(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/07, 2 ) < home RiV >
Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
die MHR sind Trendsetter für andere Zeitschriften des Deutschen Richterbundes. Schon so manche gute Hamburger Idee befruchtete auch andere Landesverbände. Damit ist nicht der Nachdruck von wichtigen Aufsätzen gemeint, wie er auch in den MHR gelegentlich stattfindet. Vielmehr werden die MHR auch gern als Vorlage für Themen, Rubriken und Layout genommen. So (bewusst) spartanisch das Layout der MHR auch sein mag, haben anscheinend zwei andere Landesverbände daran Gefallen gefunden. Ein anderer Landesverband führte nach unserem Vorbild Rubriken ein wie „PC-Tip“ und „Richter im Bundestag“. Auch unsere Datei „Feiertage und Schulferien für Outlook“ fand andernorts Anklang. Unser Justizkreuzworträtsel wurde sogar in der Deutschen Richterzeitung nachempfunden. Und unser nach dem Angriff auf den Kollegen Tempke erschienener Beitrag „Sicherheit für Richter und Staatsanwälte“ (MHR 2/2005, 17) war eine wichtige Grundlage für den gerade erschienenen Abschlussbericht der Arbeitsgruppe Sicherheit des Niedersächsischen Richterbundes vom 06.05.07. Dass etliche Landesverbände Ihre Zeitschriften ins Internet stellen (leider noch nicht alle), erleichtert eine derartige wechselseitige Befruchtung.
Kommen wir nun zur sonstigen Presse. Da gab es einen Beitrag von Hellmuth Karasek im Hamburger Abendblatt vom 21.05.07 zum Thema Retourkutschen. Merkel hatte gegenüber Putin gerügt, das russische Vorgehen gegen missliebige Demonstranten habe Menschenrechte verletzt. Daraufhin hatte Putin erwidert, dass es auch in Deutschland in Vorbereitung auf den G-8-Gipfel polizeiliche Hausdurchsuchungen und Drohungen gegeben habe. Karasek stellte als zentralen Unterschied fest, dass Deutschland anders als Russland eine unabhängige Justiz habe.
Es ist schon interessant, wie zentral wichtig die Unabhängigkeit der Justiz in ethischen und politischen Debatten, beim Ost-West-Vergleich und beim Grundverständnis unseres Staates ist, und dass unser Staat trotzdem - au8er Worten - so wenig Engagement zeigt, wenn es darum geht, diese Unabhängigkeit am Leben zu erhalten. Man schmückt sich gern mit ihr, aber der Schmuck sollte nach Ansicht der Geld(aus)geber (vgl. hierzu Schaberg, unten Seite 9) möglichst wenig kosten.
Der am 24.05.07 vorgestellte Bericht der internationalen Anti-Korruptionsorganisation Transparency International (der u.a. für Russland eine hohe Korruption im Justizwesen beklagt) sieht für Deutschlands Justiz Gefahren wegen mangelnder Ressourcen: Unterbezahlung (vgl. Schaberg, unten Seite 3) erhöhe die Korruptionsgefahr, Überlastung behindere die Korruptionsverfolgung.
Der europäische Richterbeirat CCJE (vgl. Hirth, unten Seite 20) in den Ziffern 6 und 7 seiner Stellungnahme „Zur Finanzierung und Geschäftsführung der Gerichte unter Verweis auf die Wirksamkeit der Justiz und Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention“ lässt Deutschland im Vergleich zu Russland ebenfalls nicht immer nur gut aussehen, insbesondere was die Finanzierungsstruktur der Justiz angeht. Danach hat der russische Richterrat die Befugnis, nicht nur an der Verhandlung und Verabschiedung des Staatshaushalts mitzuwirken, sondern auch an den Haushaltsdebatten in den Kammern des russischen Parlaments teilzunehmen (vgl. zu den entsprechenden deutschen Forderungen nach Selbstverwaltung: Schaberg, unten Seite 12).
Die russischen Richter haben auch einen Ehrenkodex (der auf unser Homepage seit Langem zu lesen ist); das ist ein Thema, das in Deutschland erst in Ansätzen diskutiert wird.
Es mag sein, dass in der Rechtspraxis (dergegenüber Papier oft geduldig ist) Deutschland immer noch einen Vorsprung gegenüber Russland hat, wie neben dem erwähnten Korruptionsbericht auch der Umstand zeigt, dass Bundesjustizministerin Zypries sich in Petersburg am 06.06.07 beim russischen Generalstaatsanwalt für die baldige Ratifizierung des 14. Zusatzprotokolls zur Europäischen Menschenrechtskonvention durch Russland einsetzen musste.
Doch wie lange bleibt dieser eventuelle Vorsprung, den Deutschland gegenüber anderen EU-Ländern schon gar nicht mehr hat, erhalten? Wenn schon gute rechtliche Argumente in der politischen Diskussion selten überzeugen, sollte wenigstens der von Politikern so gern bemühte Wettbewerbsgedanke Deutschland anspornen, mehr für die Unabhängigkeit seiner Justiz in allen Ausprägungen zu tun, um nicht europäisch ins Hintertreffen zu geraten bzw. um aus dem Hintertreffen herauszukommen. Deutschland hat keinen Grund, sich wohlgefällig auf dem bisherigen Stand der Unabhängigkeit der Justiz auszuruhen, sonst hat Karasek bei künftigen Staatenvergleichen bald kein Argument mehr.
Ihr
Wolfgang Hirth