1. Setzen wir folgenden Fall:
In einer Kleinstadt, die sich noch eines sog. kleinen Amtsgerichts mit nur zwei Richtern erfreut, herrscht ein ortsbekannter, allenthalben diskutierter Mietstreit, der einmal auch bis vor den Kadi gelangt, von ihm aber als unzulässig abgewiesen worden war. Doch in den Schankstuben des Ortes wogt es fort: ob hier nicht der Vermieter einen neuen Anlauf machen solle, den allgemein missliebigen, ja weithin verhassten und verabscheuten Mieter gerichtlich hinauszuklagen. Da melden sich unverhofft die beiden Richter zu Wort – der eine im örtlichen Schmuddelblatt, der andere gegenüber einem als seriös geltenden Journalisten: Eine erneute Klage sei doch keineswegs unmöglich oder aussichtslos, zumal der zuständige Richter (meint der unzuständige Kollege) bei der früheren Abweisung selbst schon gewisse Bedenken habe überwinden müssen. Freilich (meint der seinerzeit judiziert habende Richter) empfehle sich jetzt die Beachtung bestimmter Vorkehrungen. ... In jedem Falle aber dürfe der Kläger sicher sein, dass sein Gesuch auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts bereitwillig aufgenommen und dann vom Richter auch zügig bearbeitet werden würde.
Soweit der erdachte Fall, der sich so fortspinnen lässt:
Da die beiden Richter, wie es jedenfalls scheint, in die allgemeine Abneigung nicht nur einstimmen, sondern ihr auch forensische Durchsetzung versprechen, werden sie ihrer Gesinnung und Solidarität wegen gerühmt und gelobt. Der Zuspruch so hoher Respektspersonen erwärmt natürlich alle Herzen. ... Wird der Beifall von Dauer sein? Nach Abklingen der ersten Begeisterung fällt den Leuten ein, dass sie die Richter doch deshalb in ihr Amt gesetzt hatten, damit sie über ihre Streitigkeiten juristisch entschieden – objektiv, nach Recht und Gesetz, unparteiisch, nicht aber nach ihrer Sympathie und Abneigung, die doch wohl höchst unsichere Maßstäbe wären und sie – die Leute vor dem Tresen - auf eine Fahrt ins Blaue schicken könnten. ... So macht sich nach der ersten Freude in der Einwohnerschaft ein peinlich-nagender Zweifel breit: Zweifel an der Amteignung ihrer beiden Richter.
2. Zurück zur Realität des Tages:
Ende Januar 2005 war die Frage eines erneuten NPD-Verbotsverfahrens in aller Munde. Die wieder aufflammende Debatte[1] stand zuletzt unter dem Eindruck provokanter Flegeleien der sächsischen NPD-Fraktion im Dresdener Landtag und des Auschwitzgedenkens zum 27. Januar, auch der eindrucksvollen Rede des Auschwitz-Überlebenden Arno Lustiger vor dem Bundestag, der bei dieser Gelegenheit mit Blick auf den Beschluss des Zweiten Senats vom 18. März 2003 dem Bundesverfassungsgericht empfohlen hatte, seine „Samthandschuhe“ im Umgang mit Verfassungsfeinden auszuziehen.
Prompt danach, am Sonntag, dem 30. Januar ließen dessen beide Senatsvorsitzende sich in der Presse vernehmen: Gerichtspräsident Papier schrieb einen Gastkommentar in „BILD am Sonntag“, sein Vize Hassemer ließ sich vom SPIEGEL interviewen:
Der Präsident - Vorsitzender des (für Parteiverbote unzuständigen) Ersten Senats - hebt hervor, die Verfahrenseinstellung - im Zweiten Senat seinerzeit „nicht unumstritten“ - sei wegen des damaligen V-Mann-Einsatzes erfolgt und durchaus keine negative Vorentscheidung für den Fall eines erneuten Verbotsantrags[2]. Hassemer erklärt im Spiegel[3] ein Verbotsverfahren gegen die NPD nach wie vor für durchführbar, Verfassungsschutzspitzel in der Parteispitze müssten nur rechtzeitig vor dem neuen Verfahren zurückgezogen oder zumindest „abgeschaltet“ werden. Zur Not könne man von dieser (damals verfügten) rechtsstaatlichen Restriktion auch Ausnahmen gestatten. Jedenfalls aber werde das Gericht neue Verbotsanträge „bereitwillig entgegennehmen“.
3. Die drei Richter[4], die den Spruch vom März 2003 durchgesetzt und damit eine durch Geist und Sinn der Verfassung gebotene Entscheidung bewirkt hatten[5], sind offensichtlich zermürbt, verunsichert, der eigenen Courage überdrüssig und werben unverhüllt für eine Chance, sich selbst zu korrigieren - unter gesichtswahrenden Kautelen, die der Senatsvorsitzende Hassemer deutlich nennt. Ob der Gerichtspräsident die treibende Kraft dieser Kehrtwendung ist, er nur Flankenschutz gibt, oder ob ein Gemeinschaftsunternehmen mit verteilten Rollen vorgeführt wird, ist gleichgültig. Die Präsidenten betätigen sich jedenfalls als rein politische Ratgeber und Antreiber – sozusagen freihändig, weit außerhalb ihrer Kompetenz und Pflicht, der Verfassung Geltung zu verschaffen; und sie schieben ihre vereinte Amtsautorität hinter die kaum verklausulierte Zusage, den Weg zur erwünschten Entscheidung nicht wieder zu blockieren, wenn nur die Antragsteller das nächste Mal dabei ein paar gute Empfehlungen beachteten. Eine unverblümte Parteinahme – höchst-richterliche Parteinahme! - also, ohne jedes Präjudiz in der bisherigen Geschichte der Bundesrepublik.
Bei nur halbwegs vergleichbarer Lage würde kein „gewöhnlicher“ Richter weiter amten können, zumal nicht im konkreten, seine Redseligkeit auslösenden Falle[6]. In Karlsruhe freilich würde ein Befangenheitsantrag, käme er eines Tages, glatt vom Tisch gewischt werden.[7] Der „kleine“ Amtsrichter aber könnte sich mit der alten Spruchweisheit trösten: quod licet Jovi non licet bovi.[8]
Günter Bertram
[1] Sie war nicht zur Ruhe gekommen, nachdem der 2. BVerfG-Senat mit Beschluss vom 18. März 2003 - vgl. NJW 2003, 1577 ff - das Verbotsverfahren gegen die NPD eingestellt hatte, weil die Behörden sich ihre Beweise gegen die NPD auch durch Spitzel verschafft hätten und ein faires Verfahren deshalb nicht mehr möglich sei. Zum abweichenden Votum von vier der sieben Richter des Senats vgl. NJW 2003, 1583 –1587. Guter allgemeiner Überblick: Verbot der NPD oder Mit Rechtsradikalen leben, 2002, Edition Suhrkamp Nr. 2260, Hrsg. von Claus Leggewie und Horst Meier.
[2] Vgl. dazu FAZ vom 31.01.05: Was die Richter sagen und Ausschreitungen bei NPD-Demonstration in Kiel – Papier und Hassemer äußern sich zu neuem Verbotverfahren / Wiefelspütz: Knaller aus Karlsruhe; FAZ vom 01.02.05: Verfassungskommentar und: Neues NPD-Verbotsverfahren stößt auf Skepsis.
[3] SPIEGEL Nr. 5/2005 S. 24: Nach wie vor durchführbar – Winfried Hassemer, Vizepräsident des BVerfG, über die Chancen eines neuen NPD-Verbotsverfahrens.
[4] Zur erforderlichen Mehrheit vgl. BVerfGG §§ 15 (4) 1, 13 Ziff. 2 (Parteiverbot).
[5] Vgl. Horst Meier: Befreiungsschlag aus Karlsruhe, Blätter für deutsche und internationale Politik 5/2003, 526; ders.: In der Nachfolge der NSDAP? Das SRP-Verbotsurteil und das Verfahren gegen die NPD, aaO. Heft 4/2003, 485.
[6] Zunächst dreht es sich um das Gebot richterlicher Mäßigung, dazu z.B. Rudolph DRiZ 1984, 135, ders. DRiZ 1994, 390; Sendler NJW 1984, 689; weitere Nachw. bei Bertram: Mäßigungsgebot für Amts- und Bundesverfassungsrichter, MHR 2002, Heft 3, S. 26, dort Fn. 5). Das jedem Praktiker, zumal des Strafrechts, geläufige Befangenheitsproblem ist nur ein Seitenstück dieser Mäßigungspflicht: Käme es zum Schwure, läge die Frage allerhöchstrichterlicher Befangenheit hier freilich auf der flachen Hand; Friedrich Karl Fromme malt das aus in FAZ vom 01.02.05: Äußerste Zurückhaltung – Öffentliche Äußerungen von Verfassungsrichtern zu Verfahren sind ungewöhnlich.
[7] Die naturgemäß unanfechtbare Entscheidung über eine Ablehnung würden die übrigen Senatsmitglieder treffen, die ausweislich ihres abweichenden Votums vom 18.03.2003 von den alten Skrupeln ihrer inzwischen bekehrten Kollegen ohnehin nichts gehalten hatten.
[8] Was Jupiter darf, ist dem Rindvieh noch lange nicht erlaubt.