhalt von Sportplätzen, die die Ratsmehrheit bebauen lassen wollte, waren es dann die Flächenversiegelungen und die Planung eines Regenrückhaltebeckens, so ist sind es plötzlich pädagogische Konzepte, die die Gemüter erregen und zur Totalausleihe aller einschlägigen Werke in der Stadtbücherei führen. Auch männliche Kommunalpolitiker aller Altersklassen sind aus heiterem Himmel wißbegierig. Was ist Waldorfpädagogik? Was bedeutet Montessori? Wie erzieht man situationsorientiert?
Froh, der Schule entkommen zu sein und im weiteren Verlaufe auch ohne Kinder, verbrachte ich mein weiteres Leben in der Annahme, mit Kindergärten oder Schulen nicht weiter behelligt zu werden - bis mich die Kommunalpolitik ereilte. Zunächst ergab sich die Notwendigkeit, daß mein Stadtverband, um bisher nahezu verschlossene Kreise der Bevölkerung, insbesondere junge Frauen, zu gewinnen, einen Arbeitskreis Schule und Erziehung gründete. Der geneigte Leser ahnt es schon, meine karge Freizeit nahm der Briefwechsel mit Referenten aus der Erziehungsbranche ein. Es galt Vorträge zu organisieren.
Seither befasse ich mich völlig überraschend mit der Notwendigkeit, Kindern Grenzen zu setzen und Eltern dazu zu ermutigen. Es gilt als ausgemacht, daß an der Ladenkasse brüllende Kinder dadurch zur Raison gebracht werden können, daß auch die Mutter (oder der Vater?) sich schreiend auf den Boden werfen..........das ist dem Dreijährigen peinlich und er hört auf zu schreien. Sagt Jan-Uwe Rogge, der Erziehungswissenschaftlicher. Seither höre ich Vorträge über die Integration behinderter Kinder oder Wahrnehmungsentwicklung- und Störung, darf dabei an Fläschchen mit unterschiedlichen Gerüchen riechen, um den Geruchssinn zu schärfen oder darf erklären, was man bei einem Spaziergang im Herbstwald sieht, hört, riecht., schmeckt und fühlt. Schließlich muß man ja zu den Veranstaltungen gehen, die man selbst mitorganisiert.
Und dann traf mich auch noch die Kindergartenproblematik - mitten in die politische Grundbefindlichkeit. Ohne Fingerspitzengefühl und voller Sympathien für einen Bewerber wurde in einer Vierarbeitsgruppe, bei der der Vertreter der größten Partei fehlte, entschieden, wer Träger eines neuen Kindergartens werden sollte. Es gab drei Bewerber, ein altbewährtes Unternehmen, das schon drei Kindergärten in der kleinen Stadt betreibt, eine der SPD nahestehende Wohlfahrtsorganisation und eine Elterninitiative. Das Bewährte wurde von unseren tüchtigen Arbeitsgruppenmitgliedern ausgesucht und dem Sozialausschuß vorgeschlagen. Vielfalt, wie es ein Urteil des OVG Schleswig zur Auslegung des § 25 KiTaG S.-H. definiert, war das doch wohl nicht, oder?
Aber ja doch, denn das Unternehmen, das bisher Kindertagesstätten mit "Montessori-Pädagogik" betreibt, bot nun einen Waldorf-Kindergarten an - damit sei die pädagogische Vielfalt gewahrt. Der Dreierbande gefiel es. Nicht so der Bevölkerung und zunehmend auch den politischen Kreisen. "Waldorf wollen wir nicht", hieß es, ein stinknormaler Kindergarten müsse her. Mütter protestierten. Unterbringen wollten sie ihre Kinder, um wieder zu arbeiten, aber nicht zu Hause die Jahreszeitenkreise und anderes philosophische Gedöns mit den Kindern fortsetzen.
Nun, bei so viel Gegenwind, gab es einen Teilrückzieher: Man wolle nur ein bißchen Waldorf, sagte der Bewerber plötzlich. Von Etikettenschwindel war die Rede. Ja, aber was ist denn nun eigentlich ein Waldorf-Kindergarten? Geht ein bißchen Waldorf? Alle wußten es, niemand konnte es erklären.
Der Versuch, Referenten für eine Informationsveranstaltung zu den unterschiedlichen Konzepten zu finden, scheiterte zunächst. Es gelang aber, die Besichtigung eines Waldorf-Kindergartens der Anthroposophen zu organiseren. Auch andere politische Parteien und der Bürgermeister schlossen sich an.
Ob man also will oder nicht - man kommt herum in der Kommunalpolitik! Auch in Kindergärten. Die im kommunalen Blättchen ziterte Klage, es finde sich kein Waldorf-Referent, brachte die Waldorf-Pädagogen des Kreises Pinneberg zunächst auf die Palme und dann nach Schenefeld. Es fanden sich noch zwei kirchliche Erzieherinnen - als neutrale Dritte im Bunde und wir hatten unseren Informationsabend. Ein bißchen Waldorf geht nicht, lernten wir. Auch Waldorf mit Montessori geht nicht.
Und so kam es - unter Auswechseln einiger Mitglieder des Sozialausschusses durch ihre Vertreter - schließlich zur Entscheidung für die Elterninitiative und ihre situationsorientierte Pädagogik. Von der lernten wir, daß sie anstrengend für die Pädagogen ist, wenn sie gut betrieben wird, bei schlechter Motivationslage aber dazu führen kann, daß die Erzieherinnen Kaffeetrinken, weil die Situation gerade kein Eingreifen erfordert......
Über diesen dramatischen Ereignissen haben die Parteien 1996 in Schenefeld vergessen, sich über den Haushalt zu streiten. Die Budgetierung wurde partiell eingeführt, alle Fachausschüsse und die Verwaltung sparten brav, die Kreditaufnahme konnte in Grenzen gehalten werden, und nun haben wir - ohne großes Gezänk - einen Sparhaushalt 1997.
Die Palette der kommualpolitischen Themen umfaßt alle Bereiche des Lebens in einer Stadt: Ist Schenefeld ein idealer Gewerbestandort? fragten wir die Gewerbetreibenden, und der eingeladene Bürgermeister konnte sein Notizbuch für die Beschwerden kaum wieder zuklappen. Welche freiwilligen Aufgaben werden von der Stadt wahrgenommen? Wollen wir uns einen Schulpsychologen leisten, eine eigene Volkshochschule, einen Sozialarbeiter, eine Bibliothek - und soll diese weiterhin kostenfrei in Anspruch genommen werden dürfen? Letzteres verneinte eine Mehrheit im Kulturausschuß, der meine Fraktion nicht angehörte - Anlaß genug, öffentlich darauf hinzuweisen, daß in einer Zeit umfassender Kommerzialisierung unserer Lebensbereiche für die Menschen, insbesondere für Kinder, erfahrbar bleiben muß, daß es Beziehungen und Orte gibt, bei denen andere Werte als das Geld zählen. Die menschliche Begegnung, das freundliche Gespräch, der Platz für Phantasie, das Vorlesen und Zuhören schaffen ein Gegengewicht zur kalten Funktionalität der Zeit. Der kostenlose Zugang zum Medium Buch muß deswegen erhalten bleiben. Nur so ist auch leistungschwachen Familien und insbesondere Kindern diese wertvolle Alternative zum Fernsehen zu erhalten.
Solches darf man bei Gelegenheit in der Kommunalpolitik sogar öffentlich vertreten. Eigenes Interesse an Kultur findet sich so nicht mehr als reine Privatsache wieder, sondern als ein Teil von P o l i t i k. Abstoßend? Öde? Grund zur Verdrossenheit?
Die Faszination kommunalpolitischer Betätigung liegt in ihrer Vielfalt und den schier unbegrenzten Möglichkeiten, aktuelle oder chronische Themen aufzubereiten, Informationen zu sammeln, öffentliche Veranstaltungen dazu zu organisieren, Menschen zusammenzubringen, an Erfahrungen teilzuhaben und aus alledem praktische Vorschläge zu erarbeiten, zu überzeugen, Mehrheiten zu finden. Die Herausforderung für Eigenschaften wie Fleiß, Geduld, Sportsgeist, Integrationskraft, Selbstverleugnung, List und Phantasie ist beträchtlich und manchmal nicht zu bestehen. Politik ist schlecht, wo diese Herausforderung nicht wenigstens angenommen wird und eigene Interessen in den Vordergrund treten. Politik ist gut, wo die Herausforderung angenommen und das Beste versucht wird. Immer wieder und in Erwartung des nächsten Themas, das sich bei ganz harmlosen Tätigkeiten unerbittlich aufdrängen kann. Politik nichts für citoyens und citoyennes?
Karin Wiedemann