(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/07, 14) < home RiV >

Halbgötter in Schwarz?

 

„Am Dienstag, 29. März 1994, tritt ‚Starverteidiger’ Rolf Bossi vor die deutschen Medien und liefert eine Strafanzeige ab – gegen die fünf Richter des 1. Strafsenats des BGH. Sie seien ‚geistige Urheber’ des Brandanschlags auf die Lübecker Synagoge, hätten durch ihr ‚Schandurteil’ das Recht gebeugt und ihre Nazigesinnung offenbart“[1]. Die allgemeine Aufregung entpuppte sich dann schnell als Hysterie und fiel in sich zusammen, Bossis Schandurteil erwies sich als eine normale, im gegebenen Falle zwingende Revisionsentscheidung. Der „Staranwalt“, der „bekannteste“, ja „berühmteste aller deutschen Strafverteidiger“[2] war also nur im brodelnden Strom allgemeiner Empörung mit geschwommen. Man vermisst diesen Fall in Bossis jetzt vorgelegter, von Schauergeschichten überquellender chronique scandaleuse, dem Großverriss der deutschen Justiz[3], und zwar umso mehr deshalb, als er alle richterlichen Laster: Anmaßung, Machtrausch, Verfolgungseifer, Kumpanei, Unaufrichtigkeit, Inkompetenz udgl. – als eine Folge unverarbeiteter Nazi-Erbschaften diagnostizieren zu können vorgibt[4]. Der Autor pocht auf ein halbes Jahrhundert von Leiden an der deutschen Justiz und verspricht dem Leser, jetzt nicht den Starverteidiger und Prominentenanwalt hervorzukehren, sondern sein Schwert als ein Mann zu schwingen, der ein volles und empfindsames Herz für kleine Leute habe und ihnen deshalb ohne Umschweife zeigen werde, wie der Justizbetrieb wirklich ablaufe und was seine Funktionäre dem Volk – oft durchaus mit Erfolg - zu verbergen trachteten. Denn ihm, einem der letzten „Fossile“ im Anwaltsbetrieb und Kenner aller faulen Tricks, könne man nichts vormachen. Zu den Fällen, die Bossi vor seinen Lesern ausbreitet, lässt sich nicht all zuviel sagen (man kennt sie nicht; einige Schilderungen klingen plausibel, andere erscheinen kaum schlüssig), zu seinen allgemeinen Bewertungen und Postulaten aber einiges mehr: Die richterfreundliche Auslegung des Tatbestands der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) durch den BGH wird auch sonst gerügt - oft hart und scharf[5]; Bossi aber ruft fast immer, wenn ihm etwas gegen den Strich läuft, sofort „Rechtsbeugung!“ und steuert zur seriösen Debatte darüber nichts bei. Dass gegen den „Eierdieb“ notfalls in zwei Tatsacheninstanzen verhandelt werden muss, dem Mörder hingegen nur eine geboten wird, kann man – freilich mit nur schwachen Gründen – kritisieren[6]. Aber abwegig ist es, wenn Bossi unermüdlich behauptet, hierin läge eine skandalöse Systemverkrümmung. Auch über Protokollierungspflichten, freie Beweiswürdigung, revisionsfeste vs. sachlich richtige Urteile lässt sich Kritisches und Kluges schreiben – was bekanntlich hundertfach geschieht. Aber Bossis „Enthüllungen“ hierüber und zu seinen anderen Themen lassen sich schlechterdings nicht ernst nehmen. Und wenn er schließlich vorschlägt, angesichts allen Unrechts, das die Strafrichter dem Volke antun, doch einen „Bundesbeauftragten zur Verhinderung von Justizunrecht“ als höchste Appellationsinstanz und Ombudsmann zu schaffen, und er dazu fast treuherzig versichert, in diesem Sinne habe er mehrfach an die Spitzen des Staates und der Justiz in Bund und Ländern appelliert – unbegreiflicherweise ganz fruchtlos[7] –, dann muss der Leser schon einige Energie gegen den Impuls aufbieten, das opus hier schon seufzend zuzuklappen. Er sollte aber durchhalten, damit er am Schluss guten Gewissens selbst entscheiden kann, worüber er nun mehr gelesen und erfahren hat: über die deutsche Justiz oder die Person des Autors der „Halbgötter in Schwarz“.

Günter Bertram


[1] vgl. die Nachweise aus FAZ und FR vom 30.03.1994 bei Bertram, MHR 2/1994, S. 9

[2] Verlagsmitteilung der Berliner Eichborn-AG. vom März 2005 und Klappentext

[3] Rolf Bossi, „Halbgötter in Schwarz– Deutschlands Justiz am Pranger“, Frankfurt 2005, S. 278,
22,90 Euro

[4] aaO. (Fn. 1) z.B. S. 24 f, 176, 201 ff, 257 f, 272

[5] vgl. zu § 339 StGB etwa die durchweg kritische Kommentierung der einschlägigen BGH-Judikatur, nach welcher dieser Tatbestand nur verwirklicht ist, wenn sich der Täter „bewusst und in schwerer Weise von Recht und Gesetz entfernt“ - die dann im Hamburger „Fall Schill“ letztlich (im „2. Durchgang“) zum Freispruch des Delinquenten führen musste.

[6] grundlegend dazu Herbert Tröndle, Referat vor dem Strafrechtsausschuss des DRiB vom 23.11.1966 in Fischbachau, abgedruckt in GA 1967, 161, erneut in Tröndle Antworten auf Grundfragen, München 1999, S. 11 ff, wo er (Bossis Klage vorwegnehmend) schreibt: „... So alt dieses Argument, so unrichtig ist es, und mit der ständigen Wiederholung wird es nicht richtiger. Dass es gleichwohl immer wiederkehrt, hat seinen Grund darin, dass es für die weniger Sachkundigen wie eine optische Täuschung wirkt“, vgl. letztlich noch Hans Lilie: GA D zum 63. DJT in Leipzig, dort Thesen D, S. 120 –125.

[7] Bossi, aaO. (Fn. 2) S. 86-88

 

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