(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/07, 17) < home RiV >


Rolf Seedorf

- ein Mann in schlichter Robe -

 

Birgit Woitas hat für ihren verstorbenen Vorsitzenden, unseren Kollegen Rolf Seedorf, ergreifende Worte der Würdigung gefunden (MHR 4/2006, S. 24). Mir haben sie zugleich einige Passagen eines Aufsatzes in Erinnerung gerufen, die sich ihrem Nachruf umso bruchloser anschließen, als dessen Autor v. Münch in der Sache selbst, um die es in Hamburg ging, anderer Rechtsauffassung war als die Strafkammer. Deshalb ist die Anerkennung, die er der Verfahrensführung zollt, umso zitabler:

Zunächst vergleicht er das Hamburger Verfahren mit dem französischen Prozess gegen den ehemaligen Pariser Polizeipräfekten Maurice Papon, der 1942 maßgeblich an Judendeportationen beteiligt gewesen war.[1] Beide Prozesse hatte er persönlich beobachtet. Ehe er auf die Unterschiede in der jeweiligen Verfahrensführung zu sprechen kommt, stellt er die französische Pracht der Schlichtheit des Hamburger Strafjustizgebäudes gegenüber – auch lesenswert:

„Sehr verschieden war der äußere Rahmen. Das Bild des Prozesses gegen Maurice Papon in Bordeaux und das des Prozesses gegen Friedrich Engel in Hamburg unterschieden sich voneinander für den Beobachter aus Deutschland wie Oper und Kammerspiel. Das Gerichtsgebäude in Bordeaux ist ein eindrucksvoller, man kann ohne Übertreibung sagen pompöser Bau des berühmten französischen Architekten Josephe Adolphe Thiac aus dem Jahre 1846. Das Strafgerichtsgebäude in Hamburg, ein Seitenstück der dreiteiligen Gerichtsanlage am Sievekingplatz, ist zwar auch ein großer, aber gesichtsloser Bau; er könnte auch eine überdimensionierte veraltete Berufsschule oder irgendein anderes städtisches Verwaltungsgebäude sein. Das Entrée im Palais der Jus-tice in Bordeaux ist licht und großzügig, der Eingang im Strafgerichtsgebäude in Hamburg düster und eng. Der Gerichtssaal, in dem über Maurice Papon geurteilt wurde, war riesig, wegen des großen Publikumsandranges wurde die Verhandlung per Video zusätzlich noch in einen anderen Saal übertragen. Demgegenüber war der Gerichtssaal des Engel-Prozesses erheblich kleiner und der seit den in Hamburg durchgeführten Terroristenprozessen durch eine Glasscheibe abgetrennte Zuhörerraum nie überfüllt.

 

Dann zum „Personal“:

Auch die personelle Besetzung des Schwurgerichts der Grande Nation war unübersehbar aufwändiger als die der deutschen Strafkammer: Auf der französischen Richterbank saßen ein Vorsitzender und vier Berufsrichter, auf der deutschen ein Vorsitzender und zwei Berufsrichter; auf der französischen Bank fünf Geschworene plus fünf Ersatzgeschworene, auf der deutschen Bank zwei Schöffen ohne Ersatzleute. Maurice Papon hatte drei Verteidiger, Friedrich Engel nur einen. In der Hansestadt durften die Zeugen ihre Aussagen an einem Tisch sitzend machen, in Bordeaux mussten die Zeugen stehend aussagen. Ein französisches Gericht erheischt offenbar mehr Respekt. In Bordeaux ist der Vorsitzende des Schwurgerichts ‚le Président’, in Hamburg ist der Vorsitzende Richter einer Strafkammer eben ‚der Vorsitzende’. Der Bordelaiser ‚Président’ trug eine Robe mit Hermelinbesatz, der Hamburger Vorsitzende Richter eine schlichte schwarze Robe.

 

Und letztlich zu den Trägern dieser so unterschiedlichen Roben:

Aus dem Munde des Hermelinträgers habe ich während des Verfahrens gegen Maurice Papon keinen einzigen Scherz gehört, sein deutscher Kollege im Verfahren gegen Friedrich Engel lockerte mehr als einmal mit einer saloppen Formulierung die Atmosphäre auf. Der Gesamteindruck von den beiden Strafverfahren war: Eine Gerichtsverhandlung in Frankreich ist eindrucksvoller, aber eben auch formaler und distanzierter, in Deutschland ist sie legerer, aber dadurch auch menschlicher.

Wir dürfen ergänzen – nein: lediglich wiederholen, was schon der Text besagt: Nicht unsere abstrakte Verfahrensordnung allein vermag für den mehr oder weniger „menschlichen“ Ablauf einer ihrer Natur nach ernsten Prozedur zu sorgen – das Gesetz bietet nur einen Rahmen, den die Person füllen, den sie aber auch ignorieren kann. Rolf Seedorf hat diese Herausforderung seines richterlichen Amtes angenommen und glänzend bestanden.

Günter Bertram


[1] Greise vor Gericht, JZ 2004, 184 ff. Der Hamburger Angeklagte stand seinerzeit im 93., der Beschuldigte in Bordeaux im 87 Lebensjahr.