(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/04, 2) < home RiV >

Editorial

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

auch wenn die uns verwaltende zweite Gewalt viel Verständnis zeigt und durchaus personelle Engpässe zu beheben bereit ist, bleiben Irritationen nicht aus. Den Nachrichten ist zu entnehmen, der Justizsenator wolle „gegen Juristinnen“ vorgehen, die sich einem Aufruf zum Erhalt des 1. Hamburger Frauenhauses angeschlossen haben. Er habe die Hanseatische Rechtsanwaltskammer aufgefordert, gegen vier Anwältinnen „gebotene Maßnahmen“ zu ergreifen, weil Richter und Richterinnen mit ihrer Berufsbezeichnung als Unterzeichner des von diesen initiierten Appells genannt seien. Die Antwort des Präsidenten der Rechtsanwaltskammer beschreibt die Haltung, die in Hamburg immer vorherrschte, wenn es um die politische Teilhabe von Richterinnen und Richtern ging – ich erinnere nur an die ausführliche Diskussion zur Friedensbewegung, die wir in MHR veröffentlichten. Axel C. Filges antwortete nach einem Bericht der „taz hamburg“, es sei von den Initiatorinnen nicht zu erwarten gewesen, dass in einer liberalen Stadt wie Hamburg das Unterzeichnen einer kritischen Publikation für eine Richterin auch nur Begründungsnotwendigkeiten zur Folge haben könne. Filges wird wörtlich zitiert mit der Feststellung „Dem Ansehen der gesamten Justiz in Hamburg wird meiner Überzeugung nach mehr Schaden zugefügt, wenn die Politik auch nur den Anschein erweckt, auf unabhängige Richterinnen und Richter politisch Einfluss ausüben zu wollen.“ Dem ist wenig hinzuzufügen. Anwaltliche und richterliche Tätigkeit ist oft mit den menschlichen Katastrophen konfrontiert, die Frauen veranlassen, allein oder mit ihren Kindern Zuflucht in Frauenhäusern zu suchen. Auch das Wegweisungsgesetz, so hilfreich es auch ist, kann der ungezügelten Brutalität mancher Täter nicht hinreichend Einhalt gebieten. Auf die verzweifelte Lage vieler Frauen und Kinder hinzuweisen, kann insbesondere denen nicht versagt werden, die beruflich Einblick in diese familiären Abgründe haben. Die kritisierte Unterzeichnung des Appells stellt eine zurückhaltende und sachliche Meinungsäußerung dar. Sie hält sich sogar nach der strengen Abwägung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1988[1] zwischen Art. 5 Abs. 1 und Art 33 Abs. 5 GG im Rahmen des Zulässigen, wonach politische Meinungsäußerungen von Beamten und Richtern keine Formen annehmen dürfen, die den Eindruck entstehen lassen, der Beamte/Richter werde bei seiner Amtsführung nicht loyal seinem Dienstherrn und nicht neutral gegenüber jedermann sein. Im Umkehrschluss bedeutet der Beschluss, dass auch Richter in ihrer Eigenschaft als Staatsbürger grundsätzlich in der Öffentlichkeit am politischen Meinungsbildungsprozess teilnehmen dürfen. Dass dies nicht unter ihrer Berufsbezeichnung geschehen dürfe, lässt sich der Entscheidung nicht entnehmen und widerspräche insbesondere der offenen und liberalen Tradition Hamburgs, die es zu bewahren gilt.

Zurück zu den angenehmen Dingen des Lebens: Das Weihnachtsheft liegt vor uns. Die Adventszeit ist traditionsgemäß als Vorbereitung auf die Geburt Christi Johannes dem Täufer gewidmet, der in der Wüste predigt und zur Umkehr angesichts des nahen Gerichts aufruft (Mt. 1, 1-25) .......... Auch ins Laizistische gewandt, ist der Gedanke nicht abwegig, diese Wochen zu nutzen, sich auf Wesentliches zu konzentrieren. Dies wird für jede/n von Ihnen andere Inhalte haben, wohl aber immer mit Menschen in Verbindung stehen, mit der Familie, mit Freunden, vielleicht sogar mit Kollegen, zu denen in vielen Jahren eine enge Verbundenheit entstanden ist. Pflegen wir diese kostbaren Elemente unseres Lebens – nicht nur in Adventstagen.

Die Redaktion legt Ihnen unser neues MHR als Lesestoff ans Herz und wünscht Ihnen ein frohes Weihnachtsfest. Mögen Sie danach in ein gesundes, glückliches Neues Jahr gehen.

Ihre
Karin Wiedemann


 

[1]  BVerfG, Kammerbeschluss vom 6.6.1988 – Az. 2 BvR 111/88