(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/06, 2) < home RiV >
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
turbulente Monate liegen hinter uns: Dr. Roger Kusch wurde als Justizsenator entlassen; sein bisheriger Staatsrat Carsten Lüdemann wurde sein Nachfolger. Der Hamburgische Richterverein hat dem neuen Senator sogleich zur Amtsübernahme gratuliert. Inzwischen hat auch bereits ein erstes Treffen zwischen dem Senator und dem Vorstand des Richtervereins stattgefunden; über dessen positiven Verlauf wird in dieser MHR berichtet (S. 4).
Doch denken wir noch einmal kurz zurück an den Vorgänger im Amte. Kusch wurde entlassen, weil seine Weitergabe der PUA-Protokolle über seine Vernehmung - von der Opposition heftig gegeißelt - das Zerwürfnis Kuschs mit dem Bürgermeister auslöste. Nur 2 Wochen später wurden die ersten 4 Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter der Justizbehörde von der StA eingestellt; weitere 4 Einstellungen gegen Mitarbeiter anderer Behörden folgten Ende Mai. Begründung: Die Protokolle enthielten entweder schon kein Geheimnis oder ein vorliegendes Geheimnis wurde nicht offenbart bzw. nicht gegenüber einem Unbefugten offenbart; soweit im Einzelfall Verstöße festgestellt worden sind, lag kein vorsätzliches Handeln vor. Kusch stellte die Protokolle seiner Vernehmung mittlerweile sogar auf die Internetseite seiner neuen Partei (der PUA stellte fest, dass er dagegen nichts tun könne). Die Richterschaft hatte sicherlich ein paar Kontroversen mit Kusch, aber als Absetzungsgrund wäre – so man dieser Ansicht ist - falsche Justizpolitik richtiger gewesen als die Weitergabe der offenbar doch nicht so wichtigen Protokolle. Wie heißt es so schön im Volksmund: Nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird. Doch in der Politik wird sehr schnell gegessen.
Ziesing berichtet in diesem MHR-Heft (S. 38) über Deutschland und Österreich als Schlusslichter bei der Einführung einer Selbstverwaltung der Justiz (der Richterverein arbeitet mit seiner Arbeitsgruppe Selbstverwaltung unter der Leitung von Dr. Augner aktuell zur Unterstützung des DRB zugunsten der Selbstverwaltung). Inzwischen sieht es aber ganz so aus, als würde Deutschland möglicherweise zum alleinigen Schlusslicht werden. Nachdem in Deutschland vor der letzten Bundestagswahl auf Anfrage des DRB alle politischen Parteien (mit Ausnahme der Linken/PDS) eine Selbstverwaltung abgelehnt haben, hat in Österreich soeben mit der SPÖ eine große politische Partei im Mai mit der Propagierung eines „Justizsenats“ immerhin einen ersten Schritt in diese Richtung getan.
Wenn dann noch hochrangige deutsche Vertreter während der Verhandlungen über den Export deutscher Justizstrukturen bei der Frage der Chinesen, ob denn die Unabhängigkeit der Richter wirklich so wichtig sei, herumdrucksen, dann fragt man sich allmählich, wie tief der Stellenwert von strukureller Justizpolitik bei deutschen Politikern noch weiter sinken wird.
Unstrukturelle Justizpolitik haben wir dagegen zuhauf. Zum Vorgänger des jetzt neu vorgelegten Entwurfs zum Antidiskriminierungsgesetz wurde bereits von Bertram das Passende gesagt (MHR 2/2005, 34).
Neustes Beispiel ist das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts, das das BMJ im Mai im Entwurf vorgelegt hat. Dabei soll hier gar nicht auf die Absenkung des Mindestkapitals auf 10.000 € (Begründung: Wappnung für den internationalen Rechtsform-Wettbewerb mit der Limited) eingegangen werden; warum diese Senkung abzulehen ist, wurde bereits im Heuschrecken-Artikel (MHR 2/2005, 29) ausgeführt.
Mit demselben Gesetzentwurf soll jedoch auch noch abgeschafft werden, dass vor der Gesellschaftseintragung die erforderlichen Erlaubnisse (z.B. für Kapitalanlage, Darlehensvermittung, Bauträger, Handwerk, Wettbüros) vorgelegt werden müssen. Der Gesetzgeber ist der Ansicht, ohne diese Erlaubnisse dürfe die GmbH ja ohnehin nicht arbeiten. Dass das in der Praxis ganz anders aussieht und in Zukunft die Erlaubnisbehörden den GmbHs hinterherlaufen müssen, weil diese nämlich in erheblicher Anzahl auch ohne die erforderliche Erlaubnis zu arbeiten bereit sind und dies infolge Handelsregister-Eintragung künftig faktisch auch können, scheint für unwichtig gehalten zu werden. Die Gerichte werden sich mit den mangels Erlaubniskontrollen bald vermehrt auftretenden schwarzen Schafen herumschlagen können. Wer schon Arbeit hat, dem macht der Gesetzgeber noch welche hinzu – und gefährdet dabei den Rechtsverkehr (soweit diesem gegenüber der Förderung des „internationalen Wettbewerbs“ überhaupt noch Relevanz eingeräumt wird).
Ihr
Wolfgang Hirth