(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/02, 26 ) < home RiV >

Mäßigungsgebot für Amts- und Bundesverfassungsrichter

– neue Maßstäbe beim DRiB? –

 

Der nachstehende Aufsatz unseres Kollegen Günter Bertram erschien im Juli d.J. in Heft 2 / 2002, 117 ff von Recht und Politik - der von Rudolf Wassermann herausgegebenen Vierteljahreshefte für Rechts- und Verwaltungspolitik. Obwohl er für die Leser der MHR zum Teil (jedenfalls der Substanz nach) Wiederholungen bringt (zu Teil B. vgl. MHR 2 / 2002, 18 ff) und Teil A. als Einführung primär für Ortsfremde gedacht war, haben wir von entsprechenden Kürzungen abgesehen. Sie würden den Gesamtzusammenhang nicht unbeeinträchtigt lassen, der angesichts der hier geübten verbandspolitischen Kritik gewahrt bleiben sollte. Seit Abfassung der Zeilen ist viel Wasser die Elbe hinabgeflossen: ein neuer Bundestag ist gewählt worden; auch die Hamburger Stadtbeleuchtung ist nicht mehr nuancenlos die gleiche wie im Frühjahr 2002. Gleichwohl - oder auch: umso eher – mag es nicht ohne Reiz sein, noch einmal über die alten Stoppelfelder zu streifen.

 

A.

 

Ronald Schill - früher Strafrichter, jetzt amtierender Innensenator Hamburgs - war und ist nicht zimperlich im Umgang mit seinen Widersachern: ritt er doch schon vor dem Beginn seiner politischen Karriere und später erst recht erbitterte Attacken gegen alle, die er der „linken“ politischen Szene zuordnete und beschuldigte, vor der Kriminalität im allgemeinen und „autonomen“ Chaoten im besonderen zu kapitulieren. Zu diesen Lahmen und Laschen zählte er in Hamburg fast alle – außer sich selbst. Ein Mann, dem das Schwert so locker sitzt, kann sich nicht beklagen, wenn er seinerseits mit schwerem Säbel bekämpft wird; und an leidenschaftlicher Feindschaft haben es seine Gegner ihrerseits dann auch nicht fehlen lassen. Darüber ist hier nicht zu raisonieren oder zu rechten. Dennoch bleibt daran zu erinnern, dass die Wahlkämpfer der rot - grünen Rathauskoalition sich verbissen bemüht hatten, nachdem wiederholte Wahlprognosen ihnen eisige Schauer über den Rücken gejagt hatten, ihren zunächst verlachten politischen Konkurrenten - sachlich durchaus zu Unrecht ! -in die braune Ecke zu verbannen - als „Haider des Nordens“, „rechten“ Populisten und skrupellosen Rattenfänger, den kein anständiger Demokrat als diskursfähig behandeln könne – „man rede über, nicht mit ihm!“1.

 

Nachdem Schill in Hamburg als Senator amtet, ist es um ihn nicht ruhiger geworden22 - im Gegenteil: er und seine durchweg politisch unerfahrenen Leute sind über Nacht die tragende Säule einer „bürgerlichen“ Dreierkoalition geworden, die an sich schon - nach fast 4o Jahren sozialdemokratischer Stadtherrschaft - das Regierungsgeschäft verlernt und große Mühe hat, in ihm Tritt zu fassen. Kein Wunder, dass der oft unprofessionell agierende Innensenator, der mit dem utopischen Versprechen angetreten war, in Hamburg binnen 100 Tagen die Kriminalität zu halbieren, und der auch sonst viele Angriffsflächen bietet, der jetzigen Opposition als Zielscheibe wie gerufen kommt. Hier ist nicht der Ort für den Versuch, die Szene zu beschreiben oder ihre Akteure zu bewerten - Recht und Politik ist schließlich keine Tageszeitung! Schill hat sich als (früherer) Amtsrichter in das politische Getümmel gestürzt und beruft sich für sein kriminal- und innenpolitisches Programm gern auch auf seine richterliche Erfahrung; deshalb ist in seinem Falle das polemische Geschäft wechselseitig mit der Anführung rechtlicher Argumente stärker durchmischt als sonst3; auch das ist durchweg weder aufregend noch notierenswert. Allerdings gibt es auch Ausnahmen - Vorgänge, die es aus rechtspolitischem Interesse verdienen, über den Tag hinaus festgehalten zu werden: Zu reden ist beispielsweise von einer Intervention des Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Hoffmann-Riem gegen Schill, die eine kurze auch überregionale Erörterung hat aufflammen lassen; und von einer Rüge, die der Deutsche Richterbund einem ungenannten Magdeburger Strafrichter erteilt hat.

 

B.

 

1. Um mit dem Ungenannten zu beginnen:

 

a. Auf der homepage des Deutschen Richterbundes findet sich unter dem 6. Dezember 2001 die Schlagzeile:

 „DRiB: Auch für der „Schill – Partei“ nahestehende Richter gilt das Mässigungsgebot“ - und dazu als Sachverhalt:

 

„In der gestrigen Ausgabe der Volksstimme Magdeburg wird ein der „Schill-Partei“ nahestehender Strafrichter mit den Worten zitiert: „Die harte Linie hat bei der Obrigkeit keinen Anklang gefunden“. Weiter soll der Richter geäußert haben, der Rechtsstaat sei in Sachsen-Anhalt heruntergekommen“.

Dies wird vom DRiB dahin kommentiert, das Zitierte sei, sofern zutreffend berichtet, wegen Verstoßes gegen § 39 DRiG „nicht hinnehmbar“ und gefährde das allgemeine Vertrauen in die Unparteilichkeit der Justiz. Zwar sei, so wird der Vorsitzende des DRiB zitiert, der Richter in seiner politischen Betätigung und Meinungsäußerung frei, müsse sich aber aller Beschimpfungen und sonst unangemessener Kundgaben enthalten.

 

b. Letzteres trifft allerdings zu. Lag aber hier ein Grund vor, allgemein unbestrittene Maximen in feierliche Erinnerung zu rufen? Die missbilligte Erwähnung mangelnden Anklangs einer harten Linie bei der Obrigkeit entbehrt an sich schon eines fassbaren Sinns: was ist denn hier wie, wo und aus welchen Gründen oben übel aufgenommen worden? Mit wem und aus welchen Anlässen hadert unser Amtsrichter? Ist es sein Rechtsmittelgericht, sind es die kriminalpolitischen Grundsätze seines Ministeriums, oder was sonst? Man erfährt nichts: die Zeitung schweigt, und auch der DRiB scheint nicht klüger zu sein. Die Ausdrucksweise des Richters („hat keinen Anklang gefunden“) jedenfalls ist so mild und zahm, dass sie im gewohnt schrillen Getöse politischer Kundgaben gewiss alsbald ungehört versunken wäre, hätte nicht die Presse sie - aus zunächst einmal unerfindlich scheinenden Gründen – an die große Glocke gehängt.

 

Aber der angeblich heruntergekommene Rechtsstaat – fordert vielleicht der eine berufsverbandliche Rüge wegen verbaler Unziemlichkeit heraus? Wie jedenfalls der zweite Blick zeigt: ein abwegiger Einfall ! Über die Verfassungswirklichkeit war schon in der alten Bundesrepublik lebhaft geklagt und mit hohem Engagement der Nachweis versucht worden, dass er Rechtsstaat des Grundgesetzes durch die Adenauer’sche Restauration, durch Notstandsgesetze, Große Koalition, Berufsverbote, Verfolgung kritischer Bürger usw. ausgehöhlt und pervertiert werde, wozu sich ein Seitenstück auch in der strafrechtlichen Literatur finden lässt: Klagen und Anklagen, dass in ständiger Abbau von Verteidiger- und Beschuldigtenrechten den liberalen Rechtsstaat im Kern treffe4.

 

Darüber – also die Frage, ob und wie tief denn der Rechtsstaat heruntergekommen sei - hat man seit eh und je die Klingen gekreuzt, und man streitet noch heute – aus immer wieder aktuellem Anlass. Aber keiner, selbst wenn er solche Thesen vom Zerfall des Rechtsstaats für rundum verfehlt hielt, ist früher auf die Idee verfallen, ein Verbot ihrer Verbreitung zu verlangen , oder sie – wenn richterlich geäußert – als Verstoß gegen § 39 DRiG anzuprangern. Als es in den 8oer Jahren erneuten Anlass gab, über Legitimität und Grenzen richterlicher politischer Äußerungen (und Aktionen) nachzudenken, weil damals die Nachrüstung die Gemüter heftig aufwühlte (wie Jahre zuvor die sog. Berufsverbote, und davor und danach immer wieder anderes), wurde das Mäßigungsgebot lebhaft und kontrovers erörtert5 . Der Deutsche Richterbund stellte sich damals auf einen ausgesprochen liberalen Standpunkt – liberal in dem Sinne, dass sich Richter sich freimütig, engagiert und deutlich in die politischen Debatte sollten einmischen und notfalls auf Schützenhilfe vom DRiB sollten zählen können6. Dabei ist es geblieben – jedenfalls gibt es kein späteres Dementi. So reibt man sich die Augen und fragt, wie in aller Welt die Standesvertretung heute darauf verfällt, einen Amtsrichter zur Ordnung zu rufen, der den eigenen DRiB-Grundsätzen zufolge durchaus nichts Unzulässiges oder Beschimpfendes von sich gegeben hat.

Da der DRiB selbst die Begründung schuldig bleibt, ist man auf eigene Interpretationen angewiesen:

Der Mann - so wird zweimal hervorgehoben - steht der Schill-Partei nahe . Nur darin kann also das Spezifikum, sozusagen der bedenkliche Witz seines Falles liegen, nach dem - ohne dieses Ingredienz - kein Hahn gekräht hätte. Nahe-Stehen: was ist mag das sein? Äußert der Mann in seiner Kantine ähnliche Ansichten, wie sie von Schill berichtet werden7. Hält auch er Jugendrichter für Waschlappen? Macht er sich in BTM-Fällen für einen Brechmitteleinsatz stark, redet er einem Ableger der Schill-Partei in Sachsen Anhalt das Wort? Betreibt er eine solche Gründung gar mit eigener Hand? Trifft er den Hamburger Innensenator beim Saunen – oder gar in Magdeburg oder auf Sylt bei Drogenparties der Schickeria? Man erfährt schlechterdings nichts. Aber warum müsste man auch? Geht es doch gar nicht um Tatsachen, sondern die raunende Beschwörung eines Tätertyps: des rechten Sympathisanten! Der Richter ist offenbar für law and order, hält seine Obrigkeit für lasch und lahm und pflichtet dubiosen Ansichten des Hamburger Innensenators bei. Sollte das nicht genügen?

 

Die Frage ernsthaft zu stellen, hieße natürlich, sie mit einem Satz zu verneinen8.

 

c. Die Eindeutigkeit dieses Befundes legt allerdings die weitere Frage nahe, ob es nicht einen tieferen Grund für die auf Anhieb so überaus befremdliche Rüge geben sollte. Ich meine, dass es den wirklich gibt, und kann – allerdings nur bis zu einem gewissen Gerade – für ihn sogar Verständnis aufzubringen. Darüber später!

 

Zunächst aber zur Intervention des Bundesverfassungsrichters Hoffmann-Riem, über den der DRiB – soweit bislang ersichtlich - kein Wort verliert. Vielleicht erweist es sich, dass die Gründe für das Reden dort und das Schweigen hier dicht beieinander liegen – oder zwei Seiten der selben Medaille sind.

 

2. Die Intervention des Bundesverfassungsrichters Prof. Dr. Hoffmann-Riem

 

a. Am 1. Februar 2002 war im Hamburger Abendblatt ein Brief des früheren Hamburger Justizsenators und jetzigen Bundesverfassungsrichters Hoffmann-Riem an den Hamburger Innensenator Schill zu lesen9, in dem es heißt:

 

„Das Hamburger Abendblatt berichtet von Vorwürfen eines Abgeordneten, „die den Partygänger Schill in Zusammenhang mit der illegalen Droge Kokain brächten“. Sie hätten dies als Diffamierungskampagne des politischen Gegners bezeichnet und eine Äußerung dazu als mit der Würde des Innensenators unvereinbar bezeichnet. Ich sehe dies anders. Ein unberechtigter Vorwurf, Sie bewegten sich in der Kokainszene oder seien gar Konsument von Kokain oder wären es gewesen, verletzt Sie an der Ehre, ja auch der Würde als Person. Er beschädigt zugleich das Ansehen des hohen Amtes, das Sie jetzt wahrnehmen ... Als ehemaliger Senator weiß ich von Risiken unberechtigter Diffamierung und den Schwierigkeiten, sich angemessen zu wehren. Ich sehe aber auch eine Verantwortung des Politikers, gegenzuhalten und Vorwürfe zu entkräften ... Das Gerücht, Sie könnten mit Kokain in Verbindung stehen, geht schon seit einiger Zeit in der Stadt um. Jetzt ist es politisches Gesprächsthema in der breiten Öffentlichkeit. Damit aber endet für einen Politiker das Recht zum Schweigen, und es wird Zeit, wenn schon nicht die eigene Würde, so doch jedenfalls das Ansehen des Amtes durch eine klare Aussage zu schützen.

 

Prof. Dr. W. Hoffmann-Riem“

 

Diesen Brief, der zugleich dem Ersten Bürgermeister von Beust zugegangen und alsbald in allen Hamburger Zeitungen, zuweilen durch das Kopfbild Hoffmann-Riems in rotem Verfassungsrichterhabit garniert10, zu lesen gewesen war, wies Schill als Teil einer gegen ihn inszenierten Schmutzkampagne brüsk zurück11; aber auch sonst wurde die Intervention aus Karlsruhe in Hamburg und auch in überregionalen Zeitung durchaus kritisch aufgenommen12.

 

Am 7. Februar 2002 präsentierte das FS-Magazin „Panorama“ einen anonymen, vor der Kamera unkenntlich gemachten Zeugen mit der Aussage, Schill habe auf einer Wahlparty am 23.9. 2001 im Kreise mehrerer Leute seiner Partei sich „weißes Pulver“ – Kokain – auf das Zahnfleisch gerieben. Schill, der einen solchen Schritt zunächst energisch von sich gewiesen hatte13, unterzog sich alsdann in München einer Haarprobe, die negativ ausfiel, den Verdacht gegen ihn also entkräftete14. Das Landgericht Hamburg erließ eine einstweilige Verfügung gegen den NDR (Panorama), die ihm bei Strafe von 250.000 Euro untersagte, die o.e. Verdächtigung zu wiederholen15; gegen den Panorama-Zeugen leitete die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen falscher Anschuldigung ein.

 

Der Rechtsanwalt und Richter am Hamburgischen Verfassungsgericht Dr. Gündisch schrieb dem Bundesverfassungsrichter Hoffmann-Riem alsdann u.a. wie folgt16:

 

„.... Sie sind gegenwärtig Richter am BVerfG; Hamburger Justizsenator waren Sie nur von 1995 bis 1997. Ihren Brief haben die Medien erhalten; ... In den Zeitungen sind Sie vor allem als Bundesverfassungsrichter, teilweise mit Foto in Robe, apostrophiert worden. Als solcher unterliegen Sie wie jeder andere Bundesrichter dem § 39 DRiG, wonach sich der Richter innerhalb und außerhalb seines Amtes, auch bei politischer Betätigung so zu verhalten hat, dass das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird. Gegen diese Ihre richterliche Pflicht haben Sie in eklatanter Weise verstoßen, als Sie sich als Bundesverfassungsrichter in eine hamburgische lokale innenpolitische Angelegenheit, in Gerüchte und Tratsch, eingemischt und dem Verfassungsorgan eines Bundeslandes den Rat gegeben haben, sich in einer bestimmten, vom Gesetz keineswegs geforderten Art und Weise zu verhalten. Sie haben damit nicht dem Recht oder der Demokratie gedient, sondern eine politische Kampagne angefeuert. Nachdem die Drogenuntersuchungen bei Herrn Senator Schill nunmehr zu einem für ihn günstigen Ergebnis geführt haben, sollten Sie als Wissenschaftler, als früherer Hamburger Senator und als jetziger Bundesverfassungsrichter die menschliche Fairness zeigen, Herrn Senator Schill um Entschuldigung dafür zu bitten, dass Sie die Kokain-Kampagne gegen ihn durch Ihre verfassungsrechtliche Autorität mit dem Anschein der Seriosität versehen haben...“

 

b. Eine Antwort des Karlsruher an den Hamburger Verfassungsrichter lässt sich öffentlich nicht registrieren.

 

Indessen hatte der NDR alsbald nach dem Bekanntwerden seines Briefs ein Interview mit Hoffmann-Riem geführt, in dem es heißt:

 

„Frage: ... Schill hat gestern erklärt, er habe zu keinem Zeitpunkt illegale Drogen genommen, war das das Ziel Ihres Appells?

H.-R.: Ich bin froh, dass Bürgermeister Ronald Schill auf meine Frage so klar geantwortet hat; für mich ist jetzt alles beantwortet; ich habe keine weiteren Fragen an Herrn Schill.

 

Frage: Warum haben Sie als Richter des Bundesverfassungsgerichts diesen öffentlichen Appell an ihn gerichtet?

H.-R.: Es gab in Hamburg eine öffentliche Diskussion. Insb. im HA wurde von Vorwürfen berichtet, dass Schill sich in der Kokain-Szene bewege ... Daraufhin habe ich ihm einen Brief geschrieben ... und hinzugefügt, dass ich ihm eine Gelegenheit geben möchte, sich zu äußern, bevor ich an die Öffentlichkeit gehe. Herr Schill hat sich nicht geäußert ..., daraufhin bin ich an die Öffentlichkeit gegangen.

 

Frage: ...Würden Sie Herrn Schill empfehlen, eine Haarprobe zu machen?

H.-R.: Nein, Herr Schill soll keine Haarprobe machen. Er hat gesagt, er hat damit nichts zu tun; ich glaube ihm, und das müssen wir jetzt auch so stehen lassen und nichts weiter verlangen ...

 

Frage: ... Das heißt: Sie hatten keinerlei Hinweise, dass Herr Schill Konsument von Kokain sein könnte?

 

H.-R.: Diese Frage interessiert mich überhaupt nicht, ich habe lediglich von Gerüchten gehört, ich habe von der öffentlichen Diskussion gehört, und ich habe dann gemeint, wenn diese Diskussion weiter eskaliert, dann ist das nicht gut für die Hamburger Politik, ja für die Politik insgesamt “

 

c. Kehren wir nun zur Ausgangsfrage zurück: Hätte dies den DRiB veranlassen können oder müssen, seine homepage um eine kritische Anmerkung - diesmal in Richtung Karlsruhe! - zu ergänzen?

 

Dass auch für einen Richter am BVerfG. das Mäßigungsgebot des § 39 DRiG gilt, folgt aus dem Gesetz und ist unbestritten17. Zwar mögen die Maßstäbe etwas anders - keineswegs schlechthin „laxer“, aber doch spezifischer - ausfallen als für Richter im übrigen einerseits großzügiger, weil Bundesverfassungsrichter in ihrer Person sozusagen den Spagat zwischen Politik und Recht repräsentieren, durch ihre Auswahl (Art. 94 I 2 GG) dem politischen Betrieb notwendigerweise enger verbunden sind und aus ihrer besonderen Funktion auch öffentlich kein Hehl zu machen haben, andererseits strenger, weil sie zu Hütern der Verfassung berufen sind, denen im Streit der Parteien oft - vielleicht gar zu oft - das letzte Wort anvertraut ist. Die Erwartung an den Souverän (Art. 2o II GG), folgenreiche, politisch hochstreitige Entscheidungen als gerecht und rechtlich zu aktzeptieren, muss letztlich auch rein sozialpsychologisch gerechtfertigt werden – von den Verfassungsrichtern durch ihr Auftreten, Reden und Verhalten. Um diese spezifische Dialektik kreist das einschlägige Schrifttum18. Einen Vorgang, der dem Ausgangsfall Hoffmann-Riem ähnlich (geschweige denn gleich) wäre, wird man darin allerdings vergeblich suchen. In der Literatur hängt alles – eng oder lose - mit dem zusammen, was in Karlruhe anstand, entschieden worden war oder sich als Themenwolke dorthin zusammenzog. Hier gilt nichts dergleichen.

 

Dreht es sich deshalb vielleicht um eine bloße Privatsache? Ausweislich seines Briefes greift Hoffmann-Riem unter Berufung auf sein früheres Hamburger Senatorenamt in einen emotional hoch aufgeladenen Hamburger Lokalstreit ein und verlangt vom Adressaten, „gegenzuhalten und Vorwürfe zu entkräften“. Damals glauben nicht wenige Gegner Schills, der Senator werde den Unschuldsbeweis nicht führen können – mit der Folge, dass die ungeliebte Koalition an dieser Klippe letztlich zerbrechen könnte -, wozu jeder Abendblattleser (als welcher Hoffmann-Riem sich ausdrücklich bekennt) den neuesten Sach-, Streit- und Klatschstand täglich freihaus geliefert bekam19. Hatte der Briefschreiber vielleicht schwerwiegende Indizien gehabt als Grundlage seines Appells, der Angeschuldigte solle in diesem Fall einen Verdacht widerlegen („entkräften!“)? Er selbst teilt tags darauf dem NDR mit, von der öffentlichen Diskussion und Gerüchten lediglich gehört. zu haben. Wer ist es, der auf dieser Grundlage eine Äußerungsfrist einräumt und den Schritt in die Öffentlichkeit androht? Der frühere Hamburger Justizsenator? Der Medienrechtler Prof. Hoffmann-Riem? Schon das würde eine Glosse wert sein. Es liegt jedoch auf der Hand, dass es zuvörderst das öffentliches Prestige: der Rang des Bundesverfassungsrichters ist, der hier in die Waagschale geworfen wird und dazu herhalten soll, der Drohung das nötige Gewicht zu verleihen. So und nicht anders wird die Intervention in Hamburg auch prompt begriffen und kommentiert: die rote Robe ist es, die ihr die höheren Weihen verleiht ! Und eben dies war vorhersehbar und auch beabsichtigt. Aber das Hineinfahren in die Hamburger Gerüchteküche vom Karlsruher Thron herab konnte in der Öffentlichkeit gar nicht anders denn als Parteinahme gegen Schill und für seine politischen Gegner verstanden werden und verletzt das Gebot richterlicher Zurückhaltung so offensichtlich , dass weitere Begründungen die Evidenz des Sachverhalts eher verdunkeln als erhellen würden.

Seinen Fauxpas, der auch in Karlsruhe schwerlich unbemerkt geblieben sein wird, scheint der Briefschreiber alsbald selbst erkannt zu haben: Im NDR-Interview möchte er vom vortags gestellten Ultimatum nichts mehr wissen: Obwohl Schill inzwischen nichts bewiesen („entkräftet“), sondern den Vorwurf lediglich zurückgewiesen hatte, erklärt Hoffmann-Riem die Sache für erledigt und verlangt nun seinerseits, man solle Bürgermeister Schill in Frieden lassen. Aber der Zug rollte und war nun nicht mehr zu bremsen, auch nicht durch eine Erledigungserklärung im Rundfunkinterview ...

 

C.

 

Wenn also der DRiB, um auf ihn zurückzukommen, auf seiner homepage den § 39 DRiG schon traktiert: mit welcher Rechtfertigung konnte er dann den Fall Hoffmann-Riem mit Schweigen übergehen? Rein sachlich betrachtet, ist das eine augenfällige und kaum begreifbare Inkonsequenz. Aber diese Feststellung allein greift zu kurz, weil sie die Zwänge, denen Organisationen unterliegen, nicht in Betracht zieht. Der Berufsverband Deutscher Richterbund hatte sich jahrzehntelang mit dem Vorwurf herumschlagen müssen, er - also die Richterschaft insgesamt- sei „auf dem rechten Auge blind “, habe die eigene Vergangenheit nicht verarbeitet, keine Lehren gezogen usw. usw.. Der Vorwurf war früher mit triftigen Gründen erhoben worden20. Obwohl aber später alle sozialen, biographischen und sonstigen Voraussetzungen entfallen waren, die ihn getragen hatten21, war es bei dem eingefahrenen Schlachtruf geblieben, der freilich durchweg zu tagespolitischen Zwecken instrumentalisiert wurde22. Noch heute - oder: heute wieder ! - kann man lesen, der ausländerfeindliche Mob werden von der deutschen Justiz so milde sanktioniert, weil die Laxheit gegenüber „rechts“ den Richtern nun einmal im Blute liege23. Der DRiB geriet immer wieder in Erklärungsnöte; er hat sich - wie man sagt - sensibilisiert und ringt um ein Image, das sich weit und hoch abhebt von allem, was gemeinhin als rechts, rückwärts gewandt, illiberal, fortschrittsfeindlich usw. gilt – ein steter Kampf24. So wird man wohl Verständnis für die instinktiv-spontane Reaktion des DRiB aufbringen müssen, zu einem dem Vernehmen nach rechten Kollegen demonstrativ und medienwirksam auf Distanz zu gehen. Aber zwischen Impuls und Tat muß eine Prüfung liegen; und die ist hier offensichtlich versäumt worden..

 

Für den Fall des Bundesverfassungsrichters Hoffmann-Riem gilt das gleiche – allerdings spiegelverkehrt: Verlöre der DRiB ein kritisches Wort über die Hamburger Intervention des hohen Richters, müßte er befürchten, damit Wasser auf die Mühlen derer zu leiten, die nur darauf warten, das alte Lied vom blinden rechten Auge neu anzustimmen. Muß man hier denn wirklich (so könnte die Erwägung beim DRiB gegangen sein, fall er überhaupt etwas erwogen hat) ein so missdeutbares Zeichen geben und das mühsam errungene Image des Berufsverbands auf’s Spiel setzen? Zunächst durchaus begreifliche Gründe ebenso für Schweigen wie für demonstratives Reden. Aber das alles wären nur Motive taktischer Natur, die dort nichts gelten dürfen, wo es um Fairness und Recht geht.

 

Amerkungen:

 

1) Auf diese zweifelhaften Praktiken hat der Verfasser in NJW 2001, 1008 schon vor Beginn des „heißen“ Wahlkampfes hingewiesen. „Schill ante portas?“ hieß es damals noch fragend.

 

2) wenngleich Untergangsparolen, die das Ende hanseatischer Weltoffenheit an die Wand malen (vgl. z.B. HA v. 27.8.01: 60 Künstler gegen Schill ), verstummt sind.

 

3) Hinzu tritt kriminologischer Streit: Als Schill im Januar 2002 gewisse Daten der Hamburger Kriminal-statistik öffentlich vortrug und dabei die Akzente so setzte, wie es ihm in den Kram passte, warf ihm der niedersächsische Justizminister Pfeiffer die Unterschlagung der Daten vor, die der Hervorhebung bedurft hätten, um seine eigene kriminologische Lagebeurteilung zu stützen, vgl. FAZ vom 18.2.02: Schill täuscht die Öffentlichkeit. Führt man sich den Umgang mit Statistiken dagegen, wie er in der Politik längst eingerissen und auch in der Kriminologie nicht ganz unbekannt (vgl. Bertram NJW1999,399: Aufrufe) ist, wird man zufrieden sein können, wenn überhaupt, wie unstreitig hier, korrekte Daten mitgeteilt werden.

 

4) ähnlich jüngst noch Scheffler: kurzer Prozeß mit rechtsstaatlichen Grundsätzen?: NJW 1994, 2191

 

5) vgl. z.B. Rudolph DRiZ 1984, 135, ders. Referat auf dem Hamburger Richtertag 1987: Sonderdruck S. 445 ff (vgl. auch den Wiederabdruck in DRiZ 1999, 392 ff); ders. DRiZ 1988,131; Sendler NJW 1984, 689; Schmidt-Jorzig NJW 1984, 2o57, Rasehorn KrJ 1986, 76; Hase KrJ 1984, 142; Hill DRiZ 1986, 81; Hager NJW 1988, 1694; Zapka Recht und Politik 1984, 149; ders. DRiZ 1989, 214; Schmidt-Räntsch, Kommentar zum DRiG, 5. Aufl. 1995, § 39 Rz. 23 f mit Nachw.

 

6) zusammenfassend für die Mitte der 8Oer: Burckhardt DRiZ 1985, 486

 

7) zum Kantinengerede vgl. BGH vom 4. 9. 2001: NJW 2001, 3275; auch Bertram aaO. (Anm.1)

 

8) Auf gewisse Meinungsverschiedenheiten (Anm. 5) kommt es nicht an; für keinen der genannten - oder irgend sonstige - Autoren wäre die hier erteilte Rüge auch nur diskutabel.

 

9) voller Wortlaut auf der homepage des HA vom 1.2. 2002

 

10) WELT vom 2.2.02, S. 33

11) WELT vom 2.2.02; HA v. 1.2.02

 

12) vgl. z.B. Die Welt vom 2.2.02: Das Amt ist beschädigt; Hamburger Abendblatt vom 2.2.02: Schill und die Grenzen der Fairness; FAZ vom 19.2.02: Amt und Würde; dazu die Leserbriefe Sorge eines Ex-Senators: FAZ v. 23.2. und Scheinheilige Besorgnis: FAZ v. 4.3.02.

 

13) HA von 9.2.02, wo Schill zitiert wird: „... Aber es läuft tatsächlich ... nach der Anleitung eines Stasi-Handbuches. Erst werden Gerüchte gestreut, dann werden sie so langsam aufgebaut. Dann meldet sich eine augenscheinlich honorige Persönlichkeit wie der VerfRi. Hoffmann-Riem couragiert zu Worte und verlangt Aufklärung. Und anschließend gibt es dann noch irgendwelche Zeugen, die anonym, ohne dass sie ihr Gesicht zeigen, behaupten, sie hätten etwas gesehen. Das Prinzip ist einfach: Man wirft mit Dreck – und irgendwas bleibt immer hängen.“

 

14) Der Vorwurf wurde dann nicht mehr erhoben; es fand sich überhaupt niemand mehr, der sich nachsagen lassen wollte, ihn je erhoben zu haben.

 

15) HA vom 21.2.02.

 

16) Brief vom 19.2.02, den auch Gündisch, im Gegenzug zu Hoffmann-Riems Gang in die Öffentlichkeit, den Medien mitteilte: z.B. BILD vom 26.2. 2002: Herr Hoffmann-Riem, entschuldigen Sie sich bei Senator Schill!

 

17) vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG, 5. Aufl. 1995: § 69 Rz. 5; § 39 Rz 24. Umbach/Clemens: Kommentar zum BVerfGG, 1992 : vor §§ 3 ff Rz. 2; § 19 Rz. 2o ff, insb. 36 (betr. den BVerfRi. Martin Hirsch)

 

18) vgl. die mit Recht weithin fallbezogene Darstellung bei Umbach (Anm.21) zu § 19 BVerfGG.

 

19) vgl. nur HA vom 25.1.02.

 

20) über die trübe frühere Rolle des DRiB vgl. die DRiZ ab 30.1.1933, insb. die bildreiche Nr. 10/33: Der Rütlischwur; zusammenfassend Wrobel: DRiZ 1983, 157. Zum 75. Jahrestag des DRiB hat dessen Vorsitzender Leonardy dazu eine grundlegenden Rede gehalten: DRiZ 1984, 221

 

21) prägnant Wassermann NJW 1994, 833: Ist die Justiz auf dem rechten Auge blind?; vgl. auch Bertram NJW 1995, 1270: Vergangenheit, die nicht vergeht, dort Zi. I . 3

 

22) dazu mit zahlreichen Nachweisen: Bertram DRiZ 1982, 225: Vergangenheitsbewältigung unter falscher Flagge; ders. ZRP 1983, 81: Der Jurist und die Rutenbündel des Faschismus;

 

23) vgl. z.B Müller-Münch: Biedermänner und Brandstifter, 1998; dazu Bertram ZRP 1999, 71. Wie wenig eine harte oder milde Sanktionierung junger (fremdenfeindlicher) Gewalttäter mit einer rechten Gesinnung der Richter zusammenhängt, weisen zwei materialreiche Dissertationen nach: Neubacher, Fremdenfeindliche Brandanschläge, 1998, dazu Bertram 1999, 3o6, und Jahn, Strafrechtliche Mittel gegen Rechtsextremismus, 1998, dazu Bertram NJW 1999, 3544.

 

24) in dem es nichts nützt, falsche Prämissen verfehlter Anklagen ergeben hinzunehmen, vgl. oben Anm. 22) und 23)

 

Günter Bertram