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Justiz unter dem
Effizienzdiktat

... dies war das Thema der diesjährigen Sankelmarker Richtertage, veranstaltet von der Schleswig-Holsteinischen Richtervereinigung (Programm siehe MHR 1/99, 37). An dem von mir besuchten Tag gab es folgende Vorträge:

Kröger:      Eckpunkte der Justizreform
Prof. Röhl: Fallnahes Justizmanagement
ein Streitgespräch zur richterlichen Unabhängigkeit:
                  Kleinknecht  gegen Litten
Dr. Makowka: Kundenorientierung, Kosten-Leistungs-
                  Rechnung, Outsourcing
                  - verräterische Sprache oder Reformansatz?

Eckpunkte der Justizreform,
von Ministerialrat Kröger, BMJ:

Der dreistufige Gerichtsaufbau solle jedenfalls nicht organisatorisch eingeführt werden. Die kommende Rechtsmittelreform werde vielmehr die Dreistufigkeit des Rechtsmittelsystems stärken. Dabei sollen einige Elemente der bisherigen Revision in die Berufung und einige Element der Berufung in die erste Instanz verlagert werden. Genaueres durfte Herr Kröger noch nicht mitteilen.
 

Fallnahes Justizmanagement,
von Prof. Röhl:

Röhl ist Leiter des Bochumer Forschungsprojekts "Courtmanagement". Er setzte sich in seinem Vortrag intensiv auseinander mit dem Bericht der Arbeitsgruppe am VG Hamburg, der abrufbar ist auf unserer Homepage www.richterverein.de.

Röhl lobt die tiefgehende Durchdringung des Themas durch die Arbeitsgruppe. Er fand die dort gezogenen drastischen Konsequenzen für zwar logisch zuende gedacht, glaubte aber nicht, dass es in der Praxis so schlimm kommen werde. Deshalb könne man es mit einzelnen Elementen des Neuen Steuerungsmodells (NSM) "ruhig mal versuchen". Die Arbeitsgruppe überstrapaziere den Untersuchungsgrundsatz. Nicht alle Teile des NSM könnten/bräuchten verwirklicht zu werden; andere Teile seien verwendbar. Eine nur partielle Budgetierung sei allerdings abzulehnen, sonst würden selbst dann Ausgaben vom einen in den anderen Bereich verlagert werden, wenn dies unwirtschaftlich sei.

Es sei nicht einzusehen, weshalb nicht - wie schon in Bremen - auch die Einnahmen budgetiert werden.

Controlling sei entgegen den Papieren der Verwaltung doch auch Kontrolle. Die NRW-Justizverwaltung wolle sogar ausdrücklich auch die Richter steuern. In NRW’s Justiz werde auch die "erforderliche" Qualitätskontrolle durchgeführt iVm der Bertelsmann-Stiftung. Qualitätskontrolle könne auch ein positives Publicity-Instrument der Gerichte werden.

Unabhängig vom Controlling sollten sich die Richter eines Gerichts freiwillig zusammensetzen, um sich selbst zu steuern, evtl. auch unter (Fremd-)Steuerung der Selbststeuerung, z.B. Selbstkontrolle gegen "unanständige Verweisungen". Die Teamwork-Bereitschaft sei zu stärken. Leistungsvereinbarungen seien unabhängig von ihrer Un-/Verbindlichkeit geeignet, die Motivation zur Modernisierung zu erhöhen.

Der Geschäftsverteilungsplan könne als "Managementmittel" ausgebaut werden. Wo der Grundsatz des gesetzlichen Richters entgegenstehe, könne dieser durch eine GG-Änderung eingeschränkt werden. Auch andere Rechtsstaaten hätten nicht einen so starren Begriff des gesetzlichen Richters.

Mein Facit: Röhl erkennt die Gefahren des NSM, aber er verniedlicht sie. Gegen ein freiwilliges Zusammensetzen hatte noch nie jemand etwas; dafür braucht man kein NSM.
 

Richterliche Unabhängigkeit (RU)
- ein Streitgespräch -
1. Kleinknecht, Vorsitzender des Bayrischen Richtervereins:

Kleinknecht stellte sich uneingeschränkt hinter den o.g. kritischen VG-Bericht. Die RU könne noch nicht einmal durch eine GG-Änderung angetastet werden (Art. 20, 79 III GG). Die RU sei dem Richter nur in einer bestimmten Funktion und nur treuhänderisch im Interesse der Rechtssuchenden anvertraut. Gefahren für die RU drohten weniger durch direkte Eingriffe, denn die könnten durch Rechtsmittel abgewehrt werden. Gefährlicher sei vielmehr die schleichende Einflußnahme wie z.B. der Wunsch nach Effizienzsteigerung. Auch die von Röhl vorgeschlagene Steuerung per Geschäftsverteilungsplan dürfe nicht in die RU eingreifen; der einzelne Richter könne sich bei Beeinträchtigung seiner RU auch gegen Kollegen wehren.

In Bayern sei die dezentrale Budgetierung nach dem Rosenheimer Modell nunmehr flächendeckend eingeführt.

2. Litten, Staatssekretär im Nds. Justizministerium:

Litten beanstandete ausdrücklich nicht, dass die RU von Gerichten definiert wird. Die Justiz sei zu teuer (ohne Begründung; diese These wurde vom Publikum widerlegt). In Niedersachsen sei die "JusKoLei" (Justizkostenleistungsrechnung) eingeführt. Dabei würden die Kosten eines Verfahrenstyps (zB Mietesachen) ermittelt. Der richterliche Aufwand sei dafür nicht nach Stunden, sondern in Prozenten der Arbeitskapazität erfasst worden. Die JusKoLei verstoße nicht gegen die RU, denn laut Rechtsprechung seien auch Geschäftsprüfungen bei Richtern mit der RU vereinbar.

Was mit den erhobenen Daten geschehen solle, wisse man in Nds. noch nicht konkret; das solle nach der Einführungszeit erst noch geprüft werden (darum hatte Litten auch den zutreffenden konkreten Argumenten des Publikums nichts entgegenzusetzen, wonach die für dieses Controlling - Kosten des Verfahrenstyps - erforderlichen Daten schon immer vorhanden gewesen seien - siehe auch unten Makowka; einer zusätzlichen JusKoLei bedürfe es daher nicht). Pauschal nannte Litten als Nutzen der JusKoLei:

Kundenorientierung, Kosten-Leistungs-Rechnung, Outsourcing - verräterische Sprache oder Reformansatz?
von PräsLG aD Dr. Makowka, Hamburg:

Auch Makowka stellte sich voll hinter den Bericht der VG-Arbeitsgruppe.Er vermisste Transparenz in Hamburg; trotz der vielen unterschiedlichen Papiere kenne keiner den genauen Stand des NSM. Die Justiz befinde sich in einem guten, modernen und bürgerfreundlichen Zustand und zwar mit Einschränkungen auch in Hamburg. StA und Gerichte hätten sich sehr bemüht; ihnen fehle nur ein bißchen mehr Geld.

Die Outputorientierung sei für die Gerichte nichts Neues: auch der Pensenschlüssel sei outputorientiert gewesen, denn alle Eingänge müßten erledigt werden; auch dessen Fallpauschalen hätten Erfahrungswerte, Statistiken und Selbsteinschätzungen zugrunde gelegen.

Schon bislang habe es zur Finanzplanung hinreichende Daten gegeben: Zählkarten, Protokollführerzeiten, Justizkassendaten u.a. Durch den bisherigen Bund-Länder-Vergleich sei auch ein übergreifendes Instrument vorhanden gewesen.

Wozu man dann noch ein weitergehendes Controlling brauche, zeige die Äußerung eines hohen Justizbeamten: "Keiner kann mir erzählen, dass ein Richter nicht auch mit 5 statt mit 10 Zeugen auskommt."

Gegen Leistungsvereinbarungen hat Makowka das Bedenken, ob ein Gerichtspräsident seine Richter binden könne. Zur Budgetierung wandte er ein, die Justiz könne bei Budgetüberschreitung ihre Gerichte nicht schließen, wie es Ärzte bei ihren Praxen könnten.

Die Einführung eines marktwirtschaftlichen Wettbewerbs - wie ihn Eifert anstrebe - sei abzulehnen; es dürfe unter Richtern keinen Wettbewerb, wer der Sparsamste sei, geben. Eine Gewinnmaximierung sei hier nicht durch Druckerzeugung zu erreichen. Richter sollten zwar Rücksicht auf beschränkte Möglichkeiten ihres Umfeldes nehmen; die Selbstregulierung solle jedoch nicht reguliert werden.

Die reine Kostenorientierung sei problematisch, weil Richter keine Fehler machen dürften, denn ihre "Produktpalette" reiche bis zur Entscheidung über Leben und Tod.

Anzustreben sei ein höheres Maß an Selbstverwaltung. Schon seit langem trete er für ein Direktvorlagerecht der Gerichte beim Parlament für ihre Haushalte ein (Anm.: eine entsprechende Initiative Hamburgs schmort derzeit in der JuMiKo). Ein weiteres Instrument könne der Budgetrat werden. Auch andere Länder wie z.B. Schweden würden die Selbstverwaltung der Gerichte praktizieren. Selbstverwaltung würde auch das Eigeninteresse an Einsparungen stärken.

Scharf kritisierte Makowka die geplante Einführung eines Gerichtsmanagers, soweit dessen Verantwortung nicht vom Gerichtspräsidenten abgeleitet sei (Anm.: die Hamburger SPD-Fraktion hält an ihrem diesbezüglichen Ziel fest, obwohl alle Fachleute davon abgeraten haben). Derartige Pläne stünden auch in diametralem Gegensatz zu mehr Selbstverwaltung.

Trotz allem appellierte Makowka daran, im Interesse der Selbstverwaltung nicht alle Brücken bei der Budgetierung zu zerstören; ein Appell, der voraussetzt, dass Brücken vorhanden sind und die politische Bereitschaft weckbar ist, außer Mangel auch rechtlich abgesicherte Autonomie zu verteilen. Setzen wir uns dafür ein!

Wolfgang Hirth