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 „Gute Rechtsprechung

Ein Bericht vom Juristentag

 

I.          Der Begriff ist - selbst unter der (irrea­len) Voraussetzung, dass der Gesetzgeber dem Land ein gutes Recht beschert hätte - längst nicht mehr eine halbe Tautologie („das Aussprechen guten Rechts ist gute Rechtsprechung“). Die weitläufige Beschreibung, unter welcher der 66. Deutsche Juristentag (Stuttgart, 19. - 22. September 2006) das Thema zur Debatte gestellt hatte, zeigt, was alles unter dem Stichwort heute subsumiert werden muss:

„Gute Rechtsprechung - Ressourcengarantie und Leistungsverpflichtung – Unabhängigkeit der Dritten Gewalt – Funktionsgerechte Ausstattung“.

Also hat die Zeit verschlafen, wer das Thema für ein rein methodisches hält: es ist vielmehr ein durchaus und fast ausschließlich praktisch-organisatorisches geworden und verdankt seinen heutigen Inhalt der rasanten Ökonomisierung aller Lebensbereiche, die schon längst auch die Justiz erfasst hat:      effizient, kostengünstig, kundenfreundlich, schlank und schnell! Darüber wird geschrieben, getagt und diskutiert, ohne dass letztlich noch viel Neues vorgebracht werden kann; die Literatur dehnt sich uferlos, so dass eine auch nur kursorische Rekapitulation des Sach- und Streitstands ermüden müsste[1]. Deshalb nachfolgend kaum mehr als ein paar herausgegriffene, unvollständige Zitate und Impressionen aus Stuttgart:

 

II.         Die Ständige Deputation des DJT hatte die Termine zur Erörterung und Beschlussfassung über das Thema Rechtsprechung von den Sitzungszeiten der fünf Fachabteilungen (Zivil-, Arbeits-, Straf-, Wirtschafts-, Steuer- und Öffentliches Recht) freigehalten, sie also als Plenarveranstaltungen für die ca. 2.500 Teilnehmer geöffnet.

Der Präsident des DJT, RiBVerfG i.R. Paul Kirchhoff moderierte die Sitzungen der Abteilung souverän, sachkundig und mit zurückhaltendem Engagement, auf deren Podium RiBVerfG Wolfgang Hoffmann-Riem, Rechtsanwalt Felix Busse, PrOLG Stuttgart Eberhard Stilz und der niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring saßen, um ihre Thesen[2] vorzutragen und zu erläuterten. Im Grossen und Ganzen entfaltete sich dabei das bekannte Spektrum:

Möllring ließ keinen Zweifel: „... Auch die Justiz muss ihren Beitrag zur Haushaltskonsolidierung leisten. ... Außerdem ist eine strukturelle Verschlankung der Justiz erforderlich. ... Jeder Richter muss immer wieder prüfen, ob er seine Aufgaben tatsächlich so effizient wie möglich erledigt, ohne dass die Qualität der Entscheidung leidet. ... Die Situation der öffentlichen Haushalte gebietet auch der Justiz, sich an dringend erforderlichen Konsolidierungsmaßnahmen konstruktiv zu beteiligen[3]. ...“.

Hoffmann-Riem fasste seinen - von ihm schon vielfach literarisch dargelegten - Standpunkt in elf Thesen zu einer Warnung vor Missdeutung, Überdehnung und Missbrauch des Unabhängigkeitsbegriffs zusammen. „Auch Reformen wie die Einführung des NSM ... brechen sich nicht am Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit, müssen sich aber am Gebot der Effektivität, d.h. der Funktionsfähigkeit der Justiz messen lassen“[4].

Busse stellte „Respekt und Anerkennung“ für die hohe Qualität der deutschen Rechtsprechung voran[5], rügte den Gesetzgeber wegen des Abbaus von Rechtsmitteln und wegen sonstiger Kürzungen[6], verlangte von den Gerichten aber Transparenz, um gute und schlechte Richterleistungen öffentlich sichtbar werden zu lassen[7], die Einführung richterlicher Dienstzeiten[8] und eine Effizienzsteigerung durch volle Ausschöpfung der Dienstaufsicht[9].

Stilz fand, dass es die Länder seien, die ihrer Justizgewährungspflicht nicht mehr „vollen Umfangs“ nachkämen; eine „Justiz nach Maßgabe des Haushalts“ aber könne ein Rechtsstaat sich einfach nicht leisten[10].

 

III.        Der Beschlussfassung vom 22.09.06 war eine lebhafte Diskussion vorangegangen – mit Fürsprechern und Gegnern beider Tendenzen, die in den hier skizzierten Thesen ihren Ausdruck gefunden hatten. Auch der RiOLG Karlsruhe Schulte-Kellinghaus[11], hatte wiederholt, auch mit eigenen Anträgen, in die Debatte eingegriffen und war dabei u.a. einer gar zu bereitwilligen Übernahme von „Steuerungsmodellen“ zur Lösung von Justizproblemen entgegengetreten. Dass die Beschlussvorlage in Ziffer 1 die Wendung „in richterlicher Unabhängigkeit“ noch aufgegriffen hatte, ist seiner Intervention zu danken; die mehrheitlich gebilligten Ziffern 13. und 14. gehen, wie unten ersichtlich, auf ihn zurück. Ob seine wichtige Ziffer 12. auch ohne den ausdrücklichen Appell an den Gesetzgeber mehrheitlich abgelehnt worden wäre, scheint mir zweifelhaft. Die Substanz der Ziffer jedenfalls stimmt mit der Analyse Papiers[12] und anderer durchaus überein.

 

IV.       Hier also die Beschlüsse der Abteilung Justiz :

1.   Maßstab guter Rechtsprechung in richterlicher Unabhängigkeit ist die Herstellung von Rechtsfrieden, Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit.

     angenommen: 187/0/1

2.   Ein wesentliches Mittel zur Sicherung dieser Qualität ist ein wirkungsvolles Rechts­mittelsystem.
angenommen: 179/0/1

3.   Gerichte und Staatsanwaltschaften sind aufgefordert,

     a)    tragfähige Formen der Qualitätssiche-
rung
wie Vergleichsringe, Benchmarking und Qualitätszirkel – selbst weiter zu entwickeln,

     b)    Qualitätsziele – auch im Zusammenwirken mit der Anwaltschaft - zu erarbeiten.

            angenommen: 175/6/5

4.   Rechtsprechung in angemessener Zeit ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal.

     angenommen: 188/0/1

5.   Daten über die richterliche Leistung sind gerichtsintern zugänglich zu machen, soweit der einzelne Richter nicht individualisiert wird.

     angenommen: 112/59/10

6.   In Teilbereichen ist ein Justizgewährungsdefizit bereits entstanden. Dem ist dadurch entgegen zu wirken, dass der Gesetzgeber die erforderlichen Ressourcen bereitstellt und die Gerichte bei der Normsetzung entlastet.

     angenommen: 180/8/4

7.   a) Bei neuen Gesetzen hat der Gesetzgeber auch die Folgen für die Belastung der Justiz einzuschätzen und die Ergebnisse in der Begründung mitzuteilen. angenommen: 180/4/8

b)   Bestehende Vollzugsdefizite der Exekutive dürfen nicht auf Kosten der Justiz aufgearbeitet werden.

angenommen: 115/32/42

8.   Die verfassungsrechtliche Justizgewährungspflicht einerseits sowie die Verfassungsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Haushalts andererseits sind in einen schonenden Ausgleich (praktische Konkordanz) zu bringen.

     angenommen: 164/9/17

9.   Dabei ist die Justiz institutionell zu beteiligen.

angenommen: 168/12/12

10.   Zur Justizgewährung gehört auch die Erreichbarkeit des Richters.

angenommen: 164/6/15

11.   Die Justizhaushalte in den Ländern werden von den Landesregierungen beantragt. Der Deutsche Juristentag stellt fest, dass die Landesregierung bei den Haushaltsanträgen für die Justiz der ver

fassungsrechtlichen Justizgewährungspflicht vielfach nicht mehr in vollem Umfang nachkommen. Der Bundesgesetzgeber sollte Verfahrensregeln schaffen, die Gewähr für eine Beachtung der Justizgewährungspflicht in den Ländern bieten. (Antrag Schulte-Kellinghaus)

       abgelehnt: 68/92/30

 

12.  Die richterliche Unabhängigkeit ist essentielle Grundlage des Rechtsstaats. Aus der richterlichen Unabhängigkeit ergibt sich insbesondere die Verpflichtung jedes einzelnen Richters und jedes Spruchkörpers, nach den Maßstäben des Gesetzes zu entscheiden, wie viel Zeit für die Bearbeitung einzelner Fälle aufzuwenden ist. Die richterliche Unabhängigkeit in Deutschland ist gefährdet, weil die Exekutive durch Ressourcenbegrenzung richterliche Tätigkeit steuert in Richtung einer Verringerung der „Bearbeitungstiefe“. Der Gesetzgeber sollte durch geeignete Maßnahmen dem entgegenwirken. (Antrag Schulte-Kellinghaus)

       abgelehnt: 50/103/37

 

13.  Der Gesetzgeber sollte sicherstellen, dass die Anforderungen der Gerichte für ihre personellen Ressourcen – vor allem für die Anzahl der erforderlichen Richterstellen -, falls die Regierung sich die Anforderungen nicht zu eigen macht, dem Parlament mitzuteilen sind. (So schon der Beschluss des 40. Deutschen Juristentages in Hamburg). (Antrag Schulte-Kellinghaus)

       angenommen: 78/68/41

 

14.  Der Gesetzgeber sollte sicherstellen, dass eine Vertretung der Gerichte, die organisatorisch den Präsidialräten entspricht, an den Beratungen der Haushaltsausschüsse, soweit es um den Haushalt für die Gerichte geht, zu beteiligen ist. (So schon der Beschluss des 40. Deutschen Juristentags in Hamburg.). (Antrag Schulte-Kellinghaus)

       angenommen: 72/70/53

 

Günter Bertram


[1] deshalb lediglich als Beispiele aus jüngster Zeit: Neumann: Richterliches Ethos und Ökonomie der Justiz, DRiZ 2006, 211, Arenhövel: Controlling, Benchmarking, Outsourcing ..., DRiZ 2006, 237; Neumann: Die Justiz im Ressourcenwettstreit, DRiZ 2006, 238; Mackenroth – jetzt als Sächsischer Justizminister: Der Weg ist das Ziel – Justiz muss sich fortentwickeln und erneuern – Effizienzsteigerung und Konzentration auf Kernaufgaben, DRiZ 2006, 241; Dombek: Von Anwälten lernen – Die richterliche Unabhängigkeit darf nicht zum pauschalen Schutzargument verkommen, DRiZ 2006, 247; Prantl: Die letzten Tage des Wunders Justiz, DRiZ 2006, 254; Papier: Staatliche Rechtsgewährung, DRiZ 2006, 261. Von Bargen: Gute Rechtsprechung – Ein Plädoyer für eine engagierte Qualitätsdiskussion in den Gerichten, NJW 2006, 2531; Papier: Die richterliche Unabhängigkeit und ihre Schranken, NJW 2001, 1089, dort insb.: Richterliche Unabhängigkeit und „Neue Steuerungsmodelle“, a.a.O., S. 1093; ders., Vortrag vor der Mitgliederversammlung 2004 des Richtervereins: MHR 1/2004, 4; ders.: Zur Selbstverwaltung der Dritten Gewalt, NJW 2002, 2585; Stilz, Das Justizgewährungsdefizit, DRiZ 2006, 320 ff..

In den MHR ist das Thema schon seit Jahren laufend behandelt worden – in Beiträgen und „Editorials“, so z.B. auch noch in Karin Wiedemanns Abschieds-Kolumne, MHR 2/2005, S. 2. Kurz, kritisch, sachkundig: Schulte-Kellinghaus: Die Ressourcerngarantie für die Dritte Gewalt, ZRP 2006, 169 – 200.

[2] 66. DJT - Thesen der Gutachter und Referenten, S. 73 – 79: Justiz

[3] aus der schriftlichen Fassung des Referats vom 21.09.06

[4] aus These 9)

[5] These 3)

[6] insb. These 4), 5) und 7)

[7] These 14)

[8] These 13)

[9] These 12)

[10] vgl. Thesen 2) und 3b)

[11] vgl. ZRP 2006, 169; auch die Homepage des DRB-NRW

[12] NJW 2001, 1093