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Opferschutz und

Zeugenbetreuung

Frau Rose-Guddusch vom Justizamt schrieb am 23.01.2004 im Rahmen einer Anhörung an den Sozial- und Rechtsausschuss der Bürgerschaft:

1. Frage: Wie ist die Situation des Opferschutzes – in Bezug auf die Zeuginnen- und Zeugenbetreuung - in Hamburg?

Hamburg verfügt in Kürze über genau 10 Jahre Erfahrung in der Zeuginnen- und Zeugenbetreuung. Denn am 1. Februar 1994 wurde im Strafjustizgebäude Hamburg die erste - damals noch Zeuginnenschutzzimmer genannte – Einrichtung zur Zeugenbetreuung eröffnet. Im Strafjustizgebäude waren zum damaligen Zeitpunkt das gesamte Jugendgericht, das Amtsgericht Mitte und der größte Teil der Strafkammern des Landgerichtes untergebracht.

A.
Historische Entwicklung und Zielgruppe

Seit 1987 hatte der Arbeitskreis (AK) „Gewalt gegen Frauen“, unter Federführung des „Notruf“ und der „Opferhilfe“ eine solche Einrichtung gefordert., speziell für kindliche und weibliche Zeugen, die Opfer von körperlicher und sexualisierter Gewalt geworden sind.

Im gleichen Jahr wurde in der hessischen Kleinstadt Limburg das erste Zeugenzimmer Deutschlands eröffnet mit einer Konzeption, die sich an alle Zeugen wendet, einschließlich der sog. Offizialzeugen, z.B. Polizisten. Handlungsleitend für die Einrichtung war die Erkenntnis, dass die Justiz Zeugen gegenüber nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten hat. Diese hätten sich an der grundsätzlichen Aussage des Bundesverfassungsgerichts von 1974 zu orientieren, die die Justiz verpflichtete zu gewährleisten, dass der Zeuge nicht länger Objekt des Verfahrens sei. Die Zeugenbetreuung würde mit ihrem Angebot die gebotene Subjektstellung gewährleisten.

Da sich Hamburg beiden Konzeptionen verpflichtet fühlt, wurde das Angebot auf die Zielgruppe a) der kindlichen und männlichen Opfer von Gewalt- und Sexualdelikten und b) der Angstzeugen, unabhängig vom Delikt erweitert. Damit verbunden war auch der Namenswechsel von Zeuginnenschutzzimmer in Zeuginnen- und Zeugenbetreuung.

B.
Ausbau der Zeugenbetreuung bis heute

Die justizielle Zeugenbetreuung als Maßnahme des Opferschutzes hat seit dem Beginn vor 10 Jahren erheblich an Bedeutung und Akzeptanz gewonnen. Aufgrund des Erfolges gibt es mittlerweile in fast allen Hamburger Gerichten Zimmer für die Betreuung, mit ständiger Besetzung im Amtsgericht Altona (seit Juni 1999) und im Strafjustizgebäude.

In Amtsgericht Altona, im Strafjustizgebäude und im Amtsgericht St. Georg stehen sogar jeweils zwei miteinander verbundene Räume zur Verfügung. Dadurch ist es möglich, zeitgleich Zeugen unterschiedlicher Prozesse zu betreuen.

C.

Zahl der Betreuungen

Wurden im Jahr 1994 125 Zeuginnen und Zeugen betreut, so waren es im Jahr 2003 1.016 Zeuginnen und Zeugen. Davon wurden 401 Zeuginnen und Zeugen in den Prozess begleitet.

D.

Personelle Ausstattung

Waren im Jahr 1994            2 Vollzeitkräfte im Bereich Täter-Opfer-Ausgleich (TOA)/Zeugin­nen- und Zeugenbetreuung tätig, so sind im Jahr 2004 5 Vollzeitkräfte im Referat Opferhilfe des Justizamtes beschäftigt. Davon werden 1,5 Stellen für die Zeuginnen- und Zeugenbetreuung bereit gestellt.

Seit 1997 werden über die Zeuginnen- und Zeugenbetreuung im Strafjustizgebäude Praktikantin­nen der Hochschule für angewandte Wissenschaften (früher Fachhochschule für Sozialpädagogik) ausgebildet, insgesamt 4 Personen (zwei davon auch anteilig im Bereich TOA). Außerdem haben eine Psychologiestudentin, zwei Studenten der Bundeswehrhochschule und mehrere Schüler Tages- oder Wochenpraktika absolviert. 

Zurzeit sind zwei Sozialpädagogikstudentinnen und - zum zweiten Mal - ein Rechtsreferendar tätig.

E.

Ziele und Aufgaben der Zeuginnen- und Zeugenbetreuung

Die Zeugenrolle ist für die Bürger eine Ausnahmesituation, die insbesondere Opferzeugen in eine erhebliche Stresssituation bringt.

Die Rückerinnerung an die Tat, die hohe psychische Anspannung vor und während der Verhandlung, die Angst vor dem Täter,  befürchtete Racheakte und die Besonderheit des Gerichtes sind wesentliche Stressoren.

Mit dem Zugang der Ladung bricht in der Regel der Verdrängungsmechanismus zusammen. Die Zeugen fühlen sich hilflos,
überfordert, allein gelassen und ausgeliefert.

Die Angst, dass die eigene Aussage in Zweifel gezogen werden könnte, sie Fehler begehen und vor Gericht „auseinander genommen“ werden, zerrt stark an den Nerven.

Viele Zeugen verstehen nicht, warum sie überhaupt wieder vor Gericht erscheinen müssen, insbesondere, wenn schon bei der Polizei ihnen die Gefährlichkeit der Angeklagten vor Augen geführt wurde.

Sie verstehen nicht, warum sie ihre persönliche Identität und ihre Daten preisgeben müssen, während sie vom Täter nichts wissen.

Sie empfinden die Strafandrohung bei Nichterscheinen als Zumutung, wenn nicht gar als Nötigung.

Sie verstehen nicht, warum Tätern psychologische Unterstützung gewährt wird und ihnen nicht.

Die Zeugenbetreuung bietet Hilfe an, die Stresssituation vor Gericht bewältigen zu können, Angst und Leistungsdruck abzubauen, indem Bewältigungskompetenz aufgebaut wird. Die persönliche psychische und soziale Befindlichkeit insbesondere der Opferzeugen soll stabilisiert werden. Sie wirkt mit bei zeugenschonenden Maßnahmen, um eine Retraumatisierung zu vermeiden.

Die Dienstleistung umfasst die telefonische und persönliche Beratung sowie die intensive Begleitung im Prozess. Sie bezieht auch die Angehörigen und Freunde der Geschädigten mit ein.

Die Zeugenbetreuung macht auch Hausbesuche und bringt Zeugen nach Hause zurück.

Die Information über die rechtlichen Möglichkeiten sowie der Hinweis weiterhelfender Einrichtungen sind wichtige Bereiche der Unterstützung.

Die Zeugenbetreuung arbeitet kooperativ und vertrauensvoll mit den Richtern zusammen.

Zeugenbetreuung versöhnt Zeugen mit der Justiz und leistet einen wichtigen Beitrag, dass für die Zeugen die Erfahrung vor Gericht in positiver Erinnerung bleibt.

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Zielsetzungen der Zeugenbetreuung heute weitgehend flächendeckend erreicht werden. Inhaltlich, gemessen an Reaktionen der betreuten Zeuginnen und Zeugen und der an den Verfahren beteiligten Richter und Staatsanwalte, haben wir das Ziel bereits sehr gut erreicht.

F.
Ungeklärter Status der Zeugenbetreuung in der Hauptverhandlung

Trotz der positiven Entwicklungen ist der Status der Zeuginnen- und Zeugenbetreuung völlig ungeklärt. Die Problematik soll durch das folgende Beispiel verdeutlicht werden:

Im November 2003 wurde die Zeugenbetreuerin im Amtsgericht Wandsbek trotz Antrages durch die Zeugin, die als Nebenklägerin auftrat, des Saales verwiesen. Begründet wurde dies vom Gericht damit, die Zeugin sei durch ihre Anwältin ausreichend vertreten. Außerdem, so erklärte der Richter, sei eine prozessuale Ungleichbehandlung des Angeklagten zu befürchten, zumal dieser von der Anwesenheit ausgeschlossen worden war.

In diesem Fall kannten weder der Richter noch der Staatsanwalt die gesetzlichen Bestimmungen des Opferschutzes. Nachdem sich beide auf Hinweis der Zeugenbetreuerin kundig gemacht hatten, hatte der Staatsanwalt keine Einwände mehr gegen die Anwesenheit der Zeugenbetreuerin. Der Richter blieb jedoch bei seiner Auffassung und schloss die Zeugenbetreuerin aus.

Das Verfahren, jahrelanger Missbrauch durch den Vater, wurde nach Anhörung der Opferzeugin an das Landgericht verwiesen. Dort war aufgrund jahrelanger positiver Erfahrung die Prozessbegleitung der Nebenklägerin durch die Zeugenbetreuung kein Problem.

2. Frage: Welche bundesrechtlichen Änderungen und Initiativen würden sie sich vorstellen können?

Anknüpfend an meine Erfahrungen und Beobachtungen habe ich die folgenden Vorschläge: