(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/04, 33) < home RiV >

Nachbemerkung zum Fall Engel

Zum Auftakt des sehr gut besuchten traditionellen Pensionärstreffens am 11. November 2004 machte Herr VRiLG Seedorf "Anmerkungen zum Fall Engel", berichtete von der Geschichte des Vorgangs und darüber, wie die Schwurgerichtskammer unter seinem Vorsitz den Fall erlebt, beurteilt und schließlich abgeurteilt hat. Zur Nachgeschichte, nämlich zum Spruch des Revisionsgerichts, beschränkte sich Herr Seedorf (höflicher- und taktvollerweise) auf sehr knappe Andeutungen. Da ein paar persönliche Gespräche mir dann aber zu zeigen schienen, dass der eine oder andere gern wüsste, was der 5. Strafsenat des BGH denn genau gesagt und entschieden hat, sei folgendes nachbemerkt:


Wie früher schon gesagt
[1], war das Hamburger Schwurgericht zu der Auffassung gelangt, dass der Befehl zur Geiselerschießung im Mai 1944 noch im Rahmen des damals kriegsvölkerrechtlich Erlaubten gelegen hatte, seine sozusagen schlichte Ausführung also keine Straftat (jedenfalls kein Mord) gewesen wäre, dass es im konkreten Falle aber (nur) deshalb anders gelegen habe, weil Engel den Befehl grausam, also in Durchbrechung der sog. Humanitätsschranke, habe vollziehen lassen. Darüber ließ sich freilich streiten; und es stand zu erwarten, dass der Revisionssenat just diese Frage ("Grausamkeit im Kriege"), an welcher Verurteilung oder Freispruch zu hängen schienen, entscheiden werde.

Diese Erwartung hat er enttäuscht: Mit Beschluss vom 17. Juni 2004 hob der Leipziger Senat das Hamburger Urteil auf und stellte das Verfahren ein. Dieser Spruch, von dem die Medien erst eine Woche später - am 25. Juni 2004 – durch eine Karlsruher Pressemitteilung Wind bekamen, ließ zunächst vermuten, der BGH habe das Verfahren wegen des hohen Alters des 95-jährigen Angeklagten eingestellt. Von einer Aufhebung des Hamburger Urteils spricht die Presseerklärung im Irrealis und nimmt sie sogar in Abrede ("BGH hat von einer Aufhebung ... abgesehen"). Schon diese ungewöhnlichen Begleitumstände erlaubten die Vermutung, dass der Senat gemeint hatte, auf die Wirkung seiner Entscheidung im Gemenge und Gefüge politischer Stimmungen des In- und Auslands (Italien) Rücksicht nehmen zu sollen. Die Lektüre des schriftlichen Beschlusses, den die Redaktion der NJW alsbald abdruckte[2], bestätigt den ersten Eindruck:

Zunächst stimmt der Senat dem Hamburger Tatgericht zur Grausamkeit nicht nur zu, sondern übersteigert und überbietet dessen insgesamt noch vorsichtige (freilich deshalb auch rechtlich angreifbare) Begründung mit der durch nichts substantiierten, ganz abwegigen Bewertung, damals habe Engel ähnlich exzessiv wüten lassen, wie es von Nazi-KZs notorisch sei, wobei der Senat die kriegsvölkerrechtliche Frage nach der Zulässigkeit der befohlenen Vergeltung, mit der die Hamburger Richter sich abgeplagt hatten, einfach beiseite schiebt: Das damalige Kriegsvölkerrecht habe hinter eine inzwischen geläuterte Auffassung über den Wert menschlichen Lebens zurückzutreten, zumal seine Anwendung zugunsten deutscher Täter "vor dem Hintergrund deutscher Kriegsschuld am Zweiten Weltkrieg ..." grundlegend in Frage zu stellen sei .... Eine völkerrechtliche Neuigkeit, freilich eine applausversprechende! Dann aber vermeidet der Senat dennoch, das Urteil zu halten, mit dem (gänzlich inkonsequenten) Vorwurf, die Hamburger Richter hätten es an subjektiven Feststellungen fehlen lassen. Die freilich ließen sich - nota bene: nach über 60 Jahren! - durchaus noch nachholen; deshalb nur Urteilsaufhebung, kein Freispruch. Gleichwohl keine Rückverweisung, sondern Einstellung des Verfahrens: die Neuverhandlung werde aufwendig werden, und Engel sei doch schon recht alt .... In summa (man muss hier wirklich alles lesen und auf sich wirken lassen!) ein gewundenes Hin und Her, ein unschlüssiges Einerseits und Andererseits mit falschen Zungenschlägen. Ließ sich gegen das Urteil des Hamburger Schwurgerichts immerhin ein sachlicher Einwand erheben, weil es sich zu einem Standpunkt bekennt und den Streitgegenstand nicht vernebelt, muss die Kritik dem 5. Senat in alle Schlangenwindungen seines Beschlusses, dessen Widersprüche, Halbheiten und Suggestionen hinein folgen und kann letztlich gar nicht vermeiden zu fragen, ob man das denn überhaupt noch als höchstrichterliche Strafrechtsprechung im klassischen Sinne passieren lassen kann. Diese Kritik steht einstweilen noch aus. Lediglich um einen Anfang habe ich mich im Heft 32 der diesjährigen NJW[3] schon mal bemüht. ...

Um auf die Pensionärsversammlung zurückzukommen: Frau Schmidt-Syaßen hatte ein paar Exemplare des von Münch'schen opus von der Buchhandlung Mauke in Kommission bekommen und konnte sie dann (des krummen Preises wegen mit einem Gewinn von 5 Cent für gute Zwecke!) an Interessenten abgeben. Übrigens hatte jedenfalls ein Exemplar auch im Beratungszimmer des Leipziger Strafsenats gelegen: es wird nämlich - wenngleich mit durchweg abwehrender Geste - im Beschluss wiederholt zitiert.

Günter Bertram

 


 


[1] MHR 2/2004, S. 36: Zu Ingo von Münch:

Der Fall Engel

[2] NJW 2004, Heft 32, S. 2316 - 2320

[3] NJW 2004, 2278