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Die erste Richterin in
Hamburgs Nachkriegszeit:
Ursula Thamm, VRiL a.D.

Die Vorsitzende Richterin am Landgericht a.D. Ursula Thamm ist am 30. Januar 1999 verstorben. Für sie fand am 4. Februar 1999 ein Requiem in Hildesheim statt. Es folgte ein Gedenkgottesdienst am 7. Februar in der Christ-König-Kirche in Uetersen. Hier der Versuch, ihrem Lebenslauf nachzuspüren. Dank für die Informationen schulde ich dabei Freunden der Verstorbenen, die persönliche Erinnerungen an Ursula Thamm aufleben ließen.

Ursula Thamm, geboren im Jahr vor dem ersten Weltkrieg, war 1947 die erste Richterin in Hamburg nach dem zweiten Weltkrieg. Erst 1952 folgten Käthe Manasse und Alice Prausnitz.

Ursula Thamm war lebensfroh, gesellig, lebhaft, gastfreundlich, mütterlich, zugewandt, anteilnehmend, hilfsbereit, auf Ordnung in einem geregelten Umfeld bedacht, kämpferisch in der Verteidigung des als recht und richtig Erkannten. Liebenswert, ruhig, höflich bescheiden, so wird Ursula Thamm geschildert, dabei verstehe sie es, sich Achtung zu verschaffen. Als "klare Richterpersönlichkeit mit lebensfroher Aktivität" wird sie beschrieben, auch als ständig in Eile die Flure entlang Hastende, ist sie manchen in Erinnerung.

Ein ausgewählter Kollegenkreis, eine große Familie und gute Freunde wurden großzügig bewirtet an Feiertagen und Geburtstagen. Sich verantwortlich für die Unterhaltung ihrer Gäste fühlend organisierte Ursula Thamm dann zum runden Geburtstag wohl auch eine Flußfahrt auf der Elbe. Schifffahrten liebte sie über alles, wird berichtet.

Menschen in liebevoller Bestimmtheit um sich zu versammeln war ihr nach den Berichten derer, die sie kannten, ein Bedürfnis. Die große Familie - "meine Sippe" - mit dem Bruder Otto, der als katholischer Priester der streng religiösen Ursula Thamm Beistand in schweren Tagen gab, den zwei Schwestern und ihren Familien, und natürlich ihren drei Töchtern, die in den Jahren 1943-1945 geboren wurden, kam zu schönen Festen zusammen, zu denen Ursula Thamm Kollegen einlud, die ihren Weg begleitet hatten. Geselligkeit bestimmte auch das Kammerleben der ZK 1, deren Vorsitzende sie 1971 wurde. Bei schönem Wetter beriet die Kammer draußen in Uetersen in ihrem Garten. Wenn es einen auswärtigen Ortstermin abzuhalten galt, fuhr die Kammer gemeinsam mit dem jeweiligen familiären Anhang, um die Arbeit mit einem kleinen Ausflug zu verbinden.

Als Ursula Scholz am 10. Mai 1913 in Hindenburg/Schlesien geboren, wuchs sie in der Geborgenheit einer glücklichen Familie in Breslau auf. Ihr Vater war als Rechnungsrevisor am OLG Breslau tätig. Ursula Scholz machte ihr Abitur, studierte in Breslau Jura und trat am 28.2.1937 ihren Referendardienst an. Die Referendarzeit endete am 6. Dezember 1940. Der NSDAP trat Ursula Thamm nicht bei. Sie war vielmehr bis zur deren Auflösung im Winter 1932 Mitglied der Deutschen Zentrums Partei.

Als sie sich am 15. Februar 1941 mit dem Assessor Johannes Thamm verheiratete, hatte es die Familie schwer, sie zur Fortsetzung der Berufsausübung zu überreden - sie wollte sich der Familie widmen. Gleichwohl gelang es "der Sippe", sie zu überzeugen, und sie setzte ihre Berufsausbildung als Assessorin fort. Die Beharrlichkeit "der Sippe" erwies sich als richtig. Durch den Krieg verlor Ursula Thamm ihren Ehemann, der im März 1945 im Reserve-Lazarett Teplitz-Schönau im Sudetenland starb. Sie verlor auch ihre Heimat, als sie 1947 mit den Kindern und ihrer Mutter das Land verlassen mußte. In Uetersen bei Hamburg schuf sie ihrer Familie einen neuen Lebensmittelpunkt. Es galt nun, allein die Familie zu ernähren. Sie bewarb sich um eine Stelle bei der Hamburger Justiz.

Durch Beschluß vom 27. Juni 1947 genehmigte der Fachausschuß "Justiz" für die Ausschaltung von Nationalsozialisten die Beschäftigung Ursula Thamms im Justizdienst. Sie wurde "unter Berufung in das Beamtenverhältnis als Hilfskraft des höheren Dienstes" eingestellt. OLG Präsident Ruscheweyh erteilte ihr am 16. Juli 1947 einen Dienstleistungsauftrag bei dem Landgericht Hamburg. Sie hatte ihre bisherige Dienstbezeichnung "Assessorin" weiterzuführen.

Ursula Thamm konnte ihren Dienst jedoch nicht zum vorgesehenen Zeitpunkt antreten. Sie wurde durch die Krankheit ihrer Mutter zurückgehalten und konnte erst am 11. August 1947 ihre Arbeit aufnehmen. Sie wurde der Zivilkammer 11 unter dem Vorsitz des Landgerichtsdirektors Suhr als Hilfsrichterin zugeteilt. Zur Gerichtsassessorin wurde sie am 16. März 1948 ernannt. Die Ernennungsurkunde zeichnete "Der Präsident des Senats Brauer". Zur Landgerichtsrätin wurde sie am 1. März 1949 ernannt.

Die alltäglichen Sorgen der Zeit waren andere als heute. Es ging z.B. um Brennmaterial: Ursula Thamm arbeitete häufig zu Hause. Um an ausreichende Mengen Brennmaterial zu gelangen, benötigte sie 1951 eine Bescheinigung des Landgerichtspräsidenten. Sie wurde ihr im September erteilt. Darin heißt es "Für die Winterzeit ist es daher erforderlich, daß ihr eine ausreichende Menge an Brennmaterial zur Verfügung gestellt wird, um ihr die Möglichkeit zu geben, auch in dieser Zeit einen Teil ihrer richterlichen Arbeiten im Hause zu erledigen." Die Tätigkeit im Strafverfahren verhalf Ursula Thamm 1955 auch zu einem Telefon. Sie holte die Bescheinigung des Landgerichts ein, wonach sie dort angestellt sei und das Telefon dienstlichen Zwecken diene, weil sie in ihrer Eigenschaft als Strafrichterin jederzeit in ihrer Wohnung erreichbar sein und die Gelegenheit haben müsse, jederzeit mit ihrer Geschäftsstelle Verbindung aufzunehmen.

Als Strafrichterin war Ursula Thamm von 1953 bis 1955 Mitglied der Großen Strafkammer 7 unter Vorsitz Landgerichtsdirektor Hallbauers. Hier zeigte sie einen praktischen Blick für die Dinge des Lebens und ein "warmes soziales Empfinden, ohne hierbei jedoch in unangebrachte Weichheit zu verfallen". Hallbauer hielt sie für eine im Leben stehende gereifte Persönlichkeit von natürlicher Frische und Unbefangenheit mit viel Sinn für Humor. Sie sei keine "Nur-Juristin", sondern auch allen anderen Erscheinungsformen des Lebens gegenüber aufgeschlossen und interessiert.

Ihre berufliche Lebensaufgabe fand Ursula Thamm mit Eintritt in die Zivilkammer 1 des Landgerichts im Januar 1956. Vorsitzender war Landgerichtsdirektor Dr. Stüven. Ihm und seiner Ehefrau blieb Ursula Thamm langjährig freundschaftlich verbunden, wie es bei vielen Kollegen war, die ihren Weg kreuzten.

Temperament war Ursula Thamm bei aller Distanz durchaus eigen. Sie konnte sich herzlich ärgern. So über Lautmann, der sich zur Recherche für sein Buch "Die stille Justiz" mit Wissen der Gerichtsverwaltung in die Kammer eingeschlichen hatte - der Wallraff der Siebziger.

Hilfsrichterin zur Erprobung am Oberlandesgericht wollte Ursula Thamm nicht werden. Sie fühlte sich den zusätzlichen nervlichen und zeitlichen Belastungen nicht gewachsen. Landgerichtspräsident Clemens befürwortete gleichwohl im Januar 1971 wärmstens ihre Beförderung zur Landgerichtsdirektorin, die zum 1. Mai 1971 auch erfolgte. Es verdiene Achtung und Bewunderung, wie sie neben ihrer aufopferungsvollen beruflichen Arbeit ihr persönliches Geschick, ihre schwierigen familiären Verhältnisse meistere. Sie habe mit fundierten Rechtskenntnissen und menschlicher Wärme Stil und Richtung die Rechtsprechung der Zivilkammer 1 entscheidend mitgeprägt.

Ursula Thamm übernahm den Vorsitz der Vormundschaftskammer des Landgericht. Als Vorsitzende dieser Kammer wurde sie am 1. August 1978 auch pensioniert. Sie hatte darum gebeten, nachdem sie lange Zeit schwer erkrankt war und sie oft große Erschöpfung überfiel. Selbst in der Zeit der Krankheit hatte sie sich vor allem darum gesorgt, daß ihre "armen Kollegen in der Kammer" darunter zu leiden hätten.

Aus dem Ruhestand verfolgte sie die Ereignisse am Sievekingplatz. Sie schrieb, achtzigjährig, einen Brief an den Landgerichtspräsidenten Dr. Roland Makowka, den dieser, weil es das Mitteilungsblatt betraf, an die Redaktion weiterleitete und der abschließend Ursula Thamm selbst zu Wort kommen lassen soll:

"Lieber Dr. Makowka,

Es ist wohl an der Zeit, Ihnen einmal für Ihr großes Engagement und die vielen Aktivitäten zu danken, mit denen Sie den Richterverein lebendig machen und der Zeitung ein besonderes Profil geben. Sie ist auch gerade für uns Ruheständler ein sehr informativer Draht zum Innenleben am Sievekingplatz.

Was die letzte Hauptversammlung anbelangt, so wäre ich liebend gerne noch einmal dabei gewesen. Aber ich habe im letzten Jahre Durchblutungsstörungen der Augen gehabt und kann nicht mehr Autofahren, nur noch mit einem elektronischen Lesegerät lesen, nicht mehr schreiben - diesen Brief schreibt mein Bruder für mich - und erkenne jemanden nur, wenn er mir direkt gegenüber steht. Das hinzunehme, fällt mir oft schwer. Sie werden so aber besser verstehen, daß ich nicht mehr kommen konnte. Und sehr angerührt war ich davon, daß Sie Frau Dr. Manasse, Frau Prausnitz und auch mich vermißt haben. Herzlichen Dank auch dafür. Abschließend grüße ich Sie, lieber Herr Dr. Makowka, mit allen guten Wünschen für Sie, Ihr persönliches Wohlergehen und Ihre Arbeit sehr herzlich.

Ihre Ursula Thamm

24.4.1993"

"Ihr Humor und ihre Herzlichkeit machten sie für alle, die sie kannten, unvergeßlich" heißt es in einem kleinen Gedenkblatt, das der Bruder für die Gäste ihrer Trauerfeier schrieb. Für diejenigen, die sie nicht kannten, sei das kurz beschriebene Lebensbild Ursula Thamms auch exemplarischer Rückblick auf einen Teil unserer Jahrhunderts, das solche Biographie hervorgebracht hat.

Karin Wiedemann.