(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/06, 38) < home RiV >
Deutschland und Österreich – Schlusslichter im europäischen Vergleich über die Selbstverwaltung der Justiz
Mit diesen Worten schloss Dr. Gert Schernthanner auf dem 4. Salzauer Richter- und Staatsanwaltsgespräch am 10.05.06 im Landeskulturzentrum Salzau seinen Überblick über die Organisation der Spitzen der Justizverwaltung der 25 EU-Mitgliedsstaaten, nachdem er ein vielfältiges Bild über die bestehenden Einrichtungen der Selbstverwaltung in den einzelnen Ländern der EU präsentiert hatte. Herr Dr. Schernthanner ist Richter am Bezirksgericht Wien-Josefstadt und war von Mai 2003 bis Januar 2005 Referent im Ausschuss „Rechtsschutz und Gerichtsbarkeit“ beim „Österreich-Konvent“, der sich zur Aufgabe gesetzt hatte, innerhalb von 18 Monaten Vorschläge für eine grundlegende Staats- und Verfassungsreform auszuarbeiten.
Der Rechtsvergleich machte deutlich, dass außer in den beiden genannten Staaten und Tschechien ein „Rat der Gerichtsbarkeit“, ein „Justizrat“ oder eine vergleichbare Einrichtung besteht, dessen Kompetenzen sich im Wesentlichen auf die Auswahl der Richter, deren Einstellung und Beförderung, ihre Aus- und Fortbildung, die dienstliche Beurteilung und die Disziplinarbefugnisse konzentrieren. In einem Teil der untersuchten Staaten, nämlich in Dänemark, Estland, Irland, den Niederlanden, Schweden, der Slowakei und Ungarn erstrecken sich die Kompetenzen des Justizrates außerdem auf das Budgetwesen mit Erstellung eines Budgetentwurfs, ‑verhandlungen mit dem Finanzministerium sowie Verteilung und Verwaltung der Mittel.
Der Vergleich zeigte auch, dass die einzelnen „Justizräte“ nach ihrer Zusammensetzung und ihren Aufgaben sehr unterschiedlich ausgestaltet sind. Allen gemeinsam ist aber das Bestreben, die dritte Gewalt zu stärken und den Einfluss der Exekutive auf die internen Belange der Justiz zurückzudrängen. So hat z.B. Estland seit August 2002 eine „Gerichtsverwaltungskammer“ mit 11 Mitgliedern einschließlich des Justizministers, der insgesamt 7 richterliche Vertreter angehören und deren Vorsitzender der Präsident des Obersten Gerichts ist. Zu den Aufgaben des Rates gehören die Mitwirkung bei der Ernennung und bei Verfahren über die Entlassung von Richtern, die Genehmigung der Ernennung des Gerichtspräsidenten sowie die Ausübung von Mitbestimmungsrechten bei der Ernennung des Obersten Gerichts und bei der Erstellung des Budgetentwurfs.
Nahezu zeitgleich wurde in Litauen ein „Judicial Council“ eingerichtet, der sich aus 18 richterlichen Mitgliedern sowie dem Staatspräsidenten und dem Finanzminister sowie weiteren 4 Personen aus Exekutive und Legislative zusammensetzt. Zu den Aufgaben des „Judicial Council“ gehören Empfehlungen an den Staatspräsidenten zur Ernennung, Entlassung, Beförderung und Versetzung von Richtern, zur Anzahl der Richterstellen, ferner die Bildung der Prüfungs- und der Auswahlkommissionen für Richterkandidaten, Vorschläge für Investitionsprogramme in der Gerichtsbarkeit und für die Budgetierung einzelner Projekte sowie die Kontrolle der nationalen Gerichtsverwaltung.
Die zur Frage der Selbstverwaltung der Justiz in Österreich und Deutschland dargelegte Situation zeigte schließlich auf, dass sich in beiden Ländern aufgrund der Initiativen der jeweiligen richterlichen Standesvertretungen auch etwas bewegt. In Österreich hat die dortige Richtervereinigung im Oktober 2004 einen Gesetzesvorschlag für die Einrichtung eines unabhängigen Justizsenats unterbreitet, dem die Leitung der Verwaltung der Gerichte und die Verteilung der sachlichen und personellen Ressourcen obliegen sollen.
In Deutschland nimmt das Thema „Selbstverwaltung der Justiz“ seit vielen Jahren einen vorrangigen Platz in der Diskussion und Arbeit des Deutschen Richterbundes ein. Mit dem Vorschlag zur Schaffung eines „Justizverwaltungsrates“ sind konkrete Vorstellungen an die Politik herangetragen worden.
Lore Ziesing