(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/98) < home RiV >
Anwaltsleid
Mit großem Vergnügen habe ich die letzte Ausgabe von MHR gelesen, das mir dankenswerterweise vom Hamburgischen Richterverein zur Verfügung gestellt wird. Die Kenntnis dessen, was die Richterschaft bewegt, ist für mich in meinem Ehrenamt unerläßlich. Würde außerdem doch das eine oder andere Urteil mit soviel Liebe zum sprachlichen und inhaltlichen Detail geschrieben wie Ihre Zeitschrift ...
Das bringt mich zu meinem Punkt. Ihr Vorsitzender, Dr. Heiko Raabe, hat kürzlich beim HAV einen beachtlichen Vortrag zum Thema Juristenausbildung gehalten. Neben einem umfassenden Überblick über die vertretenen Thesen hat er auch mit der eigenen Meinung nicht hinter dem Berg gehalten und dabei vor allem betont, jeder juristisch Berufstätige solle auch in Zukunft wissen, wie die Kolleginnen und Kollegen in den anderen Zweigen der Juristerei arbeiten.
Dies kann nicht deutlich genug betont werden. Nicht nur in den zwischenmenschlichen Privatbeziehungen ist gegenseitiges Kennenlernen und Verständnis zwingend erforderlich für ein gedeihliches Miteinander. Gleichzeitig gehört aber auch dazu, den anderen nicht zu überfordern und vor allem nicht Lasten einseitig zu verteilen. Hier scheint mir allerdings mittlerweile ein Wort zur Besinnung angebracht.
Die Rechtsprechung – aller Zweige – hat über die letzten Jahre die Anforderungen an Organisation und Fristenüberwachung immer höher geschraubt, in den unteren Instanzen – in einer Art vorauseilendem Gehorsam? – teilweise soweit, daß die Bundesgerichte schon wieder etwas bremsen. Diese Anforderungen wurden aber – mit wenigen Ausnahmen – an die Rechtsanwälte gestellt, nicht an die Gerichte. Grundsätzlich ist natürlich zutreffend, daß Anwälte besonders sorgfältig arbeiten sollen, und daß Fristen dazu da sind, eingehalten zu werden. Aber gilt das nur für Anwälte? Muß es sein, daß Schriftsatzkopien erst zehn Tage nach Eingang bei Gericht weitergeleitet werden? Muß es sein, daß die Geschäftsstelle für Zivilsachen eines Amtsgerichts an einem Donnerstag um 11.30 Uhr telefonisch nicht erreicht werden kann? Muß es sein, daß dem Anwalt von X, der einen Mahnbescheid gegen Y erwirkt hat, dessen Widerspruch gegen einen Mahnbescheid zugunsten von Z zugeleitet wird (obwohl diese Information sehr hilfreich sein kann!)? Der Beispiele gibt es einige, bis hin zu dem – nicht in Hamburg ansässigen – Gericht, das ein Urteil zwei Tage vor Ablauf der eingeräumten Schriftsatzfrist zur Geschäftsstelle gab, zwecks Verkündung. Das Rechtsmittel war natürlich erfolgreich ...
Um nicht mißverstanden zu werden: Die Probleme der Justiz sind mir durchaus gut bekannt. Viele ihrer Mitarbeiter geben sich zudem außerordentlich viel Mühe, Mißstände zu überbrücken, die sie nicht zu vertreten haben. Und einem schludrigen Anwaltsbüro will ich auch nicht das Wort reden. Aber im Sport und als Soldat habe ich gelernt, daß man von anderen nur das verlangen soll, was man selbst vormachen kann. Bei Diskrepanz gibt es nur die Alternative: weniger verlangen oder selbst besser werden.
Es sind eben häufig die kleinen Dinge des Alltags, die mit der Zeit erheblich "nerven" und dann zu Widerwillen und Mißmut führen. Oft muß das nicht sein, manchmal hilft auch zusätzlich ein kleines "Entschuldigung", auf beiden Seiten, letztlich sind wir doch aufeinander angewiesen. Kein Anwalt will "seinen" Richter ernsthaft vergraulen, und wenn ich denke, was alles ohne anwaltliche Aufbereitung so zu Gericht käme ..., §§ 78 ZPO, 67 Abs. 1 VwGO haben doch wohl einen Sinn! Also vielleicht ist die Erinnerung an die eigene Anwaltsstation doch noch reaktivierbar, und hoffentlich bleibt uns wenn nicht der Einheitsjurist, dann doch wenigstens die Ausbildung in allen Zweigen juristischer Berufstätigkeit erhalten. Wir wollen doch nicht eines Tages völlig verständnislos voreinander stehen.
In diesem Sinne grüßt Sie bis zum nächsten Wiedereinsetzungsantrag
Rechtsanwalt Hans Arno Petzold
Mitglied der Deputation der Justizbehörde