(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/99) < home RiV >

Zuschrift:
MHR als Gesamtkunstwerk

Bei MHR Nr. 1/1999 fiel es mir auf: Wie alles ineinandergreift! Wie alles zur Reaktion auffordert! Eben ein Gesamtkunstwerk.

Im Editorial spricht die Kollegin Wiedemann gleich im ersten Absatz von dem Neuen, das sich – in der Nachfolge des scheidenden Präsidenten Metzinger – erst bewähren muß. Der scheidende Präsident habe neue Besen, die ihre externen Vorstellungen von Justiz propagierten, in ihre Schranken gewiesen, heißt es dann im zweiten Absatz. Möge also der neue Präsident als solcher so reden (und handeln), wie er es als der Vorsitzende unseres Vereins in für mich erfreulicher Weise (trotz eines Karrierefortschritts, der mich zugegebenermaßen skeptisch gestimmt hatte) getan hat.

Zur Person der/des Vorsitzenden, die/der die Haltung unseres Vereins repräsentiert, wirft die Kollegin Wiedemann (5. Absatz) eine wirklich grundlegende Frage auf, auf welche ich geradezu lauthals antworten möchte:

Ganz unbedingt muß die Courage aufgebracht werden, eigene Positionen deutlich – vielleicht sogar streitbar – zu markieren und dafür auch zu kämpfen! Keinesfalls darf sich der herrschenden Konsensgesellschaft, die alle Konflikte moderiert, ergeben werden! Ich füge hinzu: Schluß mit der Rücksichtnahme darauf, daß man in der Hamburger Justiz "noch etwas werden" will!

Die Hamburger Justiz soll (wie jetzt z.B. die Vormundschaftsgerichte von "höchster" Stelle gesagt bekommen haben) auf JUSTIZ 2000 hoffen. Einstweilen jedenfalls hat die Humanität, soweit sie von Rechtsschutzgewährung abhängt, gute Chancen, auf der Strecke zu bleiben. So passen der siebte und der achte Absatz des Editorials ins Bild.

Präsident Metzinger tat m.E. alles, was ein Präsident tun konnte, um die Rechtsschutzgewährung so wenig wie irgend möglich leiden zu lassen. Ich erlaube mir diese Einschätzung, obwohl ich nicht auf eine Mitwirkung an einem Großkommentar oder gar auf eine Mehrzahl von Amtszeiten zurückblicken kann (wir sind jetzt auf Seiten 4 und 5 der besprochenen MHR). Geradezu revolutionär war sein – noch heute aktueller, wie ich in aller Bescheidenheit anmerken möchte – Gedanke, Prioritäten zu setzen, sich also zu entscheiden, welche Bereiche "laufen" müssen und welche notgedrungen zurückstehen müssen.

Präsident Metzinger tauchte nicht mit schöner Regelmäßigkeit oder gar mit Großphoto im Abendblatt auf. Darauf kam es aber auch nicht an. Wichtig war, daß ein Amtsrichter im fernen Altona (so wie ich) sicher sein konnte, daß da einer als Präsident amtierte, dem keiner etwas vormachen konnte, weil er einfach kompetent war. Was kann man mehr verlangen als wirkliche Kompetenz? Und wenn einem Amtsrichter im fernen Altona einmal der Kragen angesichts der Aussagen von "höchster" Stelle geplatzt war, dann machte dieser Präsident daraus keine Staatsaffäre.

Damit sind wir auch schon bei der "Abschaum"-Debatte. Meines Wissens hat der Kollege Schaberg leider bis heute keinen Grund, dankbar zu sein; jetzt wäre es für das, was er sich von seinem und unserem Kollegen erhoffte, auch zu spät. "Unser" schrieb ich, also auch "meiner"; ich merke, daß ich (m)ein Problem habe. Mein (ohne Anführungszeichen!) Kollege Berthold Herrmann, der hier in Altona ein paar Zimmer neben mir sitzt, hatte und hat auch (s)ein Problem. Ich versuche mich im Strafrecht, das mir – nicht aber Berthold Hermann! – relativ fremd ist: So wie es absolute Revisionsgründe gibt, gibt es absolute Grenzen, die ein(e) Richter(in) nicht überschreiten darf, komme was da wolle. Vielleicht sind diese Grenzen für sog. Dezernatsleiter sogar noch enger zu ziehen. Der hier gemeinte Dezernatsleiter hat die Grenze überschritten. Trotzdem halte ich die Reaktion Berthold Hermanns für falsch. Der Hamburgische Richterverein ist die einzige wirklich relevante Vertretung unseres Berufes in Hamburg. Deshalb sollte man ihn nicht verlassen, sondern man sollte die Position, die man für richtig hält, in ihm deutlich – vielleicht sogar streitbar – markieren und für sie auch kämpfen.

Damit schließt sich der Kreis. JUSTIZ 2000 muß leider draußen bleiben. (Der Kollege Bertram, der über die Rede Martin Walsers schrieb, weiß, mit welcher Hochachtung seine Beiträge – u.a. von mir – gelesen werden).

Martin Weise