(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/04, 42) < home RiV >

Bücherverbrennung 2004:
Der „Fall“ Konrad Löw

 

Ich verabscheue, was Sie schreiben; aber ich würde mein Leben dafür hingeben, dass Sie es weiter schreiben können!“. Dieses klassische Bekenntnis zur europäischen Aufklärung pflegen wir auch heute noch,
über 200 Jahre nachdem es ausgesprochen wurde
[1], für uns in Anspruch zu nehmen – unter Berufung auf das Grundgesetz und die Liberalität unseres BVerfG in Sachen Meinungsfreiheit. Die Norm steht nach wie vor hoch in Ehren und wird ausgiebig gefeiert - in Festreden. Sucht man aber den passenden Begriff für die deutsche Wirklichkeit, so lautet der ganz anders: was zu verabscheuen sei, sei auch zu verbieten, zu unterdrücken und zu eliminieren - das krasse Gegenteil also vom Voltair’schen Pathos freiheitlicher Toleranz. Dafür gibt es jedenfalls Beispiele[2].


 

1. Zur Vorgeschichte des neuesten:

 

Die Folterdebatte[3], der durch den Irakkrieg der USA eine geradezu atemberaubende Aktualität (Abu Ghraib, Guantanamo) zugewachsen war, hatte auch Michael Wolffsohn - einen bekannten jüdischen Publizisten und Professor an der Bundeswehrhochschule München - auf den Plan gerufen. Am 5. Mai 2004 saß er in der Sendung Maischberger, wurde zum Irakkrieg und den inzwischen auch bildlich bekannten Folterungen im Abu Graib-Gefängnis befragt und ließ sich dabei die Sentenz entlocken: „... Als eines der Mittel gegen Terroristen halte ich Folter oder die Androhung von Folter für legitim“. Dieser Satz – und nicht Wolffsohns Rechtfertigung des Irakkriegs, den er als Aktion zur Entlastung Israels billigt – zog alsbald schrille Empörung auf sich.

FDP-Westerwelle, die Grünen und Teile der SPD verlangten, der Verteidigungsminister als Dienstherr solle den Professor entlassen, denn wer der Folter das Wort rede, dürfe keine jungen Menschen erziehen[4].

Der Minister ließ es bei distanzierlichen Worten bewenden, und die Sache verlief, wie es schien, im Sande.

Am 25. Juni 2004 aber stand ein ganzseitiger Aufsatz Wolffsohns in der Zeitung: „J’ac­cuse!" [5]. Darin verteidigt er seinen Maischberger-Auftritt, beruft sich auf seine Meinungs- und Forschungsfreiheit und schreibt, man habe ihn nur deshalb zum Ziel wütender Angriffe erkoren, weil er Jude und „grundsätzlich und eindeutig proisraelisch“ sei. „Jeder Nichtjude konnte unbehelligt Thesen vertreten, die meinen entsprachen. Keinem wurde ein Haar gekrümmt, kein Hahn krähte, die Sache wurde diskutiert, nicht die Person wurde als Person attackiert, ich wurde verfolgt. Das kann nur dem Juden gegolten haben“. Hier reibt man sich die Augen, denn jedenfalls die deutsche Diskussion, die mit dem Fall Metzler/Daschner und seiner Kommentierung durch den damaligen DRB-Vorsitzenden Mackenroth wenn auch nicht begann, so doch erst damit publizistisch ins Kraut geschossen war[6], vermittelt bekanntlich ein durchaus anderes Bild. Aber das interessiert hier nur am Rande.

 

Am 1. Juli 2004 erschien in der FAZ ein Leserbrief zu Wolffsohn - von Professor Konrad Löw[7]. Wolffsohn, so Löw, sei doch keineswegs deshalb angerempelt worden, weil er Jude sei. Ganz im Gegenteil habe er die Kampagne just und allein deswegen ohne bleibende Blessuren überstanden. Sein –Löws - eigener Fall sei sozusagen das Gegenstück. Und der scheint es in der Tat in sich zu haben: Er habe im März vor der Gesellschaft für Deutschlandforschung einen Vortrag über „Deutsche Identität in Verfassung und Geschichte“ gehalten, den das Deutschland-Archiv[8] in Heft 2/2004 abgedruckt habe. Kurz nach Erscheinen des Heftes habe die Bundeszentrale allen Abonnenten brieflich mitgeteilt, sie distanziere sich schärfstens vom Löw’schen Text; dort würden Ansichten zum Antisemitismus im 20. Jahrhundert in Deutschland vertreten, die weder mit dem Selbstverständnis der Bundeszentrale noch mit dem des Bertelsmann-Verlags vereinbar seien. Der Rest der Auflage von Heft 2/2004 werde „makuliert“. Auf Dutzende Nachfragen, was in aller Welt Grund dieser Reaktion sei, habe die Antwort stereotyp gelautet: „Dank für Ihre kritische Nachfrage. Es kann nach unserer Einschätzung nicht um die Suche nach einzelnen Stellen gehen, sondern nur um den Gesamtaufsatz“.

Dann lässt Löw u.a. Zitate aus dem inkriminierten Aufsatz folgen - mit dem Schlusssatz: „Wäre ich Jude, so wäre mir vermutlich zumindest die Makulierung erspart geblieben“. Von dieser dubiosen Affaire war in der FAZ bis dahin keine Rede gewesen, was manchen befremdete[9]. Der Sache musste man auf den Grund gehen!

2.         Resultate der Nachforschung:

Der Aufsatz[10] setzt ein mit dem GG als Baustein deutscher Identität – vor dem Hintergrund der Nazizeit; dann folgt nach gut drei Seiten: Der Holocaust als Teil der historischen Identität – ein unerschöpfliches daueraktuelles Thema, und zugleich ein ambivalentes: Wenn man sich dazu nicht auf stets repetierte Allgemeinheiten beschränkt, kann man es schwerlich behandeln, ohne irgendwo irgendein Missverständnis zu riskieren oder Anstoß zu erregen[11]. Das Holocaustverbrechen, so Löw abschließend, sei mit deutscher Identität innig verknüpft und ein wichtiger Teil unserer Geschichte; aber es allein sei nicht die ganze Geschichte. Viktor Klemperer z.B. berichte - wie Löw zitiert - mehrfach, dass die Dresdner ihm selbst in schlimmster Zeit keineswegs alle als feindliche Antisemiten begegnet seien, sondern auch mit Sympathie und Scham. Daniel Goldhagens These von der eingefleischten Judenfeindschaft aller Deutschen sei historisch abwegig und sachlich unseriös.

 

Mit der Analyse des Löw’schen Textes ließen sich Seiten füllen, im Pro und auch im Contra. Darauf kommt es hier aber gar nicht an. Wenn – nach dem Urteil des Lesers – im Text schlechthin alles zu tadeln sein sollte, dann wäre der Kritiker eben mit einer anderen, abweichenden, falschen, vielleicht sogar „verabscheuten“ Meinung konfrontiert. Was würde, was kann, was darf daraus folgen? Nur dies - dies allein! - ist unser Thema.

 

Wie die Bundeszentrale hier mit ihrem Autor umgesprungen ist, steht im wesentlichen schon in der erwähnten Zuschrift Löws an die FAZ. Dennoch ist der redaktionelle Brief vom 2. April an die Abonnenten des DA[12] schon seiner Tonlage wegen ein Zeitdokument: Nach den oben schon mitgeteilten Sätzen heißt es:

„Wir bedauern diesen Vorgang außerordentlich. Weder Bundeszentrale für politische Bildung noch der Beirat der Zeitschrift hatten von der geplanten Veröffentlichung Kenntnis[13]. Im nächstmöglichen Heft wird ein Beitrag von Prof. Wolfgang Benz, Zentrum für Antisemitismusforschung, Berlin, erscheinen, der Entwicklung und Bedeutung des Antisemitismus in Deutschland untersucht[14]. Der Rest der Auflage von Heft 2/2004 wird makuliert. Dieser in der langen Geschichte beider Häuser und des Deutschland-Archivs einmalige Vorgang wird sich nicht wiederholen. Wir bitten alle Leserinnen und Leser der Zeitschrift sowie diejenigen, welche sich durch den Beitrag von Konrad Löw verunglimpft fühlen, um Entschuldigung“.

 

Ein Bezieher, der den Verlag gebeten hatte zu erklären, wie er seine so ungewöhnliche Aktion denn begründen könne, bekam am 21. April die Antwort:

Es kann nach unserer Einschätzung bei der Würdigung des Beitrags von Prof. Löw nicht um die Suche einzelner Stellen gehen, sondern nur um den Gesamtaufsatz. Vor dem Hintergrund der öffentlichen Diskussion der letzten Jahre scheint mir unschwer nachvollziehbar zu sein, inwiefern dieser Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung eine schwer verdauliche Kost ist. Auch das Presseecho[15] macht deutlich, dass dies verstanden worden ist.

3. Alter Brandgeruch

Das ist ein Stück aus dem Tollhaus – man braucht es nicht weiter zu kommentieren, denn es kommentiert sich selbst. Wenn dies am grünen Holze passiert – der politischen Volksbildungseinrichtung des Verfassungsministers -, dann hat er offensichtlich den Bock zum Gärtner gemacht. Bücherverbrennungen durchziehen die Weltgeschichte – seit dem alten China. Die Nazis haben im Mai 1933 dergleichen Unfähigkeit und Unwilligkeit zu geistiger Auseinandersetzung besonders ekelhaft und brutal exekutiert: zur deutschen Schande. Sind es jetzt denn nur übersensibilisierte Nasen, die beim Wort „Makulierung“ den alten Brandgeruch erschnuppern? Der Bundesinnenminister sollte sich wohl etwas sorgfältiger als bislang darum kümmern, was seine Bildungsagenturen treiben[16]. Denn ohne einen Hauch Voltair’schen Geistes sind Staat und Gesellschaft am Ende – auch wenn wir die ökonomische Krise überwinden, welche einstweilen die öffentliche Aufmerksamkeit fast gänzlich zu absorbieren scheint.

 

Günter Bertram


 

[1] Voltaire brieflich am 6. Februar 1770 an A.M. Riche

[2] vgl. nur Verf. in MHR 2003 Heft 1, S. 16 ff; Heft 3 S. 36 ff;  NJW 2004, 344 (Hoheitliche Tugendwächter); NJW 2002, 111 (Grenzenlose Volksverhetzung). Fritz Schenk: Der Fall Hohmann – Die Dokumentation, 2004, zeigt, wie Vorfälle, die man durchaus kritisch beurteilen mag, nicht bedacht, ausgelotet und diskutiert, sondern im administrativen Schnellverfahren manipuliert und erledigt werden. Dazu sei jetzt angemerkt: Das Bundesparteigericht der CDU hat am 4. November 2004 den Ausschluss Hohmanns aus der CDU bestätigt, mit 4:1 Richterstimmen. Nun werden sich vermutlich die ordentlichen Gerichte, möglicherweise bis zum BVerfG, mit der Angelegenheit zu befassen haben.

[3] MHR 2003, Heft 2, S. 6 ff: Rettung und Folter, mit zahlreichen Nachweisen. Ihr deutscher Ausgangspunkt – der Fall Daschner – wird z.Zt. am LG Frankfurt vor der 27. GrStrK verhandelt, vgl. FAZ vom 18.11.04: Folter, um ein Leben zu retten?

[4] vgl. z.B. FAZ vom 14.05.04: „Folter ist illegal, illegal, illegal“: Kritik am Hochschullehrer nimmt trotz Distanzierung nicht ab.

[5] FAZ vom 25. Juni 2004. Das Zitat („Ich klage an!“) nach Emile Zolas berühmtem Verteidigungsbrief vom 13. Januar 1898 an den Präsidenten der französischen Republik für den zu Unrecht wegen Spionage verurteilten jüdischen Hauptmann Dreyfus. Die Dreyfuß-Affaire hatte antisemitische Strömungen der französischen Gesellschaft bloßgelegt.

[6] s.o. Anm. 3)

[7] geb. 1931; von 1972 bis 1975 Professor für Politikwissenschaften an der Universität Erlangen, seit 1975 an der Universität Bayreuth, seit 1980 Leiter der Fachgruppe Politik der Gesellschaft für Deutschlandforschung. 1965-1972 im Dienst der Bundesrepublik (Bundeskanzleramt).  

Löws Forschungen, Berichte, Buchbesprechungen usw. finden sich auch seit Jahren in den mit Recht renommierten Jahrbüchern Extremismus & Demokratie, Baden-Baden, Hrsg. Uwe Backes/Eckhard Jesse. Mit Büchern wie „Verratene Treue – Die SPD und die Opfer des Kommunismus“ (Köln 1994) hatte Löw sich kaum Freunde, aber viele Feinde gemacht.

[8] herausgegeben im Auftrag der (im Bundesinnenministerium ressortierenden) Bundeszentrale für politische Bildung vom Bertelsmann-Verlag

[9] Leserbrief vom 16.07: „Wenn das zutrifft, muss man sich schon sehr wundern über das anscheinend zen-tral gesteuerte Schweigen der deutschen Medien zu dieser modernen Art von „Bücherverbrennung“, euphemistisch „Makulierung“ genannt. Bin ich der einzige Leserbriefschreiber, oder verhindert politisch korrekte Selbstzensur eine Veröffentlichung kritischer Stimmen?“

[10] DA 2/2004, 37. Jahrgang 2004, S. 230 – 240, ist beim Verlag freilich nicht mehr zu kriegen. Mal heißt es dort „vergriffen“, andermal: „nicht mehr  lieferbar“.

[11] Ein treffliches Beispiel dafür, dass diesem Thema auch dialektisch – mit scharf gegensätzlichen Thesen – nachgegangen werden kann, hatten gerade zuvor im Heft 1/2004 des DA zwei jüdische Autoren geliefert: Auf S. 42 ff (Die Schrift an der Wand. Zum Stand der deutsch-israelischen Beziehung) erhebt Chaim Noll schwere Vorwürfe gegen die deutsche Gesellschaft, die deutsche Politik, die Juden in Deutschland und insbesondere gegen ihre Vertreter. Die Schärfe der Erwiderung durch Moshe Zimmermann (aaO. S. 57 ff) zeigt schon die von ihm gewählte Überschrift: Wandschmiererei. Eine Kontroverse also, die zwar besonders brisant, in einer freien Gesellschaft aber im Prinzip nichts als eine Selbstverständlichkeit sein sollte. Faktisch schreibt man aber durchweg so unangreifbar brav daher, wie im Kommentar „Deutsche und Juden“ des gleichen Heftes (S. 9 ff) nachzulesen.

[12] Den man sich von einem solchen besorgen muss; im Internet oder sonst wo ist er nicht zu finden.

[13] Aber nur zwei Tage zuvor hatte der DA-Chefredakteur Prof. Löw mitgeteilt: „soeben ist das Heft 2/2004 des DA erschienen. Für Ihren Beitrag darin danke ich Ihnen an dieser Stelle nochmals. Ich würde mich freuen, wenn Sie mir bei Gelegenheit wieder einmal einen Beitrag zur Veröffentlichung im DA anböten“.

[14] Prof. Benz hatte bei der Bundeszentrale gerade (2004) die 272 Seiten starke Schrift: Was ist Antisemitismus? herausgebracht und hat dann, der brieflichen Ankündigung entsprechend, gleich in Heft 3/2004 des DA (S. 475-484) über „Die Juden und die nationale Identität“ geschrieben. Dort finden sich aber nur zwei (vielleicht pflichtgemäße) Seitenhiebe auf Löw (Fn. 1 und 16), aber keine Auseinandersetzung mit seinem Text, schon gar keine Erklärung der hastigen Demuts- und Entschuldigungsgebärde der Bundeszentrale.

[15] Insoweit hatte der Spiegel 16/2004 unter „Krude Ansichten“ ein paar Zeilen persönlicher Verunglimpfung ohne jede sachliche Substanz gedruckt. Die SZ vom 10.04. 04 (Furcht und Stolz) und die WELT vom 15.05. 04 (Eine Ansammlung antijüdischer Klischees) hatten jeweils ihren Verriss gebracht, die erkennen ließen, dass deren Verfasser lediglich Meinungen über den Löw’schen Text, nicht diesen selbst kannten. Beiden war Löw ausführlich entgegengetreten:
SZ vom 23.04.04 (Text auf den Kopf gestellt) und WELT vom 27.04.04 (Zitate aus dem Kontext gerissen).

[16] Bei den Landesministern mag das gelegentlich ein von vornherein hoffnungsloser Appell sein (vgl. oben Anm. 2).