(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/99) < home RiV >
Editorial

Was jährt sich 1999 nicht alles zum 50. Mal! Vor allem natürlich die Verkündung des Bonner Grundgesetzes, das Verfassung zu nennen wir uns immer noch nicht trauen. Angesichts der Fülle gleichartiger Veranstaltungen mit gleichartigen Bekenntnissen zu dieser Verfassung, verzichtet MHR auf eine eigene theoretische Würdigung. Verfassung muß gelebt und nicht in Sonntagsreden beschworen werden. Das gelingt im politischen Eifer des Tages nicht immer.

Mißlungen ist es jüngst dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Ole von Beust mit dem letzten Satz eines Briefes an die Justizsenatorin, wie Sie in unseren ersten drei Beiträgen lesen können. Die Senatorin, die in ihrer Replik so überzeugend für die Unabhängigkeit der Gerichte eintritt, ist selbst ein gebranntes Kind. Langjährige Leser der MHR werden sich erinnern, daß Dr. Peschel-Gutzeits Intervention, das Verfahren gegen einen Tankstellenräuber beschleunigt zu terminieren, vor Jahren ähnliche Entrüstung hervorgerufen hat, wie heute der Brief von Beusts. Die Senatorin hat daraus gelernt, wie wir lesen können. Ihre entschiedene Verteidigung der richterlichen Unabhängigkeit verdient es, in Erinnerung zu bleiben. Vielleicht setzt sich ja bei Politik - und Bürger - doch noch die Erkenntnis durch, daß ein Minister für die Entscheidungen der Gerichte keine Verantwortung trägt und daß er keine Möglichkeit hat, auf ihre Entscheidungen Einfluß zu nehmen.

Auch für das Finanzgericht war 1999 ein Jubeljahr: Es feierte seinen fünfzigsten Geburtstag. Hierzu erschien eine beachtliche Festschrift. Aus dieser drucken wir den Beitrag zur Geschichte des Finanzgerichts in diesem und dem folgenden Heft ab. Aus dem Finanzgericht kommt auch ein Blick in die Zukunft der Justiz, die dort schon Gegenwart ist: Schriftsätze aus dem Internet.

Nicht nur im Finanzgericht, überall in der Hamburger Justiz ist Bewegung: OLG Präsident Rapp kündigte in einer Rede vor dem Anwaltverein ein Modellprojekt "Gerichtsmanager" für Amtsgericht und Oberlandesgericht an. Wir drucken diesen Teil seiner Rede ab, um Chancen und Gefahren ins Bewußtsein zu rücken. Vorschläge zur Straffung und Vereinfachung des Strafverfahrens wurden in der von Wilhelm Rapp angeregten Arbeitsgruppe "Aufgabenkritik" erarbeitet, die wir hier vollständig abdrucken. Personalfragen sind immer gut für eine lebhafte Diskussion: In diesem Heft geht es um den personallen Austausch von Staatsanwaltschaft und Gericht einerseits und um den Entwurf einer Beförderungsrichtlinie. Unsere Leser sind herzlich eingeladen, diese Themen zu kommentieren..............

Eine Fernsehsendung bewegt die Gemüter im Richterverein: Kollegin Barbara Salesch schlichtet life im TV! Ob man solcher Art populärer Zivilrechtspflege nahesteht oder nicht – mich ärgert es, wenn empörte Mitglieder des Richtervereins ihren Austritt androhen für den Fall, daß sich der Vorstand nicht ausreichend deutlich gegen diese Vermarktung wendet. Kritikern wie Befürwortern steht unser Mitteilungsblatt zur Verfügung, um ihre Meinung zu vertreten. Schreiben – nicht schreiben lassen, liebe Mitglieder!

Nachrufe sind Gegenstand auch dieses Heftes. Dr. Makowka würdigt den verstorbenen Kollegen a.D. Friedrich Schürmann und Eckart Waldow bewegt den Leser mit seinem warmherzigen Abschied von Claus Oellrich, den Direktor des Amtsgerichts Hamburg-Harburg. Waldows Beitrag hält mit seiner Beschreibung der Amtsführung des Verstorbenen allen denen einen Spiegel vor, die Menschen zu führen haben.

Zum Schluß ein Wort zur Rechtschreibung: Sie werden feststellen, daß es im MHR bunt durcheinander geht mit alter und neuer Orthographie und Grammatik. Diese Pluralität des persönlichen Ausdrucks wollen wir noch eine Weile beibehalten, sicher werden im fließenden Übergang die neuen Regeln immer stärkeren Raum einnehmen.

MHR wünscht Ihnen eine angenehme Herbstzeit mit anregender Lektüre vom Sievekingplatz.

Karin Wiedemann