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(letzte Aktualisierung
Entscheidungen zur verfassungsrechtlichen Pflicht,
die Gerichte personell und sachlich hinreichend
auszustatten,
sortiert nach den Grundlagen der Pflicht:
(Baustelle/Entwurf)
Rechte der Bürger, z.B.
Art. 2 I GG iVm Rechtsstaatsprinzip: keine überlange Verfahrensdauer (zB BVerfG NJW 2001, 214)
Art. 2 II 2 GG iVm StPO (keine Haftfortdauer, wenn Gericht langsam arbeitet)
Art. 13 GG (keine Eilkompetenz der Behörden, weil Richter mangelhaft arbeiten)
Art. 103 GG gesetzl Richter
Art. 104 GG keine Freiheitsentziehung ohne richterl Entscheidung
Rechte der Richter
Fürsorge
Abwehr von Eingriffen in die richterliche Unabhängigkeit
Rechte der Justiz
Institution
Haushaltsrecht
"Eine Verletzung drittgerichteter Amtspflichten im Bereich der Justiz des beklagten Landes kommt aber unter dem Gesichtspunkt eines Organisationsmangels in Betracht. Der Staat hat kraft seiner aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Verpflichtung zur Justizgewährung und zur Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes seine Gerichte so auszustatten, dass sie die anstehenden Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung abschließen können. Es ist seine Aufgabe, im Rahmen des Zumutbaren alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und nötig sind, einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig abzuhelfen. Er hat, insbesondere soweit es um das Gebot der Beschleunigung von Haftsachen geht, die dafür erforderlichen - personellen wie sächlichen - Mittel aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen ... ... hält es der Senat auch nach nochmaliger Überprüfung für zutreffend, dass den gesetzgebenden Organen - abgesehen von sogenannten Maßnahmen- oder Einzelfallgesetzen - Amtspflichten nur gegenüber der Allgemeinheit und nicht in Richtung auf bestimmte Personen oder Personenkreise obliegen. Das hindert aber nicht, die dem nachgeordnete Verpflichtung der Judikative oder Exekutive zur sachgerechten Verteilung der ihr zur Verfügung stehenden Mittel dann als drittschützend zu werten, wenn es an einzelnen Verwaltungsstellen wegen Überlastung der zuständigen Bediensteten zu unzumutbaren Verzögerungen kommt und es allein in der Hand der übergeordneten (Zentral-)Behörde liegt, hier für Abhilfe zu sorgen." Dafür, dass die Verwaltung die jeweils möglichen und zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, sei das Land darlegungs- und beweisbelastet.
BGH 11.01.07 - III ZR 302/05 - NJW 2007, 830-834 (betreffend Grundbuchamt)
"... kommt es bei einer Vielzahl von großen Wirtschaftsstrafverfahren dazu, daß eine dem Unrechtsgehalt ... adäquate Bestrafung allein deswegen nicht erfolgen kann, weil für die gebotene Aufklärung derart komplexer Sachverhalte keine ausreichenden justiziellen Ressourcen zur Verfügung stehen ... " BGH 02.12.05 - 5 StR 119/05 - NJW 2006, 925
"Der Staat kann sich dem Beschuldigten gegenüber nicht darauf berufen, dass er seine Gerichte nicht so ausstattet, wie es erforderlich ist, um die anstehenden Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung abzuschließen. Es ist seine Aufgabe, im Rahmen des Zumutbaren alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und nötig sind, einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie eintritt, rechtzeitig abzuhelfen. Er hat die dafür erforderlichen – personellen wie sächlichen – Mittel aufzubringen, bereit zu stellen und einzusetzen. ... Hilft der Staat der Überlastung der Gerichte nicht ab, so muss er es hinnehmen und gegebenenfalls auch seinen Bürgerinnen und Bürgern erklären, dass mutmaßliche Straftäter auf freien Fuß kommen, sich der Strafverfolgung und Aburteilung entziehen oder erneut Straftaten von erheblichem Gewicht begehen. Die mit der Haftprüfung betrauten Gerichte verfehlen die ihnen obliegende Aufgabe, den Grundrechtsschutz der Betroffenen zu verwirklichen, wenn sie angesichts des Versagens des Staates, die Justiz mit den erforderlichen personellen und sächlichen Mitteln auszustatten, die im Falle einer Verletzung des Beschleunigungsgebots gebotenen Konsequenzen nicht ziehen."
BVerfG, 29.11.05 – 2 BvR 1737/05 (=Volltext bei BVerfG.de)
Gerichtsüberlastung ist im Hinblick auf Freiheitsgrundrecht kein "wichtiger
Grund" für Fortdauer der U-Haft (Auslegung von § 121 StPO):
"Der Staat kann sich dem Untersuchungsgefangenen gegenüber nicht darauf berufen,
daß er seine Gerichte nicht so ausstattet, wie es erforderlich ist, um die
anstehenden Verfahren ohne vermeidbare Verzögerung abzuschließen. Es ist seine
Aufgabe, im Rahmen des Zumutbaren alle Maßnahmen zu treffen, die geeignet und
nötig sind, einer Überlastung der Gerichte vorzubeugen und ihr dort, wo sie
eintritt, rechtzeitig abzuhelfen. Er hat die dafür erforderlichen - personellen
wie sächlichen - Mittel aufzubringen, bereitzustellen und einzusetzen. Diese
Aufgabe folgt aus der staatlichen Pflicht zur Justizgewährung, die Bestandteil
des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips ist. Dem Beschuldigten
darf nicht zugemutet werden, eine längere als die verfahrensangemessene
Untersuchungshaft nur deshalb in Kauf zu nehmen, weil der Staat es versäumt,
dieser Pflicht zu genügen."
BVerfG, 12.12.73 - 2 BvR 558/73 - BVerfGE 36, 264, 275
BVerfG: "Es kann nicht hingenommen werden, dass die von Verfassungs wegen gebotene zügige
richterliche Bearbeitung durch eine unzureichende Arbeitserledigung im nicht richterlichen
sei sie durch eine unzureichende Personalausstattung oder durch sonst absehbare und vermeidbare Umstände verursacht, konterkariert wird."
BVerfG 16.03.06 - 2 BvR 170/06 - Rn. 37 - NJW 2006, 1336
"... Neigung zu exzessiver und zum Teil missbräuchlicher Anwendung der Eilkompetenz durch die Strafverfolgungsbehörden, insbesondere durch die Polizei beklagt (vgl. ...) und die Mangelhaftigkeit der richterlichen Kontrolle beanstandet. Die Mängel werden unter anderem darauf zurückgeführt, dass der Ermittlungsrichter, auch aus Gründen unzureichender personeller Ausstattung der Amtsgerichte, unter zu starkem Zeitdruck stehe, dass er gerade bei umfangreichen Verfahren keine vollständige Kenntnis des Sachstands erlangen könne und dass ihm oft das notwendige Fachwissen in Spezialgebieten fehle. Zudem sind die für die Organisation der Gerichte und für die Rechtsstellung der dort tätigen Ermittlungsrichter zuständigen Organe der Länder und des Bundes aus Art. 13 GG gehalten, die Voraussetzungen für eine tatsächlich wirksame präventive richterliche Kontrolle zu schaffen. In der Literatur werden die Neigung zu exzessiver und zum Teil missbräuchlicher Anwendung der Eilkompetenz durch die Strafverfolgungsbehörden, insbesondere durch die Polizei beklagt (vgl. ...) und die Mangelhaftigkeit der richterlichen Kontrolle beanstandet. Die Mängel werden unter anderem darauf zurückgeführt, dass der Ermittlungsrichter, auch aus Gründen unzureichender personeller Ausstattung der Amtsgerichte, unter zu starkem Zeitdruck stehe, dass er gerade bei umfangreichen Verfahren keine vollständige Kenntnis des Sachstands erlangen könne und dass ihm oft das notwendige Fachwissen in Spezialgebieten fehle (vgl. ...). Diese Mängel können nicht allein durch den jeweils zuständigen Richter behoben werden. Seine verfassungsrechtlich begründete Pflicht, sich die notwendige Zeit für die Prüfung eines Durchsuchungsantrags zu nehmen und sich Kenntnis von der Sache sowie das erforderliche Fachwissen zu verschaffen, kann er nur bei einer entsprechenden Geschäftsverteilung, ausreichender personeller und sächlicher Ausstattung seines Gerichts, durch Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten sowie vollständige Information seitens der Strafverfolgungsbehörden über den Sachstand erfüllen."
BVerfG, 20.02.01 - 2 BvR 1444/ 00 - NJW 2001, 1121
"Die vom Gerichtspräsidenten angeführten Gründe für die Verzögerung ändern nichts an ihrer Unvereinbarkeit mit dem Rechtsstaatsprinzip. Es verlangt eine funktionsfähige Rechtspflege. Dazu gehört auch eine angemessene Personalausstattung der Gerichte."
BVerfG,
17.11.99 - 1 BvR 1708/99 -
NJW 2000, 797 - betreffend U-Haft
"Auf Umstände, die innerhalb des staatlichen Verantwortlichkeitsbereichs liegen, wie etwa eine allgemein angespannte Personalsituation, kann sich der Staat zur Rechtfertigung der überlangen Dauer eines Verfahrens nicht berufen." (BVerfG 29.03.05 - 2 BvR 1610/03) betr. Hamburger Strrafvollzugsbeschwerde
Aus Rechten der Bürger besteht eine Pflicht zur Personalausstattung
BVerfG NJW 1974, 309 sub B II 3 b
ebenso BGH NJW 1988, 419 (420) 16.9.87 RiZ (R) 4/87
vgl. BGHZ 15, 305 (310) 29.11.54 - II ZR 84/87
- aber BGH NJW 1990, 2615
Fürsorgepflicht für Richter
(prüfe:) VG Köln, DRiZ 1972, 322
vgl. zur Fürsorgepflicht für Beamte BVerfGE 8, 332 (357); 43, 154 (165)
Wenn aufgrund des Geschäftsanfalls für den Richter eine zeitliche Arbeitsbelastung eintritt, die die durchschnittliche Arbeitsbelastung eines vergleichbar besoldeten Beamten nicht nur vorübergehend und unwesentlich übersteigt, ist es mit den Dienstpflichten des Richters vereinbar, wenn er den Ausweg wählt, sein Dezernat anwachsen zu lassen.
VG Köln, Urt. v. 24.05.72 - 3 K 1662/69 - DRiZ 1972, 322
Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit durch mangelnde Ausstattung
BGH - Dienstgericht des Bundes -, Urteil vom 03.11.04 - RiZ(R) 2/03 - NJW 2005, 905
Ob die richterliche Unabhängigkeit durch die Haushaltsgesetzgebung beeinträchtigt werden kann, könne in einem Verfahren nach § 26 III DRiG offen bleiben, weil dieses nur gegen Maßnahmen möglich sei, die sich gegen einen bestimmten Richter oder ein Gruppe von Richtern richte, die geltend gemachte unzureichende finanzielle Ausstattung der Justiz aber alle Richter betreffe. Aber:
"Durch die Beschränkung des Rechtsschutzes nach § 26 Abs. 3 DRiG läuft die von Art. 97 GG garantierte richterliche Unabhängigkeit nicht etwa leer. Schutz vor Eingriffen in die sachliche und persönliche Unabhängigkeit kann der Richter nämlich nicht nur in den den Dienstgerichten zugewiesenen Fällen erhalten. Sofern im Einzelfall eine Verletzung der grundgesetzlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit vorliegt, kann der einzelne Richter diese nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts über Art. 33 Abs. 5 GG als Verletzung der hergebrachten Grundsätze des richterlichen Amtsrechts mit der Verfassungsbeschwerde rügen (vgl. BVerfGE 12, 81, 87 f.; BVerfG NJW 1996, 2149, 2150 m.w.Nachw.; Detterbeck in: Sachs, Grundgesetz 2. Aufl. Art. 97 Rdn. 7; Schulze-Fielitz in: Dreier, Grundgesetz Art. 97 Rdn. 16). Dies gilt auch für die Verletzung des Art. 97 GG durch gesetzgeberisches Handeln (BVerfGE 12, 67, 71 und 81 ff.)."
Vorinstanzen: DGH beim KG, Urt. v. 01.10.03 - DGH 1/03 - DRiZ 2004, 280
DG beim LG Berlin, Urt. v. 16.12.02 - DG 1/02 - DRiZ 2004, 81
Anmerkung: Die VB dürfte ein recht unsicherer Weg sein, denn bislang scheint das BVerfG die richterliche Unabhängigkeit iRv Art. 33 V GG nur für die Besoldung und für die Meinungsfreiheit behandelt zu haben.
gesetzlicher Richter
“Wird die Besetzung einer ... freigewordenen Stelle eines Vorsitzenden Richters aufgrund einer haushaltsgesetzlichen Sperre verzögert und werden deshalb die Aufgaben des Vorsitzenden ständig durch den vom Präsidium bestimmten Vertreter wahrgenommen, so ist der Spruchkörper nicht vorschriftsmäßig besetzt." (BGH, 11.07.85, BGHZ 96, 246)
"Das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 I 2 GG ) kann verletzt sein, wenn die Wiederbesetzung einer freigewordenen Vorsitzendenstelle nicht in angemessener Zeit vorgenommen wird” (BVerfG, Beschluß vom 03.03.83 NJW 83, 1541)
“Für die Zulässigkeit der Vertretung während einer Vakanz wird verlangt, daß die Wiederbesetzung der Stelle des Vorsitzenden unverzüglich (BGH), in angemessener Zeit (BVerfG), nicht unangemessen lange (BSG) oder rechtswidrig verzögert (BGH) wird.” (BVerwG NJW 1986, 1366)
Verhinderung gemäß § 21f Abs. 2 GVG :
"Handelt es sich hingegen um eine von der Justizverwaltung bewusst
herbeigeführte 'Verhinderung' - so z.B. die Nichtnachbesetzung einer
Vorsitzendenstelle wegen einer sogenannten Haushaltssperre (vgl. BGH JR 86, 66)
-, so liegt darin eine Umgehung des verfassungsrechtlich garantierten Anspruches
auf den gesetzlichen Richter. Bezogen auf eine etwaige Überlastung des
ordentlichen Vorsitzenden gilt Entsprechendes. Ist die Überlastung durch
strukturelle Maßnahmen veranlasst, so ist sie vorhersehbar, nicht vorübergehend
und nicht auf die besonderen Umstände des Einzelfalles zurückzuführen und damit
kein Grund für eine Verhinderung i.S.d. § 21f Abs. 2 GVG. Ansonsten hätte es die
Justizverwaltung in der Hand, durch Zuweisung zusätzlicher Aufgaben eine
permanente Verhinderung des ordentlichen Vorsitzenden herbeizuführen. Schon die
Möglichkeit sachfremder Eingriffe der Verwaltung in die Besetzung muss jedoch
ausgeschlossen sein (vgl. HansOLG a.a.O.). Die hier in Rede stehende Regelung
des Geschäftsverteilungsplanes des Landgerichtes Hamburg war eine solche
strukturelle Maßnahme."
HansOLG Hamburg, Beschluss vom 09.10.02 -
1 Ss 112/02 - (MHR 1/2003, 12)
keine Freiheitsentziehung ohne richterliche Entscheidung
BVerfG 15.05.02 , Rn. 25 (BVerfGE 105, 239 = NJW 2002, 3161):
Alle staatlichen Organe sind verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass der Richtervorbehalt als Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird (vgl. zu Art. 13 Abs. 2 GG BVerfGE 103, 142 <151 ff.> ). Für den Staat folgt daraus die verfassungsrechtliche Verpflichtung, die Erreichbarkeit eines zuständigen Richters - jedenfalls zur Tageszeit (vgl. etwa § 188 Abs. 1 ZPO, § 104 Abs. 3 StPO) - zu gewährleisten und ihm auch insoweit eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zu ermöglichen (vgl. BVerfG, a.a.O., S. 156).
Verletzung des Grundrechts auf ein zügiges Verfahren
"Das Ministerium hat sich für die benötigten Stellen zu verwenden. Und Landesregierung und Haushaltsgesetzgeber haben zu akzeptieren, daß die Personalausstattung der Gerichte die Einlösung des Grundrechts auf ein zügiges Verfahren vor Gericht ermöglichen muß und daß es sich dabei um einen staatlichen Auftrag handelt, der manchen anderen staatlichen Aufgaben eben deshalb vorgeht, weil ein Grundrecht in Frage steht; ..."
(betr. Anspruch eines StA's auf Zulage gem. § 46 I 1 BBesG bei Vorhandensein eines Stellenpools:)
„Die Verwaltung kann sich der Verpflichtung, ... Ansprüche zu befriedigen, grundsätzlich nicht mit dem Hinweis auf fehlende Haushaltsmittel entziehen. ...Es ist ein Gebot der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, gesetzlich begründete Ansprüche zu befriedigen.“
OVG Sachsen-Anhalt,
Urt. v. 06.02.02 - 3 L 470/00, Mitteilungsblatt des Richterbundes des Landes Sachsen-Anhalt, Mai 2002, S. 6 (9)
Schmerzensgeld wegen überlanger Verfahrensdauer:
(zugesprochen von EGMR Urt. v. 31.05.01 - 37591/97, NJW 2002, 2856, Metzger / BRD):
"Art. 6 I EMRK verpflichtet die Konventionsstaaten, ihre Justiz so einzurichten, dass die Gerichte allen Anforderungen dieser Vorschrift entsprechen können, einschließlich der Verpflichtung, innerhalb angemessener Frist zu entscheiden." (Leitsatz 4)
vgl. auch die EGMR-Urteile in folgenden Fällen:
Rumpf-Fall: 02.09.10 – 46344/06
Sürmeli-Fall: 08.06.06 - 75529/01
Stork-Fall: 13.07.06 - 38033/02 (nur Feststellung, weil die Beschwerdeführer sich unverhältnismäßig verhielten)
Dzelili-Fall: 10.11.05 - 65745/01 (NJW-RR 2006, 513; wie vor: nur Feststellung ...)
Gräßer-Fall: 05.10.06 - 66491/01 (Presse)
Feststellung der Verfassungswidrigkeit bei überlanger Dauer eines Zivilverfahrens
BVerfG NJW 2001, 214
Schadensersatz wegen verspäteter Bearbeitung (hier Grundbuchamt)
BGH, Urt. v. 11.01.07 - III ZR 302/05 (BGH-Presseerklärung)
Schadensersatz wegen verspäteter Bearbeitung (hier verspätete Kostenfestsetzung)
(LG Berlin Urt. v. 12.05.05 - 13 O 20/04, NJW 2005, 1811)
"1. Bei der Pflicht zur angemessenen Personalausstattung der Gerichte handelt es
sich um eine Amtspflicht i.S. des § 839 BGB.
2. Ein Land verletzt diese Amtspflicht dann, wenn es über Jahre hinweg eine
bedeutsame Zahl von Planstellen für Rechtspfleger nicht besetzt."
abgeändert von
KG, DRiZ 2006, 16: Die Gewaltenteilung würde unterlaufen. Allerdings
diene "die Aufgabe unterer Behörden, ihre einzelnen Fachstellen durch
Zuweisung von Dienstkräften und Sachmitteln zur Bearbeitung der von ihnen zu
erledigenden Angelegenheiten instand zu setzen, auch dem Interesse des einzelnen
Bürgers (vgl. BGH NJW 1959, 574, 575; BGHZ 111, 272 zu II.2.b)."
Schadensersatz wegen verspäteter Bearbeitung
(LG München, Urt. v. 12.01.05 - 9 O 17286/03, DRiZ 2006, 49)
Das Gericht bejahte die Amtshaftung für die Kosten einer außerordentlichen Beschwerde, mit der die überlange Verfahrensdauer beim BayVGH geltend gemacht wurde. "Der BayVGH hat gegen seine Amtspflicht, die beiden Klageverfahren des Kläger mit der gebotenen Beschleunigung zu bearbeiten, verstoßen."
(Dieses Urteil hat die Bundesregierung für (!) sich ins Feld geführt gegenüber dem EuGH im Sürmeli-Fall - NJW 2006, 2389 - zum Beleg dafür, dass es in Deutschland effektive Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das Beschleunigungsgebot gibt; siehe nachfolgend:)
Betroffene "können einen Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG vor den ordentlichen Gerichten geltend machen, wenn die Verfahrensverzögerung auf einer Verletzung von Amtspflichten beruhe."
(Bundesregierung in ihrer Stellungnahme im Sürmeli-Fall, EuGH, Urt. v. 8.6.2006 - 75529/01, NJW 2006, 2389)
mögliche Rechtsfolgen bei überlanger Verfahrensdauer im Strafrecht
(BVerfG 21.01.04 , Az: 2 BvR 1471/03 , NJW 2004, 2398 (LS)):
"... Möglichkeiten reichen von einer Einstellung des Verfahrens nach den §§ 153, 153 a StPO, einer Beschränkung der Strafverfolgung nach §§ 154, 154 a StPO über eine Beendigung des Verfahrens durch das Absehen von Strafe oder eine Verwarnung mit Strafvorbehalt bis hin zu einer Berücksichtigung bei der Strafzumessung ... Reichen die gesetzlich bestehenden Möglichkeiten in Fällen, in denen das Ausmaß der Verfahrensverzögerung besonders schwer wiegt und zu besonderen Belastungen des Betroffenen geführt hat, nicht aus, kommt die Einstellung wegen eines von Verfassungs wegen anzunehmenden Verfahrenshindernisses in Betracht ..."
Amtshaftung wegen unzureichender Ausstattung:
Sie hängt davon ab, ob die verletzte Amtspflicht drittschützend iSv § 839 BGB ist.
Zwar ist die Pflicht zur angemessenen Ausstattung der Gerichte nicht
drittschützend (zuletzt
KG DRiZ 2006, 16)
Drittschützend können aber Beschleunigungsgebote oder Fristen sein, die der Gesetzgeber
den Gerichten zur
Aufgabenerledigung gesetzt hat und die nur wegen mangelnder Ausstattung nicht
eingehalten werden können. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der
Gesetzgeber die Frist gerade deshalb eingeführt hat, um eine Amtshaftung zu
begründen, wie z.B. bei der Monatsbescheidungsfrist im Handelsregister (Hirth, MHR 2/2004, 11):
"Dass eine mangelhafte Ausstattung durch den Haushaltsgeber ein Organisationsverschulden im Rahmen von § 839 BGB begründen kann, hat der BGH zwar bislang abgelehnt, weil die Ausstattungspflicht in der Regel nur im Allgemeininteresse ohne Individualwirkung bestehe (BGH NJW 1990, 2615); das könne jedoch im Einzelfall auch anders sein (BGH NJW 1959, 574 unter Hinweis auf BGHZ 15, 305). Für die vorliegend diskutierte Norm ergibt sich aus dem Gesetzgebungsverfahren, dass sie in diesem Sinne Individualwirkung haben soll, denn der Gesetzgeber will mit ihr eine Amtshaftung herbeiführen."
Ein neuer Fall der Individualwirkung wird die Untätigkeitsbeschwerde sein. § 198 V 2 GVG-Entwurf lautet: "Hält es (scil.: das Beschwerdegericht) die Beschwerde für begründet, so bestimmt es eine Frist, in der das vorlegende Gericht Maßnahmen ergreift, die geeignet sind, das Verfahren innerhalb angemessener Frist abzuschließen." Die Begründung des BMJ-Entwurfs v. 22.8.05 (S. 12) führt zu den Rechtsfolgen bei Nichteinhaltung dieser Frist aus: "Handelt er (scil.: der Richter erster Instanz) seiner Verpflichtung zuwider, so ist die Annahme einer Dienstpflichtverletzung, die richterdienstliche Maßnahmen zur Folge hätte, und einer – einen Amtshaftungsanspruch begründenden - Amtspflichtverletzung zumindest nicht fernliegend." Ob dieser Schadensersatzanspruch auch dann gegeben sein soll, wenn den Richter kein Verschulden trifft, sondern es sich um ein Organisationsverschulden wegen mangelhafter Personalausstattung handelt, lässt sich der Begründung nicht direkt entnehmen. Gegen ein derartiges Anliegen des Gesetzgebers könnte die Seite 7 der Begründung sprechen: "Den Gedanken einer Entschädigungslösung greift der Entwurf nicht auf; diese ließe sich in das System des deutschen Haftungsrechts, das Ersatz für immaterielle Schäden nur im Ausnahmefall kennt, nur schwer einordnen." Allerdings betrifft dieser Satz nur den immateriellen Schaden und nur dieser Punkt dürfte wohl der Gegenstand der parlamentarischen Diskussion sein, wenn es dort heißt: "Statt eines Ersatzanspruches in Geld für ein verzögertes Verfahren geben Sie ihm ein zusätzliches Verfahren an die Hand." Der materielle Schaden infolge mangelhafter Justizausstattung wird dagegen nicht angesprochen.
Die BMJ-Referats-Leiterin führt im Jahre 2007 aus: "Die Überlegungen sind seitdem nicht stehen geblieben. ... Hinzu kommt, dass nach der jüngsten BGH-Rechtsprechung Verzögerungsschäden wegen überlanger Verfahrensdauer, die auf Amtspflichtverletzungen wegen nicht sachgerechter Aussattung der Gerichte beruhen, bei den dafür Verantwortlichen eingeklagt werden können (BGH, NJW 2007, 830)." (Steinbeiß-Winkelmann, ZRP 2007, 177/180)
BGH 25.9.02
(NJW 2003, 282 = DRiZ 2003, 88) zur richterlichen Unabhängigkeit:
Verpflichtung der Justizverwaltung, dem Richter für die individuelle
Arbeitsgestaltung die sachlichen Mittel zur Verfügung zu stellen;
Dienstzimmer; keine festen Dienstzeiten;
Anspruch auf ermessensfehlerfreie Berücksichtigung des Richters bei der
Zuteilung der vorhandenen, für die Arbeit erforderlichen personellen und
sächlichen Mittel !
allgemein zu § 839 BGB:
Nicht in jedem Grundrechtsverstoß liegt die Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht (BGH, Urteil vom 07.07.1988 - III ZR 198/87, NJW 1989, 101)
Groß, Amtshaftung bei Verzögerung gerichtlicher Verfahren (Link repariert am 25.9.09)
Brüning, Staatshaftung bei überlanger Dauer von Gerichtsverfahren, NJW 2007, 1094
zum verfassungsrechtlichen Vorrang der Justiz bei der Ausstattung:
zur Berechnung der angemessenen Ausstattung
Wolfgang Hirth