(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/08, 17 ) < home RiV >
Eltern und ihre Internet nutzenden Kinder
Das Baustellenschild „Eltern haften für ihre Kinder" wurde zu Unrecht in die Liste der Rechtsirrtümer aufgenommen. Eltern haben die Rechtspflicht, ihre minderjährigen Kinder zu beaufsichtigen (§ 832 BGB); das Ausmaß dieser Rechtspflicht hängt von den Umständen ab. Das Landgericht München hat hieraus – und nicht etwa wie sonst üblich aus einer Störerhaftung - in einem von der neuesten Presse vielbeachteten Urteil[1] abgeleitet, dass Eltern ihr Internet nutzendes, siebzehnjähriges, technisch versierteres Kind (es absolvierte einen IT-Kurs) darauf hinweisen müssen, dass eine Internetnutzung zivilrechtliche Haftungsrisiken birgt, weil ein mit dem Internet verbundener Computer ein gefährlicher Gegenstand sei. Neben dem einleitenden Belehrungsgespräch erfordere die Aufsichtspflicht (im Anschluss an das die Störerhaftung betreffende LG Hamburg[2]) auch eine laufende Überwachung dahingehend, ob sich die Internetnutzung durch das Kind in diesem Rahmen bewegt. Der Aufsichtspflichtige müsse sich schließlich auch darum kümmern, womit sich das Kind in der Freizeit beschäftige, es gelegentlich beobachten und beim Aufräumen des Kinderzimmers (siebzehnjähriges Kind!) und beim Säubern der Kleidung auf Gegenstände achten (Internet in der Hosentasche?!). Das LG München vermisste Vortrag hierzu. In künftigen Fällen werden anwaltlich beratende Eltern wohl entsprechend vortragen. Dann werden die Prüfungen der Aufsichtspflicht wohl tiefer gehen.
Was müssen Eltern tun, wenn sie wissen, dass ihr Kind den elterlichen wiederholten Hinweis unbeachtet lässt? Müssen sie den Internetzugang des Kindes zuhause vollständig sperren? Was ist, wenn ihnen die technischen Kenntnisse zur Zugangsunterbrechung fehlen und das Kind selber den Internetzugang eingerichtet hat? Ebenso wie im Falle des LG München hat auch einem Rentner, dessen unverschlüsseltes WLAN von ihm unbemerkt von Dritten genutzt wurde, sein Hinweis auf seinen technischen Unverstand ihn nicht vor der Störerhaftung zu bewahren vermocht[3]. Wer sich persönlich nicht in der Lage zur Herstellung der technischen Kontrolle sieht, dem wird die kostenpflichtige Hinzuziehung fachkundiger Hilfe angesonnen[4].
Als technische Sperre werden die Einrichtung von Benutzerkonten mit eingeschränkten Berechtigungen oder eine spezielle Konfiguration der Firewall verlangt[5]. Das mag bei der Nutzung eines gemeinsamen Familien-PC’s vielleicht noch angehen. Wenn aber mehrere PC’s in der Familie vorhanden sind, läuft der Internet-Zugang in der Regel über einen Router. Den Router so zu konfigurieren, dass die von der Rechtsprechung verlangten Einschränkungen greifen, ist so kompliziert, dass die Eltern schon eine halbe Netzwerk-Administrator-Ausbildung brauchen würden. Und damit würde auch lediglich ein Teilbereich der Störergefahren abgedeckt werden: der Fall des LG München (Verwendung aus dem Internet kopierter urheberrechtsgeschützter Fotos in Internet-Videos) wäre auch mit den beschriebenen technischen Maßnahmen nicht verhindert worden. Welche Vorkehrungen gegen alle (!) Gefahren also sollen die Eltern über das Beschriebene hinaus noch treffen, wenn ihnen nicht angesonnen werden soll, jeglichen Internetverkehr ihrer Kinder zu unterbinden?
Müssen/können die Eltern dem Kind den PC gar wegnehmen? Ist eine solche Wegnahme möglich, wenn das Kind sich den PC von eigenem Geld angeschafft hat? Was ist, wenn die Eltern zwar technische Sperren errichten, aber infolge Blicks über die Kinderschulter erkennen, dass das Kind die faktischen Sperren umgeht, indem es zuhause über selbstfinanzierten Mobilfunk per eigenem Laptop ins Internet geht[6], sodass den Eltern die technische Handhabe fehlt? Müssen sie dann den Kindern kraft elterlicher Sorge sämtliche finanzielle Mittel entziehen?
Vorstehende Ausführungen betreffen Fälle, in denen die Eltern Kenntnis von Verstößen des Kindes haben. Was aber gilt, wenn sie nur verdachtbegründende Anhaltspunkte haben und diesbezügliche Auskünfte des von den Eltern befragten Kindes unzuverlässig erscheinen? Müssen die Eltern dann Protokollierungsprogramme auf dem Kinderrechner installieren, den Cache des Kindes-PC überprüfen, Netzwerkprotokolldaten der Kinder überwachen oder den Provider um kostenpflichtige Auskunft bitten? Grundrechte?
Jedes der vielen obigen Fragezeichen würde im Prozess wohl ein gut begründetes Urteil erfordern. Die Rechte der mittels Internet Verletzten müssen natürlich geschützt werden. Aufpassen muss die Rechtsprechung allerdings auch darauf, dass nicht durch eine Vielzahl von Einzelentscheidungen zu Lasten der Eltern scheibchenweise ein Regelungsumfeld entsteht, das zu einem familieninternen Überwachungsstaat führt[7]. Der Hinweis, Haftungsgrund sei ja gar nicht eine Aufsichtspflichtverletzung, sondern eine Störereigenschaft der Eltern als Anschlussinhaber[8], hilft den Eltern wenig, denn ob es nun der eine oder ob es der andere Rechtsgrund ist, der die Überwachung und Kontrolle statuiert, ist für den Fakt der Kontrolle im Familienleben zweitrangig. Und dass das Internet eine derart große Rolle bei der Informationsbeschaffung im modernen Leben spielt, dass keine unzumutbaren Zugangshürden geschaffen werden dürfen, darüber dürfte Einvernehmen herrschen.
Dass eine (aus Sicht der Familien) liberalere und trotzdem rechtskonforme Handhabung möglich ist, zeigt das Urteil des OLG Frankfurt[9]. Ansatzpunkt sollte § 1626 Abs. 2 Satz 1 BGB sein, der da lautet:
„Bei der Pflege und Erziehung berücksichtigen die Eltern die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewusstem Handeln.“
Die Aufsicht der Eltern muss deshalb mit zunehmendem Alter und wachsender Reife des Kindes mehr und mehr abgebaut werden; das ist notwendige Voraussetzung für die Heranführung des Kindes zu selbstständigem verantwortungsbewusstem Handeln[10].
Der bereits oben angesprochenen Argumentation, bei der Internetnutzung gehe es nicht um die Aufsichtspflicht[11], sondern um die Störerhaftung, entgegnet Matthias Wenn[12] zu Recht:
„Der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung gebietet es, das in § 1626 Abs. 2 Satz 1 BGB kodifizierte Erziehungsziel auch im Zusammenhang mit dem Umfang der Instruktions- und Überwachungspflichten im Rahmen der Störerhaftung zu berücksichtigen. Mit diesem gesetzlichen Erziehungsziel ist eine generelle umfangreiche Überwachung der Internetnutzung minderjähriger Kinder unvereinbar.“
Damit darf kein Freibrief für Urheberrechtsverletzungen ausgestellt werden. Andererseits sind Urheberrechte oder Ehrenschutz u.a. aber auch kein Freibrief für schrankenlose Eingriffe in die Familien und in den Informationszugang, die ja nicht nur im Falle einer aktuellen Urheberrechtsverletzung etc., sondern im Rahmen der vorsorgenden Familienorganisation permanent virulent werden. Beide Rechtskreise müssen vielmehr einer sog. praktischen Konkordanz zugeführt werden.
Wolfgang Hirth
[1] K&R 2008, 474
[2] MMR 2006, 700; 2007, 131
[3] so das ebenfalls von der Presse vielbeachtete Urteil LG Düsseldorf, GRUR-RR 2008, 290; vgl. auch schon LG Hamburg, MMR 2006, 763
[4] LG Köln, Beschl.v. 7.9.08 – 28 O 266/06 - im Anschluss an LG Hamburg, ZUM 2006, 661; HansOLG Hamburg, Beschl. v. 10.5.06 – 5 W 61/06; dagegen mit beachtlichen Gründen OLG Frankfurt, GRUR-RR 2008, 279 sub g
[5] LG Hamburg, ZUM 2006, 661
[6] Dann allerdings würde bei den Eltern nur noch die Aufsichtspflicht und nicht auch die Störerhaftung des Anschlussinhabers eingreifen.
[7] vgl. zu den technischen Möglichkeiten familieninterner Telefonprotokollierung: Hirth, MHR 2/2008, 15 bei Fn. 3
[8] LG Köln, Beschl. v. 7.9.06 – 28 O 266/06
[9] s.o. Fn. 3 ; vgl. zu einem erwachsenen Kind LG Mannheim, MMR 2007, 267 und 287
[10] MüKo/Huber, 4. Aufl., § 1626 BGB, Rn. 63; vgl. BGH, NJW 1980, 1044
[11] anders LG München, a.a.O., das deshalb zwar den sich mit dem Kindesalter verändernden Maßstab abstrakt behandelte, dann aber eine Überwachungspflicht annahm, ohne jene Maßstäbe anzuwenden.
[12] jurisPR-ITR 5/2008 Anm. 2