Das ewig junge Satzungs-“I“
1.
Mit Sorge sieht der teilnehmende
Beobachter, wie die Leute in den neuen Ländern begierig sind, nach dem Erlebnis
eines totalen Zusammenbruchs von Kommunismus und Planwirtschaft schlechthin alles
zu übernehmen, was aus dem Westen zu ihnen kommt: gute Autos, mäßiges
Joghurt, schädliche Verpackungsberge und letztlich auch noch sinnlose Gebilde
der geschriebenen Sprache:
Seit dem 21.09. d.J. gibt es eine
„Hauptsatzung der Stadt Schwerin“, aus der folgendes zitiert sei:
„§
5
Stadtpräsident/in
(1) Der/die Stadtpräsident/in übt
die ihm/ihr als Vorsitzenden(de) der Stadtverordnetenversammlung nach der
Kommunalverfassung obliegenden Pflichten aus.
Die GO regelt insbesondere die
dem/der Stadtpräsidenten/in zur Handhabung der Ordnung ... zustehenden
Befugnisse.
(2) Der/die Stadtpräsident/in
vertritt die Belange der Stadtverordnetenversammlung gegenüber dem/der Oberbürgermeister/in
...
(3) Der/ die Stadtpräsident/in
wird im Falle seiner/ihrer Verhinderung von einem/einer Stellvertreter/in
vertreten ...“
Der Sozialismus war maskulin; in
diesem Sinne galt Margot Honecker als Mann. Auch eine Richterin hatte zu
schreiben: „Ich bewerbe mich als Richter an das Kreisgericht Hagenow“ –
anders ging es nicht. Nun schlägt das Pendel um: man kann ja auch anders, ganz
anders! Die bereitwillig aufgesogenen Versatzstücke liegen im Westen bereit.
Besondere Aufmerksamkeit verdient
auch
„§
6:
Ältestenrat
Der Ältestenrat besteht aus dem/die
Stadtpräsident/in, seinem/ihrem Stellvertreter sowie ... usw“.
Offenbar hatte der Schreibdienst
der Stadtverordnetenversammlung den Rhythmus, in dem Worte neuerdings
zusammengeleimt werden mussten, so sehr verinnerlicht, dass die dort zuständigen
Männer oder Frauen, nachdem ein männliches „dem“ schon niedergeschrieben
stand, einen solchen Widerwillen gegen das zunächst ja in der Tat schon wieder männlich klingende „der“ empfanden,
dass sie
den richtigen
Dativ doch
lieber gleich dem weiblich klingenden - wenngleich
hier verfehlten - „die“ opferten.
So etwas scheint es wirklich zu
geben: Neulich las ich ein Schriftstück, dessen VerfasserInnen offensichtlich -
um Gottes willen! - nichts falsch machen wollten, in welchem von „Mitgliedern
und Mitgliederinnen“ die Rede (nein: die Schreibe!) war. Auch dies ein
1:0-Sieg emanzipatorischer Überbeflissenheit über deutsche Grammatik. Wie hieß
es doch früher im Jungvolk: „Deutsch sein, heißt: eine Sache um ihrer selbst
willen tun“.
Ernstlich gesprochen: Sollten nicht
wir alle uns auf den Satz einigen können, dass (von Stellenausschreibungen
meinetwegen abgesehen) ein Gebilde aus Druckerschwärze, das nicht gesprochen
werden kann, auch nicht zu Papier gebracht werden darf?
In der Schweriner Hauptsatzung
werden unsere Unarten wie durch einen
vergrößernden Zerrspiegel zurückgeworfen. Deshalb ist es nicht mehr als ein
Akt innerdeutscher Solidarität, die „Brüder und Schwestern“ auch hier vor Nachahmung zu
warnen.“
2.
Ich hätte diese alte, schon vor zwölf
Jahren geschriebene Glosse[1]
nicht wieder ausgegraben, wenn nicht ein frischer Anlass sie mir ins Gedächtnis
zurückgerufen hätte:
Der 64. Deutsche Juristentag hatte
in seiner Mitgliederversammlung zur diesjährigen Herbsttagung in Berlin einen
Antrag auf Satzungsänderung angekündigt - eine Förmlichkeit, die in der Regel
kaum wahrgenommen wird, weil rein bürokratische Papiere durchweg ungelesen
bleiben. Hier aber hatte ein aufmerksames DJT-Mitglied in einer Zuschrift an die
NJW[2]
angemerkt, dass sich auch der DJT nunmehr im geschlechtsneutralen Gewande präsentieren
und deshalb auf eine Satzungsänderung etwas fragwürdiger Art hinaus wolle –
demnächst mit Präsident/Präsidentin,
Stellvertreter/Stellvertreterin, Schriftführer/Schriftführerin pp..
Daraufhin warf ich erstmals einen Blick in den Satzungsantrag, fand die Kritik
vollauf bestätigt und sekundierte dem Briefschreiber mit ein paar eigenen
Zeilen an die NJW-Redaktion:
„....Die ganze Sprachakrobatik,
die zur Satzungsänderung ansteht, kann wohl nur aus einer merkwürdigen
Beflissenheit auf die Agenda gesetzt worden sein: aus Sorge, ohne
diese Anpassung an eine modische, seit Jahren zu den bizarresten Gestaltungen
aufschießende geschlechtsneutrale Sprechweise nicht
mehr als korrekt und zeitgemäß zu gelten, und sich dadurch in einer etwas
unbestimmbar-gefährlichen Weise öffentlich angreifbar zu machen.
Ich selbst habe ca. 40 Dienstjahre
in unterschiedlichen Positionen und Ämtern mit Kolleginnen zusammengearbeitet,
auch berufsverbandlich. Ich kann mich nicht
entsinnen, in praxi auch nur ein einziges Mal auf das obige, gern als brennend
präsentierte Problem gestoßen zu sein. Im wirklichen Leben existiert es so gut
wie überhaupt nicht. Es hat kein menschliches, personales, beziehungshaftes
oder sonst sozial-reales Gewicht. Sollte es etwa innerhalb des DJT, seiner
Deputation oder wo immer dort anders
sein und Probleme wirklich existieren,
auf welche die Satzungsänderung reagieren soll?“ mit dem Fazit: „Der DJT
sollte den Vandalen der Sprachverhunzung in den Arm fallen und die Courage
aufbringen, diese merkwürdige Satzungs-Kreation schnell wieder zu
beerdigen!“.
3.
Ich saß in der – wie üblich
schwach besuchten, schließlich aber doch noch von ca. 120 Leuten frequentierten
– Mitgliederversammlung neben Herrn Kurland[3]
und
war mit ihm völlig einig in der Beurteilung des Gegenstands der Debatte, die
sich lebhaft anließ. Der Vorstand warb für,
einige Redner sprachen energisch gegen, andere
für die neue Kreation.
Die Gründe dafür: Man müsse den verdeckten Suggestionen der Sprache heute
ganz anders begegnen als früher und mit
der Sensibilisierungsbereitschaft der Zeit gehen, nicht gegen sie anrennen. Und letztlich: wenn morgen in der Zeitung
stünde, der Satzungsvorschlag sei am Votum der Mitgliederversammlung
gescheitert, würde eben dies für das Image des DJT (und seine dringend nötige
Werbung gerade unter den vielen jungen
Juristinnen) nichts Geringeres sein als eine schlichte Katastrophe. Selbst
Konrad Redeker ließ sich dahin ein, eigentlich gar nicht zu begreifen, wie
jemand heute noch gegen diese längst fällige Modernisierung anreden könne.
Die Gründe dagegen[4] sind hier nicht zu wiederholen; sie (oder ein paar
damals besonders aktuell gemachte) wurden, wie gesagt, nicht gerade
temperamentlos vorgebracht. Wie wird die Abstimmung (nach einem letzten,
geradezu beschwörenden Appell des DJT-Präsidenten, den Antrag nicht scheitern
zu lassen) ausgehen? Nachbar Kurland und ich meinten, angesichts der
vorgetragenen Argumente sei die zur Satzungsänderung nötige 2/3-Mehrheit wohl
kaum zu erwarten. Aber es kam anders: sie wurde sogar um einige Stimmen überboten,
und am Nachmittag auf der Eröffnungssitzung des 64. DJT konnte die damals noch
amtierende Justizministerin den Präsidenten zu diesem Erfolg beglückwünschen.
4.
Zurück
zur Schweriner Hauptsatzung:
Wenn ich damals meinte,
was nicht gesprochen werden könne, solle auch nicht gedruckt werden dürfen,
und dies für ein unschlagbares Argument gegen das große „I“ und seine
langatmigen und hässlichen Varianten hielt, dann hat die Zeit mein Argument
entkräftet: Heute wird nämlich in der Tat so
gesprochen - zwar nicht überall, aber
vielfach. Manchenorts (wie etwa in der Nordelbischen Kirche) kann man kaum noch
anders reden, ohne schiefe Blicke auf sich zu ziehen. Im Genre einer mir
einigermaßen geläufigen Dialogkultur zum Beispiel redet man kaum noch schlicht
von „Christen und Juden“, sondern
in umständlicher Betulichkeit von „Jüdinnen
und Juden“ sowie „Christen und
Christinnen“. Den Vogel aber schoss einmal der ADAC (oder ein
Verkehrsfunk) ab, der offenbar nach Leuten suchte, die bei einer systematischen
Erfassung von Staus mitzuwirken bereit wären. So erging der Aufruf, sich zu
melden, an „Staumelderinnen und Staumelder“. Aber selbst das große „I“
wird gesprochen – gewisse Milieus können sich schon gar nicht mehr anders
artikulieren. Wenn man zuweilen bei allgemeinen Aussagen oder Festsetzungen, die
schlechterdings nur auf alle Personen
einer bestimmten Kategorie bezogen sein können, dennoch nur von Studentinnen,
Schülerinnen, Lehrerinnen, Antragstellerinnen usw. reden hört, mag das den
Laien zwar irritieren. Indessen sieht
das sensibel geschulte Ohr dabei
sozusagen synchron das komplexe Schriftbild insgesamt: StudentInnen, PastorInnen
pp. und das Gehirn subvokalisiert dazu und verdoppelt automatisch: Studentinnen
und Studenten usw. usw. Eine stupende Kulturleistung, die allenfalls hinter
der Erfassung chinesischer Schriftsymbole zurückstehen muss.
5.
Wollte man extrapolieren, dann würde
die Wette gelten, dass etwa am Ende des zweiten Jahrzehnts dieses Jahrhunderts
die juristischen Loseblattsammlungen um mindestens ein (weiteres) Viertel allein
deshalb angeschwollen sein werden, weil erstens die unendlichen Verdoppelungen
(Kläger/Klägerin; Schuldner/Schuldnerin; Richter/ Richterin,
Bundeskanzler/Bundeskanzlerin pp.) viele Zeilen beanspruchen und zweitens die
dann unabweisbaren Erklärungen und Textdeutungen über Alternativitäten oder
Identitäten udgl. usw. noch viel mehr
Textseiten verlangen würden. Wie gesagt: wenn es so weitergeht. Die Erfahrung
lehrt andererseits, dass Moden sich gelegentlich totlaufen. Lässt sich hier
darauf bauen? So sicher wie einstmals bin ich mir nicht mehr. 1997 hatte ich
vermutet, der „linguistische Karneval“ werde sich wohl bis zur
Jahrtausendwende (1997 ein magisches Datum!) ausgetobt haben.[5]
Das
hat er sich offensichtlich nicht, so dass jede Art von Wetten noch angenommen
werden können.
Günter
Bertram
[1]
aus den MHR 4/1990, die auch im übrigen den Geist des Aufbruchs nach Osten
atmet – nicht den Geist gieriger
Verkäufer, sondern den der Aufbauhilfe- und mit einem Appell Roland Makowkas beginnt: „Wer geht in die frühere
DDR/„Harburger Kammer“ in Zwickau ?“
[2] Heft 26/2002 , S. XVI
[3]
dem früheren Vizepräsidenten des
HansOLG
[4] Ich habe ein paar einschlägige Überlegungen in MHR 1996 Heft 4 : - Gesetzgebers neue Kleider - und der NJW 1997, 1684: - Gesetzessprache mit Verfallsdatum - beizusteuern versucht
[5] NJW 1997, 1685