Dr. Hans Beit war eine stattliche Erscheinung: Wihelminisch gepflegter grauer Bart, imposant gebaut, groß, breit und mächtig - eine Statur, mit der er seinem bemerkenswerten Engagement für den Hamburgischen Richterverein und den Deutschen Richterbund Präsenz verlieh. Gleichwohl - Dr. Hans Beit soll uns auf dem Streifzug durch die Geschichte des Richtervereins in den ersten Nachkriegsjahren begleiten, um ein Licht auf die damals aktuellen Fragen des Richterlebens zu werfen.
Immer wieder taucht sein Name in den Protokollen auf. Er gehörte dem Vorstand des Hamburgischen Richtervereins seit der Wiedergründung im Jahre 1946 an. Die Protokolle der ersten Jahre weisen ihn immer wieder als Berichterstatter für Sonderaufgaben aus:
Schon in einer der ersten Vorstandssitzungen nach Wiedergründung des Hamburgischen Richtervereins am 25.1.1946, am 25.2.1946, erhielt Hans. Beit den Auftrag, ein Schreiben an die britischen Behörden betreffend die Hinzuziehung von Richtern bei Beförderungsentscheidungen zu entwerfen. Der Richterverein beanspruchte hierbei ein Mitspracherecht und zeigte sich selbstbewußt.
Dr. Hans Beit hatte einen wachen Blick für die praktischen Dinge des Lebens. So regte er in der Vorstandssitzung am 28. Mai 1946 an, der OLG-Präsident möge endlich für ein "ordentliches Dienstsiegel" der Hamburgischen Gerichte sorgen.
Am 24.6.1946 wurde Dr. Hans Beit ausgewählt, um einer Bitte des Arbeitsgerichtspräsidenten Dr. Kauffmann zu entsprechen, der um die Entsendung eines Mitgliedes des Vorstandes in den Beirat des Ausschusses zur Bekämpfung von Schwindelfirmen gebeten hatte.
In derselben Vorstandssitzung beauftragte der Vorstand Dr. Beit, einen Brief an den OLG-Präsidenten zu entwerfen, in dem im Zusammenhang mit den bevorstehenden Räumungen in den britischen Enklaven die Ausstellung von Bescheinigungen für die dort lebenden und betroffenen Richter durch den OLG-Präsidenten angeregt wird. Er erklärte sich zudem bereit, durch Rundfrage diejenigen Mitglieder des Vereins zur Meldung zu veranlassen, die von einer Ausweisung bedroht waren.
Auch als der Vizepräsident des Oberlandesgericht Dr. Ruscheweyh, den Richterverein um die Benennung eines richterlichen Mitgliedes an dem Fachausschuß für die politische Säuberung bat, war es Dr. Beit, den der Vorstand einstimmig als Mitglied nominierte.
Am 20. Februar 1948 fand im Plenarsaal des Oberlandesgerichts die Jahresversammlung der Hamburgischen Richtervereins statt. Die Verzögerung der Einberufung hatte ihre Ursache in der "unerwarteten Verzögerung der Entnazifizierung", wie der Vorsitzende, Senatspräsident Dr. Meyer, den Mitgliedern eröffnete. Immer noch war unklar, wer überhaupt als Mitglied in Betracht kam.
In seinem Bericht wies Meyer darauf hin, daß die Eintragung der Vereins Ende 1946 vollzogen worden sei. Zur Wahrung der Standesinteressen, führte er aus, werde angestrebt, dem Verein Gehör bei Beförderungen zu verschaffen.
Auch über eine Kontroverse des Richtervereins mit OLG-Präsident Kiesselbach berichtete Dr. Meyer: Der Richterverein hatte sich bei der britischen Militärregierung für eine bessere Ernährung der Richter und Staatsanwälte eingesetzt. Diese Bemühungen waren aber an dem Widerstand von "Präs. Kiesselbach" gescheitert, der eine Hervorhebung der Richter nicht gebilligt hatte. Das Protokoll fährt fort: "Nach Verhandlungen mit Mr. Brown sei eine Eingabe an die britische Verwaltung gemacht worden, die bisher jedoch unbeantwortet geblieben sei. Auch die Bemühungen um eine Sonderzuteilung von Kohlen, um die sich Dr. Ohlrogge verdient gemacht habe, seien nach anfänglichen guten Aussichten gescheitert. Dagegen sei es dem Verein gelungen, für die Richter eine Sonderzuteilung von täglich 0,4 kw Strom zu erreichen. Mit Obersenatsrat Bauch sei vereinbart worden, daß im Bedarfsfalle auf Antrag Glühbirnen an Richter verteilt würden."
In dieser Mitgliederversammlung wurde - nachdem Dr. Meyer nicht wieder kandidierte - Landgerichtsdirektor Dr. Walther Bruhns zum ersten Vorsitzenden gewählt. 2. Vorsitzenden wurde - nach einer Kampfabstimmung mit dem Schatzmeister Dr. Heinrich Ohlrogge, auf den 21 Stimmen entfielen - mit 29 Stimmen Dr. Beit.
Schriftführer - auch der Vorstandssitzungen -war nicht mehr Scheefe, sondern OLG-Rat Carl Meier-Gildemeister. Die Protokolle geben ein knappes Bild der gefaßten Beschlüsse - in wichtigen Fragen sind ihnen auch der Gang der Diskussion und die gewechselten Argumente zu entnehmen.
Der neue Vorstand bestand aus Dr. Walther Bruhns, dem 1. Vorsitzenden, Dr. Hans Beit, dem 2. Vorsitzenden, Senatspräsident Rudolph Seyfferth, OLG-Rat Meier-Gildemeister, Oberstaatsanwalt Dr. Ernst Meyer-Margreth, Amtsgerichtsrat Dr. Heinrich Ohlrogge, Landgerichtsdirektor Dr. Enno Budde und Landgerichtsdirektor Fritz Valentin.
26. Februar 1948 beschloß der Vorstand, Dr. Beit und Dr. Ohlrogge zur Tagung der Richter und Staatsanwälte der britischen Zone am 3. März 1948 in Duisburg zu entsenden. Man bekräftigte die Auffassung, daß die bisher ins Leben gerufenen Richtervereine auf territorialer Grundlage nicht zu Gunsten eines zonalen Richtervereins aufgegeben werden sollten, daß aber die Zusammenfassung der Länder-Vereine unter einer zonalen (später bizonalen) Dachorganisation "im Auge behalten werden könne".
Dem Vorstand lag in dieser Sitzung auch der Entwurf einer Verfassung für die Hansestadt Hamburg vor (Mitt. des Senats an die Bürgerschaft Nr. 6 vom 13. Januar 1948). Das Protokoll weist aus: "Die Sache wird einem aus Dr. Beit, Dr. Meyer-Margreth und Dr. Budde gebildeten Ausschuß zur Bearbeitung überwiesen."
Am 18. März 1948 stellte sich der neue Vorstand bei Bürgermeister Koch in dessen Amtszimmer vor. Über diesen Besuch fertigte der Schriftführer den folgenden Vermerk, der auf die offene Art des Umgangs und die Bedeutung, die der Bürgermeister 1948 den Vertretern der Dritten Gewalt beimaß, ein bemerkenswertes Licht wirft:
"Nachdem der 1. Vorsitzende erklärte hatte, daß dem Verein an einer politischen Betätigung nicht gelegen sei, machte der Bürgermeister längere Ausführungen, mit denen er auf die Notwendigkeit einer politischen Betätigung der Richter hinwies, insbesondere unter Hervorhebung des Umstandes, daß der früheren Bürgerschaft 36 Juristen angehört hätten, die dieser ein besonders hochstehendes Niveau gegeben hätten.
Der Bürgermeister empfahl dem Vorstand Vorstellung bei den übrigen Herren der Senatskommission für die Justizverwaltung, die für einen Sitzungstag derselben (Dienstags) in Aussicht genommen wurde.
Die Beanstandung des Vorstands, von keiner Seite eine Einladung zu der am gleichen Tage stattfindenden Gedenkfeier für den 18. März 1848, auf der Präs. Ruscheweyh laut Zeitungsnotiz die Gedenkrede halten solle, erhalten habe, erwiderte der Bürgermeister mit der Überlassung von 10 Eintrittskarten"
Die Kommission des Richtervereins zur Erarbeitung einer Stellungnahme zum Verfassungsentwurf für die Hansestadt Hamburg hatte zwischenzeitlich ihre Arbeit beendet. In der Vorstandssitzung am 5. April 1948 diskutierten die Mitglieder des Vorstandes, wieweit der Verein bei politischen Themen Zurückhaltung üben und sich auf eine Stellungnahme zu den die Justiz betreffenden Passagen beschränken solle. Die Frage wurde zunächst nicht entschieden, sondern der Ausschußbericht besprochen. Der Vorstand beschloß, den Verfassungsentwurf und die Änderungsvorschläge der Kommission zur Einsicht für die Mitglieder in den Präsidialkanzleien und der Verwaltungsgeschäftstelle der Staatsanwaltschaft auszulegen.
Eine rechtsfortbildende Frage besprach der Vorstand am 3. Mai 1948: Präs. Seyfferth regte an, im Hinblick auf zahlreiche unsachliche Meinungsäußerungen der Presse für den Erlaß eines englischem Muster nachgebildeten Gesetzes einzutreten, den Contempt of Court zu bestrafen. "Dr. Meyer-Margret und Valentin halten den Zeitpunkt für eine solche Maßnahme für nicht günstig", heißt es im Protokoll. Man beschloß, zunächst Material zu sammeln und das Thema in der nächsten Mitgliederversammlung zu behandeln.
Diskutiert wurde auch die Betreuung der beauftragten Richter. Eine Aufnahme in den Verein wurde weiterhin abgelehnt. Das Thema sollte auf der nächsten Mitgliederversammlung behandelt werden.
Am 7. Juni 1948 legte Dr. Beit als Berichterstatter des Verfassungsausschusses die Seitens der Mitglieder eingegangenen Änderungsvorschläge vor. Der Vorstand beschloß nun seine Stellungnahme zum Verfassungsentwurf und bestimmte sie zur Vorlage an den OLG Präsidenten, den Senat, die Bürgerschaft und andere Stellen.
Weiteres Thema am 7. Juni war die Versorgung. Die Möglichkeit, an Zusatzlebensmittelkarten für die Mitglieder zu kommen, wurde nach verschiedenen Versuchen, die Dr. Beit unternommen hatte, als aussichtslos eingestuft.
Der 1. Vorsitzende kündigte an, er werde einen Vorstoß wegen der seit langem in Aussicht gestellten Wiedereinführung der alten Hamburger Richtergehälter unternehmen und mit der Senatskommission und dem Syndikus Dr. Drexelius Rücksprache nehmen. Schon am 6.2.1946 war unter allseitiger Zustimmung beschlossen worden, man solle anstreben, aus der allgemeinen Beamtenbesoldung herauszukommen.
Und schließlich traf es die Herren Dr. Beit und Dr. Ohlrogge, einen Ausflug zu organisieren - es sollte "mit Damen" nach Hedendorf bei Buxtehude gehen.
Eine heikle Entscheidung stand in der Sitzung am 15. Juni 1948 an, die ein grelles Streiflicht auf die Vergangenheit wirft:
"Dr. Ohlrogge verliest ein Schreiben von Präsident Ruscheweyh, mit welchem die Gewährung eines Darlehens für Präs. Schmidt-Egk im Hinblick auf dessen durch ein langes Denazifizierungsverfahren verursachte Notlage empfiehlt".
Ruscheweyh empfahl mit diesem Schreiben Unterstützung für einen prominenten Richter der nationalsozialistischen Zeit. Dr. Albert Schmidt-Egk war Oberlandesgerichtspräsident von 1943 bis 1945, Nachfolger Rothenbergers, der als Staatssekretär nach Berlin wechselte, der Vorgänger Kiesselbachs und Ruscheweyhs. Schmidt-Egk avancierte zwischen 1933 und 1943 vom Oberlandesgerichtsrat zum Chefpräsidenten.
Schmidt-Egk führte die von Rothenberger eingeführte Vor- und Nachschau fort. Ursprünglich wöchentlich, später in längeren Abständen, lud der OLG-Präsident zu Besprechungen der anstehenden Fälle. 54 Berichte solcher Sitzungen sind erhalten - beginnend am 16.5.1942, endend am 21.3.1945. Rothenberger leitete 10 dieser Sitzungen, sein Interimsnachfolger Dr., Struve 11 und Schmidt-Egk 30. Schmidt-Egk scheint dabei nach den Untersuchungen der Forschungsgruppe weniger direkten Einfluß auf das Strafmaß genommen zu haben als Rothenberger. Dies war zu jener Zeit wohl auch gar nicht mehr nötig, um die gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Die nationalsozialistische Rechtsideologie mit ihrer Vorrangstellung der Volksgemeinschaft vor dem Individualrecht und die strafverschärfenden Bestimmungen der Kriegsverordnungen und Kriegsgesetz waren längst internalisiert, wie drei gleichlautende Begründungen dreier verschiedener Kammern des Sondergerichts zeigen:
"Er hat sich durch seinen Verrat außerhalb der Volksgemeinschaft gestellt und ist nicht mehr würdig und wert, in ihr zu leben; er muß aus ihr ausgemerzt werden." Er ist eine "asoziale Person, die für unsere Volksgemeinschaft keinen besonderen Wert hat".
Auch die Fühlungnahme zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft erfolgte so offensichtlich, daß das Publikum den Eindruck gewann, das Urteil sei schon vor der Hauptverhandlung fertig. Der Chefpräsident bat am 19.6.1943 darum, die Fühlungnahme so durchzuführen, daß sie nach außen hin nicht erkennbar werde. Schmidt-Egk ermahnte am 18.1.1945 die Strafrichter, zurückhaltender zu sein. Es müsse der Eindruck vermieden werden, daß der Staatsanwalt außerhalb der Hauptverhandlung das Gericht beeinflusse" .
Die Diskussion um ein Darlehen für Schmidt-Egk am 15. Juni 1948 wird im Protokoll der Vorstandssitzung einschließlich des Abstimmungsergebnisse beschrieben:
"Präs. Seyfferth spricht sich für die Gewährung eines Darlehens unter Hinweis darauf aus, daß gegen die Persönlichkeit des Dr. Schmidt-Egk keine Vorwürfe zu erheben seien.
Meier-Gildemeister erhebt Bedenken gegen die Gewährung eines Darlehens mit dem Hinweis, daß diese eine Unbilligkeit gegenüber allen jenen in gleicher oder schlimmerer Lage befindlichen früheren Kollegen darstelle, die in der vergangenen Zeit nicht eine derartig prominente Stelle eingenommen und es nicht gewagt hätten, Beihilfegesuche zu stellen.
Valentin widerspricht diesen Ausführungen und schließt sich der Auffassung Präs. Seyfferths an.
Meier-Gildemeister erkennt an, daß die Auffassung, einen Strich unter die Vergangenheit zu machen und nur die Persönlichkeit nach ihren inneren Werten anzusehen, ein erstrebenswertes Ideal darstelle, vertritt aber weiter die Auffassung, daß die Gewährung eines Darlehens, die damit nach Neugründung des Vereins erstmalig erfolge, im Hinblick auf die Spitzenstellung Dr. Schmidt-Egks eine Unbilligkeit gegenüber anderen Kollegen darstelle, die auch von der überwiegenden Mehrheit der Kollegen nicht verstanden würde.
Dr. Beit schließt sich dieser Meinung an.
Es kommt zur Abstimmung;
Für Gewährung des Darlehens stimmen der 1. Vorsitzende Dr. Bruhns, Präs. Seyfferth, Dr. Meyer-Margreth, Dr. Ohlrogge und Valentin.
Dagegen: Dr. Beit und Meier-Gildemeister.
Die Mehrheit beschließt sodann, das Darlehen in Höhe von RDM 1500.- (fünfzehnhundert) zu gewähren. "
Nachfolgend wurde das Gesuch der Witwe des 1945 gefallenen Amtsgerichtsrats Dr. Henner Heuwoldt um Bezahlung einer Zahnarztrechnung über RM 760.- behandelt. Es wurde beschlossen, ihr eine Beihilfe von RM 200.- zu gewähren.
Diese Diskussion bietet Anlaß zu zwei Fragen: Wer waren die Vorstandsmitglieder? Wie kam der Verein zu den erforderlichen Geldmitteln? Dieses und der weitere Gang der Vorstandsarbeit soll Gegenstand des Dritten Teils unseres kleinen Streifzuges werden.
Karin Wiedemann