(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/10, 26) < home RiV >
Intervision
Mitbestimmend für den Erfolg einer mündlichen Verhandlung ist es, ob die Kommunikation zwischen dem Gericht und den Beteiligten gelungen ist oder nicht.
Jeder Richter wird zwar eine Meinung über seine Verhandlungen haben, kann aber naturgemäß keine objektive Beurteilung der eigenen Wirkung abgeben. Da wäre es hilfreich, mit Hilfe einer neutralen Person ein Spiegelbild des eigenen Handelns und Verhaltens zu gewinnen. Anders als bei einer so genannten Supervision, bei der die Beobachtung und Reflexion durch einen professionellen Berater erfolgt, kommt bei dem hier vorzustellenden Modell der Intervision der Berater nicht von außen, sondern aus dem Kollegenkreis. Das hat den Vorteil, dass er als erfahrener Richter das Geschehen fachlich kompetent verfolgen kann und die Schwierigkeiten einer Verfahrenssituation aus rechtlicher Sicht einzuschätzen weiß. An verschiedenen Gerichten im Bundesgebiet (z.B. in Berlin, Niedersachen, NRW) gibt es bereits ein Intervisionsangebot[1]. Folgender Verfahrensablauf ist für diese Art „kollegialer Überhörung“ entwickelt worden:
Im Rahmen der gerichtlichen Intervision stehen den Richtern speziell geschulte Kollegen (Intervisoren) zur Verfügung, die auf Wunsch die Verhandlung des interessierten Richters besuchen. Zur Vorbereitung führen Richter und Intervisor ein Gespräch, in dem der Intervisor über den Ablauf informiert und der Richter seine Erwartungen benennen kann. Der Intervisor wird seine Beobachtungskriterien erläutern (z.B. Körpersprache, Verständlichkeit des Richters etc.) und mit dem Richter abstimmen. Der Richter kann den Intervisor bitten, auf bestimmte Umstände während der mündlichen Verhandlung zu achten.
Während der Verhandlung sitzt der Intervisor im Zuschauerraum und verfolgt die Verhandlung. Anschließend gibt er dem Richter in einem vertraulichen Gespräch eine Rückmeldung, wie seine Verhandlungsführung und Kommunikation auf ihn, den Intervisor, gewirkt hat und welche Reaktionen er bei den Parteien, Rechtsanwälten oder Zeugen beobachtet hat. Dabei geht es nicht darum, die mündliche Verhandlung im Sinne einer „Manöverkritik“ zu bewerten oder ein Verhalten des Richters als richtig oder falsch zu beurteilen. Der Richter soll vielmehr selbst einschätzen, wie er auf die Verfahrensbeteiligten gewirkt hat und von ihnen verstanden worden ist. Durch die Spiegelung seiner Verhandlungsführung wird dem Richter die Möglichkeit gegeben, zu entscheiden, ob er sein Verhalten beibehalten oder es ändern bzw. fortentwickeln möchte. Wenn der Richter damit einverstanden ist, gibt der Intervisor über seine Beobachtungen hinaus weitergehend Anregungen und Ratschläge über etwaige Möglichkeiten die Verhandlungsführung und die Kommunikation zu variieren.
Auf keinen Fall geht es in der Intervision darum, eine vom Richter geäußerte Rechtsauffassung zu kritisieren, als falsch darzustellen oder ihn zu einer Änderung zu bewegen. Die richterliche Unabhängigkeit wird durch die Intervision nicht angetastet. Ein weiterer wichtiger Grundsatz der Intervision ist die Vertraulichkeit. Die Beobachtungen, während der Verhandlung und die mit dem Richter geführten Gespräche bleiben geheim. Eine Mitteilung an den Dienstvorgesetzten oder sonstige Dritte ist tabu. Hier zeigen sich entscheidende Unterschiede gegenüber einer Überhörung, die gerade einer Beurteilung des Richters in einem Zeugnis o.ä. dient, die festgehalten wird und gegebenenfalls – z.B. für die Frage der Lebenszeiternennung oder in einem Bewerbungsverfahren – weitergegeben wird.
Was sind die Vorteile einer Intervision?
Die Intervision gibt dem Richter zum einen die Möglichkeit, eigene Verhaltensmuster zu erkennen und das Repertoire eigener Verhaltensweisen zu erweitern. So können Energien und Talente wirkungsvoller eingesetzt und die Verhandlung sicherer, eindeutiger und effektiver gestaltet werden.
Über den individuellen Nutzen hinaus bietet die Intervision der Richterschaft die Chance, zu einem konstruktiven Dialog über das eigene Rollenverständnis zu gelangen und größere Arbeitszufriedenheit zu schaffen. Das gilt sicherlich für beide Beteiligte, den beobachteten Richter und den als Intervisor tätigen Kollegen.
Für die Gerichte liegt der Vorteil in der Sicherung und Steigerung der Qualität der Rechtsprechung und in einer Verbesserung der Wahrnehmung der Justiz in der Öffentlichkeit.
Hamburg als Stadtstaat bietet besonders günstige Voraussetzungen, um einen „Intervisionsmarkt“ zu installieren. So kann der interessierte Richter wegen der räumlichen Nähe aller Gerichte leicht auch dann einen Intervisor finden, wenn er möchte, dass dieser nicht in seinem eigenen unmittelbaren Umfeld selbst als Richter tätig ist, sondern eine größere Distanz hat.
Bedingung für ein Gelingen der Intervision ist jedoch, dass der Intervisor eine gewisse fachliche Schulung erhält, denn es handelt sich um eine sensible Aufgabe die zwar einige Parallelen zur richterlichen Tätigkeit aufweist, aber gerade in ihrer Zielrichtung auch deutliche Unterschiede. Entsprechende Seminare werden etwa angeboten aus dem Bereich der Supervisionsschulung, von Kommunikationstrainern, Beratern u.ä., die zum Teil auch bereits speziell im Bereich der Justiz gearbeitet und Erfahrungen gesammelt haben.
Nicht zuletzt wegen der derzeit in Planung befindlichen Verschärfung des richterlichen Beurteilungswesens sollte die Richterschaft darauf drängen, dass statt / neben der hierarchischen Kontrolle des Richter durch den Dienstvorgesetzten jedem Interessierten Richter die Möglichkeit der eigenen Weiterentwicklung mittels speziell geschulter Kollegen angeboten wird.
Matthias Tiemann
[1] vgl. z.B. Gaby Siemund-Grosse, in: NRV-Info NRW, Dez. 2008, S. 21 = www.nrv-net.de/downloads_publikationen/413.pdf ; Pressemitteilung des OLG Hamm vom 18.01.2007 = www.olg-hamm.nrw.de/presse/01_aktuelle_mitteilungen/2007_pressearchiv/02_koll_beratung/index.php