(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/04, 11) < home RiV >

Die nicht entschuldigende Entschuldigung

- Amtshaftung im Handelsregister -

Auch wenn es im Folgenden vordergründig nur um die Änderung einer handelsregisterrechtlichen Norm geht, so ist doch der Inhalt strukturell durchaus auch von Allgemeininteresse. Der Gesetzgeber führt in diesem Rechtsgebiet anstelle einer Pflicht zur unverzüglichen Bescheidung durch den Richter (so der Bundesratsvorschlag) eine verbindliche Bescheidungsfrist von einem Monat ein. Damit möchte er verhindern, dass durch "zu viele Entschuldigungsmöglichkeiten" das ge­setzgeberische Beschleunigungsziel "sonst sehr leicht unterlaufen werden" kann. Als nicht akzeptierte Entschuldigungen für nicht fristgemäße Entscheidungen werden in der Gesetzesbegründung ausdrücklich "Krankheit und Urlaub" genannt[1]. Verdächtigt der Gesetzgeber die Richterschaft etwas des Simulantentums? Bei den geringen Fehlzeiten der Richter[2] kann das doch nicht sein! Doch schauen wir uns den Ablauf etwas genauer an.

 

Der Bundestag hat beschlossen, § 25 Abs. 1 der Handelsregisterverordnung (HRV) wie folgt zu fassen[3]:

 

”Auf die Anmeldung zur Eintragung, auf Gesuche und Anträge verfügt der Richter. Über die Eintragung ist spätestens einen Monat nach Eingang der Anmeldung bei Gericht zu entscheiden. Ist eine Anmeldung zur Eintragung in das Handelsregister unvollständig oder steht der Eintragung ein durch den Antragsteller behebbares[4] Hindernis entgegen, so hat der Richter innerhalb derselben Frist zu verfügen; liegt ein nach § 23 einzuholendes Gutachten bis dahin nicht vor, so ist dies dem Antragsteller unverzüglich mitzuteilen. ...” [5]

Der Gesetzentwurf ging zurück auf eine Anregung des Bundeswirtschaftsministers[6], der der Kritik von Existenzgründern an zu langen Eintragungszeiten ("oftmals mehr als zwei Monate")[7] abhelfen wollte. Der Bundesrat wies auf zu erwartende Probleme mit einer Bescheidungsfrist hin[8] und schlug deshalb vor, anstelle der Frist das Wort „unverzüglich“ einzufügen.

Die Bundesregierung half lediglich dem Problem mit den Gutachten ab, blieb aber im Übrigen bei der Bescheidungsfrist. Dies begründete sie wie folgt[9]:

„Denn bei einer Festlegung auf ‚unverzüglich’, also ohne schuldhaftes Zögern, verbleiben zu viele Entschuldigungsmöglichkeiten (mangelhafte Personalressourcen, Krankheit, Urlaub). Der Sinn und Zweck der Regelung, nämlich die Eintragungsdauer zu verkürzen, könnte so sehr leicht unterlaufen werden. Eine Verbesserung gegenüber dem aktuellen Rechtszustand wäre dann gerade nicht mehr sichergestellt. Auch der Hinweis auf die Gefahr möglicher Amtshaftungsfälle, sofern das Registergericht nicht innerhalb der Bescheidungsfrist entschieden hat, überzeugt nicht. Denn die Regelung soll die Registergerichte gerade dazu anhalten, für die notwendige Organisation der Arbeitsabläufe zu sorgen, um etwaige Amtshaftungsfälle auszuschließen. Es muss überdies darauf hingewiesen werden, dass ein Monat eine ausgesprochen lange und ohnehin kaum noch vertretbar lange Frist ist. Daher sollte man eigentlich davon ausgehen dürfen, dass diese kein Problem für die Länder darstellt und in der Regel erheblich unterschritten wird. Wenn die elektronischen Handelsregister in Deutschland eingeführt sind, sollte die Eintragung beispielsweise einer GmbH-Neugründung im Regelfall innerhalb weniger Tage, bestenfalls sogar innerhalb eines Tages, möglich sein.“

Der gewollte Ausschluss von „Entschuldigungsmöglichkeiten (mangelhafte Personalressourcen, Krankheit, Urlaub)“ zeigt, dass es nicht das Anliegen der Gesetzesbegründung ist, den - im Einzelfall z.B. durch Krankheit persönlich entschuldigten - einzelnen Richter zu (noch) schnellerer Arbeit zu bewegen. Vielmehr zeigt gerade das vorstehende Zitat, dass Adressaten die Gerichtsorganisation[10] und die Haushaltsgesetzgeber der Länder sind. Von ihnen sind die organisatorischen und finanziellen Vorkehrungen dafür zu treffen, dass den Richtern die Fristeinhaltung ermöglicht wird (was auch in vorhersehbaren Zeiten erhöhten Geschäftsanfalls schwierig werden kann[11]). Diese Stoßrichtung wird auch daran deutlich, dass die Gesetzesbegründung (S. 14) als Grund für die Fristeinführung nennt, dass die unterschiedlichen Eintragungsgeschwindigkeiten zwischen den verschiedenen Registergerichten "neben dem persönlichen Engagement der Beteiligten auch von den personellen und sachlichen Ressourcen der Gerichte" abhängen.

Appelliert hat der Bund ja auch früher schon an die Länder, die Gerichte angemessen auszustatten und die Personalmehrkosten für die Maßnahmen aufzubringen, welche von Bundesgesetzen wie diesem verursacht werden[12]; geholfen hat es wenig. Dass aber die Länder durch ein Bundesgesetz indirekt (S. 18: "etwaige Amtshaftungsfälle") - und daher ohne Eingriff in Länderkompetenzen - dazu bewegt werden sollen, mehr Mittel zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung in der Justiz bereit zu stellen, kommt nicht so häufig vor. Zwar setzt Amtshaftung ein Verschulden voraus und ein solches kann beim Richter fehlen, wenn die Personalausstattung mangelhaft ist[13]. Die Rechtsprechung hat jedoch die Amtshaftung durch Entindividualisierung des Verschuldenselements in die Nähe einer objektiven/unmittelbaren Staatshaftung gerückt, insbesondere durch die Anerkennung eines Organisationsverschuldens[14]. Dass eine mangelhafte Ausstattung durch den Haushaltsgeber ein Organisationsverschulden im Rahmen von § 839 BGB begründen kann, hat der BGH zwar bislang abgelehnt, weil die Ausstattungspflicht in der Regel nur im Allgemeininteresse ohne Individualwirkung bestehe[15]; das könne jedoch im Einzelfall auch anders sein[16]. Für die vorliegend diskutierte Norm ergibt sich aus dem Gesetzgebungsverfahren, dass sie in diesem Sinne Individualwirkung haben soll, denn der Gesetzgeber will mit ihr eine Amtshaftung herbeiführen.

Doch auch der Richter persönlich, der auf dem Gebiet des Handelsregisterrechts nicht vom Spruchrichterprivileg geschützt ist, gerät im Falle eigenen Verschuldens einen Schritt näher an die eigene Haftung. Er hat die Monatsfrist einzuhalten; eine schuldhafte Fristüberschreitung dürfte eine Pflichtverletzung sein[17]. Im Einzelfall kann allerdings die Feststellung des Verschuldens schwierig werden, denn nicht immer ist die Sache so klar wie bei Urlaub oder Krankheit, die den einzelnen Richter selbstverständlich entschuldigen und die nur die Verwaltung und den Haushaltsgesetzgeber zu Vorsorge verpflichten (vgl. Fußn. 11). Auch in einem gerichtlichen Verfahren besteht das Getriebe nicht nur aus einem, sondern aus vielen Rädchen, nämlich neben dem Richter: Posteingang, Geschäftsstelle, Wachtmeister, Rechtspfleger, Vorerfasser, Kostenbeamter. Nach dem Wortlaut der hier besprochenen neuen Norm hat nur der Richter die Monatsfrist einzuhalten. Wenn sich also beispielsweise die Geschäftsstelle Zeit lässt oder sie überlastet ist und der Richter den Eingang erst kurz vor Fristablauf erhält, dürfte dem Richter persönlich mangels Aufsichtspflicht/-recht dann nicht einmal ein Organisationsverschulden zur Last fallen. Allerdings stellt sich dann die Frage, ob er diese Sache bevorzugt behandeln muss, obwohl möglicherweise andere Sachen, deren Fristablauf nicht bevorsteht, aus sich heraus viel eiliger sind.

Wolfgang Hirth


[1] BT-Drucks. 15/2251, S. 17 = http://www.dnoti.de/DOC/2004/1502251.pdf

[2] vgl. Hirth MHR 2/2002, 22

[3] Handelsregistergebühren-Neuordnungsgesetz - HRegGebNeuOG - Beschluss vom 29.04.04 (BT-Plenarprotokoll 15/105, 9475 B). Die Justizbehörde hat hierzu am 11.05.04 mitgeteilt: ”Der zweite Durchgang im Bundesrat dürfte sich noch vor der Sommerpause anschließen, so dass nach dem derzeitigen Beratungsstand mit einem Inkrafttreten in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen ist.”

[4] Für Hinweisverfügungen betreffend unbehebbare Hindernisse gilt die Ausnahme von der Bescheidungsfrist nicht (da der Bundesrat BT-Drucks. 15/2251, S. 16 hierauf hingewiesen hatte, handelt es sich nicht um ein Versehen des Gesetzgebers). Steht der Ablauf der Monatsfrist bevor, so dürfte der Richter demnach bei unbehebbaren Hindernissen nicht mehr Gelegenheit zur Stellungnahme oder zur Rücknahme geben, sondern müsste sofort zurückweisen.

[5] Bevor Bundesregierung und Bundestag solche Bedenken des Bundesrats, die nicht die Frist als solche betrafen, und bloß redaktionelle Änderungsvorschläge des Rechtsausschusses (BT-Drucks. 15, 2993, S. 10) aufgriff, hatte der Gesetzentwurf zunächst gelautet (BT-Drucks. 15/2251):

”Der Richter verfügt auf die Anmeldung zur Eintragung, auf Gesuche und Anträge. Die Eintragungsverfügung hat spätestens einen Monat nach Eingang der Anmeldung bei Gericht zu erfolgen, wenn alle Voraussetzungen dafür vorliegen. Steht der Eintragung ein behebbares oder ein unbehebbares Hindernis entgegen, entscheidet der Richter innerhalb derselben Frist durch Zwischenverfügung oder durch Ablehnungsverfügung. ...”

[6] Gegen die Verlagerung des Handelsregisters auf die Industrie- und Handelskammern: vgl. Klaus Wiedemann MHR 2/2003, 20

[7] In Hamburg, wo der Autor als Registerrichter tätig ist, liegen die Eintragungszeiten für Neugesellschaften bei allenfalls wenigen Tagen nach Vorlage; dringende Fälle werden noch am Eingangstag erledigt. Verzögerungen beruhen in aller Regel auf unvollständigen oder fehlerhaften Unterlagen des Anmeldenden. Dass in irgendeinem anderen Bundesland die Bearbeitungszeiten so viel länger als in Hamburg sind, dass dort Eingänge nicht nur zeitweise 2 Monate lang schlicht nicht bearbeitet werden und dass dies dort die Regel ist, ist in Fachkreisen nicht bekannt. Wegen einzelner vorübergehender eventueller "Schwächephasen" hätte es der Einführung einer generellen Bescheidungsfrist, die mit weitreichenden sonstigen Folgen verbunden ist, nicht bedurft.

[8] BT-Drucks. 15/2251, S. 16: gelegentlich sind Gutachten einzuholen; keine Ausnahmen für Aufklärungsverfügungen bei unbehebbaren Hindernissen; oft führt erst der Urkundsbeamte die Eintragungsverfügung des Richters aus; flexible Reaktion auf Zeiten ungewöhnlicher Antragshäufung erforderlich

[9] BT-Drucks. 15/2251, S. 16

[10] Begrdg. S. 18: "für die notwendige Organisation der Arbeitsabläufe zu sorgen"

[11] Darauf hat der Bundesrat hingewiesen, ohne dass die Bundesregierung darauf reagiert hat. Im August und im Dezember werden wegen bestimmter Fristen weit überdurchschnittlich viele Anmeldungen zum Handelsregister eingereicht. Lässt sich dies durch längeres Arbeiten oder Urlaubssperre nicht bewältigen, so ist an den Einsatz von zusätzlichen Richtern und nichtrichterlichem Personal für diesen Zeitraum zu denken. Dafür müsste rechtzeitig Vorsorge getroffen werden, denn ohne zeitaufwändige entsprechende Einarbeitung in das spezielle formelle und materielle Recht und in die Spezialsoftware, deren Benutzung zwingend ist, wäre das nicht möglich. Da die übrigen Bereiche des jeweiligen Gerichts in der Regel selbst schon ausgezehrt sind, ist auch insoweit eine zusätzliche Bereitstellung durch den Haushalt erforderlich.

[12] vgl. Hirth, MHR 1/1998, 30

[13] BGH NJW 1988, 419

[14] Ossenbühl, Staatshaftung, 5. Aufl., S. 76

[15] BGH NJW 1990, 2615

[16] BGH NJW 1959, 574 unter Hinweis auf BGHZ 15, 305

[17] vgl. zur Differenzierung zwischen Justizgewährungspflicht und richterlicher Dienstpflicht: Hirth, MHR 3/2001, 6

 


Anmerkung des Webmasters:

vgl. auch zum Handelsregister