(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/11, 7) < home RiV >

 „Vive la difference“

… ist ein Ausdruck des Entzückens über willkommene, genussvolle Unterschiede. Mit gar nicht so willkommenen, eher unerfreulichen Unterschieden beschäftigte sich die 82. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 18. und 19. März in Halle/Saale unter Ziffer I 3 ihrer Tagesordnung.

Liest sich der Beschluss zu TOP I 3 („Entwicklung von Besoldung und Versorgung nach der Föderalismusreform„) noch unauffällig, nichtssagend:

„Die Justizministerinnen und Justizminister nehmen den Abschlussbericht der von den Justizministerinnen und Justizministern der Länder Brandenburg, Mecklenburg-Vorpom­mern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen unter Mitwirkung auch der Länder Berlin und Rheinland-Pfalz eingerichteten Arbeitsgruppe ‘Entwicklung der Besoldung und Versorgung nach der Föderalismusreform I‘ zur Kenntnis. Sie sprechen sich dafür aus, die Entwicklung weiter zu beobachten“.

hört sich das Ergebnis aus dem Munde der Gastgeberin, der Justizministerin von Sachsen-Anhalt Prof. Dr. Angela Kolb[1], doch deutlich besorgter an:

„Aufmerksam zur Kenntnis genommen wurde bei der Konferenz der Bericht einer Arbeitsgruppe unter der Federführung Sachsen-Anhalts, der die Entwicklung der Besoldung und Versorgung von Richtern und Staatsanwälten nach der Föderalismusreform I zum Gegenstand hatte. Trotz Einkommensunterschieden von monatlich bis zu 500 Euro konnten bisher Abwanderungstendenzen zwischen den einzelnen Bundesländern noch nicht festgestellt werden[2]. ‘Mit der Föderalismusreform I und der Übertragung der Besoldungshoheit auf die Länder entwickelt sich die Richterbesoldung unterschiedlich‘, so Ministerin Kolb. ‘Ich befürchte, dass reiche Bundesländer wie Bayern oder Baden-Württemberg Jura-Absolventinnen und -Absolventen in Zukunft bessere Bedingungen bieten und somit langfristig die Spitzenjuristen zu sich holen könnten, während es für Sachsen-Anhalt schwieriger werden könnte, qualifiziertes Personal für den Justizbereich zu gewinnen.‘“

Leider ist der diese Besorgnis auslösende Bericht nicht veröffentlicht - auch nicht im Internet. Jedoch sind dessen Feststellungen nicht neu; auch die von den Mitgliedsverbänden des Deutschen Richterbundes zusammengetragenen und im Internet unter www.richterbesoldung.de veröffentlichten und nachfolgend wiedergegebenen Zahlen lassen das Ausmaß dieses Auseinanderdriftens erkennen:

Land

Bund

Bayern

Ba.-Wü.

Berlin

Brdbg.

Bremen

Hamburg

Hessen

Me-Vo.

R1/27 J.

led.

3.543,42

3.514,34

3.352,69

3.166,61

3.287,71

3.332,77

3.488,27

3.487,84

3.425,91

R1/35 J.

vh, 2 Ki.

4.851,49

4.516,08

4.495,26

4.058,99

4.224,12

4.286,37

4.479,46

4.491,83

4.406,03

R2/45 J:

vh, 2 Ki.

5.973,85

6.116,10

6.082,80

5.491,32

5.727,12

5.810,10

6.064,00

6.101,14

5.972,34

R1/End.

vh, 2 Ki.

6.062,02

6.030,91

5.998,32

5.415,05

5.647,10

5.728,97

5.979,39

6.011,04

5.888,94

R2/End.

vh, 2 Ki.

6.579,64

6.548,89

6.512,28

5.878,74

6.133,67

6.222,25

6.492,34

6.530,51

6.396,00

[3]Es mag sein, dass dies nicht in der Absicht der Verfechter der Länderkompetenz für die Besoldung von Beamten und Richtern gelegen hat; aber es wurde für die Freiheit, die Besoldung der Kassenlage des Landes anzupassen, Mahnungen und Erfahrungen der Vergangenheit zum Trotz zumindest in Kauf genommen. Zu bereitwillig haben die verantwortlichen Akteure ausgeblendet, dass die bundeseinheitliche Besoldung der Richter in einer eigenen Besoldungsordnung R in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts[4]

„die Schaffung eines für alle Bundesländer gleichen, möglichst einheitlichen Rechtszustands, der die sachlich nicht gebotenen Unterschiede im Recht der Länder beseitigen, die Richterbesoldung entsprechend der Sonderstellung des Richters als Teil der rechtsprechenden Gewalt von der Beamtenbesoldung lösen und unter Berücksichtigung der Eigenart des Richteramts selbständig regeln sollte.“

Es hat sie nicht interessiert. Die - was Steuereinnahmen anbetrifft - ärmeren Länder suchten die Möglichkeit nach weiteren Einspa­rungen, ohne - jedenfalls anfangs - die verschlechterte Position im Wettbewerb um die Nachwuchskräfte in Betracht zu ziehen. Die „reicheren“ Länder dürfte dies nicht gestört haben, lag darin doch als Reflex eine Verbesserung ihrer Wettbewerbssituation. Jedenfalls verzichtete man mehr denn je auf die Übertragung von Ergebnissen der Tarifverhandlungen für die Tarifbeschäftigten auf Richter und Beamte, sei es, dass man sie ganz ausfallen ließ, sei es dass man sie in der Höhe begrenzte und/oder um einige Monate verschob. Den Extremfall dürfte Berlin darstellen. Beim alljährlichen Treffen der Besoldungsexperten der Landesverbände des DRB in Berlin im November 2010 berichtete der Vertreter Berlins, dass es in 2010 erstmals seit 2004 eine Besoldungserhöhung gegeben habe. Diese sei faktisch dadurch wieder aufgehoben worden, dass das zuletzt in Höhe von 940 € gezahlte Weihnachtsgeld nur noch in Höhe von 640 € gezahlt wird.

In einigen Ländern wurden bzw. werden die Bezüge von Berufsanfängern für eine begrenzte Zeit um einen bestimmten Prozentsatz oder einen Festbetrag reduziert. So war aus Bayern zu erfahren, dass die monatlichen Bezüge der dort nach dem 30.04.2011 eingestellten Richter und Beamte nach der Eingangsstufe R 1 im Interesse eines ausgeglichenen Landeshaushalts in den ersten 2 Jahren um 10 v. H. reduziert würden. Allerdings war die Besoldung nach R 1 in der Eingangsstufe zuvor im Rahmen der an anderer Stelle referierten Reform der Besoldungsstruktur dadurch erhöht worden, dass die erste Stufe gestrichen wurde. Dasselbe gilt für Baden-Württemberg. Im Saarland sind die Bezüge der mit R 1 neu eingestellten Richter für 2 Jahre um 350 € monatlich abgesenkt worden.

Große Unterschiede gibt es bei den Regelungen über die Sonderzahlung, für die die Länder schon 2003 - noch vor der Föderalismusreform I - die Gesetzgebungskompetenz erhalten hatten: Gestrichen wurde sie in Bremen und in Sachsen-Anhalt bis auf 25,56 Euro Weihnachtsgeld pro Kind. Auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein ist als Sonderzahlung lediglich ein Weihnachtskindergeld – allerdings in Höhe von 400 € - vorgesehen. Für Brandenburg sahen die von 2007 bis 2009 geltenden Regelungen für die Aktiven einen Sockelbetrag von 500 € vor, für Pensionäre 250 €, zusätzlich - abhängig von Steuermehreinnahmen - eine weitere Sonderzahlung bis max. 540 € bzw. 270 €. Am 20.04.2010 hat das Finanzministerium verlautbart, dass nach Auslaufen des letzten Sonderzahlungsgesetzes mit dem Jahr 2009 „ein ausgewogener Interessenausgleich erfolgen" soll; es sollten „die Handlungsspielräume insbesondere unter Berücksichtigung sozialer Belange der Bediensteten ausgeschöpft werden". Eine Sonderzahlung 2010 könne keinesfalls das Niveau früherer Sonderzahlungen erreichen, jedoch sollten für die niedrigeren Besoldungsgruppen diese finanziellen Einbußen gemildert werden. Die abschließende Entscheidung solle im parlamentarischen Raum erörtert werden.

In mehreren Ländern werden die Sonderzahlungen „gezwölftelt“ mit den monatlichen Bezügen ausgezahlt, so im Saarland, wo das Weihnachtsgeld in Höhe von 800 € in den monatlichen Bezüge aufgegangen ist. In Hessen werden den Aktiven in den monatlichen Bezügen 5 v. H. (jährlich also 60 v. H.) eines Monatsbezugs als Sonderzahlung ausgezahlt, die Versorgungsempfänger erhalten 4,17 v. H. (insgesamt rd. 50 v.H.) eines Monatsbezugs. In Rheinland-Pfalz erhalten Aktive wie Versorgungsempfänger monatlich als Bestandteil der laufenden Bezüge jeweils 4,17 v. H., in Thüringen erhalten Besoldungsempfänger nach R 1 und R 2 jeweils 1,1 v. H. monatlich (insgesamt 13,2 v. H.), die übrigen 0,84 v. H.; für Versorgungsempfänger gilt Entsprechendes. Auch in Baden-Württem­berg wird die auf 52 v. H. der monatlichen Bezüge eingefrorene Sonderzahlung auf die laufenden Monatsbezüge verteilt.

Eine jährlich auszuzahlende Sonderzahlung ist gesetzlich vorgesehen

·       in Mecklenburg-Vorpommern in Höhe von 34,88 v. H., in Sachsen (R 1: 1.500 €, R 2 und höher: 1800 €),

·       in Nordrhein-Westfalen in Höhe von 30 v. H. der Monatsbezüge sowie

·       in Bayern, das den Aktiven unverändert 60 v. H., den Ruheständlern 56 v. H. zahlt.

·       Die in Hamburg noch im vergangenen Jahr zum Tragen gekommene vergleichbare Regelung wird bald Historie sein, aber zumindest nicht ersatzlos gestrichen.

Was für die Höhe der Bezüge gilt, gilt nicht minder auch für die Besoldungsstruktur. Eine wesentliche Neuerung der Richterbesoldung in Hamburg zum Beginn des vergangenen Jahres war die Ersetzung der bis dahin für den Anstieg des Grundgehalts der Gruppen R 1 und R 2 maßgebenden Lebensaltersstufen durch Erfahrungsstufen, in einem nicht ohne weiteres durchschaubaren[5] Rhythmus von zwei, drei und vier Jahren, begründet vor allem mit europarechtlichen Risiken eines am Lebensalter orientierten Besoldungsanstiegs. Das bei dem schon erwähnten Treffen der Besoldungsexperten nach knapp vier Jahren Föderalismusreform I gezogene Fazit überraschte dann aber doch. Den Weg Hamburgs - und des Bundes, in dessen Bereich es allerdings nicht so viele nach R 1 und R 2 besoldete Richter geben dürfte - ist bisher lediglich Sachsen-Anhalt gegangen. Andere Länder haben Erfahrungsstufen eher dem Namen nach - nominell - eingeführt, denn nach den Besoldungsgruppen R 1 und R 2 besoldete Richter rücken – wie bisher bei den Lebensaltersstufen - nach jeweils zwei Jahren in die nächsthöhere Erfahrungsstufe auf. Dies gilt z.B. für Thüringen, Bayern, Baden-Württemberg und das Saarland. In Schleswig-Holstein ist dies ausweislich des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Besoldungs- und Beamtenversorgungsrechts in Schleswig-Holstein vom 08.02.2011 (LT-Drs. 17/1267) beabsichtigt. In Nordrhein-Westfalen hatte die alte Regierung (CDU/ FDP) eine Dienstrechtsreform eingeleitet, die jedoch von der neuen Regierung nicht weiter geführt worden ist. Bei der Besoldung nach Lebensaltersstufen geblieben ist es bisher auch in Bremen, Berlin, Niedersachsen, Sachsen, Brandenburg, Rheinland-Pfalz.

Augenscheinlich werden bei Überlegungen zu einer Neuordnung des Besoldungsrechts die insofern in Hamburg in den Vordergrund der Begründung gestellten europarechtlichen Erwägungen längst nicht überall für ebenso bedeutsam gehalten. Oder war für die - nicht zuletzt wegen der Übergangsregelungen zur Besitzstandswahrung - nicht ganz unkomplizierte hamburgische Regelung eher der Wunsch maßgebend, im Interesse einer Steigerung der finanziellen Attraktivität des Richterberufs für die Berufsanfänger die Eingangsbesoldung R 1 deutlich anzuheben - von 3.288,50 € (Lebensaltersstufe 27 Jahre) bei Neueinstellung im Jahre 2009 auf 3.640,16 € mtl. bei Neueinstellung im Jahre 2010 -, den damit verbundenen finanziellen Mehraufwand aber zumindest teilweise durch eine Streckung des Besoldungsanstiegs durch Verlängerung der späteren Erfahrungsstufen aufzufangen?

Man mag beklagen, dass bei denen, die wie die oben zitierte Justizministerin von Sachsen-Anhalt eine Rückbesinnung auf eine bundeseinheitliche Richterbesoldung fordern - sie tat dies auch schon im April 2009 -, weniger die fehlende Rechtfertigung für derart unterschiedliche Wertschätzung der richterlichen Tätigkeit in den Ländern im Vordergrund steht, als der in erster Linie justizpolitische Gesichtspunkt des Verlustes der Konkurrenzfähigkeit. Aber es geht in der Politik nun einmal ganz wesentlich um Interessen und um Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte. Dies wird bei der Einführung der einheitlichen R-Besoldung in den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts kaum wesentlich anders gewesen sein. Machen wir uns nichts vor: Die Länder werden die Zuständigkeit für die Besoldungsgesetzgebung nur aufgeben, wenn sie dies für in ihrem Interesse liegend halten: wenn sie zur Einsicht gelangen, dass die Vorteile dieser Befugnis durch die Nachteile der Zersplitterung der Besoldung zumindest aufgewogen werden. Dies ist, wie auch die unterschiedlichen Akzente im oben wiedergegebenen Beschluss der JUMIKO einerseits und der Presseerklärung der Gastgeberin andererseits zeigen, noch längst nicht der Fall. Wenn dies aber schon einmal die Triebkraft einer Entwicklung war, die dann in der Einführung einer bundeseinheitlichen gesetzlichen Richterbesoldung endete: Vielleicht sind wir ja so gesehen zumindest wieder am Anfang des Weges zu einer „Entföderalisierung“ der Richterbesoldung?

Jürgen Kopp


[1] Presseerklärung der Staatskanzlei; PM Nr. 276/11

[2] Hervorhebung durch den Verfasser

[3] Zur Tabelle: Besoldung in Bruttobeträgen für 2010 (einschließlich Sonderzahlungen, soweit gewährt, umgelegt auf den Monatsdurchschnitt): Berücksichtigt wurden alle bereits am 31.08.2010 gezahlten Erhöhungen bei der Besoldung. Besoldungserhöhungen während des laufenden Jahres werden nur für die Monate berücksichtigt, in denen die Erhöhung erfolgte. Im Bund und in mehreren Bundesländern erfolgen die Einstufungen nicht mehr nach dem Lebensalter, sondern nach Erfahrungsstufen. Die Zahlen gehen davon aus, dass ein 27-Jähriger das Anfangsgrundgehalt erhält. Alle Angaben ohne Gewähr.

[4] BVerfGE 55, 372