Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
wieder liegt ein Heft der MHR
vor Ihnen. Wolfgang Hirth hat die Beiträge zusammengestellt und die Redaktion
besorgt. Unseren aktiven Lesern sei gedankt für Ihre Beiträge, die wie immer
ein buntes Kaleidoskop der Themen bilden.
Wie Sie an den zahlreichen
Zuschriften zur Situation und Entwicklung der Justiz sehen, scheinen wir weit
davon entfernt, der Dritten Gewalt im Staate ein deutliches Gesicht und einen
nachhaltigen Platz im Konzert der gesellschaftlichen Kräfte verschafft zu
haben. Alles fließt. Alles steht auf dem „Prüfstand“.
Alles nicht. Justiz 2000-2010
hin und her, Budgetierung, Produktbildung, Tandem-Team-Gespräche,
Zentralisierung und Dezentralisierung, Arbeitszeituntersuchungen,
Einheitssachbearbeitung und was sonst noch die Gemüter mehr oder weniger
bewegt, sollte nicht in Vergessenheit geraten lassen, was den ruhenden Pol und
den Kern der Justiz ausmacht: den Richter (männlich oder weiblich) und seinen
Fall. Alles Modernisierungsgetriebe, das in 10 Jahren wahrscheinlich wieder in
sein Gegenteil verkehrt werden wird, ändert nichts an dieser manchmal quälenden,
gelegentlich öden, zuweilen die Erkenntnisse bereichernden, selten heiteren
Zweierbeziehung: Der Richter und sein Fall. Es wäre zu wünschen, dass dieses
Bild des Felses in der Brandung auch den in der Verwaltung Planenden bei Ihren
Überlegungen vor Augen stünde. Es wäre auch zu wünschen, dass Richter selbst
dieses Gefühl für die eigene Bedeutung stärker lebten und Zumutungen in Form
vorgeblicher Sachzwänge stärkeren Widerstand entgegensetzten.
Der weit verbreitete
bescheidende Verzicht auf eine Protokollführerin ist ein Beispiel für diesen
fehlenden Widerstand. Mit Protokollführerin erhalte ich, weil sie während der
Sitzung in ein Gerät der „intelligenten“ Technik schreibt, am Schluß der
Sitzung unterschriftsreife und versendungsfähige Protokolle, was unverzichtbar
ist, um am Schluß der Sitzung ein Urteil verkünden zu können. Dies entspricht
bei einer Kammer mit einer überwiegenden Zahl von Verfügungsverfahren der
berechtigten Erwartung der Parteien. Ohne Protokollführerin hätte ich bei
Abfassung des Tenors kein Protokoll. Dies erhielte ich erst Tage nach der
Sitzung - neuerdings als Mail, die ich wohl selbst ausdrucken müßte. Abgesehen
von anderen Widrigkeiten, die die Abwesenheit einer zweiten Person im
Sitzungssaal bedeutet, ist es auch keine Sparmaßnahme, den Berufsstand der
Protokollführerin auszurotten. Die diktierten Protokoll müssen ebenfalls
geschrieben werden. Sicher wäre es eine einschneidende Ersparnis, die ZPO würde
auf die Protokollierung ganz verzichten ……. Solange sie jedoch aus guten Gründen
daran festhält, sollten Richterinnen und Richter auch darauf bestehen, hiermit
eine anwesende Assistenzkraft zu betrauen. Das Gesetz unterstützt sie dabei:
„Für die Protokollführung ist ein Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
zuzuziehen, wenn nicht der Vorsitzende davon absieht“, heißt es in § 159
Abs. 1 Satz 2 ZPO immer noch. Warum sollte der Vorsitzende davon absehen?
Dem Bürgerschaftsabgeordneten
Müller-Sönksen ist in diesem Kontext für seine klare Aussage zu danken, mit
der er seine Kollegen an etwas im Grunde Selbstverständliches erinnerte: „Die
Funktionsfähigkeit der Gerichte ist kein Wunschprogramm einer Regierung, an der
man beliebig sparen kann. Die dritte Gewalt gehört zu den unverzichtbaren – hören
Sie einmal zu, das sagt ein Liberaler ganz selten, was jetzt kommt –
Kernaufgaben des Staates, die zu gewährleisten sind.“ So ist es. Ich darf Sie
in diesem Sinne auf die Veranstaltung am 24. Januar hinweisen, die Sie in diesem
Heft angekündigt finden, „Justizhaushalt“ betitelt.
Die Redaktion wünscht Ihnen
und Ihren Familien ruhige, fernsehfreie Weihnachtstage mit der Besinnung auf
das, was für Ihr Leben wirklich von Bedeutung ist, und ein Glückliches Neues
Jahr, in dem Ihre vernünftigen Wünsche in Erfüllung gehen mögen.
Ihre
Karin Wiedemann