(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/05, 20) < home RiV >

Daschner: zum Schluss ein falscher Zungenschlag

 

Wenige Fälle sind von Anbeginn und über ihr forensisches Ende hinaus von einer so leidenschaftlichen öffentlichen Anteilnahme begleitet gewesen wie der des früheren Frankfurter Polizeivizepräsidenten Wolfgang Daschner. Er war nämlich - nach Gefühl und Votum einer überwältigenden Mehrheit im Lande – von Wortführern der Rechtswissenschaft und durch die Medien auf den Kopf gestellt und zur hochnotpeinlichen Frage umgeschrieben worden, ob wir im wiedervereinigten Deutschland schon wieder soweit seien, die Folter zu erlauben. Folter! – um Gottes willen: Das war die Inquisition gewesen, waren GPU, Gestapo, Savak, Stasi und tausend andere Scheußlichkeiten, letztlich noch die Bilder aus dem Abu Ghraib-Gefängnis.

Es ist aber bekanntlich einfacher, sieben abstrakte Sätze richtig zu schreiben als einen konkreten: Was hatte der wirkliche Fall denn mit der Folterfrage überhaupt zu tun: Der Jurastudent Gäfgen entführt ein elfjähriges Kind, quält und ermordet es, versteckt die Leiche, um die Familie zu erpressen; und der Vizepräsident, im verzweifelten Bemühen, ein noch lebendes Opfer zu retten, unternimmt es, den Täter mit der Androhung von Gewalt zur Offenbarung zu zwingen. Ein Fall Gäfgen also; aber ein Fall Daschner: wieso und warum ?

 

Es ist das negative Prestige der Totschlagsvokabel „Folter“ und das positive ihres bis in die Sterne entrückten Gegenbegriffs „Menschenwürde“, die sich wechselseitig in abstrakte Höhen aufschaukeln und so starke moralisierende Energien freisetzen, dass der eigentliche Anlassfall schließlich jedes ernsthafte Interesse verliert.

 

Es ist unmöglich, der Diskussion, die inzwischen Folianten füllt[1]) und dabei auch unverlierbare allgemeine Rechtsgrundsätze der Literatur erneut einverleibt, hier gerecht zu werden. Mit Daschner hat das meiste auch nur wenig zu tun, am allerwenigsten mit dem Opfer und seiner Familie. Daschner, so wird z.B. gelegentlich argumentiert, hätte zunächst versuchen müssen, Gäfgen „zu knacken“, indem er ihn mit der 15-jährigen Schwester seines Opfers konfrontierte. Hätte das nicht die Würde dieses jungen Mädchens tief verletzen müssen, und wäre dieses dann nicht als bloßes Mittel zum Zweck benutzt worden? Aber eine solche Frage lag außerhalb des täterfixierten Interesses[2]). Es fällt immerhin auf, dass auch in langen Abhandlungen – soweit sie den Fall Gäfgen/Daschner nicht völlig aus dem Auge verlieren und sich in moralischer Empörung (nota bene: über Daschner!) verlieren – zuweilen doch angemerkt wird, Daschner habe sich in einer tragischen Lage befunden, in einem nahezu ausweglosen Dilemma und habe rein menschlich vielleicht kaum anders handeln können - und dergleichen Einfühlsamkeiten, um dann als Fazit einer Art zeichenhafter oder symbolisch sühnender Sanktion, notfalls seinem mehr oder weniger freiwilligen Amtsverzicht das Wort zu reden: Tragödie, Dammbruch, Zeichensetzung! Die Rechtsordnung indessen ist eine nüchterne Einrichtung, keine klerikale Buß- oder Sühneveranstaltung und auch keine Bühne des tragischen Theaters:

 

„Des Rechtsstaats unwürdig wäre es, die rettende Tat zwar als moralisch legitim gutzuheißen und zugleich als verfassungsrechtlich unzulässig zu verwerfen, sich das gute Gewissen des absoluten Folterverbots zu erhalten in der Erwartung, dass sich im Ernstfall schon jemand finden werde, der es unterlaufe. Befürworter einer solchen Nicht-Lösung attestieren dem illegalen Retter Tragik. Doch es wäre eine durch den Rechtsinterpreten inszenierte Tragik, deren Sinn es wäre, diesem, wie immer die Sache ausginge, die Möglichkeit zu erhalten, die eigenen Hände in Unschuld zu waschen.“[3]

 

Inzwischen hat das Landgericht Frankfurt geurteilt[4] - verurteilt: bis an den Rand des Möglichen milde, unter Respektsbekundungen, Anerkennung lauterer Motive und mit mancherlei Würdigung, aber eben doch auf schuldig erkannt: Nicht weniger als ein Tabubruch falle Daschner zur Last; aber der Rechtsstaat dürfe keineswegs aus den An-geln gehoben werden; aber nun könne der Hauptverhandlung die läuternde Wirkung einer griechischen Tragödie nicht abgesprochen werden[5].

 

Das Urteil ist – man muss es bedauern, aber Daschners entnervter Revisionsverzicht ist begreiflich - rechtskräftig. Erwächst damit auch das Zeichen in Rechtskraft, das erwartet worden war und das die Kammer gesetzt zu haben glaubte? Keineswegs: keine Frage ist ernstlich beantwortet, nur ein schönes Bekenntnis abgelegt worden. Gesetzgeber und Wissenschaft haben längst andere Themen: Nach dem vom Bundespräsidenten jetzt (mit leichtem Knurren) unterzeichneten Luftsicherheitsgesetz, § 14 Abs. 3, kann ein Zivilflugzeug abgeschossen werden, wenn man annehmen muss, es werde gerade (ähnlich wie am 11.09.2001 in den USA) als Terrorwaffe eingesetzt: Der Abschuss von hundert Unbeteiligten ist dann rechtens, wenn er der Vermeidung eines drohenden Desasters dient[6]. Wirklich ein ganz anderes Thema? Der Mensch dürfe niemals als Mittel zum Zweck missbraucht werden, lautete der kritische Kehrreim gegen Daschner - genug von ihm! Aber hier und jetzt kehrt die gleiche Frage in kaum veränderter Gestalt mit einer Wucht zurück, die einem den Atem verschlägt – in einem brutalen Test gleichsam, der offenbart, wie wenig die „Zeichen“ bedeuten, die im Laufe des Falles Daschner unermüdlich aufgerichtet worden waren.

 

Günter Bertram


 

[1]) vgl. schon Johann Meyer:Keine Folter !“ in MHR 1/2003, S. 3; Florentin Krauß (Leserbrief) in MHR 2/2003, S. 5; Bertram:  „Rettung und Folter - ein schiefes Paar“  in MHR 2/2003, 6 mit Nachweisen über den damaligen Diskussionsstand, zu dem sich vieles, aber nichts wesentlich Neues nachtragen ließe.

[2]) „Das Wort ‚Folter’ schlug jeden Einwand zu Gunsten des Kindes tot“, so Gisela Friedrichen: Daschners Sündenfall in SPIEGEL 49/2004, S. 48 – eine schonungslose Portraitierung des Zeugen Gäfgen und seines Auftritts im Daschnerprozess.

[3] Josef Isensee: Tabu im freiheitlichen Staat, 2003, S. 61

[4] LG Frankfurt, NJW 2005, 692

[5] Zitat aus der mündlichen Urteilsbegründung der Vorsitzenden Richterin lt. FAZ vom 21.12.04: Ein Riegel vor jegliche Versuchung

[6] vgl. Michael Pawlik  in JZ 2004, 1045: § 14 Abs. 3 des Luftsicherheitsgesetzes – ein Tabubruch? Auch Klaus Lüdersen in FAZ vom 18.01.05: Krieg gegen den Terror – Die Logik des Luftsicherheitsgesetzes