(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/03, 10) < home RiV >

Letzte Instanz -
Wohltat oder Plage ?
+)

 

A.

Einleitung:

 

Wer am 13. Mai d. J. in seiner FAZ bis zum Feuilleton durchgedrungen war, konnte sich nur verwundert oder entsetzt die Augen reiben: „Prinzip Entlastung - Unverantwortlich: Der BGH organisiert Hilfe zum Sterben“, stand dort zu lesen. Das Gericht sei drauf und dran, auch in Deutschland der Euthanasie Tor und Tür zu öffnen. Es habe die „Tötung durch Unterlassen“ ... „am Gesetzgeber vorbei legalisiert“, es also fertig gebracht, in einem Land, das keine Todesstrafe dulde, die Tötung eines Menschen gerichtlich „vorab“ genehmigungsfähig zu machen. Opfer dessen seien Menschen, die noch lange leben könnten, aber „keine Stimme“ mehr hätten, ihr Lebensrecht selbst geltend zu machen. „Tod vor der Zeit“ also, von hoher Hand! „Ein folgenreiches Stück richterlicher Rechtsfortbildung, das tief in das Lebensrecht einschneiden kann ....“1). Das war
Alarm! Aber damals kannte man das corpus delicti selbst zunächst allenfalls aus kursorischen Mitteilungen der Medien, die NJW druckte es – den Beschluss des XII. Zivilsenats des BGH vom 17. März 2003 – dann im letzten Maiheft d.J. von der ersten bis zur letzten Zeile, andere Fachzeitschriften folgten wenig später
2).

Auf die Substanz der Sache ist unten zurückzukommen. Die Senatsvorsitzende Dr. Meo-Micaela Hahne sah sich genötigt, die Entscheidung ihres Senats gegen Kritik aus durchaus unterschiedlichen Richtungen zu verteidigen: z.B. im nationalen Ethikrat in Berlin3) und einem FAZ-Gespräch mit Rudolf Gerhardt (dem Mitherausgeber der ZRP)4). Der eingangs erwähnte Oliver Tolmein5) blieb auch später bei seinen Vorwürfen, wenngleich er dabei die krassen Wendungen vom Mai vermied6).

Für uns ist das Thema nicht neu:

Kultur und Justiz hatte vor vier Jahren - am 21. April 1999 - in die Grundbuchhalle eingeladen über: „Humanes Sterben im Zeitalter der Apparatemedizin“:

„Das Podium war fachkundig (vielleicht zu zahlreich) besetzt: Roland Makowka, als Ombudsmann am UKE mit dem Thema wohlvertraut, moderierte. Links und rechts: drei Mediziner (Dr. Montgomery, Präs. der Hmb. Ärztekammer, Dr. Füllekrug, Intensivmediziner am UKE, und Dr. Kausch, Internist); ein Theologe (Dr. Gundlach, St. Johannis) und weitere zwei Juristen (Frau Lübbe-Gotscholl als Vormundschaftsrichterin und Prof. Heinz Giehring, Universität Hamburg)“7). In der jetzt neu aufgebrochenen Debatte geht es teils um das gleiche wie damals, teils aber um die Weisheit einer Entscheidung, die damals zwar zu erwarten, aber noch nicht getroffen war.

Ich habe Roland Makowka gefragt, ob wir jetzt in den MHR das Thema nicht gemeinsam wieder aufgreifen sollten: gerade deshalb, weil unsere Standpunkte teils unterschiedlich sein könnten, er auch einen ungleich reicheren praktischen Erfahrungsschatz besitzt und z.B. weiß, was und wie zu kritischen Fällen in seiner Ethikkommission verhandelt wird und mit welcher Entscheidungskompetenz sie ausgestattet ist. Aber der Redaktionsschluss rückt näher, Roland Makowka muss zunächst dringliche Ombudspflichten erfüllen, gute Einfälle sammeln für seinen Eigenbeitrag auf dem Deutschen Richtertag am 15.09.2003 in Dresden und wird deshalb erst im den nächsten MHR das Wort nehmen. Das freilich ist schon versprochen!

B.

Die Diskussionslage zur Zeit unserer Podiumsdiskussion im Frühjahr 1999:

 Der 1. Strafsenat des BGH hatte ein paar Jahre zuvor den „Kempten-Fall“ entschieden8), den der XII. Zivilsenat jetzt für seine Begründung in Anspruch nimmt, so dass vorweg an ihn zu erinnern ist. Der damals zugrunde liegende Fall:

Seit einem Herz-Kreislauf- und Atemstillstand von 12 – 15 Minuten9) und nachfolgender Reanimation befand sich eine 7o-jährige Frau mit einem sog. apallischen Syndrom im Pflegeheim. Sie war nicht mehr ansprechbar und reagierte auf äußere Reize nur mit Gesichtszucken und Knurren; dabei waren Kreislauf und Atmung intakt. Die Symptomatik beruhte auf schwerer, irreversibler Hirnschädigung – Folge des Herzstillstands. Wegen Schluckunfähigkeit war die Frau auf künstliche Ernährung umgestellt worden, zunächst über eine Nasen-, später eine Magensonde. Weitere Gebrechen traten hinzu. Nach einer Pflege von etwa 2 ½ Jahren kamen ihr Arzt, der sie einmal wöchentlich besuchte, und ihr Sohn, der zugleich als Pfleger (heute: Betreuer) bestellt war, überein, eine bestimmte Sondenernährung einstellen zu lassen, wodurch binnen zwei bis drei Wochen der Tod der Frau eintreten sollte, ohne dass sie würde leiden müssen, wie der Arzt dem Sohn versicherte. Der Sohn war - nach Beratung mit Freunden und Verwandten - zur Überzeugung gelangt, damit dem Willen seiner Mutter zu entsprechen, der für ihn u.a. deshalb feststand, weil sie angesichts der Vorführung offenbar hoffungsloser Pflegefälle im Fernsehen vor Jahren gesagt habe, keinesfalls selbst so enden zu wollen. Allerdings weigerte sich das Pflegepersonal, die Verfügung zu befolgen, das später angerufene Vormundschaftsgericht (VG) versagte die Genehmigung, Sohn und Arzt wurden wegen versuchten Totschlags angeklagt, vom LG Kempten schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe verurteilt. Dieses Urteil ist es, das der BGH am 13.09.94 unter Zurückverweisung der Sache aufhebt und zur Begründung anführt: Auch hier – wo der Sterbevorgang noch nicht eingesetzt habe10) – wären die Taten von Sohn und Arzt mit Rücksicht auf Selbstbestimmung und Entscheidungsfreiheit der Patientin und ihres Rechts auf körperliche Unversehrheit rechtens gewesen, wenn sie es so gewollt hätte. Da eine klare Willensbekundung fehle, entscheide der mutmaßliche Wille. Aber für ihn müssten Umstände vorliegen, die das Urteil nicht ergebe. Auf die Entscheidung des Pflegers (Betreuers) komme es deshalb nicht an, weil er der Zustimmung des VG bedurft habe.11). Insoweit folgt der BGH im Ergebnis dem verurteilenden Erkenntnis des LG Kempten. Dieses hatte allerdings auch einen Verbotsirrtum der Angeklagten für vermeidbar gehalten: „Dabei geht es von der vom Senat abgelehnten Rechtsansicht aus, dass zulässiges Sterbenlassen ... in einem Fall wie dem vorliegenden von vornherein ausscheide und es insofern auf eine mutmaßliche Einwilligung des entscheidungsunfähigen Patienten überhaupt nicht ankomme“. Dem widerspricht der Senat dann noch einmal und hebt das Selbstbestimmungsrecht der Frau hervor. Nach Rückverweisung sprach das LG Kempten die Angeklagten frei: nach erneuter Beweisaufnahme und Anhörung eines Sachverständigen und von 21 (!) Zeugen12).

C.

Der Beschluss des XII. Zivilsenats
vom 13. März 2003

1. Vorgeschichte:

Der Streit darüber, ob das Vormundschaftsgericht den Abbruch lebensverlängernder Maßnahmen ebenso zu genehmigen habe wie riskante Heilbehandlungen nach § 1904 BGB, war durch die o.g. Entscheidung des 1. Strafsenats keineswegs abschließend entschieden worden; allerdings beriefen sich auf das Urteil zahlreiche zustimmende Gerichte, aber andere widersprachen13). Schließlich machte das OLG Schleswig dem durch Vorlage beim zuständigen Senat des BGH ein Ende14).

Im Vorlegungsfall hatte ein Mann im November 2000 infolge eines Myokardinfarkts einen hypoxischen Gehirnschaden im Sinne eines apallischen Sydroms erlitten14a und wurde über eine Magensonde ernährt, ohne dass eine Kontaktaufnahme mit ihm möglich gewesen wäre. Er hatte zuvor - Ende 1998 - bei klarem Bewusstsein schriftlich verfügt, im Falle irreversibler Bewusstlosigkeit, schwerster Dauerschäden des Gehirns ... oder im Endstadium einer zum Tode führenden Krankheit keine Intensivbehandlung, künstliche Ernährung oder Beatmung, keine Bluttransfusion oder Organtransplantation und keinen Anschluss an die Herz-Lungen-Maschine dulden zu wollen. Der Sohn als Betreuer beantragte, nachdem der Vater sechzehn Monate in Bewusstlosigkeit gelegen hatte, beim VG „die Einstellung der Ernährung durch die PEG-Sonde“ (PEG: percutane endoskopisch kontrollierte Gastros-tomie), da eine Besserung ausgeschlossen sei und der Antrag dem väterlichen Wunsch entspreche. Das VG lehnte eine Entscheidung zur Sache mangels Zuständigkeit ab und wurde vom Landgericht bestätigt. Das OLG Schleswig konnte die Beschwerde dagegen angesichts anderer abweichender OLG-Entscheidungen nicht zurückzuweisen und legte die Sache in Karlsruhe vor.

2. Der Senatsbeschluss vom 13. März 2003:

Es gibt inzwischen kaum eine einzige fachliche oder journalistische Erwähnung dieser Entscheidung, die nicht verzweifelt anmerkt, hier habe sich der BGH in fast unverständlichen, kaum noch begreifbaren Wendungen ergangen15). Dieser formellen Kritik wird zustimmen, wer immer sich durch die über 13 Spalten laufenden Entscheidungsgründe durchgefressen hat16).

Vielleicht eröffnet die Frage, was eigentlich zu entscheiden war und entschieden worden ist und welche weiteren Praxishinweise mit der vom BGH gewählten Alternative verknüpft werden mussten oder konnten, hier den besten Zugang zum Problem:

Es ging – nach der Vorlage - darum, ob das VG sein (positives oder negatives) Votum abgeben müsse oder eine Sachentscheidung mangels Zuständigkeit zu verweigern habe. Hierzu waren die Positionen pro und contra damals längst „ausgeschrieben“. Die Entscheidung des Senats für die – wohl mehrheitlich vertretene - Zustimmungspflichtigkeit17) führte notwendig zur Frage, nach welcher Maßgabe – welchen Gesichtspunkten oder Kriterien – das VG dann zu entscheiden habe. Die Antwort konnte angesichts einer in der Sache – materiell - eindeutigen Rechtslage eigentlich nicht zweifelhaft sein: nach Maßgabe des Patientenwillens! Für den einwilligungsfähigen, seinen Willen aktuell bekundenden Menschen gilt das zunächst allemal und völlig unbestritten: „voluntas aegroti suprema lex“ (der Wille allein, nicht das Wohl entscheidet!), es gilt
aber nicht weniger für den aktuell nicht mehr Äußerungsfähigen. Freilich kann die Feststellung seines Willens mehr oder minder schwierig sein
18). Also kann die Aufgabe des VG allein darin liegen, das Begehren des Betreuers, die (weitere) Behandlung abzubrechen, daran zu messen, ob es dem Willen des Patienten entspricht19). Ob vom XII. Senat dann noch ein paar obiter dicta (beiläufige Sentenzen) zu den oft allerdings immensen Problem zu sagen gewesen wären, die sich mit einer solchen Mutmaßlichkeit verknüpfen, wäre dann eine Ermessensfrage. Im Vorlagefall selbst bestand dafür allerdings kein besonderer Anlass. Hier war ein schriftlicher Patientenwille ausgesprochen eindeutigen Inhalts vorhanden, so dass sich alles Nötige in bündiger Kürze und Klarheit hätte schreiben lassen.

Demgegenüber ist der Beschluss, wie bemerkt, lang und unklar ausgefallen:

Schon im ersten Leitsatz wird die Maßgeblichkeit des Patientenwillens, soweit er in einer Verfügung dokumentiert ist, unzulässig eingeschränkt: Wenn der Patient es bestimmt habe, hätten zwar lebenserhaltende oder – verlängernde Maßnahmen zu unterbleiben; allerdings dann und nur dann, wenn „sein Grundleiden einen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen“ habe.

Diese „Kriterien“, „objektiven Eingrenzungen zulässiger Sterbehilfe“ oder „rechtlichen Vorgaben“ (scil.: für das VG) - die vom Senat abgehandelt werden, um dem Einwand zu begegnen, eine Zuständigkeit des VG komme schon deshalb nicht in Betracht, weil es für dessen Entscheidung an Gesichtspunkten fehle20) – gibt es nicht und kann es aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht geben: Wenn ein Mensch unter bestimmten, ihm selbst unerträglich, unwürdig oder belastend erscheinenden Bedingungen nicht am Leben erhalten zu werden21) wünscht, dann verleihen seine Autonomie und Selbstbestimmung (also Grundrechte und Verfassung) dem Wunsch rechtliche Geltung, die kein VG, kein Arzt oder Pfleger, keine Ethikkommission und auch kein BGH-Senat einer Einschränkung unterwerfen kann22).

Der Beschluss verwirrt, weil der Senat die von ihm mehrfach ins Feld geführte Urteilsbegründung des 1. Strafsenats vom 13.09.1994 (s.o.! NJW 95, 204) durchaus missversteht und mit penetranter Wiederholung fälschlich auf sie pocht:

Der Strafsenat hatte mit der später von den Zivilkollegen mehrfach zitierten Wendung („Grundleiden ... irreversibel ... usw.“) gerade nicht die Voraussetzungen definiert, unter denen ein rechtmäßiges Sterbenlassen allein in Betracht kam - lag der damals zu entscheidende Fall doch gerade noch im Vorfeld der Sterbehilfe im engeren oder weiteren Sinne, und der Senat hob das Landgericht gerade deshalb auf, weil es die trotzdem bestehende Möglichkeit des rechtmäßigen Handelns verkannt und demzufolge den Verbotsirrtum nicht angemessen geprüft habe. Nun aber zitiert – und missversteht! – der Zivilsenat die Sätze der Strafrechtskollegen als Grenzbestimmung rechtmäßigen Handelns und raubt seinem langen Beschluss damit allen fachlichen Kredit23).

D.

Moderne Zeiten, neue Fragen

 1. Aber es geht weniger um die rein fachliche Seite der Sache, sondern mehr noch um die soziale Dimension dramatischer Probleme, die durch den genannten Beschluss weder gelöst noch geklärt, sondern verwischt werden:

Die bewundernswerten und oft segensreichen Hochleistungen moderner Medizin haben bekanntlich zugleich ihre Kehrseite. Ihre großartige Technik ist – unvermeidlicherweise! – blind, ihr Programm ist Lebenserhaltung im biologischen Sinne – und dem sind weder Grenzen noch Schranken immanent. Dann wird Wohltat zur Plage! Kann, will oder darf man diese Grenzen setzen, indem man unterlässt, was man kann und in immer weiterem Umfange wird tun können? Das wurde früher – auch noch auf dem 56. DJT in Berlin – nahezu ausschließlich unter dem Gesichtspunkt eigentlicher Sterbehilfe erörtert – und bejaht24). Inzwischen hat sich das Problemfeld verschoben – oder richtiger: erweitert, und zwar auf Grund technischer Fortschritte:

„Noch vor einigen Jahren waren derartige Fälle (scil: wie in BGH NJW 1995, 204) kein Problem: es gab sie nicht“, schrieb Rolf Coeppicus, ein Vormundschaftsrichter mit jahrzehntelanger praktischer Erfahrung 1998 in der NJW: „Ihre dramatische Zunahme ist eine Folge der Fortschritte der Intensivmedizin und ihres institutionellen Ausbaus. Die intensivmedizinischen Möglichkeiten wurden entwickelt, um krisenbedingte Krankheitszustände zu überwinden. Heute dienen sie dazu, das Leben auch Bewusstloser künstlich auf Dauer zu erhalten, indem u.a. Apparate von außen die ausgefallenen vitalen Funktionen übernehmen. Zusätzlich hat die Pflegetechnik große Fortschritte gemacht (Ernährung über PEG-Sonden, Katheterisierung, Wechseldruckmatratzen). In vielen Fällen leben deshalb irreversibel Bewusstlose noch lange in einem vegetativen Zustand, unfähig zur Kommunikation und Wahrnehmung der Umwelt...“ 25).

Uhlenbruck im Jahre 2003: „In den letzten Jahren ist es in Kliniken und Pflegeheimen in zunehmendem Maße üblich geworden, dem Patienten, vor allem älteren Menschen, eine sog. PEG-Sonde oder eine Magenfistel anzulegen, wenn er die Nahrungsaufnahme verweigert oder die Fähigkeit zu schlucken und damit zur oralen Nahrungsaufnahme verliert. Es handelt sich in Deutschland um etwa 140.000 Fälle (scil.: der Neuverlegungen) jährlich. Teilweise wird die PEG-Sonde gelegt, um die Arbeit der Pflegekräfte zu erleichtern und die Organisation der Heime zu entlasten. Man hat für diesen Zustand im angelsächsischen Bereich den Begriff „Persistant Vegetative State (PVS)“ geprägt. Es handelt sich um Patienten, die ihr Bewusstsein irreversibel verloren haben. Die PEG-Sonden werden vor allem Wachkoma-Patienten gelegt, was diesen ein jahrlanges Weiterleben ohne jeglichen Umweltbezug ermöglicht26).

Auch die Senatsvorsitzende Hahne bestätigt im FAZ-Gespräch vom 18.07.03 diesen Befund: „Derzeit gibt es in Deutschland etwa 100.000 Wachkomapatienten, deren körperliche Lebensfunktionen durch Sonden künstlich aufrechterhalten werden. Wie viele davon zuvor einen Patientenwillen – schriftlich oder mündlich – geäußert haben, aber gegen diesen Willen keinen natürlichen Tod sterben dürfen, ist mir nicht bekannt. ... Ich erhalte täglich Briefe verzweifelter Angehöriger, denen es verwehrt wird, den Wunsch des Patienten nach einem menschenwürdigen Ende durchzusetzen“. Das deckt sich mit der Erfahrung vieler Menschen, die diese Sicht nicht etwa (nur) durch entsprechende Schauergeschichten der Medien gewonnen, sondern in ihrem engeren oder weiteren Lebenskreis selbst Erfahrungen gesammelt haben. Deshalb ist die Sorge vor endlicher Übertherapierung in der Bevölkerung weit stärker verbreitet als die Furcht vor Untertherapie; das erklärt zugleich das allgemein zunehmende Interesse am Patiententestament 27), das – naturgemäß - mit zunehmendem Alter der Menschen28) zunimmt, allerdings nicht lediglich in eine einzige – die hier bislang beleuchtete - Richtung geht:

 

Über die Kosten des Gesundheitswesens wird sattsam geredet und geschrieben. Im Grunde ist hier – bei nüchterner Betrachtung – nur weniges in tatsächlicher Hinsicht streitig, z.B.: „Die Hälfte der Gesundheitskosten, die ein Mensch in seinem Leben verursacht, entstehen in seinen letzten sechs bis zwölf Monaten“29). Das Interesse der Gesellschaft – aber wer genau wäre hier die Gesellschaft?, von diesen Kosten nicht eines Tages stranguliert zu werden, mag man unsympathisch finden, wird es aber doch begreifen müssen30). So mischt sich die Furcht, am Lebensende in Apparaturen und an Schläuchen sinnlos dahingeschleppt zu werden, mit der ganz anderen, die Gesellschaft könne darauf erpicht sein, sich von einer ökonomischen und emotionalen Altenlast zu befreien – was die Furcht vor einer Zulassung der Euthanasie wie in einigen Nachbarländern weckt31). So wird auch die Patientenverfügung immer wieder in den Schatten des Verdachts gezogen, sie werde weniger der menschlichen Autonomie wegen als aus ökonomischem Kalkül propagiert und laufe auf nichts anderes als auf Tötung durch Unterlassung des Gebotenen hinaus32). Hier aber wird jede Argumentation fast nutzlos! Aber Gespräche, auch über Gräben hinweg, bleiben viel zu nötig, um abgebrochen werden zu dürfen:

 

2. Schwere Daseinsfragen können nicht allein durch Denken und Verstand bewältigt, gar „gelöst“ werden; das gliche dem Versuch (mit Rudolf von Ihering gesprochen), ein im Graben liegendes Fuhrwerk mittels eines Traktats über theoretische Physik herauszuziehen. Dennoch hilft die nüchterne Klärung von Prämissen, Tatbeständen und Fragestellungen dazu, Emotionen und Bewertungsenergien in die ihnen angemessenen Bahnen zu lenken:

 

Autonomie und Selbstbestimmung – als Verfassungsrecht – gründen im Status Negatives, geben die Befugnis zur Abwehr von Fremdbestimmung, Bevormundung und unerbetenem Paternalismus. Leistungsansprüche, deren wir viele stellen, fließen aus anderen Quellen, aber nicht aus dem Selbstbestimmungsrecht. Das gilt auch und gerade hier – für die (potentiell) terminalen Phasen in Pflegeheim und Klinik. Es ist die Selbstbestimmung, die einen unbedingten Respekt vor dem Wunsch des Patienten gebietet, in Frieden gelassen zu werden, verschont von allen unerbetenen Eingriffen, Medikamenten, Schläuchen, Kanülen oder Sonden und dergleichen, um seinen Tod zu sterben. Dieser Patient hat natürlich zugleich Leistungsansprüche, die gerade jetzt einen hohen Rang erhalten, nämlich auf eine gute Basisbetreuung (Grundpflege). So steht es auch in den ärztlichen Grundsätzen, die sich z.B. in den MHR 1999 Heft 2 S. 20 nachlesen lassen33).

 

Sie ergeben sich indessen nicht aus der menschlichen Autonomie, sondern aus allgemeinen – völlig unbestrittenen – ärztlichen und pflegerischen Maximen, rein rechtlich aus dem Behandlungsvertrag.

 

Dieser – scheinbar rein theoretische - Unterschied bewirkt den praktischen: Soweit der Verfasser der Verfügung dort verlangt, von aller (oder bestimmter) Medizintechnik verschont zu bleiben, bindet dieser Wille alle Beteiligten und gilt. Soweit er sich über Ausmaß und Einzelheiten der Grundpflege äußert, erinnert er lediglich an geschuldete, eigentlich selbstverständliche Leistungen, oder bittet um sie (verlangt er mehr, liegt darin ein regelmäßig begreiflicher Appell). Deswegen sind Reden irrig und verfehlt, die mit polemischer Verwunderung die nur begrenzten Auswahlmöglichkeiten der Patientenverfügungen rügen, die stets die sparsame Alternative: Abschalten, Aufhören, Abbruch und Sterbenslassen propagierten, aber die pflegerisch positiven übergingen, die es inzwischen zum Ertragen auch einer extrem reduzierten Existenz gäbe34). Indessen ist jede Patientenverfügung – um es zu wiederholen! – ihrer ratio nach und im verfassungsrechtlichen Kernbereich notwendigerweise „einseitig“. Die Autonomie werde, so die Kritik, auf einen viel zu hohen Sockel gehoben. Um nur die vielleicht prekärste praktische Frage von auch theoretischer Auswirkung herauszugreifen, sei das Bedenken gegen die Gültigkeit des Verlangens erwähnt, unter bestimmten Voraussetzungen von künstlicher (Sonden-) Ernährung verschont zu werden. Das, so meint Klaus Dörner35), lasse sich zwar bei guter Gesundheit und gehobener Stimmung leicht hinschreiben, könne aber letztlich kaum ernst gemeint sein. Denn schriebe der spätere Patient nieder, worum es dann gegebenenfalls wirklich gehen würde, hätte er etwa so formulieren müssen: „Im Falle der vollständigen Pflegeabhängigkeit auch hinsichtlich meiner kommunikativen Fähigkeiten und auch der Nahrungsaufnahme, möchte ich, dass man mich durch Nahrungsentzug, möglicherweise qualvoll, sterben lässt: dass man mich tötet“. Wer aber wolle das, wer stelle sich den wirklichen Sachverhalt vor Augen, wessen Hand würde so schreiben? Also könne man der üblichen (s.o.!) Erklärung (wie anderen dann auch) schwerlich ein nennenswertes Gewicht beimessen, sie seien nicht eine Manifestation von Autonomie, sondern Irrtum. Neben anderem, was jetzt auf sich beruhen muss, geht es hier auch um eine tatsächliche Frage von Gewicht: Stimmt die These vom qualvollen Hunger- und Durst-Tod ? Sie wurde übrigens seinerzeit in der Hamburger Grundbuchhalle auch schon aufgeworfen36).

 

Rechtlich dürfte heute kaum noch bestritten werden, dass zwar eine natürliche Ernährung zur Grundpflege gehört, die künstliche Nahrungszufuhr – intravenös oder durch Sonden – indessen durchaus nicht37); so wird auch die allgemein gehaltene Präambel der ärztlichen Grundsätze verstanden. Das spricht dafür, dass die juristisch-ärztlichen Fachleute eine solche Unterlassung nicht für quälend und grausam halten. Und eben diese Auffassung scheint von vielen bestätigt zu werden, die im Umgang mit Terminalpatienten Erfahrung besitzen:

 

Die Behauptung, der Verzicht auf künstliche Ernährung habe ein „qualvolles Verhungern“ zur Folge, sei bislang wissenschaftlich nicht belegt; ganz im Gegenteil gehe die Beobachtung dahin, dass Patienten im Terminalstadium von sich aus und spontan – als Teil des natürlichen Sterbeprozesses – die Nahrungsaufnahme verweigerten. Das bestätigen auch Beobachtungen, die eine alte Hamburger Ärztin mitteilt38).

„Früher verweigerten bewusstseinsklare Sterbende zunächst die Nahrungs-, später die Flüssigkeitsaufnahme. Es war das unbestreitbare Zeichen des beginnenden Sterbens. Inzwischen haben sich die lebenserhaltenden Maßnahmen verselbständigt ...“. Genug davon: Vertiefte Prüfung und weiter gesammelte Erfahrungen dürften diese Beurteilung erhärten. Damit bleibt zugleich konzediert, dass wir an dieser Stelle in der Patientenverfügung Entscheidungen fällen, deren sachliche Folgen wir zwar mit hoher - sehr hoher -, aber eben auch nicht mit letzter Sicherheit abschätzen können: wissen können wir es mangels eigener Erfahrung nicht. Aber wem, wenn nicht uns selbst, stehen Recht und Last der Entscheidung zu? Just hier liegt der Unterschied zwischen Selbstbestimmung und paternalistischer Fürsorge!

 

3. So wogen widersprüchliche Ängste, Hoffnungen, Sorgen und Verdächtigungen in der Seele des Volkes auf und ab; an guten und weniger guten Ratschlägen herrscht kein Mangel. Und nun platzt der Karlsruher Beschluss vom März dort mitten hinein: die Fachwelt irritierend und die – interessierte -Bevölkerung verwirrend und verunsichernd.

Hundert offene Fragen! Wie könnte – um ganz in der Nähe zu bleiben - sich der neue Spruch auf die Entscheidungsprozesse im UKE auswirken, spielt er für die Voten dortiger Ethikkommissionen überhaupt eine Rolle? Denn die einschlägige Problematik entsteht wohl ungleich öfter in Pflegeheimen als auf den Intensivstationen der Krankenhäuser; aber trotzdem .... Sofern man Patientenverfügungen empfiehlt (Makowka selbst hatte unter dem 12.03.1998 ein Muster verfasst): müssen sie jetzt inhaltlich verändert (präzisiert, „abgesichert“) werden? Darüber wird uns, wie versprochen, Roland Makowka gelegentlich berichten – nicht nur das, sondern überhaupt sich zum Thema äußern, wozu ihn seine geradezu ideale Ämterhäufung von Ehrenvorsitz hier und Ombudsmann dort prädestiniert und befähigt.

Günter Bertram

 

 

 

Anmerkung der Redaktion:

Laut Pressemitteilung der BMJ vom 08.09.03 wurde aufgrund des BGH-Urteils nun eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von VRiBGH a.D. Kutzer eingesetzt, um bis Sommer 2004 Fragen der Verbindlichkeit und der Reichweite von Patientenverfügungen zu behandeln.


 


 

+) “Letzte Instanz“ lautete die Überschrift, die Werner Hill seinen Reflexionen über den Beschluss des XII. Zivilsenats in „Glaubenssachen“, NDR Kultur am Sonntag, d. 13. Juli 2003, vorangestellt hatte.

 

1) Oliver Tolmein in FAZ vom 13.05.2003, S. 35

 

2) NJW 2003, 1588 – 1596; JZ Heft 14/2003; FamRZ Heft 11 /2003

3) vgl. FAZ vom 13.06.03: Grauwerte – Sterbehilfe vor dem Ethikrat

 

4) FAZ vom 18.07.2003: Der Patientenwille hat Vorrang – Ein Gespräch mit der VRiBGH Meo-Micaela Hahne

 

5) Nach seiner Präsentation im Internet hat er im Hamburger FB 17 Rechtswissenschaften studiert, hier im Februar 2003 eine Dissertation über „Selbstbestimmungsrecht bei Einwilligungsunfähigen? Der Abbruch der künstlichen Ernährung bei Patienten im „Vegetable State“ in rechtsvergleichender Sicht“ vorgelegt und ist jetzt Rechtsreferendar beim OLG Celle.

 

6) FAZ vom 28.07.03: Sparsame Würde – Was Patienten selbst bestimmen dürfen und was nicht.

 

7) vgl. MHR Heft 2/1999 S. 19 – 23

 

8) Urteil vom 13. 9. 1994: NJW 1995, 2o4 – 2o7

 

9) Dieses Detail nach Bernsmann: Der Umgang mit irreversibel bewusstlosen Personen im Strafrecht in ZRP 1996, 87 (88), der für seine Urteilskritik offenbar eigene Recherchen zum den Sachverhalt angestellt hatte.

 

10) tatsächlich: die Frau war erst ein ¾ Jahr nach der erfolglosen Verfügung am Lungenödem gestorben;

rechtlich: „Sterbehilfe setzt voraus, dass das Grundleiden eines Kranken nach ärztlicher Überzeugung unumkehrbar (irreversibel) ist, einen tödlichen Verlauf

angenommen hat und der Tod in kurzer Zeit eintreten wird“ (angelehnt an „RL für die Sterbehilfe der BÄK“), BGH aaO. S. 204 lk. Sp.

 

11) Die These, dass § 1904 BGB derart a minori ad maius auslegbar sei, war damals streitig geblieben und wurde im April 1999 auch in der GB.-Halle lebhaft erörtert.

 

 

12) Az.: 2 Ks 13 Js 13155/93, vgl. Coeppicus: Behandlungsabbruch, mutmaßlicher Wille und Betreuungsrecht: NJW 1998, 3381, dort Anm. 2.

 

13) vgl. die bei Palandt, Einfl. vor § 1896 BGB, Rz. 10 angeführten Gerichte; skeptisch Laufs in NJW 1998, 3399: Zivilrichter über Leben und Tod? Ausführlich zur Diskussion Höfling in JuS 2000, 111 (113 mit Nachw.)

 

14) BGH-Beschluss vom 17.03.2003: NJW 2003,1588, re. Sp.

 

14a) Der Duden für medizinische Fachausdrücke ergibt::
Myokardinfarkt = Herzinfarkt

hypoxisch: auf Sauerstoffmangel beruhend

apallisches Syndrom: Hirnausfallerscheinung infolge Blutung

15) vgl. unten Anm. 22, vgl. jetzt noch Gerhardt in DRiZ 2003, 256 – sprachkritische Anmerkungen

16) fairerweise ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Vorlagetechnik gewisse Umständlichkeiten notwendigerweise mit sich bringt und einige Formalfragen aufwirft.

 

17) wobei der methodische Weg des Senats, statt § 1904 BGB direkt oder analog anzuwenden (aaO. S. 1591 zu d) ), die Prüfungszuständigkeit des VG durch richterliche Rechtsfortbildung „zu eröffnen“ (aaO. S. 1592 zu e), auf sich beruhen mag, da der Unterschied keine praktische Bedeutung hat. Beachtliche aber auch die methodische Kritik bei Hufen: Verfassungsrechtliche Grenzen des Richterrechts in ZRP 2003, 248.

18) auch dies alles ist längst ausgeschrieben, vgl. nur Jochen Taupitz in GA A. für den 63. DJT in Leipzig 2000 passim mit Nachweisen, Beschlüsse des 63. DJT zu A. Ziffern I und II. 1; Schneider in Münchener Kommentar zum StGB, 2003, vor §§ 211 Rz. 104 - 121 mit Nachweisen. Auch: Herbert Tröndle: Antworten auf Grundfragen, 1999, dort: Warum ist Sterbehilfe ein rechtliches Problem? S. 205 ff. Ausgeschrieben allerdings zunächst nur in der Theorie: Dass in der Praxis gerade hier ungeheuer schwierige, menschlich und sachverständig zuweilen schier unlösbare und belastende Probleme liegen können, steht auf einem Blatt für sich: Was heißt, selbst wenn diese Begriffe in concreto maßgeblich sind, im problematischen Einzelfall „unerträglich“, „kommunikativ erloschen“, „irreversibel“, gar „sinnlos“ oder dergleichen? Hierzu ist eine Betrachtung, die so viel Einsprüche herausfordert wie die von Dörner in ZRP 1996, 93 ff, immerhin beachtenswert, dazu unten zu D. 2.

 

19) präziser: nicht widerspricht. Denn der Eingriff, nicht seine Unterlassung muss rechtlich legitimiert werden, vgl. Taupitz aaO. S. 18 mit Fn. 45, S. 73 mit Nachw. Hufen ZRP 2003, 248 (251 Ziffer 4: Rechtfertigung des Eingriffs).

 

20) NJW 2003, 1590 Ziffer c)

 

21) es geht um aufgedrängte Lebensverlängerung,

nicht um Tötung auf Verlangen, der jedenfalls grundsätzlich § 216 StGB entgegensteht.

 

22) so Hufen in ZRP 2003, 248; ders. schon: In dubio pro dignitate in NJW 2001, 849, Uhlenbruck : Bedenkliche Aushöhlung der Patientenrechte in NJW 2003,1710; Lipp Anm. zu BGH vom 17.03.2003 in FamRZ 2003, 756; ders. schon Patientenautonomie und Sterbehilfe in Betreuungsrechtliche Praxis 2/2002 S. 47; Klaus Kutzer: Der Vormundschaftsrichter als „Schicksalsbeamter“? – Rechtsgespräch in ZRP 2003, 213; ders.: Die Auseinandersetzung mit der aktiven Sterbehilfe in ZRP 2003, 209 (212). vgl. auch die Besprechung von Spickoff in JZ 2003, 732 ff, der den Wert von Patientenverfügungen, entgegen den Beteuerungen des Zivilsenats, jedenfalls allgemein für gering hält, freilich mit wenig überzeugender Begründung. Mit Einschränkungen wohlwollend die Besprechung von Borasio u.a. in Deutsches Ärzteblatt vom 04.08.2003: Neuer Beschluss des BGH: Verbindlichkeit von Patientenverfügungen gestärkt.

 

23) dazu oben Anm. 22), vgl. auch Heribert Prantl: Die Kunst des Sterbens, SZ vom 26.07.2003; sachkundige Kritik auch bei Eugen Brysch (Deutsche Hospiz Stiftung Dortmund) in FAZ vom 02.08.2003 fremdbestimmtes Lebensende (Leserbrief zum Hahne-Interview in FAZ v. 18.7.03). Auf eine sozusagen gegensinnige, durchaus substanzlose (weniger fachliche als mediengerecht polternde) Kritik habe ich eingangs (auch Anm. 1) hingewiesen.

 

24) vgl. das Gutachten D von Harro Otto: Recht auf den eigenen Tod? Strafrecht im Spannungsverhältnis zwischen Lebenserhaltungspflicht und Selbstbestimmung, Berlin 1986.

 

25) NJW 1998, 3381

 

26) Uhlenbruck NJW 2003, 1710; ders. in NJW 2001, 2770: „... Tausende Menschen werden gegen ihren mutmaßlichen oder schriftlich in sog. Patientenverfügungen niederlegten Willen an Schläuchen oder Magensonden ... am Leben gehalten, obgleich für sie keine Aussicht mehr besteht, jemals wieder ein umweltbewusstes menschwürdiges Leben zu führen“. Füllmich in NJW 1990, 2301: „Die moderne medizinische Technologie ermöglicht es, beinahe alle Funktionen des Körpers über einen fast unbegrenzten Zeitraum hin aufrecht zu erhalten. Mit ihrer Hilfe gelingt es, Patienten lange über den Zeitpunkt hinaus, in dem sie noch fähig waren, ein kommunikatives Leben zu führen, in einem Stadium der Animation zu erhalten....“, wozu der Verfasser als historisch bekannte Beispiele Harry S. Truman, J.B. Tito und Kaiser Hirohito (General Franco, 1975, und jüngst Idi Amin ließen sich hinzusetzen) anführt und den in den 70er/80er Jahren weltweit beachteten Fall Karen Ann Quinlan (USA) rekapituliert, die zehn Jahre im permanent vegetative state gelegen hatte und künstlich ernährt worden war.

 

27) Dieser populäre Ausdruck ist natürlich ungenau: was hier geregelt wird, liegt vor dem Tode, wenngleich in der letzten Phase des Lebens. Zur Sache vgl. insb. Coeppicus: Anreize zur Errichtung von Patientenverfügungen: ZRP 2003, 175, dort Ziffer I.; auch Milzer, NJW 2003, 1836: Die adressatengerechte Vorsorgevollmacht, dort auch Zahlenangaben in Fn. 1 (6200 Einträge unter www.yahoo.de !).

  

28) die demographischen Statistiken und Prognosen sind als bekannt vorauszusetzen. Kutzer erinnert in ZRP 2003, 209 daran, dass um 1900 die mittlere Lebenserwartung 45 (M.)/48 (F.) betrug, 1998 aber 74(M.)/80 (F.). Die Zahl der über 80-Jährigen betrug 1960 1,2 Mio, 1998 2,9 Mio und wird 2020 hochgerechnet 5,3 Mio betragen: „exponentielle Zunahme von Hochbetagten“.

 

29)  Coeppicus in ZRP 2003, 175

 

30) Die Sommerloch/Hüftgelenk-Debatte, die ein junger CDU-Funktionär im August d.J. mit nassforschen Äußerungen ausgelöst hat (z.B. FAZ vom 08.08.03: Anstoßerregend), lässt sich zunächst im großen Konsens aller Empörten (als „zynisch“ usw.) beenden. Das Problem bleibt: Wenn Mißfelder selbst 85 Jahre alt werden sollte, wird am Jubiläumstag die von ihm jetzt postulierte Grenze nicht bei 85, sondern 65 oder noch wesentlich darunter liegen. 

 

31) vgl. dazu z.B. Kutzer in ZRP 2003, 209: Die Auseinandersetzung mit der aktiven Sterbehilfe. Die Fehldeutung, dass es sich beim verlangten Sterbenlassen in Wirklichkeit - oder jedenfalls zugleich auch - um Tötung von fremder Hand handele, ist mancherorts unausrottbar. Das gilt zumal für die christlichen Kirchen, wie die autorisierten Erläuterungen zur Christlichen Patientenverfügung (NJW 2000, 855 und 2000, 1776) zeigen. Dort wird alles über den Leisten „Tötung“ geschlagen, was nicht unter Sterbehilfe im herkömmlichsten Sinne erfassbar erscheint, auch Laufs NJW 98, 3399: Zivilrichter über Leben und Tod?

 

32) so bei Tolmein (oben Anm.1), aber teils auch in den ungleich bedenkenswerteren Ausführungen Klaus Dörners, ZRP 1996, 93: Hält der BGH die Freigabe der “Vernichtung lebensunwerten Lebens“ wieder für diskutabel?

33) vgl. auch NJW 1998, 3407

 

34) s. oben Anm. 1

 

35) ZRP 1996, 93 (95): Hält der BGH die „Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens“ wieder für diskutabel? Ausführlich zu möglichen und üblichen Einwänden gegen die Patientenverfügung: Höfling JuS 2000, 111 (115 f.)

 

36) vgl. MHR 1999 aaO. S. 22 re.Sp.

37) vgl. Taupitz DJT-GA S. 47 f, Hufen ZRP 2003, 250 mit Anm. 24, ders. NJW 2001, 853

38) Dr. med. D. Saynisch in FAZ vom 27.06.2003: Kein Lebensrecht wäre beschnitten.