(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/99) < home RiV >
"Justiz intern"

Die Justizbehörde hat Ende 1998 ein Info-Blatt "Justiz intern" herausgegeben. Es informiert über das Vorhaben "Justiz 2000". Hierzu ein Beitrag:

 
ALLES WAHR !
"Justiz intern" und Klarheit zu Justiz 2000

Wie man neuerdings nach jeder verlorenen Wahl von der abgewählten Regierung zu hören bekommt, ist Politik in der Demokratie kein Problem der Inhalte, sondern nur der "Kommunikation", der Fähigkeit, Erfolge zu "vermitteln".

Getreu dieser Erkenntnis hat die Justizbehörde nun einen neuen Anlauf unternommen, mit ihren Nachgeordneten zu kommunizieren. An die Stelle des "Justiz-Info" und an die Seite des Justizverwaltungsblattes tritt seit Dezember 1998 in einer Auflage von 6.000 Stück "Justiz intern". Auf freundlichem weißen Papier, mit einigen rostroten Akzenten und allerlei Photos begegnet uns ein 16 Seiten umfassendes Blatt, dem die Senatorin nach ihrem Vorwort aufgegeben hat, kein ministerielles "Verkündungsblatt" zu werden.

So weit, so gut. Doch just in dem Bereich, in dem Klarheit so bitter vonnöten ist, nämlich rund um das "Handbuch zum Controlling der Justiz" (vgl. MHR 3/98, S. 9 ff.), gibt man dieses Anliegen schon wieder preis. Der von der Hauptautorin eben des kritisierten Handbuches verfaßte Artikel "Handbuch zum Controlling der Justiz - was steckt dahinter" hat genau den üblichen Verlautbarungsduktus.

Die Technik ist immer die gleiche: Kritiker der Regierungslinie haben "Befürchtungen" oder "Ängste" (lies: sind irrational). Sie gehen dabei aber von einem falschen Sachverhalt aus, denn ihnen fehlt das rechte Verständnis oder sie sind noch in anderer Weise fehlgeleitet (lies: sind nur politische Gegner). Damit die Allgemeinheit nicht "verunsichert" wird, ermöglicht man nun mit einigen, von umfassender Expertise getragenen Hinweisen eine "sachgerechte Diskussion". Daß diese Hinweise regelmäßig an dem eigentlichen Thema vorbeigehen, geht dem so Belehrten allenfalls bei intimer Sachkenntnis auf; die Masse ist beschwichtigt und den Kritikern, die so unberechtigt Aufregung gestiftet hatten, etwas gram.

Lohnt die Auseinandersetzung mit dem o.a. Artikel in Justiz intern? Für den auf ein eigenes Urteil bedachten Außenstehenden ist sie etwas mühsam, erfordert sie doch einen Blick in das Controlling-Handbuch, die vergangenen Ausgaben der MHR, besser auch in die Senatsdrucksachen zu Justiz 2000 sowie in den Arbeitsgruppenbericht aus dem Verwaltungsgericht (u.a bei www.richterverein.de). Dennoch: wen inzwischen die leise (zutreffende) Ahnung beschlichen hat, daß Justiz 2000 unseren Berufs-alltag verändern soll, der könnte sich auch für die Taktik interessieren, mit der diese Reform betrieben, insbesondere "kommuniziert" wird.

Obwohl zur Sache weiterhin auf die MHR und den unwiderlegten Arbeitsgruppenbericht verwiesen werden kann, hier also, gleichsam affirmativ, doch einige Kontrapunkte zu manchen Behauptungen und Sentenzen:

1. Das "Handbuch zum Controlling der Justiz" ist - obwohl als "Entwurf" bezeichnet - kein unverbindliches Diskussionspapier (a); es wird auch nicht wesentlich von Richtern des Amtsgerichts getragen (b).

a) Das Steuerungs-Konzept nach dem Controllinghandbuch wird am Amtsgericht eingeführt werden und es wird ein Erfolg werden.

Zuvor wird das Controllinghandbuch noch redaktionell überarbeitet und um einige brisante Beispiele (etwa das Einzelbudget für das überjährige Strafverfahren) bereinigt werden; inhaltlich wird es keine Abstriche geben können, da das Konzept sonst zusammenbräche.

Die Steuerung des Amtsgerichts nach diesem Konzept wird ein Erfolg werden, weil es ein Erfolg werden soll. Das beginnt mit der Stellenausschreibung für den Amtsgerichtspräsidenten, die ihn hierauf einschwört, wird aber vor allem verfahrensmäßig gesichert. Es wird kein Pilotprojekt in dem Sinne geben, daß ein Versuchsvorhaben ergebnisoffen durchgeführt, detailliert beobachtet sowie auf der Grundlage eines Vorher/Nachher - Vergleiches evaluiert wird - wobei das Augenmerk der Untersuchung darauf zu richten wäre, die spezifischen (positiven wie negativen) Wirkungen der Versuchsanordnung (hier: der Strukturveränderungen) festzustellen.

Der Mangel an Ergebnisoffenheit ist offenkundig: Nicht etwa das - wie auch immer zu ermittelnde und zu bewertende Ergebnis - der Einführung des Controlling-Konzeptes bei dem Amtsgericht Hamburg soll abgewartet werden, sondern gleichzeitig sollen Vorbereitungen für die Übernahme des Konzeptes in den anderen Gerichten begonnen werden (so ausdrücklich die Drucksache JUSTIZ 2000 - Stand des Projektes am 30. 6. 1998, S.9 "Parallel zur Entwicklung des Prototyps soll mit der Ausgestaltung der Controlling-Elemente für die übrigen Gerichte und Staatsanwaltschaften begonnen werden.").

b) Ohne den beteiligten Kollegen am Amtsgericht zu nahe zu treten - sie werden das Controlling-Konzept nicht hauptsächlich verantworten wollen. Zu deutlich ist die persönliche Handschrift der Autorin der Richtigstellung (aus dem Vergleich mit anderen Papieren aus der Justizbehörde), zu klar der Einfluß des entgeltlich mitwirkenden Unternehmensberaters, zu abstrakt und praxisfern der Ansatz, zu richterfern die zutage tretende Perspektive.

Auch mit dem Ratzeburger Protokoll hat das Konzept wenig gemein, so daß auch die Gerichtspräsidenten nicht als Mitautoren benannt werden können. Sie sind vielmehr durch das Handbuch kräftig düpiert, ist ihnen doch "ihr" in Ratzeburg erdachtes Mitbestimmungsinstrument, die "Planungskonferenz" aus der Hand geschlagen.

Wenn man schon aus dem Nähkästchen plaudert, dann richtig: Die Justizbehörde hat die Arbeitsgruppe ProBudget am Amtsgericht als Gremium mit dem Signum richterlicher Beteiligung benutzt, um die angestrebte Steuerung aller Gerichte zu befördern. Das Verwaltungsgericht dürfte für ein solches Projekt nach anfänglich intensiver Kooperation spätestens seit einem Gespräch der Projektgruppe mit dem Senator im August 1997 als zu unzuverlässig gegolten haben. Zudem war bei dem Verwaltungsgericht die Erfahrung zu machen, daß die "Moderation" einer Richtergruppe durch einen Unternehmensberater nicht die gewünschten Erfolge sichert und kritische Arbeitsgruppenberichte nicht vermeiden hilft, daß also maßgeblicher Einfluß durch Vertreter der Justizbehörde vorzuziehen ist und zu intensive Richterbeteiligung stört.

Möglicherweise gehört in diesen Kontext der strafferen Zügel auch die Ablösung des Leiters des Koordinierungsstabes Justiz 2000 ("K-Stab") in der Justizbehörde, RiOLG Rieger, durch den Regierungsdirektor Schönfelder, einen Verwaltungsjuristen. Jedenfalls ist auf diese Weise in dem K-Stab keine richterliche Berufserfahrung mehr repräsentiert, so daß sich ein ohnehin schon von vielen Richtern in der Auseinandersetzung mit dieser (überdies mit erheblichen Budget-Kompetenzen ausgestatteten) Spezialabteilung empfundenes Verständigungsproblem zu vertiefen droht. Der neue Leiter hat jedenfalls gegenüber der Richterschaft sein Profil auch dadurch geschärft, daß er - jeweils als Podiumsdiskutant - auf der ersten Jubiläumsveranstaltung Justiz 2000 von den vormittags auf dem Tennisplatz anzutreffenden Richtern zu berichten wußte und auf der zweiten Jubiläumsveranstaltung die Richterschaft kühl beschied, sie müsse sich eben den allgemeinen politischen Gegebenheiten anpassen und ihr Tun, insbesondere dessen Qualität, meßbar machen, wenn sie im Rennen um das Geld noch Erfolg wolle. Zudem führe die geplante Justizmodernisierung zu "mehr" Unabhängigkeit.

2. Die Sentenz "Nicht in Problemen, sondern in Lösungen denken" ist schöne Unternehmensberater-Rhetorik, bedient das Ressentiment gegen die "ewigen Bedenkenträger" und schafft den "Reformern" prüfungsfreien Handlungsspielraum. Sie läßt hier aber auch den Respekt vor dem Thema, letztlich das Verständnis für die Bedeutung von Gerichtsstrukturen für den Rechtsstaat vermissen. (Strukturelle Vorkehrungen sollen die Funktionsfähigkeit des Systems unabhängig von der Gutwilligkeit seiner Akteure sichern - und sind immer für die sich selbst als gutwillig wahrnehmenden Akteure höchst unwillkommene Einschränkungen).

In der derzeitigen justizpolitischen Situation müßte es vielmehr heißen: "Nicht Probleme verdrängen, um zu Scheinlösungen zu kommen" und: "Zuerst die wahren Probleme erkennen und benennen".

Die Genese des Reformvorhabens, Gerichte "neu" zu "steuern", hat nämlich mit den Problemen der Justiz nichts zu tun. Wie das Neue Steuerungsmodell selbst kommt in Hamburg auch der Impuls zu seiner Anwendung aus dem Bereich der Verwaltungsbehörden. Die "offensive" Übernahme des Modells für die Justiz war dann die nach rein politischen Kriterien wohl noch als kunstgerecht zu bewertende Entscheidung des damaligen Senators, der auf diese Weise zum - kurzfristigen - Wohle seines Ressorts den Mißmut der Haushaltsverwalter gegenüber der Justiz gedämpft hatte. Dementsprechend hat die Justizbehörde der Richterschaft bis heute nicht offiziell mitgeteilt, welche bei den Richtern liegenden Probleme sie erkannt hat und mit dem Steuerungsmodell angehen will. Vielmehr wird der Vergleich mit den "anderen" Behörden (nochmals: hinsichtlich der Rechtsprechungsfunktion sind Gerichte KEINE Behörden) betont (vgl. o.).

3. Das "Handbuch zum Controlling der Justiz" ist keine taugliche Grundlage für ein Experiment mit Gerichtsstrukturen.

Die Unzulänglichkeit wird von der Autorin selbst bestätigt, wenn sie betont, der verkürzte Blick auf reine Kostengesichtspunkte sei nicht zu rechtfertigen. Das Handbuch freilich bezichtigt sich selbst dieses Defizits; es kann nach eigener Aussage (dort. S. 45/ 46) kein geeignetes Instrumentarium zu einer umfassenden, auf die Wirkungen der Strukturänderungen eingehenden Steuerung zur Verfügung stellen - ist also auf Quantitäten, d.h. Ökonomie, verkürzt.

Der Verweis auf eine Experimentierphase ist ebenfalls unzulässig. Es ist politisch, ökonomisch und methodisch nicht zu rechtfertigen, schon in der Konstruktionsphase einer umfassenden Strukturreform die Realisierbarkeit zentraler Strukturelemente ungeklärt zu lassen und sich insoweit mit Gesundbeterei zufrieden zu geben. Dieser Vorwurf bleibt solange bestehen, wie die Gefährdung der richterlichen Unabhängigkeit und, auf das Produkt Rechtsprechung bezogen, die Gefährdung der Qualität durch den Quantitätsdruck des Systems nicht behoben ist.

Nicht "Befürchtungen", "Ängste" oder ähnliche irrationale Fehlhaltungen zur großen Reform sind hier Thema, sondern der nüchterne Befund, daß ein falscher Ansatz gewählt wird. Er ist falsch nicht wegen der im "worst case" damit verbundenen Gefahren, sondern falsch, weil er von vornherein, konstruktionsbedingt, strukturell in die Irre führt: Richter dürfen nicht outputorientiert gesteuert werden.

Hoffmann-Riem, Eifert oder auch Schuppert (zusammengefaßt in dem jüngst an die Gerichte verschenkten Band "Reform der Justizverwaltung", hrsg. v. Hoffmann-Riem, 1998) benennen zwar das Problem der Vereinbarkeit von richterlicher Unabhängigkeit und (struktureller sowie aktiver) Steuerung; ihrem Verständnis von der Rechtsprechungsaufgabe kann aber nicht gefolgt werden. Sie meinen, der "Modus der richterlichen Leistungserbringung" könne außengesteuert werden, weil er getrennt werden könne von dem "Inhalt". Damit wird verkannt, welche maßgebliche Bedeutung die nach deutschem Prozeßrecht in der Verantwortung des Richters liegende Verfahrensführung für den Rechtsfindungsprozeß hat - und daß dieser Bereich selbstverständlich notwendig und bislang unstreitig von der richterlichen Unabhängigkeit umfaßt ist.

Im übrigen sollte nicht vergessen werden, daß etwa Hoffmann-Riem nach seinem Ausscheiden aus dem Amt sehr wohl von einer Veränderung des Konzepts der richterlichen Unabhängigkeit gesprochen hat, die intendierte Einschränkung der Unabhängigkeit der Richter aber durch die (angeblich) mit dem Neuen Steuerungsmodell verbundene Ausweitung der Unabhängigkeit der Gerichte ausreichend kompensiert sieht. Dieser Topos ist übrigens justizreformerisches Allgemeingut geworden, was NRW-Ministerpräsident neulich in seiner Urteilsschelte erkennen ließ, als er das Verständnis seines Staatsgerichtshofes von der richterlichen Unabhängigkeit als überholt und modernisierungsfeindlich rügte.

4. Der Beschwichtigungsteil der Darstellungen in "Justiz intern" kann allenfalls noch gänzlich Arglose überzeugen.

Wer sonst sollte durch die Suggestion erreicht werden, das Controlling-Handbuch diene dazu, daß es "noch besser gelingen kann, die "Geldgeber" (d.h. in erster Linie das Parlament, aber auch den Senat und dessen Intendanzbereiche, z.B. die Finanzbehörde) davon zu überzeugen, daß in Zukunft mehr Ressourcen erforderlich sind, um eine leistungsfähige Justiz zu sichern..." (a.a.O., S. 16)? Andere sind da ehrlicher: "Das Geld ist in den öffentlichen Kassen Hamburgs ... knapp. Und es wird zunehmend weniger." (Rieger, Justiz intern 1, S. 14). Die Senatorin verkündet zwar im selben Heft den Erfolg einer Ausweitung des Justiz-Budgets um 0,5 % mit Blick auf die Schaffung des Insolvenzgerichts (S. 4). 0,5 % entsprechen aber nur etwa 3,5 Mio DM, während das Insolvenzgericht nach andernorts (S. 3) mitgeteilten Daten 11 Mio DM kostet, so daß der Justizetat schon jetzt trotz unstreitig gestiegener Belastung real schrumpft. Die Senatorin hat darüber hinaus in ihren Reden nie einen Zweifel daran gelassen, daß auch für die Gerichte das allgemeine Ziel der Hamburger Verwaltung gelte, Personal einzusparen. Tatsächlich geht es also bei Justiz 2000 und dem Neuen Steuerungsmodell darum - und muß es darum gehen - , die Arbeitsleistung pro Kopf zu steigern.

Zurückzuweisen ist aber auch die neue Lesart für die Reform, die seit der Ausweitung der Kritik am Neuen Steuerungsmodell verbreitet wird: Jetzt erleben wir nicht mehr die große, umfassende Neuordnung, sondern angeblich nur noch die Umverpackung von längst Bekanntem (dem widerspricht die Autorin freilich sogleich mit der Überschrift "Von der Inputsteuerung zur Outputsteuerung" selbst). Zudem soll das Neue Steuerungsmodell nicht mehr ein geschlossenes System, sondern nur eine Art Stabilbaukasten mit beliebig einsetzbaren Elementen sein (was es seiner Existenzberechtigung, nämlich seiner auf angebliche Praxiserfahrung gestützten Wirksamkeitsvermutung beraubte).

5. Es bleibt dabei: Die Justizbehörde will die outputorientierte Budgetierung - und es bedarf weiter der Klärung, ob und wie sie sinnvoll und rechtmäßig eingeführt werden könnte. Diese Klärung kann nicht in einem Modellversuch erfolgen, weil die entscheidenden Parameter nicht meßbar sind - und weil man keinem Rechtssuchenden zumuten kann, einem grundlegend experimentierenden Gericht ausgesetzt zu sein. Die Darlegungslast für die Tauglichkeit des Modells liegt - erst recht nach der Substantiierung der Kritik durch die Arbeitsgruppenberichte - bei der Justizbehörde. Verlautbarungsjournalismus reicht dafür nicht aus.

Michael Bertram