(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/99) < home RiV >
Schwedenreise
vom 29. 5. bis 6. 6. 1999

Bereits seit 1980 hält der Hamburgische Richterverein regelmäßig Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen in Lund, Malmö und Stockholm aufrecht. Bislang hat es in jeder Richtung 5 Besuche gegeben. In diesem Jahr sind die Hamburger mit einer 13 - köpfigen Delegation nach Schweden gefahren, geführt von Dr. Roland Makowka und Dr. Klaus Wille, die die Reise mit Unterstützung ihrer inzwischen gefestigten privaten Beziehungen nach Lund und Stockholm perfekt organisiert hatten. Eine 13-köpfige Delegation, 6 weibliche und 7 männliche Mitglieder aus allen Bereichen der Justiz machte sich am Sonnabend, den 29. 5. 1999 auf die Reise. Nach einem kurzweiligen Zwischenstop in Kopenhagen erreichten wir gegen 18.00 Uhr das erste Reiseziel und wurden am Fähranleger in Malmö von unseren schwedischen Gastgebern herzlich empfangen. Jan Alvo - Direktor des "Lunds Tingsrätt" (Amtsgericht), und seit Jahren eng verbunden mit Herrn Dr. Makowka - hatte in seinem Haus eine Willkommensparty organisiert. Neben unseren jeweiligen Gastgebern waren zahlreiche Referendare anwesend, die gerade kürzlich einen eigenen Austausch mit hiesigen Referendaren durchgeführt und so die beiderseitigen Kontakte unter den Juristen auch auf jüngerer Ebene geknüpft haben. Es war alles in allem ein gelungener Auftakt mit Fortsetzung der Gastfreundschaft der Alvos am Sonntag in ihrem abseits der Verkehrswege gelegenen Sommerhaus. Die für den Nachmittag geplante Wanderung zu einem Aussichtsplatz auf das Meer wäre wegen des Dauerregens vom Vormittag beinahe ins Wasser gefallen. Doch Petrus hatte im letzten Augenblick ein Einsehen, so daß nur Wege und Wiesen naß und rutschig blieben. Am Montag begann der offizielle Teil unseres Besuches. Zunächst erhielten wir ausführliche Informationen über die "elektronische Fessel", mit der in Schweden seit mehr als zwei Jahren praktische Erfahrungen bestehen. Sie hat sich inzwischen bei Straftätern mit Freiheitsstrafen von bis zu drei Monaten gut bewährt. Voraussetzung ist, daß der Verurteilte, der sich für diese Art des Strafvollzugs entscheidet, in einem festen Arbeitsverhältnis steht und einen festen Wohnsitz mit Telefonanschluß hat. In Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber erfolgt dann die elektronische Überwachung durch hauptamtliche Betreuer. Rund um die Uhr wird die Einhaltung der Bedingungen des Strafvollzugs "in Freiheit" kontrolliert. Striktes Alkoholverbot und Pünktlichkeit der Probanden auf den Arbeitswegen, sowie Zuverlässigkeit bei der Einschaltung der über das Telefon geführten Verbindung zur Zentrale gehören dazu. Nach den interessanten Erläuterungen über die in Israel entwickelte "elektronische Fessel" nahm uns die Polizei unter ihre Fittiche und berichtete ebenso anschaulich wie informativ über die eigenen Aufgaben. Der Nachmittag war ausgefüllt mit dem Besuch in einer Jugenstrafanstalt, die auf den ersten Blick eher einem Landgut als einem Gefängnis glich. Vorbild war Johann Hinrich Wichern mit seinem "Rauhen Haus". Gitter gab es nur in dem geschlossenen Vollzug. Eindrucksvoll wurde uns der Umgang mit straffällig gewordenen Jugendlichen geschildert. Im geschlossenen Vollzug leben sie - betreut von Sozialarbeitern - in kleinen Wohngruppen, werden handwerklich ausgebildet und sind verpflichtet, am internen Schulunterricht teilzunehmen. Da alle Unterrichtseinheiten in Kleingruppen abgehalten werden, sind die Fortschritte der Jugendlichen derart groß, daß sie zumeist innerhalb der zu verbüßenden Freiheitsstrafen einen regulären Schulabschluß erreichen und ihnen in den hervorragend ausgestatteten Werkstätten Grundlagen für eine handwerkliche Weiterbildung mitgegeben werden. Der Erfolg der nach Ablauf von zwei Monaten im offenen Vollzug fortgesetzten Arbeit mit festem und intensivem Betreuungsprogramm der Jugendlichen zeigt sich an einer geringen Rückfallquote, so daß die hohen Investitionskosten in personeller und materieller Ausstattung der Anstalt sich langfristig bezahlt machen. Den folgenden Tag verbrachten wir in Malmö, zunächst bei Gerichtsverhandlungen. Unterschiede in der Rechtsfindung waren offenkundig. Nicht nur im Straf- sondern auch im Zivilverfahren erfolgt in der mündlichen Verhandlung die umfassende Fallerörterung. Unsere Schlüssigkeitsprüfung ist in Schweden unbekannt.

Nach Besichtigung des Projekts "Öresundbrücke" vor Ort ging unser Aufenthalt in Lund und Malmö mit einem opulenten Abendessen dem Ende entgegen. Der Nachtzug brachte uns nach Stockholm, wo wir Mittwoch früh um 6.30 Uhr beim Frühstück im Bahnhofsrestaurant unsere neuen Gastgeber kennenlernten und anschließend testen durften, wie weit unsere Aufnahmefähigkeit reichte für eine sachkundige Einführung in das schwedische Rechtssystem, für die Begrüßungsreden in den Obergerichten, dem "Svea Hovrätt" und "Kammarrätt", für das Zuhören bei Straf- und Zivilverhandlungen und schließlich für eine Führung durch die Archive der Königlichen Bibliothek. Auch in den folgenden Tagen war das offizielle Programm angefüllt mit interessanten Veranstaltungen, zu denen die Besichtigung und Führung durch das alte Polizeigebäude und -museum, die angegliederte Haftanstalt sowie des Schwedischen Reichstages gehörte. Zum Abschluß des offiziellen Informationsteils gab uns die staatliche Einrichtung SiS einen Einblick in ihre Arbeit mit jugendlichen Straftätern und Süchtigen, die in speziellen Häusern betreut werden, um sie vor einem geschlossenen Strafvollzug zu bewahren. Abgerundet wurde der Stockholmbesuch durch einen Ausflug zu dem königlichen Sommerschloß "Drodningholm" und einem gemeinsamen Abendessen. Sowohl in den Tischreden als auch in den privaten Gesprächen wurde hier deutlich, daß inzwischen langjährige Freundschaften gewachsen und neue hinzugekommen sind. Es war eine intensive und harmonische Woche. Das Abschiednehmen fiel schwer. In zwei Jahren werden wir gern Gäste aus Lund, Malmö und Stockholm bei uns empfangen.

Lore Ziesing