Sehr geehrte Frau Senatorin,
durch ein Schreiben an den Petitionsausschuss der Bürgerschaft, das der Fraktion zur Kenntnis gegeben wurde, bin ich auf den Fall des 19-jährigen Türken Oguzhan Gökduman aufmerksam gemacht worden. Herr Gökduman verübt im Ortsteil Berne seit Jahren eine Vielzahl von Straftaten, wobei er häufig Jugendliche dazu zwingt, Straftaten für ihn zu begehen.
Bei einem Besuch der betroffenen Familien in der letzten Woche habe ich mir selbst ein Bild über die Situation vor Ort machen können. Nicht nur die betroffenen Jugendlichen und deren Eltern, sondern auch die Beamten des zuständigen Reviers sind hilflos, da trotz der Vielzahl der erstatteten und aufgenommenen Anzeigen von Seiten der Justiz keine hinreichenden Maßnahmen ergriffen wurden, um weitere Straftaten durch Herrn Gökduman zu verhindern.
Die Unabhängigkeit der Richterschaft ist ein hohes Gut. Um das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz zu bewahren und zu stärken, ist es aber auch wichtig, dass Entscheidungen, die im Namen des Volkes ausgesprochen werden, nicht nur die Einzelfallgerechtigkeit im Blick haben, sondern ebenso die Interessen der Allgemeinheit berücksichtigen.
Als politisch verantwortliche Senatorin bitte ich Sie, sich dieser Angelegenheit persönlich anzunehmen, die Akten vorlegen zu lassen und sich von der zuständigen Richterin ihre Entscheidungen erläutern zu lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Ole von Beust
Der CDU-Fraktionsvorsitzende Ole von Beust verlangt von der Justizsenatorin Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit, die richterliche Unabhängigkeit zu verletzen. Er wirft im Rahmen eines an die Justizsenatorin Dr. Peschel-Gutzeit gerichteten Briefes vom 6. September 1999 der Justiz vor, dass sie nicht hinreichende Maßnahmen ergriffen habe, um die von einem Neunzehnjährigen im Ortsteil Berne angeblich begangenen und noch zu befürchtenden Straftaten zu verhindern. In diesem Zusammenhang fordert er Frau Dr. Peschel-Gutzeit als "politisch verantwortliche Senatorin" auf, "sich dieser Angelegenheit persönlich anzunehmen, die Akten vorlegen zu lassen und sich von der zuständigen Richterin ihre Entscheidung erläutern zu lassen."
Ole von Beust verlangt damit unverhüllt, dass die Justizsenatorin in die durch Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützte richterliche Unabhängigkeit eingreift.
Art. 97 Abs. 1 GG garantiert die sachliche Unabhängigkeit der Richter von der Exekutive. Untersagt ist die Einflussnahme auf die Rechtsprechung durch Einzelweisungen oder sonstige Handlungsformen. So stellen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung bereits behördliche Bitten, Beschwerden oder auch nur bloße Empfehlungen eine unzulässige Einflussnahme dar. Zum geschützten Tätigkeitsbereich der Rechtsprechung zählen hierbei nicht nur der Entscheidungsausspruch, sondern auch die verfahrensleitenden und verfahrensbegleitenden Anordnungen. Art. 97 Abs. 1 GG beinhaltet die Wertentscheidung des Verfassungsgebers, dass die Gerichte in voller sachlicher Unabhängigkeit entscheiden dürfen und müssen, also auch frei von gesellschaftlichen und privaten Pressionen. Derjenige, der Einfluss nimmt auf richterliche Entscheidungen, erfüllt möglicherweise sogar den Straftatbestand der Nötigung (§ 240 StGB).
"Das Schreiben von Herrn von Beust ist eine klare Aufforderung zum Verfassungsbruch. Es geht hier nicht um die sachliche Richtigkeit der Anschuldigung von Herrn von Beust, dass die Justiz angebliche Straftaten nicht verhindert habe. Im übrigen hat die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Neunzehnjährigen reagiert. Mein Vorwurf ist, dass Herr von Beust von mir als Justizsenatorin verlangt, die richterliche Unabhängigkeit zu missachten. Dieser Vorgang ist umso ungeheuerlicher, als Herr von Beust als Rechtsanwalt und Organ der Rechtspflege sehr genau weiß, was er fordert, nämlich eine klare Verletzung der Gewaltenteilung."