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Der Fernsehstar
Kollegin Salesch macht Gerichtsfernsehen

Am 16.08.99 fand im Plenarsaal des LG Hamburg eine Pressekonferenz des Privatsenders Sat1 statt. Auf dem Podium befand sich neben Kollegin Salesch insbesondere auch die als Talk-Show-Moderatorin bekannte Gisela Marx, die für die produzierende Firma Filmpool auftrat.

Produziert wird ein werktäglich erscheinendes Reality-Gerichtsfernsehen (Court-TV) nach dem amerikanischen Vorbild "Judge Judy". Präsentiert werden bei Sat1 vor laufender Kamera reale Verhandlungen in Zivilrechtssachen einschließlich der richterlichen Entscheidung. Im Gegensatz zu dokumentarisch nachgespielten Fernsehproduktionen werden also keine Schauspieler eingesetzt. Richter, Parteien, Rechtsanwälte, Gerichtswachtmeister und Gerichtsreporter sind echt. Verhandelt wird in den Studios von Köln-Godorf, wo auch "Amy und Jaguar" gedreht wurde. Die Gerichtskulissen hat ein amerikanischer Architekt entworfen.

Um nicht mit dem Gerichtsverfassungsgesetz in Konflikt zu kommen, handelt es sich ausschließlich um Schiedsgerichtsverfahren. Damit der Sender nicht gegen das Rechtsberatungsgesetz verstößt, hat die Richterin ein unabhängiges Schiedsgericht gegründet; die Richterin hat die Lizenzen über Filmpool als Zwischenerwerber an Sat1 weiterveräußert. Die Verhandlungen sind öffentlich.

Geeignete Parteien mit ihren Fällen werden vom Schiedsgericht per Inserat gesucht und gefunden. Die Parteien unterzeichnen eine vorbereitete Schiedsgerichtsvereinbarung und unterwerfen sich darin dem Spruch der Schiedsrichterin. Ein Honorar wird den Parteien nicht gezahlt. Allerdings brauchen die Parteien keine Gerichtsgebühren und kein Anwaltshonorar für die vom Sender gestellten Rechtsanwälte zu bezahlen. Das Mitbringen eigener Anwälte ist erlaubt.

Sobald Klage und Klageerwiderung vorliegen, werden die Sachen "gecastet". Mit den Parteien werden Interviews geführt, die protokolliert werden. Die daraus sich ergebenden Hintergründe - nicht jedoch die vollständigen Dossiers des Senders/der Produktionsfirma - erhält die Richterin über die Akten hinaus, um die persönlichen Hintergründe zu erfahren. Die Parteien erhalten diese Hintergrundinformationen nicht automatisch, jedoch ist es "kein Problem", dass die Parteien die o.g. Protokolle erhalten "können".

Die Sendung wird eingeleitet vom Gerichtsreporter, der zwischendurch auch Prozessbeteiligte interviewt. Die Richterin führt die Verhandlung ohne zeitliche Begrenzung. Die Verhandlung wird aufgezeichnet und auf die Sendezeit (ab 27.09.99, Mo - Fr, ab 18 Uhr) zurechtgeschnitten. Ist die mündliche Verhandlung beendet, so fällt die Richterin ihr Hämmerchen. Sodann wird unmittelbar vor der abschließenden Entscheidung ein Werbeblock in die Sendung eingeschoben.

Produziert werden 20 Fälle im Voraus und 3 pro Tag. Die Fälle werden so gesendet, wie sie produziert werden, d.h. es werden nicht mehr Fälle produziert als gesendet werden. Auch weniger Spektakuläres soll seinen Platz haben. Ist eine Sache nicht entscheidungsreif, so wird sie auch nicht entschieden. Fälle sind z.B. Nachbarschaftsstreit wegen eines überhängenden Astes, Streit in Wohngemeinschaft (ausgiebige Bettnutzung), Beleidigung, Gage für Gesangsauftritt, Rotweinflecken und Brandlöcher.

 

Und so kam Kollegin Salesch, die bis zum 31.07.99 einer Kleinen Strafkammer des LG Hamburg vorsaß, zu der Ehre:

Filmpool castete 193 Richter und Rechtsanwälte. Nach anfänglicher Beschränkung auf Herren kamen mangels herrlicher Eignung vorrangig Damen in die Auswahl. Nach anfänglichem Zeitüberfluß kam Eile in die Sache, als ähnliche Vorhaben anderer Sender bekannt wurden. Als bereits eine Frankfurter Richterin kurz vor ihrer "Ernennung" stand, rief Frau Marx ihre Freundin Alice Schwarzer an, die die Präsidentin des Landgerichts Hamburg für die "Rolle" empfahl. Frau Görres-Ohde ihrerseits empfahl Frau Salesch ob deren herausragender persönlicher Qualifikation für diese Tätigkeit. Da auch zwischen Frau Salesch und Frau Marx sofort der Funke übersprang, war Frau Marx begeistert. Frau Görres-Ohde setzte sich für Frau Salesch bei der Justizbehörde ein, die sodann Frau Salesch einen unbezahlten Sonderurlaub auf 2 Jahre bewilligte.

Frau Görres-Ohde verspricht sich (ex ante wohl zu Recht) von dieser Unternehmung, dass in der Bevölkerung der Ablauf eines Zivilprozesses bekannter wird und auf diese Weise Ängste abgebaut werden. Durch Frau Salesch's Persönlichkeit soll ein menschlicheres Richterbild in der Öffentlichkeit entstehen. Frau Görres-Ohde träumt nach eigenem Bekunden davon, dass Parteien sich auch bei staatlichen Gerichten ihre Richter aussuchen können.

Wolfgang Hirth