Das Hamburgische
Seilbahngesetz
Die Lektüre des Hamburgischen Gesetz- und Verordnungsblattes (HmbGVBl.) bietet normalerweise wenig Anlass zum Schmunzeln, doch auch dort stößt man hin und wieder auf wahre Perlen der Gesetzgebungskunst. So war es etwa beim HmbGVBl. Nr. 12/2004 vom 03.03.2004. Malerisch eingerahmt vom Hamburgischen Gesetz zur Einrichtung und Führung eines Korruptionsregisters und vom Gesetz zur Änderung von Vorschriften über die Mitwirkung ehrenamtlicher Beisitzerinnen und Beisitzer bei Enteignungsverfahren findet sich dort das Hamburgische Seilbahngesetz vom 18.02.2004.
Jawohl, Hamburg hat endlich ein Seilbahngesetz! In 22 Paragraphen und einem Anhang – der die Begriffsbestimmung des „Teilsystems einer Anlage“ aus § 2 Abs. 4 des Gesetzes näher konkretisiert – werden in liebevoller Detailfülle sämtliche rechtlichen Fragen rund um die Errichtung und den Betrieb einer Seilbahn geregelt, die vielen interessierten Bürgern bestimmt schon lange unter den Nägeln brannten. Um ein paar Highlights zu nennen: So erfahren wir in § 1 (Anwendungsbereich), dass dieses Gesetz anzuwenden ist auf Unternehmen von Seilbahnen für den Personenverkehr, die ihren Sitz in Hamburg haben oder in Hamburg Seilbahnen betreiben sowie auf das Inverkehrbringen oder den Einbau von Seilbahnsicherheitsbauteilen und –teilsystemen in Hamburg. Soll dort ein neuer Wirtschaftszweig zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Hamburg erschlossen werden? Die Fans exotischer Sportarten werden hingegen in § 1 Abs. 2 Nr. 7 mit dem Hinweis abgespeist, dass das Gesetz nicht für Schleppanlagen, für Wasserskifahrer und Gleitschirmflieger gilt. Auch, dass Seilbahn nicht gleich Seilbahn ist, war gewiss zuvor vielen Menschen verschlossen geblieben: In § 2 Abs. 1 werden wir insoweit darüber belehrt, dass Seilbahnen nach ihrer Funktionsweise in Standseilbahnen, Seilschwebebahnen und Schleppaufzüge unterschieden werden. Der Gesetzgeber tut hier also auch gleich etwas für die Allgemeinbildung.
Schaut man auf das Datum der Ausfertigung dieses Gesetzes (18.02.2004), so liegt die Vermutung nahe, dass rechtzeitig vor den Neuwahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft am 29.02.2004 angesichts des unsicheren Wahlausgangs noch rasch ein zentrales gesetzgeberisches Anliegen des „alten“ Senats durchgesetzt werden sollte.
Weit gefehlt: Ein Blick in die Gesetzesmaterialien verweist derartige Mutmaßungen mit einem Schlag ins Reich der Fabel. Im Gesetzentwurf des Senats vom 25.11.2003 (Bürgerschaftsdrucksache 17/3734) findet man einen in der hamburgischen Geschichte wohl ziemlich einmaligen Vorgang: Der Senat entschuldigt sich geradezu dafür, die Bürgerschaft mit diesem Entwurf behelligen zu müssen. Dort heißt es:
„Der Senat strebt, wie mehrfach bekundet, einen Abbau überflüssiger Rechts- und Verwaltungsvorschriften an. Daher ist es folgerichtig, bei dem Erlass neuer Vorschriften besonders kritisch zu prüfen, ob diese zwingend erforderlich sind. Vor diesem Hintergrund bedauert der Senat, der Bürgerschaft den anliegenden Gesetzentwurf zuleiten zu müssen. Bei der Frage nach der Erforderlichkeit eines Hamburgischen Seilbahngesetzes fallen die tatsächliche und die rechtliche Antwort auseinander: Hamburg ist wegen seiner natürlichen Gegebenheiten offenkundig kein Schwerpunkt des Seilbahnbetriebes. (…) Die heute zur Verfügung stehenden rechtlichen Instrumente würden auch zur Genehmigung eventueller künftiger Seilbahnen ausreichen. In der Sache besteht also kein Bedarf an einem Hamburgischen Seilbahngesetz.“
Warum also dieses Gesetz? In § 22 (Schlussbestimmung) finden wir einen ersten Hinweis darauf, wenn es dort heißt, dass dieses Gesetz der Umsetzung der Richtlinie 2000/9/EG dient. Aha, die EU ist schuld! In der Tat war dort am 20.03.2000 eine Richtlinie über Seilbahnen für den Personenverkehr erlassen worden (ABl. Nr. L 106 vom 03.05.2000, S. 21 ff.). Da die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet war, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen, musste der Gesetzgeber aktiv werden. Nur: War der Bundes- oder der Landesgesetzgeber in der Pflicht? Noch einmal ein Blick in den Gesetzentwurf: „Der Senat hat sich in Verhandlungen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und den anderen Bundesländern dafür eingesetzt, dass die Umsetzung der Richtlinie durch ein Bundesgesetz erfolgt. Angesichts der ablehnenden Haltung des Bundes und der Mehrheit der Länder wird die weitere Verfolgung dieser Position derzeit nicht für aussichtsreich erachtet. Ein Verfassungsstreitverfahren sollte vermieden werden.“ Man mag es für bedauerlich halten, dass damit dem BVerfG die Gelegenheit vorenthalten wurde, sich in seiner unendlichen Weisheit zur Frage der Gesetzgebungskompetenz für Seilbahngesetze zu äußern. Es kann sich hier aber auch um eine praktische Anwendung des Sprichwortes handeln, dass der Klügere nachgibt.
Der Weg bis hin zur Verabschiedung des Gesetzes war dann auch noch einigermaßen dornig. Wie der Tagespresse zu entnehmen war (Hamburger Abendblatt vom 17./18.04. 2004), drohte der Bundesbauminister Stolpe sogar an, Hamburg in Regress zu nehmen, wenn das Gesetz nicht zügig umgesetzt werden würde. Nachdem dann die Senatsvorlage im Eiltempo den Rechtsausschuss passiert hatte und das Gesetz mit Unterstützung des in Seilbahnfragen etwas erfahreneren Bundeslandes Bayern zertifiziert werden konnte, konnte wieder etwas aufgeatmet werden.
Hat das Seilbahngesetz für Hamburg vielleicht doch einen Nutzen? In der Präambel der erwähnten EU-Richtlinie wird festgehalten, dass der Betrieb von Seilbahnen insbesondere mit dem Tourismus verbunden ist, der für die Wirtschaft der betroffenen Regionen, vornehmlich der Bergregionen, eine wichtige Rolle spielt und für die Handelsbilanz der Mitgliedstaaten immer mehr an Bedeutung gewinnt. Wird Hamburg daher künftig zur Erhöhung seiner touristischen Attraktivität zu einem Seilbahnstandort ausgebaut werden, etwa in den Harburger Bergen1 oder am Süllberg? Werden die Besucher des Musicals „Der König der Löwen“ demnächst per Seilbahn die Elbe überqueren? Wird der „Sprung über die Elbe“ im Rahmen der Hamburger Stadtentwicklung per Seilbahn vollzogen? Die Zukunft wird es zeigen müssen.
Es bleibt zu hoffen, dass dem Hamburgischen Seilbahngesetz das Schicksal einiger Gesetze erspart bleibt, durch zahlreiche Änderungsgesetze und Durchführungsverordnungen zerfasert zu werden. Doch sollte man sich da vielleicht nicht zu früh freuen, denn es droht Ungemach: In § 20 wird der Senat ausdrücklich ermächtigt, zur Konkretisierung der in § 3 genannten Grundpflichten und zur Durchführung der Aufsicht (welche Aufsicht?) über die Seilbahnen (welche Seilbahnen?) durch Rechtsverordnungen nähere Regelungen zu treffen. Jedenfalls aber dürfte sich der Umsetzungsbedarf in Grenzen halten und dürften die Gerichte durch dieses Gesetz nicht allzu sehr belastet werden, auch wenn in § 21 immerhin 9 Ordnungswidrigkeitentatbestände aufgelistet werden; die Gefahr, dass jemand in absehbarer Zeit zum Beispiel vorsätzlich oder fahrlässig ohne oder abweichend von einer Genehmigung nach § 4 eine Seilbahn zur Personenbeförderung errichtet oder betreibt, dürfte dann doch eher gering sein.
Carsten Rinio
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1 Anm. d. Red.: Dort gab es in der Tat mal einen Skilift!