Zu Martin Weise:
Makowka auf dem Holzweg
Welchen Autor betrübt es nicht, wenn seine Überlegungen prompt im Brunnenschacht schnellen Vergessens landen; und wer freut sich nicht über jede Resonanz, wobei eine kritische die Sachdebatte oft mehr fördert als pure Zustimmung. Deshalb sollte auch der Kollege Martin Weise eine wiederum kritische Duplik als Dank für und Respekt vor seinen Einwürfen verstehen, zu denen er als Vormundschaftsrichter besonders berufen ist.
1. Was mich als „Verteidiger“ des BGH-Beschlusses vom 17.03.04 anlangt, haben beide – Makowka und Weise – Recht: Ich verteidige den Beschluss des XII. Zivilsenats ja in der Tat: gegen ungerechtfertigte, ja absurde Vorwürfe, denen zufolge der BGH drauf und dran sei, in Deutschland der Euthanasie Tür und Tor zu öffnen[1]. Da dies einer langen Begründung kaum bedarf, kapriziere ich mich mehr darauf, die Mängel des Beschlusses hervorzuheben, bin insofern in der Tat kein „Verteidiger“[2].
2. Wenn Herr Makowka meinen Überlegungen „Ausgewogenheit“ attestiert hat, so lässt sich das in der Tat kritisieren – allerdings nur dann, wenn man darunter Kompromissfixiertheit und „Äquidistanz“ zu allen Positionen versteht, die hier vertreten werden. Indessen möchte ich die freundliche Charakterisierung Makowkas dennoch für mich in Anspruch nehmen, weil ich unterschiedliche Gesichtspunkte, Argumente und Interpretationen nicht verschweige, sie vielmehr einigermaßen fair darzustellen suche, auch wenn ich ihnen nicht folge[3].
3. Ich gestehe, mit den von Martin Weise angesprochenen Schauergeschichten der Medien nicht vertraut zu sein; in der FAZ ist mir dergleichen nicht aufgefallen; BILD lese ich nicht, oder allenfalls dann, wenn davon in der S-Bahn ein derelinquiertes Exemplar herumliegt. Wenn er jedoch die von ihm wieder zitierte Äußerung der Senatsvorsitzenden Hahne damit charakterisiert, muss ich wieder in die Rolle ihres Verteidigers schlüpfen. Denn was sie dort berichtet (mag dergleichen gelegentlich nun auch im BILD oder sonst wo stehen), sind Erfahrungen und Einsichten von Fachkennern. Ich hatte nur weniges davon in MHR 3/2003[4] angeführt. Das ließe sich aus höchst seriösem Schrifttum fast beliebig fortsetzen[5].
4. „Ist es ein natürlicher Tod, nicht mehr ernährt zu werden?“ – diese von Weise gestellte Frage ist viel zu ernsthaft, als dass man sie als lediglich „provokant“ herunterstufen sollte. Oder will er damit sagen, dass ein mit Vernunft begabter denkender Mensch sie gar nicht anders als mit „um Gottes willen: nein!“ beantworten könne? Für wie gewichtig ich selbst die Frage halte, hatte ich in MHR 3/2003 geschrieben[6], freilich auch, was meine Antwort - und vor allem: die vieler Fachleute - ist. Es ist, um Geschriebenes noch einmal kurz zu fassen, schon ein gewaltiger Unterschied, ob man z.B. einen J.Ph. Reemtsma, wie er befürchten musste[7], im Keller verhungern lässt, oder einen Menschen, dessen natürliche Nahrungsbedürfnisse längst erloschen sind, von der künstlichen Nahrungszufuhr, die ihn nolens volens im physischen Leibesleben hält, seinem erklärten Willen gemäß abkoppelt.
5. Auch dies (Ziffer 4.) kam zur Sprache, als am 28. April d.J. im Hörsaal der Frauenklinik des UKE auf einem - wieder vollbesetzten![8] – Podium Fachleute und Praktiker des UKE einschließlich eines Gastes aus den Niederlanden das Thema „Humanes Sterben – Verpflichtung und Grenzen des Arztes“ diskutierten - unter Leitung des Ombudsmanns Roland Makowka. Auch dabei blieb – wie könnte es anders sein? – vieles kontrovers, auch und gerade, nachdem das (durchweg fachkundige) Publikum in das Gespräch einbezogen worden war. Anschließend sprach ich mit einer Ärztin, der nicht nur das Hamburger Arzt- und Krankenhausmilieu seit Jahrzehnten bestens vertraut ist. Rein literarisch gesehen, meinte sie, sei jetzt ja nicht viel Neues herausgekommen. Aber gruppendynamisch und betriebs-psychologisch sei die Veranstaltung doch bemerkenswert gewesen. Denn mit diesem Freimut – Fragen offen zu stellen und auch zu bekennen, keine überzeugenden Antworten zu haben – hätte vor zehn Jahren hier unmöglich schon geredet werden können. Das ganze Thema sei so gut wie tabu gewesen.
Damit lässt sich vielleicht nun zum Schluss die Friedenspfeife stopfen:
Wir alle schreiten hier auf letztlich unsicheren Pfaden, die man getrost Holzwege nennen mag. Fast jedem Argument lässt sich ein konträres entgegensetzen, weil jedes auf ziemlich komplexen Voraussetzungen aufbaut. Dass z.B. die Tendenz, das Vormundschaftsgericht aus den prekären Entscheidungen möglichst herauszuhalten, wirklich so „absurd“ ist, wie Martin Weise (am Schluss) gegen Makowka meint, lässt sich auch bezweifeln. Am 21. April 1999 jedenfalls hatte Frau Ri’inAG Lübbe-Gotschol (als Vormundschaftsrichterin) auf dem Podium des Richtervereins gegen die Inanspruchnahme des Vormundschaftsgerichts votiert[9].
So wäre der gemeinsame Nenner jedenfalls kein kleiner, wenn man sich darüber einig ist, die mündliche Verhandlung des vertrackten Themas keineswegs jetzt schon zu schließen.
Günter Bertram
Anmerkung der Redaktion: Am 10.06.04 erschien der Bericht der Arbeitsgruppe "Patientenautonomie am Lebensende“, http://www.bmj.bund.de/media/archive/695.pdf
[1] vgl. MHR 3/2003: Letzte Instanz-Wohltat oder Plage? S. 10 ff mit Fn. 1 , 34 und 35
[2] MHR (Anm. 1) aaO. zu C., S. 12 ff.
[3] vgl. z.B. MHR aaO (Anm.1) S. 17 f und Anm. 35
[4] aaO. S. 15 zu D mit Anm.26
[5]
vgl. nur Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Auflage 2002,
§ 132: Die ärztliche Sterbehilfe
(S. 1158 ff , dort insb. Ziff. I. Allgemeine Problematik der
Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung), auch § 149 (S 1375 ff) –
all’ das mit vielen Nachweisen aus der juristischen und medizinischen
Fachliteratur. Aus der allgemeinen Literatur, der man ein BILD-Niveau
schwerlich nachsagen kann, seien nur Walter Jens/Hans Küng:
Menschenwürdig sterben, 1995, erwähnt.
[6] aaO. S.17 f, insb. 18 re. Sp.
[7] vgl. Jan Philipp Reemtsma: Im Keller, rororo 2221, 2002
[8] vgl. schon MHR 2/1999, S. 19 - 22
[9] vgl. MHR aaO. (Anm. 8): 21 re.Sp.