Frauen im Recht [1]
I. Einleitung
Gottfried Benn, ein deutscher Lyriker des vergangenen Jahrhunderts, beginnt eines seiner großen Gedichte mit den zwei Versen:
„Der soziologische Nenner,
der hinter Jahrtausenden schlief,
heißt: ein paar große Männer,
und die litten tief!“
Denken wir doch diesen Text einmal in Richtung auf unser Thema um, so klingt er wahrhaftig anders:
Das soziologische Grauen,
das hinter Jahrtausenden schlief,
heißt: Millionen F r a u e n ,
und die litten tief.
Hier setzt mein Themenverständnis an: Der Themenbereich, der uns heute beschäftigen soll, hat sich bislang ganz überwiegend mit der statistischen Aufbereitung von soziologischen Erhebungen befasst. Die Beziehung der Frau zum Recht und im Recht wurde gezählt, gemessen und gewogen, dabei gelegentlich auch gewichtet. Jedoch führte dies wiederum zu einer Konfrontation, einer Gegenüberstellung von Mann und Frau, von männlich beherrschter Justiz auf der einen Seite und weiblicher Benachteiligung auf der anderen Seite.
Das Thema lautet: Women in the Law, auf Deutsch: Frauen im Recht. Bei meinen Kollegen löste diese Formulierung sofort die Reaktion aus: Wieso, Frauen sind doch immer im Recht! – Eine Formulierung und ein Wortspiel, die sich mit der englischen Sprache nicht nachvollziehen lassen. Die Übersetzung: Women are always right.
Die Thematik wird indes nicht nur durch die Übersetzung Frauen im Recht erfasst, sondern ist zu erweitern auf Frauen und Recht, allgemein um die Problematik nach der Rolle der Frau im Recht.
Hier stellt sich mithin die Frage, die der Erforschung dieses Themenkreises zugrunde liegt, nämlich die nach der Rolle des Geschlechts im Recht.
Gibt es geschlechtsspezifische Antworten auf Fragen des Rechts, im Umgang mit dem Recht, im Umgang mit den Menschen?
Diese Fragen sind inzwischen etwas in die Jahre gekommen, aber sie werden gleichwohl auch heute noch immer wieder neu gestellt, durchaus in neuen Zusammenhängen, müssen sie aber auch wirklich heute noch beantwortet werden? Gibt es überhaupt noch Bemerkens- und Bedenkenswertes dazu zu sagen?
Ist es richtig, den Bezug eines Geschlechtes zum und im Recht zu einem Sonderfall zu machen?
Die Vereinigung hat sich mit der Wahl meiner Person für einen Vortrag zu diesem Thema jemanden gewählt, der jedenfalls Probleme hat, diese Frage uneingeschränkt mit ja zu beantworten, wobei ich zugeben muss, dass diese Haltung natürlich geprägt ist von den eigenen Erfahrungen, die wiederum getragen werden von der Stellung in der Zeit, in der wir leben, sozusagen das Geworfensein in die historische Situation, um es etwas hochtrabend auszudrücken.
Ich bitte deshalb um Verständnis, wenn ich Ihnen im Wesentlichen eine eigene Einschätzung der Probleme gebe und nicht die statistischen Auswertungen und die in Myriaden existierenden Abhandlungen – auszugsweise gesichtet und gewichtet – als Lesefrüchte wiedergebe. Zu dem Stichwort „Frau und Recht“, eingegeben im Internet für den Bereich Deutschland habe ich 1.400.000 Eintragungen aufgezeigt bekommen, und das in 63 Sekunden!
Ich habe – ich muss es gestehen – mich bislang kaum für das interessiert, was unter dem Thema „Frauenforschung“ passierte, so dass solche Begriffe wie „gender studies“ und „gender mainstream“ an mir vorbeigegangen sind, mich der mainstream also nicht so recht erfasst hatte, weil ich meinen eigenen praktischen und pragmatischen Wege in der Umsetzung meiner juristischen Vorstellungen gewählt habe. Dies prägt natürlich auch die Einstellung zu dem heutigen Thema, was vielleicht zu einer nicht geringen Enttäuschung bei manchem der Zuhörer, insbesondere vielleicht bei den weiblichen Mitgliedern dieses Auditoriums führen wird.
Die Bewertung der dazu erforderlichen soziologischen Bestandsaufnahme fällt zwangsläufig anders aus, wenn sich die feministische Rechtstheorie, die die Skepsis gegenüber der Mythologisierung des Rechts, des Gesetzes und des Urteils zu ihrem Charakteristikum erklärt hat, dieser Fragestellung annimmt.
Angesichts ihrer Bedeutung ist eine kleine Chronologie zur Entwicklung der Gleichberechtigungs- bzw. Gleichstellungsbemühungen unverzichtbar.
II. Die Frau im Recht
1. Die Geschichte der Frauenbewegung
Das 19. Jahrhundert
Die Teilhabe der Frau am Rechtsleben setzte zunächst ihre Teilhabe an der Ausbildung und an Bildung überhaupt voraus. Konkret gesprochen also das Abitur als Voraussetzung für ein Hochschulstudium.
Zum Besuch von Gymnasien waren in Deutschland bis zur Jahrhundertwende – also vom 19. zum 20. Jahrhundert – Mädchen nicht zugelassen. Als Städte wie Breslau und München kurz vor der Jahrhundertwende eigene Mädchengymnasien einrichten wollten, wurde ihnen die Erlaubnis zu einem derart „staatsgefährlichen Beginnen“ nicht erteilt. Der damalige preußische Kultusminister Bosse sprach von einem Flämmchen, das erstickt werden müsse, ehe es zur verheerenden Flamme werde.
Das war 1898. Einige Jahre zuvor, nämlich 1884, hatte ein Kulturphilosoph namens Lagarde das Programm der konservativen Partei zur Ausbildung von Mädchen in Preußen so beschrieben:
„Das Mädchen auch der höheren Stände lerne, was jeder Mensch heute wissen muss: lesen, schreiben, rechnen und etwas Heimatkunde. Was es außer dem von der Mutter gezeigten stricken, nähen und kochen darüber hinaus lernen wird, entscheidet allein sein von Gott ihm gewiesenes Leben. Jedes Weib lernt wirklich nur von dem Manne, den es liebt, und es lernt dasjenige, was und soviel der geliebte Mann durch seine Liebe als ihn erfreuend haben will. Das Regelrechte ist, dass Mädchen heiraten und ihre Bildung in der Ehe gewinnen; doch auch Schwestern, Töchter und Pflegerinnen werden durch Brüder, Väter, Kranke und Greise zu etwas gemacht werden, wenn sie diese Männer warmen Herzens bedienen.“
Auf Dauer ließ sich natürlich auch in Deutschland mit derartigen Thesen – wie wir sagen – kein Blumentopf gewinnen.
Helene Lange richtete 1893 private Gymnasialkurse für Frauen ein, drei Jahre später bestanden die ersten sechs Frauen als Externe in Deutschland nach einem Besuch dieser Kurse das Abitur. Von der Jahrhundertwende an wurden nach und nach auch deutsche Hochschulen für Frauen geöffnet, zuerst 1900 in Baden, zuletzt 1908/1909 in Preußen und Mecklenburg[2].
In manchen ausländischen Staaten war Frauen das Universitätsstudium schon viel früher ermöglicht worden. So war die erste Juristin Europas eine Schweizerin, die an der Universität Zürich promoviert und habilitiert wurde. Auch deutsche Frauen studierten an der Universität Zürich, z.B. Ricarda Huch und Rosa Luxemburg.
Im Ausland waren Frauen, was zu jener Zeit in Deutschland undenkbar war, auch bereits in juristischen Berufen tätig. In Frankreich gab es schon im Jahre 1900 Rechtsanwältinnen, in Norwegen waren seit 1904 Juristinnen zugelassen, und in den Niederlanden praktizierten 1909 fünf Rechtsanwältinnen.
In Deutschland berechtigte das Studium zunächst lediglich zur Promotion. Die Teilnahme am Ersten Staatsexamen, an der Referendarausbildung und an der Zweiten juristischen Staatsprüfung blieb den Frauen weiterhin versagt.
Als erster Staat im Reich schuf Bayern durch eine Novelle zur Prüfungsordnung von 1912 für Frauen die Möglichkeit, das Studium mit dem Ersten juristischen Staatsexamen abzuschließen. Sie durften sich aber weder Referendarinnen nennen noch wurden sie zum staatlichen Vorbereitungsdienst zugelassen.
Nachdem 1919 die Weimarer Reichsverfassung verabschiedet worden war, in der die Gleichstellung von Mann und Frau verankert wurde (Artikel 108, 128 WRV), änderte sich auch die Situation für die Frauen im Hinblick auf die Ausbildung für juristische Berufe. Preußen ließ nunmehr durch Verordnung von 1919 Frauen zur Ersten juristischen Prüfung zu, jedoch auch zunächst mit denselben Einschränkungen wie zuvor in Bayern. In gleicher Weise verhielten sich die meisten Bundesstaaten mit Ausnahme von Württemberg, Baden und Sachsen, die die Ernennung zum Referendar und die Zulassung zum Vorbereitungsdienst gestatteten[3]. 1922 wurde den Frauen der Zugang „zu den Ämtern und Berufen der Rechtspflege“ eröffnet, nämlich durch Gesetz vom 11.07.1922. Im gleichen Jahr erfolgte die Aufhebung des Verbots einer Tätigkeit als Laienrichter, so dass auch insoweit ein Schritt zur Gleichberechtigung getan war.
In diesem Zusammenhang mögen einige Zahlen beleuchten, wie es um die Stellung der Frau im Rechtswesen stand:
1914 studierten 51 Frauen Jura, 1917 waren es 74, 1919 immerhin bereits 450. 1930 standen 74 Frauen, davon 66 als Gerichtsassessorinnen, im richterlichen Dienst bei einer Gesamtzahl von über 10.000 Richtern. 1933 waren 252 der 18.766 zugelassenen Rechtsanwälte weiblich[4].
Aber auch diese Entwicklung war ganz und gar nicht unangefochten. Noch im Jahre 1921 auf dem Richtertag in Potsdam sprach ein Landgerichtsdirektor in seinem Vortrag unter dem Thema: „Die Zulassung der Frau zum Richteramt“ wohl vielen Männern aus dem Herzen, als er formulierte:
„Die Unterstellung des Mannes unter den Willen und den Urteilsspruch einer Frau widerspricht der Stellung, welche die Natur dem Manne gegenüber der Frau angewiesen hat und wie sie durch die Verschiedenheit des Geschlechts begründet ist. Sie widerspricht dem natürlichen Charakter des Mannes. Sie widerspricht auch dem besonderen deutschen Mannesgefühl, wie es bei der Mehrzahl der deutschen Männer ausgebildet ist. ... Die gleichwohl erfolgende Unterstellung des Mannes unter den Richterspruch der Frau würde daher eine schwierige Gefährdung des Ansehens der Gerichte zur Folge haben. ... durch die Zulassung der Frau als Berufsrichterin würde der Rechtsprechung das Grab gegraben.“[5]
1933 – 1945
Mit der Machtergreifung durch die NSDAP erlitt der Kampf um die Gleichberechtigung der Frau einen schweren Rückschlag.
Nach dem Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1932 wurden verheiratete Frauen aus dem Beamtenverhältnis entlassen. In Zeiten der wirtschaftlichen Krise sollte das „Doppelverdienertum“ beseitigt werden. Frauen wurden nicht mehr zum Referendariat, zum Probe- und Anwärterdienst zugelassen und schließlich, ab 1935, auch nicht mehr zur Rechtsanwaltschaft.
Als Richterinnen wurden sie aus der streitigen in die freiwillige Gerichtsbarkeit abgedrängt. Die neue Praxis entsprach der immer noch vorhandenen und durch die nationalsozialistische Idee wieder erstarkten Vorstellung, dass die Justiz allein Sache der Männer sei.
Dieser Männlichkeitswahn kam z.B. in einem 1933 veröffentlichten Aufsatz eines Landgerichtspräsidenten[6] zum Ausdruck, in dem es hieß:
„Die Hereinnahme der Frauen in die Gerichtsbarkeit bedeutete ein schweres Unrecht gegen den Mann wie gegen die Frau selbst. Das Unrecht wider den Mann gipfelt in dem Einbruch in den altgeheiligten Grundsatz der Männlichkeit des Staates ...“
Die rassische Verfolgung traf Beamtinnen, Richterinnen und Rechtsanwältinnen gleichermaßen. Schon bevor gesetzliche Regelungen ergingen, wurden Richter und Rechtsanwälte jüdischer Abstammung öffentlich verhöhnt, in „Schutzhaft“ genommen und auch ermordet. Wie bereits erwähnt, wurden insbesondere dann auch die jüdischen Beamtinnen und Richterinnen durch das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums von 1933 aus dem Staatsdienst entlassen.
Nach 1945
Nach dem 2. Weltkrieg jedoch nahm man nun die Frauen als Ersatz für die fehlenden Männer, die im Krieg gefallen oder in Kriegsgefangenschaft waren oder aber auch wegen ihrer politisch belasteten Vergangenheit nicht mehr im öffentlichen Dienst dienen konnten, wieder in die Justiz und Verwaltung auf. Sie wurden als Rechtsanwältinnen zugelassen, wie auch in vielen anderen Bereichen die Frau unentbehrlich wurde (Stichwort Trümmerfrau). So gelangten Frauen nach Kriegsende – jedenfalls teilweise – endlich in führende Positionen, leiteten Betriebe, wirkten beim Aufbau der kommunalen Verwaltungen und der Bundesbehörden mit.
Zum Abschluss noch einige Zahlen, die verdeutlichen, in welcher Weise sich Frauen zwischenzeitlich eine Stellung in den juristischen Berufswelt erobert haben. Nach den Angaben des statistischen Bundesamtes im Jahre 2003 waren im Jahre 2002 von 20.900 Richtern 6.291 Frauen, das sind 33 %. Bei den Rechtsanwälten waren von 113.055 Anwälten 31.846 Frauen, das entspricht 28 %. In der Staatsanwaltschaft war immerhin auch eine Frauenquote von knapp 33 % festzustellen, im Rechtspflegerbereich sogar ein Frauenanteil von knapp 56 %.
2. Vorbilder in der juristischen Frauenbewegung
Die vorstehende Entwicklung zu Gunsten der Frauen ist vor allem das Verdienst herausragender Frauen, die sich engagiert für die Gleichberechtigung der Frauen eingesetzt haben. Ich möchte gegen das Eingangszitat nach Gottfried Benn doch einige große Frauen erwähnen:
Erna Scheffler[7]
Erna Scheffler wurde 1893 in Breslau geboren. Sie stammte aus einer wohlhabenden Familie. Der jüdische Vater starb sehr früh, nämlich bereits 1904 und ließ die Mutter als Hausfrau in jeder Weise ungesichert und rechtlos zurück. Das Familienleben wurde durch einen Vormund und den Testamentsvollstrecker bestimmt. Diese Situation bestimmte ihren Entschluss, sich dem Recht zuzuwenden. Ein solcher Lebensplan war vor dem 1. Weltkrieg, nach dem was wir vorhin gehört haben, nicht selbstverständlich. Sie machte ihr Abitur als Externe an einem Knabengymnasium und nahm 1911 das Jurastudium in Heidelberg auf und studierte in München und Berlin, schloss es in Breslau mit der Promotion über ein strafrechtliches Thema ab. Weder das Erste noch das Zweite Staatsexamen standen ihr nach der preußischen Gesetzeslage damals offen. Sie übernahm rechtsberatende Tätigkeiten in ihrer Heimatstadt und arbeitete als Hilfskraft bei einem Rechtsanwalt. Sobald es ihr durch die geänderte Gesetzeslage möglich war, nahm sie trotz ihrer Familienpflichten als Ehefrau und Mutter eine berufliche Karriere in Angriff, sie legte nämlich 1922 und 1925 die beiden juristischen Staatsexamina ab und war von 1925 – 1928 als Rechtsanwältin in Berlin zugelassen, wechselte dann im Alter von 35 Jahren in den öffentlichen Dienst als Richterin, wurde jedoch als sogenannte Halbjüdin schon 1933 wieder entlassen.
Nach schwierigen Zeiten während der Zeit des Nationalsozialismus kehrte sie 1945 als Unbelastete in den Justizdienst in Berlin zurück und wurde Vorsitzende Richterin am Landgericht in Berlin (damals Landgerichtsdirektorin). Sie gibt diese Position jedoch auf, als ihr Mann Richter am Oberlandesgericht in Düsseldorf wurde. Sie wechselte in die Verwaltungsgerichtsbarkeit, weil nach damaliger Auffassung eine gleichzeitige Berufstätigkeit eines Ehepaares in der Zivilgerichtsbarkeit als nicht möglich angesehen wurde. Erna Scheffler wurde 1951 Verfassungsrichterin und blieb dies bis 1963. Sie setzte sich im Rahmen ihrer Tätigkeit als Verfassungsrichterin im 1. Senat für die Gleichberechtigung von Mann und Frau im Bereich der Ehe und Familie ein, wandte sich gegen nach ihrer Auffassung verfassungswidrige Regelungen im Steuerrecht und trat vehement für eine gleiche Bewertung der Leistungen als Hausfrau und Mutter im Rahmen der Sozialversicherung ein.
Elisabeth Selbert[8]
Elisabeth Selbert wurde 1896 in Kassel geboren. Ihr Vater war als Vollzugsbeamter in einer Strafanstalt tätig. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse sorgten die Eltern dafür, dass die vier Töchter eine Berufsausbildung erhielten. Auf Umwegen über externe Kurse und über ein Ausbildungsjahr auf einer höheren Handelsschule fand sie zunächst mit einer besonderen Begabung für Fremdsprachen als Auslandskorrespondentin eine Anstellung und wechselte 1914 als Beamtenanwärterin zur Post.
Sie heiratete 1920 und blieb bis zur Geburt des ersten Sohnes 1921 im Postdienst tätig.
Als Mutter von zwei kleinen Kindern machte Elisabeth Selbert im Alter von 30 Jahren das Abitur als Externe nach und beschloss, Jura zu studieren, wobei ihr Mann sie in jeder Weise unterstützte. Er kümmerte sich unter Mithilfe ihrer Eltern um die beiden kleinen Söhne, während seine Frau in Marburg und später in Göttingen Jura studierte in der Mindestzeit von sechs Semestern. Sie machte 1929 ihr Referendarexamen und begann sofort mit einer Promotion zu einem familienrechtlichen Thema. Sie benötigte für die Dissertation vier Monate und legte im Oktober 1934 das Assessorexamen beim preußischen Prüfungsamt in Berlin ab, das sie mit Prädikat bestand.
Ihr Mann war Anfang 1933 als Staatsfeind aus seiner Position als Kommunalbeamter entlassen worden. Elisabeth Selbert beantragte sofort ihre Zulassung als Rechtsanwältin und hatte trotz der schwierigen Zeiten Glück: zwei ältere Senatspräsidenten - noch unabhängige Richter ohne Parteiabzeichen - sprachen ihre Zulassung gegen das Votum des Gauleiters, des NS-Juristenbundes und der Rechtsanwaltskammer aus. So ernährte sie in den folgenden Jahren ihre Familie durch ihre Tätigkeit als Rechtsanwältin. Nach dem Kriegsende hat sie etwa 1 ½ Jahre lang Verteidigungen vor den amerikanischen Militärgerichten wahrgenommen, sie eröffnete in Kassel eine Rechtsanwaltskanzlei und beteiligte sich 1949 an der Erarbeitung des Gesetzes, wurde jedoch nicht in den Bundestag entsandt und kehrte nach Kassel zurück, wo sie bis 1958 als Abgeordnete im hessischen Landtag mitwirkte, 12 Jahre lang war sie im Parteivorstand der SPD und einige Jahre als Stadtverordnete in Kassel tätig.
Magdalene Schoch[9]
Sie wurde 1897 geboren und schloss ihr Jurastudium in Würzburg mit einer Promotion zum Thema: „Die Zwangsliquidation feindlicher Gesellschaften durch das englische Handelsamt nach dem Trading-with-the-Enemy-Act“ ab. Sie kam 1920 nach Hamburg, weil der Würzburger Professor Albrecht Mendelssohn Bartholdy, ein Völkerrechtler, sie mitnahm als wissenschaftliche Mitarbeiterin, nachdem er einen Ruf an die Universität Hamburg erhalten hatte. 1932 wurde Magdalene Schoch mit ihrer Schrift „Klagbarkeit, Prozessanspruch und Beweis im Licht des internationalen Rechts“ habilitiert und zur Privatdozentin für internationales Privat- und Prozessrecht, Rechtsvergleichung im Zivilprozessrecht ernannt. Sie war damit die erste habilitierte Juristin Deutschlands. Wegen der Verfolgung durch die Nationalsozialisten trat ihr juristischer Lehrer zurück von seinem Amt und emigrierte nach England. Magdalene Schoch musste einsehen, dass auch ihr keine Möglichkeit zu einer weiteren Tätigkeit in Deutschland verblieb, so dass sie in die USA emigrierte. Sie arbeitete dort von 1938 bis 1943 als Forschungsassistentin an der Harvard-Universität und danach bei verschiedenen Bundesbehörden. Nach Kriegsende war sie damit befasst, Vorschläge für die rechtliche Umsetzung des Potsdamer Abkommens durch die amerikanische Militärregierung auszuformulieren. Eine dauerhafte Rückkehr nach Deutschland lehnte sie ab. Auf einen Ruf an die Universität Hamburg antwortete sie, dass sie in diese Institution keinen Fuß mehr setzen würde. Für den Rest ihres Berufslebens (über 20 Jahre lang) arbeitete sie als Expertin für ausländisches Recht im US-amerikanischen Department of Justice.
Elisabeth Schwarzhaupt[10]
Elisabeth Schwarzhaupt wurde 1901 in Frankfurt/Main geboren. Ihr Vater war Lehrer, später Oberschulrat und zeitweise Abgeordneter der deutschen Volkspartei im preußischen Landtag. Ihre Mutter war von der Frauenbewegung beeinflusst und hatte vor ihrer Heirat eine Lehrerinnenausbildung abgeschlossen, war jedoch nicht berufstätig geworden. Als in Frankfurt ein Mädchengymnasium eingerichtet wurde, war es für die Eltern selbstverständlich, dass ihre begabte Tochter diese Schule besuchte. Sie bestand dort 1920 das Abitur und besuchte anschließend auf Wunsch des Vaters das Lehrerinnenseminar, wo sie ihr Examen für Volks- und Mittelschulen machte. Doch den Beruf der Lehrerin wollte sie auf keinen Fall ergreifen, am liebsten wäre sie Journalistin geworden, entschloss sich dann jedoch, Rechts- und Staatswissenschaften zu studieren. Sie studierte 1921 – 1925 in Frankfurt und Berlin, war besonders von dem Rechtslehrer Martin Wolf beeindruckt und beschloss Vormundschafts- oder Jugendrichterin zu werden. Nach dem Assessorexamen 1930 fand sie eine Anstellung als Gerichtsassessorin bei der städtischen Rechtsauskunfts- und Rechtsschutzstelle für Frauen in Frankfurt, später übernahm sie eine Tätigkeit als Zivilrichterin, jedoch unmittelbar nach der Machtübernahme verlor sie ihren Auftrag als Vertretungsrichterin in der Abteilung für Zivilsachen beim Amtsgericht Dortmund und als Beisitzerin beim Landgericht. Sie kehrte in ihr Elternhaus zurück und beschloss zu promovieren, um dann vielleicht in der Industrie eine Anstellung zu finden. Sie schrieb eine Dissertation über Währungsklauseln im deutschen Schuldrecht und überstand die schwierige Zeit des Nationalsozialismus als Mitarbeiterin in einer Verwaltungsstelle der evangelischen Kirche in Deutschland.
Auf Drängen der CDU erklärte sie sich bereit, für den Bundestag zu kandidieren und schaffte auf Anhieb den Sprung in den Bundestag, wo sie sich vielfältig engagierte. Sie befasste sich mit der Wehrverfassung, dem zivilen Notdienst für Frauen, mit dem Kampf gegen die Verjährung von NS-Straftaten und Problemen des Familienrechts.
Sie wurde Gesundheitsministerin im Kabinett Adenauer, engagierte sich aber vielfältig im Bereich des Familienrechts und setzte sich über viele Jahrzehnte für notwendige Reformen im Ehe- und Familienrecht ein. Sie machte die Altersversorgung der Frauen zu ihrem Spezialgebiet.
Diese eindrucksvollen Lebensbilder geben einen Eindruck davon, wie schwierig es gewesen ist, sich in dem vergangenen Jahrhundert im Berufsleben als Juristin durchzusetzen.
Angesichts dieser Schwierigkeiten darf der Zustand für die heutigen Juristinnen geradezu als paradiesisch bezeichnet werden.
Eine bedeutende Stellung im Kampf der Frauen um die Gleichberechtigung, um es mit Jhering etwas pathetisch zu sagen: im Kampf um ihr Recht, hat der Juristinnenbund seit seiner Gründung im Jahre 1948 eingenommen. Der Juristinnenbund ist Frauenverband und juristischer Fachverband zugleich. Er arbeitet auf beiden Ebenen mit anderen Verbänden zusammen, hält natürlich auch international Kontakt zu entsprechenden ausländischen Verbänden.
Eigentlich wäre nun noch eine Schilderung der Entwicklung, die die Frauenbewegung in den Zeiten der DDR genommen hat, angezeigt. Ich verzichte jedoch aus Zeitgründen auf eine eigenständige Darstellung. Wer sich dafür interessiert, findet auch zu diesem Themenbereich etwas in dem Band „Juristinnen in Deutschland“[11].
III. Behandlung der Frauen durch das Recht
„Das Recht ist männlich“ – so lautet die These eines Beitrages von Ulrike Schultz mit dem Titel "Wie männlich ist die Juristenschaft?" in dem Band "Fauen im Recht"[12]. Dort ist aufgeführt, dass Recht und Macht untrennbar miteinander verkoppelt seien. Der Staat, der die Macht habe, sei der Stärkere, setze das Recht, erlasse Gesetze. Weiter heißt es dort:
„Traditionell waren die Machthaber Männer, die ihre Position befestigten, indem sie Frauen aus politischer Aktivität ausschlossen und ihnen das Wahlrecht versagten; und auch heute in unserer Gesellschaft ... liegt fast jeder Zugang zu Macht und Einfluss in männlichen Händen. Entsprechend werden Gesetzesanliegen zwangsläufig aus männlicher Perspektive formuliert ..., denn auch der Gesetzgeber ist nach wie vor männlich ...“
In demselben Band befasst sich Marianne Grabrucker mit der Frage der „Ungleichbehandlung der Frau in der Rechtssprache“ (S. 283 ff.). Dort heißt es:
„Die Rechtssprache verwendet ausschließlich männliche Personalbenennungen, wenn sie, in der ihr notwendigen Abstraktion Rechtsbeziehungen unter Menschen regelt. Das Gesetz kennt nur den Kläger, den Schuldner, den Arbeitnehmer ...
Da das Gesetz in der Betroffenheit der Personen keinen Unterschied des Geschlechts kennt und streng neutral anzuwenden ist, erhebt sich die Frage, weshalb die Gesetzessprache ausschließlich auf das männliche Genus fixiert ist und ob diese Praxis geändert werden kann?“
Immer wieder wird auch in den Untersuchungen zu Gleichberechtigungsfragen darauf hingewiesen, dass trotz aller Bemühungen die Rechtsprechung und Rechtsanwendung männlich geprägt sei (so in den Beiträgen von Barbelies Wiegmann, Monika Frommel und Eva-Marie von Münch in dem bereits erwähnten Sammelband „Frauen im Recht“).
Schlagworte wie "männliche Gesetzgebung" und "männliche Rechtssprache" erscheinen mir reichlich vordergründig. Es hilft meines Erachtens der Frage der Gleichberechtigung nicht weiter, wenn wir dazu übergehen, in unseren Gesetzestexten stets eine neutrale Fassung oder kumulativ eine weibliche Form zu wählen[13] oder aber sogar so weit gehen, dass die weibliche Form als Normalfall gewählt wird, wie dies z.B. bei einer Promotionsordnung erfolgte. Dort war als Normalfall vorgesehen, dass der Grad der Doktorin verliehen wird. Nur in einem zweiten Absatz war dann geregelt, dass männlichen Bewerbern der Grad eines Doktors verliehen wird.
Viel entscheidender sind die Sachfragen:
Der in Artikel 3 des Grundgesetzes niedergelegte Gleichheitssatz bot die Grundlage für eine Fortentwicklung der Rechtsprechung in Richtung Gleichberechtigung in allen Rechtsbereichen. Zu verdanken war dies vor allem engagierten Frauen aus Rechtswissenschaft und Politik, die sich die Veränderung des allgemeinen Bewusstseins und die Veränderung der Rechtsprechung und Gesetzgebung zum Ziel gesetzt hatten.
Im bürgerlichen Recht betraf dies ganz besonders das Familienrecht. So wurden das Ehescheidungsrecht, das Recht der elterlichen Sorge sowie die Rechtsbeziehungen zwischen Eltern und Kindern unter dem Blickwinkel der Gleichberechtigung neu geordnet bzw. durch höchstrichterliche Entscheidungen neu geprägt und mit neuem juristischen Leben im Hinblick auf eine Gleichberechtigung von Mann und Frau erfüllt.
Dasselbe gilt für die Behandlung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, die unter dem Blickpunkt der Gleichberechtigung ebenfalls rechtlich mit neuen Impulsen versehen wurde.
Einen aktuellen Meilenstein in diesem Zusammenhang stellt die neueste Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sittenwidrigkeit von Eheverträgen dar[14].
Auch dem Arbeitsrecht hat der Gedanke der Gleichberechtigung immer wieder erhebliche neue Impulse gegeben, allerdings häufig initiiert durch europäische Richtlinien, die den deutschen Gesetzgeber zu entsprechenden Regelungen veranlassten. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang das Diskriminierungsverbot des § 611 a BGB, durch den gewährleistet werden soll, dass eine Bewerberin bereits im Bewerbungsverfahren diskriminierungsfrei behandelt und keiner Benachteiligung wegen ihres Geschlechtes ausgesetzt wird.
Auf den Prüfstand kam das Diskriminierungsverbot insbesondere bei der Frage, ob ein Arbeitgeber berechtigt ist, eine Bewerberin nach einer Schwangerschaft zu fragen.
Zwischenzeitlich gibt es ausdifferenzierte Entscheidungen zu dem Fragerecht des Arbeitgebers, die nicht immer ganz ohne Kritik akzeptiert werden. So fand ich kürzlich in einer juristischen Zeitschrift folgende mahnenden Worte:
„Bei allem Verständnis für das Bemühen, Ungleichbehandlungen und Diskriminierungen möglichst weitgehend beseitigen zu wollen, sollte man jedoch die möglichen Folgen dieser Tendenz nicht aus den Augen verlieren. Insgesamt sollten sich die Interessen der Arbeitnehmer und des Arbeitgebers in einem ausgewogenen Gleichgewicht befinden. Es nützt langfristig keiner Seite, wenn ein Arbeitgeber einen ungeeigneten Bewerber einstellt, mit dem er nachher unzufrieden ist. ... In der Praxis wird das Fragerecht zunehmend zum Drahtseilakt, einerseits zwischen dem Bewusstsein, dass eine falsche Einstellung sehr teuer werden kann, und andererseits dem durch Rechtsprechung und Gesetzgebung eingeschränkten rechtlichen Rahmen.“[15]
Auch im Strafrecht hat der Gedanke der Gleichberechtigung erhebliche Auswirkungen auf die Behandlung frauenspezifischer Probleme gehabt.
Dies gilt zum einen für die in Deutschland, aber auch international immer wieder diskutierten Fragen im Zusammenhang mit der Abtreibung. Des gleichen ist aber auch festzustellen gewesen, dass sich die Behandlung der Frauen im Rahmen Strafverfahren bei Sexualstraftaten deutlich verändert hat.
Sahen sich Frauen in den 60er und 70er Jahren oft noch einer unwürdigen Befragung durch Polizei, Staatsanwaltschaft und sogar auch durch die Gerichte ausgesetzt, so hat es in dieser Hinsicht entscheidende Verbesserungen gegeben.
Im Bereich des öffentlichen Rechts hat das Gewerberecht immer wieder einmal Veranlassung gegeben – nicht immer ganz ohne unfreiwillige Komik – Entscheidungen unter dem Blickpunkt der Gleichberechtigung von Mann und Frau zu überprüfen.
Die Tatsache, dass sich Frauen in Berufsbereiche vorwagten, die früher allein männlichen Bewerbern vorbehalten waren, barg die Gefahr eines Scheiterns solcher Berufswünsche, weil die jeweiligen Gewerbeunternehmen eine Ausstattung mit getrennten Toilettenräumen nicht nachweisen konnten
Hervorzuheben ist, dass durch Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, insbesondere aber auch des Europäischen Gerichtshofs die Gleichberechtigung der Frauen in allen juristischen Bereichen eine deutliche Förderung und Umsetzung erfahren hat mit der Folge einer Veränderung auch des allgemeinen Bewusstseins.
Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang an die bahnbrechende Entscheidung des EuGH, mit der es einer Frau gelungen ist, die Zulassung zum Dienst in der Bundeswehr zu erreichen[16].
IV. Frauen in juristischen Berufen
Wie ich schon eingangs erwähnt habe, hat sich eine deutliche Veränderung in der Beteiligung von Frauen in juristischen Berufen ergeben. Dies gilt für alle rechtlichen Berufe mit Ausnahme eigentlich nur des Hochschulwesens. In den Universitäten sind Frauen als Inhaber von Lehrstühlen noch immer nur in geringer Zahl zu finden.
Seit den 60er Jahren ist eine ständige Zunahme des Frauenanteils in der juristischen Ausbildung und in den juristischen Berufen festzustellen. So waren zu Beginn der 60er Jahre nur 10 – 15 % Frauen in den juristischen Fakultäten als Studentinnen anzutreffen. Demgegenüber hat sich dieser Anteil bis 1997 auf 44 % erhöht, teilweise beträgt er heute um 50 %. Die deutliche Zunahme ist auch in der Beteiligung von Frauen am Referendariat festzustellen, lag dieser Anteil noch 1970 bei nur 10 %, so ist er auf 44 % im Jahre 1998 gestiegen. Die deutliche Zunahme des Frauenanteils an den juristischen Berufen hatte ich schon eingangs erwähnt. Eine umfassende Zusammenstellung dieser Entwicklung findet sich in dem von Ulrike Schultz und Gisela Shaw herausgegebenen Handbuch: Women in the World's legal professions, das im Jahre 2003 erschienen ist und eine Übersicht über die Entwicklungen in den bedeutendsten Staaten enthält. Für unsere englischen Freunde hat dieses Werk noch den Vorzug, das es in englischer Sprache verfasst ist.
Bereits 1993 war eine empirische Analyse der Berufssituation, der Karriereverläufe und Karrierechancen von Richterinnen, Staatsanwältinnen und Rechtspflegerinnen erschienen unter dem Titel: „Frauen in der Justiz“. Auch dies ist für jeden, der sich über die Probleme der Frauen in der berufstätigen Welt der Justiz informieren will, eine Fundgrube.
Gleichwohl will ich davon absehen, diese Untersuchungen zu referieren, vielmehr möchte ich Ihnen meine Sicht der Dinge aufgrund eigener Erfahrungen skizzieren.
Mit dem Studium habe ich 1961 unmittelbar nach dem Abitur, das ich auf einem reinen Mädchengymnasium gemacht hatte, begonnen.
Schon hier ist eine Parallelität zu den Analysen in den vorgenannten Werken festzustellen: Ich gehörte zu denjenigen, die eigentlich nicht so recht wussten, was sie beruflich machen sollten und sich deshalb an die Juristerei hielten, weil sie vielfältige Möglichkeiten der beruflichen Betätigung bot.
Bei meinem Studienbeginn in Würzburg war der Frauenanteil nicht sehr groß, für mich war es eine ausgesprochen schwierige Situation, mich in dieser männlich geprägten Fakultät zurechtzufinden. Ich traute mich z.B. nicht, die Kommilitonen nach dem Immatrikulationsbüro zu fragen, ich bin stattdessen zunächst hilflos durch die Gänge gelaufen, um mich selbst zurechtzufinden.
Die Professoren nahmen die wenigen Studentinnen in den Vorlesungen kaum zur Kenntnis, manches Mal wurde man, wenn man gewagt hatte, eine Frage zu stellen, dem Gelächter der anwesenden Kommilitonen ausgesetzt.
So erinnere ich mich daran, dass ich im Rahmen einer Vorlesung zum Schuldrecht eine Frage stellte unter Hinweis auf ein juristisches Kurzlehrbuch, das ich gerade zuvor gelesen hatte, was der Professor mit der Bemerkung kommentierte: Wer ist schon Molitor? So war nämlich der Name des Autors dieses juristischen Lehrbuches. Es gab allgemeines Gelächter. Immerhin aber hatte er die Größe, beim nächsten Mal sich bei mir zu entschuldigen, nachdem er nämlich festgestellt hatte, dass jener Autor der einzige war, der im Rahmen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung sich mit dem von mir angesprochenen Problem befasst hatte.
Die Behandlung während des gesamten Studiums war im Übrigen jedoch durchaus neutral bis wohlwollend. Man durfte unter Umständen sogar auf bevorzugte Behandlung hoffen. Wer im Examen gut Rede und Antwort zu stehen wusste, kam oft mit besseren Noten davon als die männlichen Bewerber.
Als ich mich dann für eine Doktorarbeit interessierte, sagte der Professor, an den ich mich gewandt hatte, zu mir, den Damen pflege er immer ein Thema aus dem Familienrecht zu geben. Auch dies ist eine Beobachtung, die immer wieder in Forschungsberichten auftaucht: Es ist die Tendenz festzustellen, dass sich Frauen sehr oft gerade in die Bereiche des Familienrechts oder im Strafrecht in den Bereich des Jugendrechts oder in der freiwilligen Gerichtsbarkeit in das Vormundschaftsrecht begeben oder in diese Gebiete gedrängt werden.
Ich hatte aber kein Interesse am Familienrecht, sondern wählte ein Thema aus dem englischen Rechtskreis über die Rechtsfigur des Trust, hatte auch schon ein Stipendium bewilligt bekommen und wollte in England eine Barristerausbildung machen, aber: Es kam, auch dies in vollkommener Übereinstimmung mit den Befunderhebungen der Analysten, zu einem Abbruch dieser Pläne, denn ich hatte während meiner juristischen Ausbildung das "Ausbildungsziel" – so die oft geäußerte Auffassung – erreicht und geheiratet, dachte deshalb nicht mehr an eine Fortführung meiner Ziele, denn mir war das Zweite Staatsexamen wichtiger als eine Promotion. Als Referendarin verheiratet zu sein, war schon etwas ungewöhnlich, mit einem zweijährigen Kind das Zweite Staatsexamen zu machen, hatte damals eher Seltenheitswert. Gleichwohl bin ich während der gesamten Referendarzeit gegenüber meinen männlichen Mitreferendaren nicht benachteiligt worden. Ich habe Rücksichtnahme und Verständnis für meine familiäre Situation gefunden.
Für mich stand fest, dass ich nach dem Staatsexamen eine Berufstätigkeit aufnehmen wollte, jedoch – auch insoweit wieder sehr typisch, wenn man dies mit den Analysen vergleicht – war meine Berufstätigkeit nur in Verbindung mit einer Berufstätigkeit meines Ehemannes möglich, d.h. aber, dass seine beruflichen Vorstellungen zunächst einmal Vorrang hatten. So kam ich als Nordlicht nach Nordrhein-Westfalen, wo ich trotz durchaus ordentlicher Examina nicht als Richterin eingestellt wurde, weil ich eben aus einem anderen Bundesland kam und Nordrhein-Westfalen die Landeskinder zunächst einmal bei der Einstellung bevorzugte. Es dauerte fast zwei Jahre, bis ein neuer Personaldezernent nachfragte, ob ich noch Interesse an einer Richtertätigkeit hätte.
Ich hatte, und dies war nun die beste Entscheidung, die ich – abgesehen von meiner Eheschließung – treffen konnte, denn ich habe vom ersten Tag meiner Richtertätigkeit bis heute jeden Tag in diesem Beruf gerne gearbeitet.
Auch dies ist ein Faktum, das sich in fast allen Stellungnahmen und Analysen findet: Die berufliche Zufriedenheit der Frauen in der Justiz ist sehr groß.
Ich habe allerdings weder von der Möglichkeit der Teilzeitarbeit noch von der Beurlaubung zum Zwecke der Kindererziehung Gebrauch gemacht, sondern aus Freude an der Tätigkeit auch nach der Geburt des zweiten Kindes stets mit "voller" Stelle gearbeitet.
Im Laufe meiner gesamten Berufszeit habe ich kein einziges Mal das Gefühl gehabt, als Frau nicht mit den männlichen Kollegen gleichberechtigt behandelt zu werden. Vielleicht hat mir aber auch das Problembewusstsein gefehlt!
Die Feststellungen zahlreicher Frauenberichte kann ich nur bestätigen: Die Verbindung von Berufstätigkeit und Familie erfordert ein hohes Maß an Organisation, eine gute Konstitution und Belastbarkeit.
Auch mein weiterer beruflicher Werdegang entsprach in vielem dem, was die Tatsachenforschung an Erkenntnissen erbracht hat. Eine vielleicht mögliche Karriere wurde jedenfalls zeitweise zugunsten der Familienfürsorge und der Berufstätigkeit des Ehemannes zurückgestellt. Ich habe, solange die Kinder Aufsicht und Unterstützung brauchten, nichts anderes getan, als Beruf und Familie nach Möglichkeit konfliktfrei zu organisieren, habe allerdings dabei niemals die Vorstellung gehabt, dass dies eine Benachteiligung sein könnte.
Weil sich viele berufstätige Frauen vor allem um eine Vereinbarkeit von Beruf und Familie bemühen, ist es in meinen Augen nicht gerechtfertigt, von einer Benachteiligung der Frauen zu sprechen, wenn die Beförderung ausbleibt. Vielmehr ist es vorrangig ein Problem der eigenen familiären Situation. Es mag wünschenswert sein, dass der Staat vermehrt Möglichkeiten schafft, Frauen die Berufstätigkeit mit Kindern zu ermöglichen, z.B. durch Schaffung von Kindergartenplätzen. Zunächst aber ist es aber das eigene Problem, seine persönliche Situation so zu organisieren, dass die angestrebte Berufstätigkeit ausgeübt werden kann.
Für jedenfalls problematisch halte ich deshalb die Entwicklung, dass bei Stellenausschreibungen der Zusatz enthalten ist: Bei gleicher Qualifikation werden Frauen bevorzugt.
Die vorrangige Auswahl von Frauen ist wiederholt Gegenstand von Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs gewesen, der sehr feinsinnige Differenzierungen getroffen, das Vorrangprinzip aber im Kern anerkannt hat[17].
Es ist dabei hervorzuheben, dass der Richterberuf besonders geeignet ist, um Frauen mit Familie eine Berufstätigkeit zu ermöglichen.
In allen Untersuchungen wird stets festgestellt, dass der Anwaltsberuf bei Weitem nicht diese Möglichkeiten bietet, weshalb die Statistik auch ganz deutlich ausweist, dass Frauen mit Familie in herausragenden Anwaltskanzleien noch immer nur gering vertreten sind.
So stellt sich am Ende die Frage, ob durch die vermehrte Beteiligung von Frauen in juristischen Berufen eine Veränderung festzustellen ist.
Nach meinem Eindruck hat sich überall da, wo Frauen in juristischen Bereichen arbeiten, sich die Atmosphäre verändert.
Frauen sind - auch wenn eine Verallgemeinerung immer problematisch ist - eher flexibel, weniger auf Konfrontation ausgerichtet, sie gehen mit größerer Sensibilität auf die Menschen in ihrer Arbeitsumwelt, aber auch auf die Personen ein, mit denen sie sonst beruflich in Berührung kommen.
Ebenso ist aber wohl auch zu sagen, dass Frauen weniger an ausgefeilter Dogmatik interessiert sind, sondern pragmatische Lösungen suchen.
Die Mediation (alternative dispute regulation, ADR) dürfte von daher möglicherweise den Frauen ein gutes neues Betätigungsfeld eröffnen, aber auch da wieder vorzugsweise im Familienrecht?
V. Die Juristin in der öffentlichen Meinung
Die Frau in der juristischen Welt hat auch inzwischen Eingang in die Gerichtsshows gefunden. So erfreut sich eine Fernsehsendung, in der strafrechtliche Fälle von einer früheren Kollegin aus Hamburg aufbereitet werden, großer Beliebtheit.
Überhaupt haben die Gerichtsshows in Deutschland Hochkonjunktur.
Aber auch die Presse befasst sich immer wieder mit Frauen, die in Gerichtsprozessen tätig werden; man denke nur an die Kollegin Knöringer, die als Vorsitzende einer Strafkammer in München einen vielbeachteten Wirtschaftsstrafprozess leitete, sowie an die Kollegin, die als Vorsitzende den Prozess gegen Ackermann, Esser u.a. führt.
Wenn es auch als bemerkenswert aufgenommen wird, dass Frauen in solchen Prozessen an leitender Stelle tätig sind, so wird es doch nach meinem Eindruck ganz ersichtlich ohne Probleme akzeptiert.
Die moderne berufstätige Frau von heute mag den Männern sogar manchmal Angst einflößen, so wie dies kürzlich – wenn auch in humorvoller Weise – in einem Artikel in der Zeitung Die Welt (v. 24.3.2004) zu lesen war, in dem die Postfeminista vorgestellt wurde:
„Die moderne Frau von heute, reaktionsschnell, entscheidungsfreudig, führungsstark, mit hoher sozialer und fachlicher Kompetenz. Mutter aus Leidenschaft, jedoch ohne Hang zur Selbstaufgabe. Berufstätig und erfolgreich in dem Maße, das sie familiär für verträglich hält, und verdammt gut organisiert!“
Ist damit nicht auch der moderne Typ der Juristin gut gekennzeichnet?
Allerdings hat diese Entwicklung auch ihre nachteiligen Folgen, wenn man sieht, in wie vielen Fällen Frauen zugunsten der Berufstätigkeit und ihrer Karriere auf die Gründung einer Familie verzichten. Dies hat den Journalisten Konrad Adam vor kurzem aus Anlass des Internationalen Frauentages im Zusammenhang mit den Versprechungen von Politikerinnen, wie sie Frauenförderung betreiben wollen, zu folgenden Bemerkungen veranlasst:
„Dass Frauen, anders als Männer, Kinder kriegen und Mütter werden können, kam nicht vor. Vom Standpunkt der Gleichberechtigungsdogmatik aus betrachtet war das konsequent, weil es bei der regenerativen Arbeit – so heißt die Schwangerschaft bei den politisch Korrekten – nach wie vor Unterschiede gibt, die durch Gesetze und Behörden nicht einfach außer Kraft zu setzen sind. Vier von den sechs Regierungsfrauen haben denn auch – aus welchen Gründen auch immer – auf Kinder verzichtet. Es dauert nie sehr lange, bis die Begriffsmaschine zu klappern anfängt und Reizwörter wie Biologismus, Chauvinismus und Faschismus ausspuckt. Danach kommt die Erinnerung ans Mutterkreuz, und dann ist Schluss. Erst wenn es gelungen ist, einen Zusammenhang zwischen Kindern und Drittem Reich herzustellen, scheint für den aufgeklärten Teil des deutschen Volkes die Welt wieder in Ordnung zu sein. Von diesem Weltbild werden wir uns aber trennen müssen, ob wir nun wollen oder nicht. Die katastrophale Bevölkerungsbilanz und ihre absehbaren Folgen dringen ins öffentliche Bewusstsein vor."[18]
Inga Schmidt-Syaßen
[1] gekürzte Fassung eines Vortrags, gehalten am 24. April 2004 im Rahmen einer Tagung der Deutsch-Britischen Juristenvereinigung in Birmingham – die Vortragsform wurde beibehalten
[2] zitiert nach Kohleiss: Frauen in und vor der Justiz, Tagung in Bad Boll 1987, Protokolle, S. 3
[3] nach: Juristinnen in Deutschland, die Zeit von 1900 bis 1998, S. 11 ff.
[4] nach: Ulrike Schultz, in: Frauen im Recht, unter dem Thema „Wie männlich ist die Juristenschaft“, S. 319 ff., S. 324 f.
[5] Deutsche Richterzeitung 1921, 196 ff.; dazu Sigrun von Hasseln, DÖD 1994 S. 274
[6] veröffentlicht in DJZ 1933, 1255 f.
[7] Juristinnen in Deutschland, S. 183 ff.
[8] Juristinnen in Deutschland, S. 189 ff.
[9] Juristinnen in Deutschland, S. 195 f.
[10] Juristinnen in Deutschland, S. 201 f.
[11] dort insbesondere S. 41 ff. mit weiteren Nachweisen
[12] herausgegeben von Ulrich Battis und Ulrike Schultz, 1990, S. 319 ff., S. 327
[13] vgl. hierzu kritisch auch G. Bertram, MHR 4/2002, S. 14
[14] BGH NJW 2004, 930
[15] Braun, MDR 2004, 64 ff.