(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/05, 6) < home RiV >

Karin Wiedemann geht

Was wird nun aus unserer  

rechthistorischen Bildung?

 

Karin Wiedemann hat die Hamburger Justiz verlassen. Wer wird uns künftig in den MHR oder in sorgfältig gemachten Bilder- und Dokumentenausstellungen aus der Rechts- und der Justizgeschichte so interessant und lebendig berichten, wie sie es in mehr als 20 Jahren in vielfältiger Weise gemacht hat?

 

Als Roland Makowka, Vorsitzender des Hamburgischen Richtervereins, 1982 die Vorbereitungen für die ersten Hamburger Justiztage aufnahm und hierzu verschiedene Arbeitsgruppen gründete, war Karin Wiedemann, seinerzeit noch recht neues Mitglied im Vorstand des Vereins, von Anfang an dabei. Mit Roland Makowka war es ihr ein besonderes Anliegen, die völlig kahlen und unansehnlichen Wände des Ziviljustizgebäudes zu schmücken. Neben der Mitarbeit an anderen Dokumentationsarbeiten versah sie den Gang zur Grundbuchhalle vor dem Saal 583, der in der Folgezeit jahrelang Repräsentationsaufgaben diente, mit einer Ausstellung von fachkundig erläuterten Kopien der Miniaturen das Hamburger Stadtrechts von 1497.

Mit dieser Ausstellung wies sie nicht nur auf eine der berühmtesten und bemerkenswertesten illustrierten Rechtshandschriften des Mittelalters hin und tat damit zugleich ihr besonderes Interesse an der Rechtsgeschichte kund; mit ihr begann Karin Wiedemann auch eine Reihe von weiteren Ausstellungen im Ziviljustizgebäude. Zu nennen sind hier beispielhaft die - auch kulturhistorisch - sehr instruktive und reich bebilderte Ausstellung „Börse und Handelskammer in Hamburg“ (vergl. dazu auch Wiedemann in MHR 5/1984, S. 3 ff), die Ausstellung zur Geschichte der Hamburger Bürgerschaft oder die im Raum 583 gezeigte Sammlung von Abbildungen Hamburger Justizgebäuden seit dem Mittelalter mit Erläuterungen und alten Stadtplänen.

 

Zeitgleich und im Zusammenhang mit der letztgenannten Ausstellung begann Karin Wiedemann mit ihrer wissenschaftlichen Artikelreihe „Über Gerichtsgebäude in Hamburg“. Über fast zwanzig Jahre hat sie in ebenso vielen Artikeln in den MHR über die verschiedenen Gebäude berichtet, in denen die Hamburger Gerichte in der Vergangenheit arbeiteten oder heute noch arbeiten. Die Reihe begann mit dem Bericht vom domus iudicii (erstmalig erwähnt 1353) und endete 2001 mit einem Artikel zum 120. Geburtstag des Strafjustizgebäudes. In dem letzten Artikel berichtet sie auch von der im Jahr 2000 erfolgten überraschenden Wiederentdeckung und Freilegung der Stuckdecke und der - aus Zweckmäßigkeitsüberlegungen allerdings nur teilweisen - Wiederherstellung des einst über zwei Stockwerke reichenden, säulengeschmückten Plenarsaals.

Für diese Artikelserie mußte Karin Wiedemann nicht nur die weit verstreute einschlägige Literatur auswerten, sie mußte auch ein intensives Quellenstudium in den Bauakten und den Akten der Verwaltung betreiben. Dazu waren viele Besuche des Staatsarchivs erforderlich. Mühsam und zeitaufwendig war auch das Auffinden der zahlreichen Abbildungen, die ihre Arbeit erst so richtig augenfällig und lebendig machten. 1988 hat Karin Wiedemann ihre bis dahin getätigten Forschungen in ihrem – inzwischen neu aufgelegten – Buch „Über Gerichtsgebäude in Hamburg“ vorgestellt und 1994 in einem Aufsatz in dem von Jan Albers u. a. herausgegebenen Sammelband „Recht und Juristen in Hamburg“ zusammengefasst.

Für Karin Wiedemann wäre es der schönste Lohn für ihre Mühen, wenn jede Hamburger Juristin und jeder Hamburger Jurist sich anhand ihrer Arbeiten einmal über die Gebäude informieren würde, in denen sie oder er täglich ein- und ausgeht.

 

Auch zu Leben und Werk bedeutender Hamburger Juristen hat sich Karin Wiedemann in den MHR geäußert. Daß sie sich dabei weit in die Vergangenheit zurückbegeben hat, verwundert angesichts ihres historischen Interesses nicht.

Ihre 1983 begonnene dreiteilige Artikelserie über den rechtsgelehrten Hamburger Ratsherrn und späteren Bürgermeister in bewegter Zeit, Dr. Hermann Langenbeck (1452 – 1517), war Ergebnis ihrer Beschäftigung mit der Bilderhandschrift des Hamburger Stadtrechtes von 1497, war es doch Langenbeck, der das in Hamburg geltende Recht in jahrelanger Arbeit gesammelt und geordnet und dann die Handschrift in Auftrag gegeben hatte. In MHR 2002, Heften 1 und 2, hat Karin Wiedemann das Thema noch einmal detailreich aufgegriffen und – wohl mit einem Augenzwinkern – einen Bezug zum neuen Seegerichtshof in der Georg-Bonne-Straße hergestellt (über den sie übrigens auch in MHR 3/2000, S. 14 ff. geschrieben hat).

Während Langenbeck vor allem ein Rechtspraktiker war, war Dr. Johann Oldendorp (1488 – 1567) mehr Rechtslehrer. Und während Langenbeck wegen seiner Bilderhandschrift auch heute unvergessen ist, kennen nur noch rechthistorisch Interessierte den in Rostock, Frankfurt/Oder, Köln und Marburg lehrenden Professor Oldendorp. Mit ihm beschäftigte sich Karin Wiedemann anläßlich seines 500. Geburtstages in einem langen und reich bebilderten Artikel in MHR 3/1988, S. 21 ff. Zu herausragenden Leistungen Oldendorps gehört es, die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der Rechtswissenschaft der frühen Neuzeit zu einer Reform des juristischen Studiums verbunden zu haben, und seine Schriften waren bahnbrechend für die Abwendung von einer starren Gesetzesauslegung und für die Hinwendung zur Billigkeit als Gerechtigkeit des Einzelfalles sowie für die Entwicklung der freien richterlichen Beweiswürdigung. Wieder stellte Karin Wiedemann Leben und Wirken des Juristen in den großen Rahmen der politischen und der Geistesgeschichte seiner Zeit. Bei ihren Hamburger Lesern hat sie Oldendorp wieder in das Gedächtnis gerufen, wenn sie bei Abfassung ihres Aufsatzes wohl auch etwas skeptisch war, ob der Genannte nicht bald wieder dem allgemeinen Vergessen anheimfiele, lautete der Titel ihrer Arbeit doch „Wer war Johann Oldendorp?“.

Ohne Bezug zu Hamburg, Karin Wiedemann als Kommunalpolitikerin und Vorsitzender der Frauenunion aber sehr wohl nahe, war die Politikerin Dr. Elisabeth Schwarzhaupt, die erste Frau in einem Kabinett Adenauers und u. a. eine vehemente Verfechterin der Rechte von Frauen. Ihrer gedachte Karin Wiedemann in MHR 3/2001, S. 11 ff. zum 100. Geburtstag.

 

Aus ihrem rechts- und justizpolitischen Interesse heraus hat sich Karin Wiedemann auch immer für die Rolle der Justiz im Nationalsozialismus und die Aufarbeitung der bedrückenden Geschehnisse interessiert. Nicht nur während ihrer langjährigen Tätigkeit in dem von ihr 1984 mitbegründeten Arbeitskreis „Kultur und Justiz“ hat es immer wieder Veranstaltungen zu diesem Themenkreis gegeben, vor allem leitete sie von 1988 bis 1994 das Projekt „Mahnmal für die Opfer nationalsozialistischer Justiz“. In einer Vielzahl von Sitzungen mit ständig wechselnden, von unterschiedlichen Dienststellen und Institutionen gesandten Teilnehmern und vielen Besprechungen mit verschiedenen Behörden hat sie immer versucht, Widerstände gegen ein Mahnmal zu überwinden und zu einer angemessenen Lösung zu kommen. Viele Enttäuschungen mußte sie erleiden, mit dem schließlich in der Arbeitsgruppe gefundenen Kompromiß mußte sie sich abfinden. Umgesetzt wurden die Vorstellungen der Projektgruppe dann schließlich doch nicht. Der seinerzeitige Senator Hoffmann-Riem traf eine eigene Entscheidung und ließ das heute vor dem Oberlandesgericht stehende und sehr umstrittene Mahnmal errichten.

 

In den MHR können wir noch weitere rechtsgeschichtliche Arbeiten Karin Wiedemanns finden. Hier ist nicht der Platz, sie alle aufzuzählen. Aber sehr lesenswert waren sie immer, und zwar auch für Leser, deren Leidenschaft nicht gerade die Rechtsgeschichte ist. Dieser für uns Juristen so wesentliche Teil der Geschichte ist kein Schwerpunkt in der juristischen Ausbildung, und in der täglichen Rechtspraxis gibt es auch nicht oft einen historischen Bezug. Um so amüsanter war es, wenn Karin Wiedemann ab und zu einmal in den MHR – sozusagen nebenbei, zur belehrenden Erbauung und mit leichter Feder – uns einen Blick in die Vergangenheit werfen ließ. Dafür sei ihr ein ganz herzliches Dankeschön nach Kiel nachgerufen. Auch wenn sie Hamburgs Justiz verbunden bleiben sollte, so ist doch zu befürchten, daß ihr das neue Amt in Kiel keine Zeit mehr läßt für literarische Ausflüge in die Rechtsgeschichte. Wir werden das sehr vermissen; uns bleibt dann nur die Möglichkeit, Karin Wiedemanns Artikel ab und an wieder zur Hand zu nehmen.

 

Udo Löhr