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Ein Gefängnisbesuch
in Japan:

Der Präsident rief, und viele kamen, der Präsident der Deutsch-Japanischen Juristenvereinigung, Dr. Jan Grotheer. 24 Kolleginnen und Kollegen aus Gericht und Staatsanwaltschaft schnürten ihr Bündel, um das Land des Lächelns zu bereisen, drei lange Wochen. Für einen Reisebericht ist Ort und Raum hier nicht. Darüber mag zu anderer Zeit und in anderem Rahmen referiert werden: so z.B., wie die Tournee sich für mich angesichts der Fischspezialitäten zu einem Marsch durch gastronomische Jammertäler gestaltete, wie eine Tempelnacht den Erfahrungshorizont in ungeahnter und unerwarteter Weise neu absteckte und wie Kommunikationstheoretiker "vom Glauben abfallen mußten", wenn sie erleben durften, daß für Japaner das Wort "nein" offensichtlich aus Höflichkeitsgründen nicht zu ihrem Sprachrepertoire gehört - mit allen dadurch produzierten Konfusionen.

Berichtet werden soll hier vielmehr über einen Besuch des Gefängnisses in Fuchu. Der Besuch von "Fuchu" gehörte zu dem offiziellen Teil der Reise, wir traten also als Delegation auf.

"Fuchu" ist eine Großveranstaltung. Es zählt ca. 2.300 Insassen, ein Schmelztiegel der Nationen. Höflichkeitsadressen, einige einführende Worte und Informationen, Gastgeschenke, sodann der Rundgang. Ein Erlebnis - optisch und atmosphärisch -, das sich mir unauslöschlich eingeprägt, ja eingebrannt hat. Zuvörderst Zucht und Ordnung. Reih’ und Glied als Anstaltsmaxime. Insbesondere: Jeder Blickkontakt ist strikt verboten, diese Schande soll und muß dem Besucher erspart bleiben. Kommt es zu Begegnungen auf dem Gelände, zu Begegnungen zwischen Besuchern und Insassen, schneidende Befehle und sofortige Kehrtwendung der Häftlinge mit Blick zur Wand. In den Arbeitsgebäuden wurde von dem Diensthabenden zackig und im Stakkato-Laufschritt rapportiert, die Disziplin dieselbe. Vermeintlich konzentrierte Gefangene, im dichten, engen Dialog mit ihrer Arbeit. Kein Seitenblick. Nur bisweilen ein Blick aus dem Augenwinkel, angstvoll, verletzt, ein Funke Hoffnung oder auch Sehnsucht?. Nicht vergessen kann ich das Bild einer Gruppe Unkraut zupfender Häftlinge. Zu sehen waren nur gekrümmte, graue Rücken - gleich einer Schildkrötenkolonie. Ein eigenartig starrer, wie von fremder Hand gelenkter Arbeitsvorgang. Schon während des Rundgangs fragende Gespräche, dunkle Ahnungen: Wird hier geschlagen, geprügelt, gefoltert? Wie wird diese Disziplin "hergestellt" ? Eine - offensichtlich unvorsichtige - Bemerkung eines Begleiters schien die Ahnungen zu bestätigen. Dann aber die Abschlußbesprechung: bohrende Fragen der Delegationsmitglieder, ausweichende, relativierende, euphemistische Antworten der Gefängnisleitung. Das Gespräch wurde abrupt beendet - der Bus wartete bereits. Mag dies nun an der strikten Einhaltung des vorgegebenen Zeitbudgets gelegen haben - auch insoweit herrscht Disziplin - oder an dem unbequemen "Warum", das in Japan ebenfalls nicht zu dem täglichen Miteinander gehört, wie unser sehr kluger Reiseleiter zu berichten wußte. In Japan sind die Dinge eben so, wie sie sind. Da gibt es kein langes Erforschen der Gründe.

Zurück in Deutschland. In der Zeitschrift "Der Spiegel" (Ausgabe 47/1998) erzählt ein deutscher Häftling seine Leidensgeschichte in Fuchu. Das, was dort an Grausamkeiten und Menschenverachtung zutage gefördert wird, übersteigt meine Vorstellungen und Befürchtungen. Fuchu - eine wahre Folterwerkstatt!. Ratlosigkeit bei mir, aber auch wachsender Unmut, Ärger - nicht zuletzt über mich selbst. Warum? Ich muß mich sortieren: Für Selbstgerechtigkeit besteht kein Anlaß. Ich denke an unsere Gefängnisse, "Knäste" und an ihre zum Teil kriminellen, ja mafiosen Strukturen, an die hohe Rauschgiftproblematik, an Straftaten bis hin zu Kapitalverbrechen. Dennoch: Ich fühle mich vorgeführt, mißbraucht, wohl auch instrumentalisiert. Der blauäugige "Touri", dem ein Schauspiel vorgeführt wird. Die hochrangige Justizdelegation, höflich empfangen unter Austausch von Freundlichkeiten. Man hatte "ein gutes Gespräch" - so heißt es später dann doch. Erweckt wird der Anschein der Billigung, der Akzeptanz, jedenfalls der widerspruchslosen Hinnahme.

Ich bin zu Höflichkeit gegenüber Gastgebern erzogen, aber auch zur offenen Meinungsäußerung. Daher sage ich hier und andernorts (auch zu gegebener Zeit in Japan): Ich habe es gemerkt, das Schauspiel durchschaut und verurteile die Zustände und Vorgänge in Fuchu, wie dies im übrigen an allen Orten zu tun wäre, wo Menschenrechte und Menschenwürde mit Füßen getreten werden.

Heiko Raabe