Zeitungsberichte über Äußerungen eines Amtsrichters, nach denen er einen Angeklagten als "Abschaum" bezeichnet haben soll, lösten eine lebhafte Diskussionen innerhalb der Richterschaft aus. Die Meinungen sind geteilt, was die Notwendigkeit einer öffentlichen Reaktion des Hamburgischen Richtervereins betrifft. Sie reichen von der Forderung nach einer scharfen Verurteilung, wie sie von RiAG Herrmann vertreten wird, über differenzierende Betrachtungen, wie sie der Vorsitzende einer Großen Strafkammer, Schaberg, anstellt, bis zur Auffassung, es sei nicht Aufgabe des Richtervereins ausfallende Äußerungen eines Richters zu kommentieren, hierfür gebe es das Instrument des Disziplinarverfahrens. Einig sind sich alle Diskutanten darüber, daß Richter die Menschenwürde der Angeklagten zu wahren haben und Entgleisungen der in der Presse berichteten Art auch in schwierigen Verhandlungssituationen nicht vorkommen dürfen. (Wie)
Lieber Herr Beyer!
Seit ich 1976 als Assessor in das damalige Dezernat III a/b eintrat, haben sich unsere Wege im Dienst und auch auf den "Dezernats-wanderungen" immer wieder gekreuzt. Nach mehr als 22 Jahren glaube ich, Ihnen offen meine Meinung sagen zu dürfen. In meiner Funktion als Vorstandsmitglied des Hamburgischen Richtervereins mache ich dies auch öffentlich. Nicht, weil unser beider Kollege Herrmann diese Erwartung im "Abendblatt" am 10.02.1999 ausgesprochen hat, sondern weil seit dem 09.01.1999 Erklärungsbedarf besteht:
An jenem Wochenende war ich bei Ratzeburg auf dem Land, als mich einige Freunde besuchten und mir "MOPO" und "Abendblatt" auf den verspäteten Frühstückstisch legten. Unisono waren diese willkürlich ausgesuchten und nur durch die gemeinschaftliche Freundschaft verbundenen Nichtjuristen empört. Wenn es denn so wäre, so wurde ich gefragt: "Wie gehst Du damit um?"
Nun kenne ich Sie, weiß um Ihr Temperament und um die Anspannung, in die ein Strafrichter geraten kann. Weil ich nicht pharisäerhaft sein wollte, fand ich zwar den kolportierten Tatbestand - seine Wahrhaftigkeit unterstellend - unerträglich, hoffte aber darauf, in den nächsten Tagen eine Erklärung zu finden:
Wenn die Worte, so wie sie gefallen sein sollen, von Ihnen nicht gesagt worden sind, hätte ich mir angesichts der erregten Reaktion in der Presse eine schnelle Erklärung Ihrerseits gewünscht, denn sie wäre notwendig gewesen. Nach dem 09.01.1999 wurden Sie nicht nur - wie eingangs erwähnt - privatim zitiert. Auch auf öffentlichen Veranstaltungen wurden Richter von Politikern gefragt, ob dies nun der neue Stil der Strafjustiz sei. Von einem Rechtsruck der Hamburger Richterschaft war die Rede. Nicht von ungefähr plazierte das "Abendblatt" am 10.02.1999 neben dem Bericht über Ihre Person einen Artikel mit dem (verleumderischen) Vorwurf, der Kollege Seedorf habe geäußert, der Angeklagte gehöre in ein Arbeitslager. Ein frühes Wort Ihrerseits hätte dem einen Riegel vorgeschoben.
Die Macht, die uns mit unserem Amt verliehen wurde, legt uns in der Hauptverhandlung und bei der Urteilsverkündung Zurückhaltung auf. "Im Namen des Volkes" sprechen wir, nicht mit Volkes Stimme. Ohne jede Beckmesserei:
Wenn die Sätze, so wie berichtet wird, gefallen sein sollten, haben Sie Grenzen überschritten. Kühle Sachlichkeit ist von uns gefordert, nicht unsere persönlichen Überzeugungen und Moralvorstellungen sind gefragt. Schon gar nicht gekleidet in Worte, die den Angeklagten zu einem würdelosen Objekt hoheitlichen Handelns degradieren. Jeder Richter, der wie Sie und ich über Jahre und Jahrzehnte Strafverfahren erlebt hat, weiß andererseits, in welche Anspannung der Strafrichter geraten kann. Wie stark affektive Beziehungen sich - positiv wie negativ - zum Angeklagten aufbauen können. Spannungen, von denen oftmals selbst unsere Kollegen auf der anderen Seite des Sievekingplatzes keine Vorstellung haben, geschweige denn die Öffentlichkeit. Vor diesem Hintergrund kann es schon einmal geschehen, daß eine "Sicherung durchbrennt". Dann jedoch, und gerade dann, ist es auch Aufgabe unseres Amtes und ein Zeichen persönlicher Größe und Gleichmutes sich selbst gegenüber, klarzustellen und Worte der Unbedachtsamkeit zurückzunehmen. Auch wenn wir unsere Verfahren nicht zu kommentieren pflegen, wäre eine Klarstellung in diesem Fall Ihrerseits geboten gewesen; denn ich kann nicht glauben, daß Sie es ernst meinen, einen Menschen als "Abschaum" zu bezeichnen. Vokabular aus dem "Wörterbuch des Unmenschen", wie es Süßkind einmal genannt hat. Ein Wort, das dem Menschen seine Würde nimmt.
Egal also, ob die Worte gefallen sind, ob sie richtig, falsch oder unvollständig wiedergegeben wurden, das ist es, was ich vermisse: ein klärendes Wort. Damit würden Sie Größe zeigen und eine für alle Richter schädliche Diskussion beenden.
Dafür wäre ich Ihnen auch jetzt noch dankbar!
Ihr
Gerhard Schaberg