In den letzten Jahren hat sich die Rechtspolitik erfreulicherweise wieder stärker auf die Belange von Kriminalitätsopfern besonnen. Ein wesentliches Interesse von Verletzten ist der Ersatz des ihnen durch die Tat entstandenen Schadens. Nach unserem Rechtssystem ist dieser Schaden - getrennt von dem Strafverfahren gegen den Täter - auf dem Zivilrechtsweg einzuklagen. Dieser Weg ist für die Verletzten aber regelmäßig beschwerlich, leiden sie doch zumeist noch erheblich physisch und/oder psychisch unter den Folgen der Tat. Ein zweiter Prozeß bedeutet für sie, daß sie die Tat noch einmal durchleben müssen.
Neue Entwicklungen brachten die Einführung des Täter-Opfer-Ausgleichs (TOA) und der Wiedergutmachung (§ 46 a StGB), manche sprechen bereits von einem "Dritten Weg". Dieser Weg sollte künftig vorrangig beschritten werden, ist er doch am ehesten zur Wiederherstellung des Rechtsfriedens geeignet. Doch auch wo TOA und Wiedergutmachung - aus welchen Gründen auch immer - nicht zur Anwendung kommen können, gibt es durch §§ 403 ff. StPO die Möglichkeit, noch im Strafverfahren im Rahmen des Adhäsionsverfahrens zu einer Entscheidung über die Entschädigung zu kommen.
Leider wird von dieser Möglichkeit noch immer zuwenig Gebrauch gemacht. So wurde 1990 (neuere Zahlen liegen nicht vor) bei nur 0,4 % der amtsgerichtlichen Strafurteile ein Schadensersatzanspruch mitbehandelt. Die Literatur spricht daher auch von "totem Recht" oder "Scheinexistenz". Augenscheinlich haben auch die Änderungen durch das Opferschutzgesetz vom 18.12.1986 keine Steigerungen bringen können. In jüngster Zeit findet das Thema aber bei den Opferschutzverbänden und in der Literatur wieder verstärkte Beachtung. So wurde es z.B. im Rahmen des Mainzer Opferforums des Weißen Ringes 1998 behandelt. Diese Aufwertung geschieht durchaus zu Recht, verbindet das Adhäsionsverfahren doch zweierlei: Zum einen entspricht es dem Interesse des Opfers, das seinen Schadensersatz-, Schmerzensgeld- oder Herausgabeanspruch schnell und unkompliziert befriedigt sehen will - übrigens auch dem des Täters, der rasch über die an ihn gestellten Forderungen informiert sein möchte. Zum anderen dient es der Rechtsvereinfachung und der Prozeßökonomie, die zur Zeit die rechtspolitische Diskussion beherrscht.
Die Gründe, die zu der nur sehr mäßigen Anwendung des Adhäsionsverfahrens führen, sind zahlreich, zahlreich sind damit aber auch die Verbesserungsmöglichkeiten.
Ein wichtiger Grund ist das in Literatur (zumindest weitgehend) und Rechtsprechung vorhandene Vorurteil, der § 404 I S. 2 StPO verlange einen bestimmten Antrag und entspreche somit dem § 253 II Nr. 2 ZPO. Dieser Auffassung widersprechen schon der Wortlaut des § 404 StPO und der Sinn des Adhäsionsverfahrens. § 404 I S. 2 StPO spricht eben nicht von einem "bestimmten" Antrag, und das Adhäsionsverfahren dient der Rechtsvereinfachung und dem Interesse des Opfers, schnell und unkompliziert einfache zivilrechtliche Ansprüche dem Täter gegenüber verwirklichen zu können. "Antragsgrund" i.S.d. Adhäsionsantrages ist die unerlaubte Handlung, die ja Gegenstand des Strafverfahrens ist, und "Antragsgegenstand" meint hier lediglich die Art der Entschädigung, also ob Schadensersatz, Schmerzensgeld, Feststellung einer Haftung für weitere Schäden oder Herausgabe verlangt werden.
Dieses Mißverständnis ist nicht nur in Justizkreisen, sondern auch bei Rechtsanwälten weit verbreitet. Dies mag im Zusammenhang mit der etwas unglücklichen Gebührenregelung des § 89 BRAGO stehen, die nicht zu einer Beratung zum Adhäsionsverfahren einlädt. Hier sollte der Gesetzgeber noch einmal tätig werden.
Häufig ist aber schon die Information des Verletzten im Vorfeld mangelhaft, und dies, obwohl das Adhäsionsverfahren die frühzeitige Information des Verletzten über das Strafverfahren vorsieht und das Verfahren insgesamt - auch wegen des möglichen Absehens von der Entscheidung wegen Verfahrensverzögerung - auf eine frühzeitige Antragstellung ausgelegt ist (dieser Feststellung widerspricht die mögliche Antragstellung bis zu den Schlußvorträgen nach § 404 I S. 1 a.F. StPO nicht, sie bekräftigt lediglich die insgesamt opferfreundliche Anlage des Adhäsionsverfahrens, die künftig verstärkt berücksichtigt werden sollte).
Hier können neu erarbeitete - verständliche ! - Informationsblätter und Antragsformulare, die möglichst schon von der Polizei, spätestens aber vom Staatsanwalt an Verletzte ausgegeben werden, helfen. Begrüßenswert in diesem Zusammenhang ist der Naumburger Modellversuch, der die verstärkte Anwendung des Adhäsionsverfahrens zum Ziel hat und u.a. mit dem Mittel der verbesserten Verletzteninformation und -beratung arbeitet.
Nach allgemeiner Auffassung ist die große Schwachstelle des Adhäsionsverfahrens die Möglichkeit des Absehens von der Entscheidung nach § 405 S. 2 StPO. Auch hier liegt ein Mißverständnis vor. Entgegen der vorherrschenden Meinung in Justizkreisen ist nicht jede Verzögerung des Strafverfahrens durch das Adhäsionsverfahren ausreichend für ein Absehen von der Entscheidung. Wäre dies so, so handelte es sich um ein klassisches Paradoxon: Natürlich "verzögert" jedes Adhäsionsverfahren in gewisser Weise das Strafverfahren, es muß ja darüber entschieden werden. Wäre dies als Absehensgrund ausreichend, so müßte man doch die Frage stellen, warum das Adhäsionsverfahren überhaupt in die Strafprozeßordnung aufgenommen wurde. Diese Überlegung läßt nur den Schluß zu, daß typische zivilrechtliche Fallkonstellationen - wie sie ja bei den meisten für das Adhäsionsverfahren geeigneten Fällen, also insbesondere Diebstahls - und Körperverletzungsdelikte, zu verzeichnen sind - nicht zu einem Absehen von der Entscheidung ausreichen. Der Naumburger Modellversuch sieht an dieser Stelle übrigens vor, daß das Absehen von der Entscheidung in jedem Fall ausführlich begründet werden muß. Es ist vorzuziehen, auf diesem Wege eine opferfreundliche Änderung der bisherigen Praxis herbeizuführen. Sollten aber alle diese Maßnahmen der Landesjustizverwaltungen nicht zum Erfolg - also einer verstärkten Anwendung des Adhäsionsverfahrens führen, so wird erneut über eine Reform des Adhäsisionsverfahrens nachzudenken sein. Das Bundesland Niedersachsen hatte 1996 vorgeschlagen, das Absehen von der Entscheidung bei vorsätzlichen Straftaten gegen das Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person, zu der auch die sexuelle Selbstbestimmung gehört, nur noch wegen Unzulässigkeit oder Unbegründetheit zu ermöglichen, nicht mehr also wegen einer Verfahrensverzögerung. Der niedersächsische Entwurf - ebenso wie ein Hamburger Vorschlag aus dem Jahr 1995 - beinhaltete auch die schon vom Weißen Ring vorgeschlagene Einführung des "Wiedergut-machungsvergleichs" in das Adhäsionsverfahren.
Diese Vorschläge wurden seinerzeit nicht weiter verfolgt - wohl, weil man schnell zu publikumswirksamen Ergebnissen kommen wollte -sollten aber nicht aus den Augen verloren werden.
Eine weitere Überlegung zu einer gesetzgeberischen Reform des Adhäsionsverfahrens betrifft die Unzulässigkeit des Adhäsionsverfahrens gegenüber Heranwachsenden, wenn das Gericht Jugendstrafrecht anwendet (§ 109 II 1 JGG). Soweit es Jugendliche betrifft, ist die Regelung rechtspolitisch sicher sinnvoll und auch stimmig, ist gegen Jugendliche Privat- und Nebenklage doch ebenfalls unzulässig. Was Heranwachsende anbelangt, vermag die jetzige Regelung jedoch nicht zu überzeugen, denn gegen sie soll Privat- und Nebenklage zugelassen sein, das Adhäsionsverfahren aber nicht? Auch hier besteht also gesetzgeberischer Handlungsbedarf.
Weitere Überlegungen sollten die Prozeßkostenhilfe für das Vorverfahren, in dem dem Verletzten ein Rechtsanwalt beigeordnet werden sollte, sowie die Bindung des Adhäsionsverfahrens an den strafrechtlichen Schuldspruch betreffen. Besonders der letzte Punkt führt zu einer unnötigen Belastung des Verletzten, kann er durch ein Rechtsmittelverfahren doch über lange Zeit in einen Schwebezustand geraten. Die Verbindung des (zivilrechtlichen) Entschädigungsanspruchs mit dem strafrechtlichen Schuldspruch ist eine höchst unglückliche Regelung, denn im Zivil- und Strafrecht gelten nun einmal unterschiedliche Regelungen für Verschulden und Kausalität, was zum Beispiel auch zu einem Ausschluß der in der Praxis bedeutsamen Gefährdungshaftung nach § 7 I StVG führt.
Zusammenfassend ist festzustellen, daß das Adhäsionsverfahren dringend einer stärkeren Anwendung bedarf. Zunächst sollte dieses Ziel mittels der oben kurz angesprochenen Maßnahmen der Landesjustizverwaltungen verfolgt werden. Die Ergebnisse des Naumburger Modellversuches werden hier sicherlich von Bedeutung für die Gestaltung derartiger Maßnahmen sein. Daneben ist eine Bewußtseinsänderung in Justizkreisen hinsichtlich des Adhäsionsverfahrens und seiner opferbezogenen Anwendung unerläßlich. Weite Teile der Bevölkerung sehen nach zahlreichen sozialpsychologischen Untersuchungen für ihr Gerechtigkeitsgefühl die Bestrafung des Täters mit der Schadensersatzleistung verknüpft. Das Adhäsionsverfahren könnte schon jetzt - ohne gesetzliche Änderungen - zu einer deutlich stärkeren Anwendung kommen, wenn die entsprechenden Vorschriften opferfreundlicher ausgelegt werden.
Das Adhäsionsverfahren dient aber auch der Rechtsvereinfachung und der Prozeßökonomie. Mehrbelastung der Strafgerichte steht Minderbelastung der Zivilgerichte gegenüber. Dieses Ergebnis kann durch entsprechende Maßnahmen der Landesjustizverwaltungen abgefedert werden.
Viviane Spethmann
RA'in, MdHB