Wir leben in aufgeregten Zeiten. Manches, was in der Welt geschieht, ist wirklich aufregend; und über vieles verbreitet sich - in einem schwer durchschaubaren Prozeß zirkulärer Selbstinduktion - eine künstliche Erregung. Wenn man aber nach geraumer Zeit, gar nach wenigen Jahren, wieder über das Feld reitet und die abgetanen Gazetten in Augenschein nimmt, stellt man meistens fest, daß die wirklich aufregenden Dinge (man denke an 1989/1990!) uns verborgen geblieben waren und die heftigen Gemütsbewegungen sich als das offenbaren, was der analytisch tiefer blickende Max Weber als "sterile Aufgeregtheit" zu bezeichnen pflegte. Da Wahlkämpfe als zusätzlich mildernde Umstände gelten müssen, bezweifelt die Redaktion, daß der hamburgische Richterverein mehr tun sollte, als die beiden nachstehenden Erklärungen abzudrucken, in denen über zwei Themen, deren öffentliche Aufbereitung in den Medien als bekannt vorausgesetzt werden kann, das Erforderliche gesagt wird - knapp, kurz und, wie ich persönlich finde, sehr moderat. Nützt es etwas, weiteres Papier vollzuschreiben? Auch weiß man nicht, wenn man kurz vor Drucklegung am Tisch sitzt und - die letzten Pressekollektionen vor Augen - die letzten Zeilen schreibt, ob nicht beim Erscheinen der Mitteilungen schon vieles überholt, ergänzt, richtig gestellt, widerrufen, zurückgenommen, mehr oder minder überzeugend als Mißverständnis deklariert oder sonstwie zu bloßem Recyclingpapier geworden ist. Für die Inszenierung späterer " Podien" (wonach jeder Verein lechzt, der sein Publikum ein bißchen unterhalten muß ) mögen die alten Geschichten dann noch eine Weile taugen........
Auch über die persönliche Entscheidung des Richtervereinsvorsitzenden Dr. Mlakowka, einer Hamburger Stadtregierung für die CDU als parteiloser Justizsenator zur Verfügung zu stehen, wird seit kurzem manches geredet und geschrieben - wie könnte es auch anders sein? Die Redaktion ist weder berufen noch befugt, noch gibt es z.Zt. überhaupt Anlaß (was morgen und übermorgen publiziert wird, weiß freilich der Himmel allein), Kommentare anderer zu kommentieren. Immerhin bemerkenswert fand ich eine Beschreibung des Seelenlebens des Hamburgischen Richtervereins, die ich gerade im Rundfunk mitbekam. Der Mann weiß mehr als ich - was nicht viel besagen will. Die Meinungen sind naturgemäß unterschiedlich und geteilt; aber ich habe bislang keine Stimme vernommen, in der nicht (auch bei völlig abweichender politischer Neigung) der persönliche Respekt, zuweilen ein großer Respekt mitgeschwungen hätte: ''Alle Achtung, solch' ein Unternehmen, so ein Abenteuer noch mit 62!" Man denkt vielleicht an das Jahr 1517: "Mönchlein, Mönchlein, du tust einen schweren Gang...... !" Aber das kann, jedenfalls bei übelwollender Betrachtung, zu sehr in Richtung des "hohen C" führen und als (protestantisch) ideologische Präferenz mißdeutet werden...
Daß Einschätzung und Bewertung dieser Kandidatur sich mit Wahlprognosen verknüpfen, erscheint fast unvermeidlich, doch zugleich mißlich, denn wir hören ja aus berufenem Munde, daß Richter sich solcher Prognosen auf die Gefahr der Verdammung hin zu enthalten haben, selbst dann, wenn sich solche Prognosen aus Rechtsgründen kaum, allenfalls mit extremem semantischen Geschick umgehen lassen. Um wieviel strenger gilt deshalb das Enthaltsamkeitsgebot, wenn es an jeder rechtlichen Nötigung zum Spekulieren fehlt!
Die Redaktion kann, darf und will auch nicht "Glück auf!" sagen. Aber daß Roland Makowka dieses Unternehmen - wie immer es auslaufen mag - menschlich unbeschädigt und mit heiler Haut übersteht: das ist der herzliche Wunsch aller.
Günther Bertram