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Pensionärsgemurmel
Donnerstag, 26. November 1998 -
Es ist gute Tradition, daß wir Pensionäre einander und der Welt beweisen, keineswegs in bloßer Gemütlichkeitspflege dahinzudämmern. Und wir führen diesen Beweis, indem wir an den Anfang unserer jährlichen Zusammenkünfte einen anspruchsvollen Introitus setzen:

So hatte mal Dr. Stiebeler über sein Verfassungsgericht geplaudert, dann Herr Dressler seine humorigen Funde aus der Geschichte des Steuerrechts zum Besten gegeben; Wolfgang Schneider hatte die mentalen Probleme des Übergangs in den (vorzeitigen) Ruhestand begrübelt, Helmut Münzberg über den "wilden Osten" (Schwerin) gesprochen, Roland Makowka hatte sich hier unlängst in seiner neuen Rolle als Ombudsmann des UKE vorgestellt, Herr Mentz uns an der schrecklichen Dramatik der Landshutentführung (1977) teilnehmen lassen - um nur einiges in Erinnerung zu rufen.

Frau Schmidt-Syaßen hat diesmal mich gebeten, die einleitende Liturgie zu zelebrieren. Ein ehrenvoller Auftrag, den ich natürlich gern übernommen habe.

Was aber kann ich Ihnen erzählen? Das große "Weiß-Du-noch?", in das ich hier oder dort auch meine persönliche Biographie hineinrühren könnte, soll ja, wie gesagt, erst im "gemütlichen Teil" an die Reihe kommen.

So habe ich dem vorgeschlagenen und auf die Tagesordnung gesetzten Thema - "Jugendkriminalität" - bereitwillig zugestimmt, bin dann aber doch wieder schwankend geworden:

Ich wollte Sie allerdings nicht noch einmal mit all' dem überschütten, was ich schon am 30. Januar d.J. bei meinem Abschied angebracht hatte; und Jugendkriminalität war damals zum Glück noch nicht dabei gewesen.

Dann fielen mir auch ein paar holperige Zeilen des alten Fontane ein (dessen wir jetzt ohnehin gedenken), aus denen sich vielleicht Honig saugen ließe, mit dem den Titel:

Die Alten und die Jungen
Nun könnte man - als hier irgendwie doch Partei gewordener Pensionär - mit der Kriminalstatistik herumwedeln, in der wir (die über 60jährigen) bekanntlich wunderbar abschneiden, ganz im Gegensatz zu den Jungen (bis Mitte 30 und noch etwas darüber hinaus ...: ca. 1/10 = PKS Bund 1993, S. 73: KBZ ab 60: 624; Jugendliche: 6279), um so - auf einer gewissermaßen moralischen Ebene - Fontanes hoffnungslosen Wettlauf mit der Zeit noch einmal anzutreten. Aber das wäre so niederträchtig, daß schon der Gedanke daran mich eher hemmt, die Jugendkriminalität zum Gegenstand der Verhandlung zu machen.

Ich müßte im übrigen auch viel Wasser in den Wein seniler Selbstgerechtigkeit schütten und den jetzt 100 mal zum Besten gegebenen Befund zu unterstreichen haben, daß 98 % der Jugend (oder mehr oder weniger, je nach den Maßstäben) keineswegs "kriminell" ist. Wäre das wirklich nötig? Doch wohl um so weniger, als kürzlich zu lesen war, unsere verehrte Senatorin habe dazu schon das Wesentliche gesagt - jetzt am 22. September vor dem 24. Jugendgerichtstag in Hamburg:

"Kinder sind keine Monster !"

Diese senatörliche Sentenz ist unanfechtbar richtig. Hat aber (außer offenbar einem Nachrichtenmagazin) überhaupt jemand die abgekanzelte These aufgestellt?

... Während meines letzten Amtsjahres 1997 hatte die Große Strafkammer 27 das sog. Neuwiedenthalverfahren zu führen. Es fiel in eine Zeit, als in Hamburg über Jugendkriminalität und die Praxis des Umgangs mit ihr - von den Behörden bis zu den Gerichten - lebhafte Erregung herrschte. Zuvor im Mai 1997 hatte der rührige Prof. Christian Pfeiffer aus Hannover ein dickes Gutachten vorgelegt: "Jugenddelinquenz und jugendgerichtliche Praxis in Hamburg", das prompt in den Bürgerschaftswahlkampf gezogen wurde. Es war interessanter- (und mir nie ganz erfindlicher), weise nicht von der Justizbehörde, sondern der BSJB (Frau Raab) in Auftrag gegeben worden.

Das Resultat des Gutachtens, von dem die Presse bald Wind bekam, wurde als brisant dargestellt und (vielleicht mit Recht) empfunden:

Während die Gewaltkriminalität Jugendlicher und Heranwachsender von 1989 bis 1996 um das 2,8-fache gestiegen sei /19 f GA /, seien die Verfahrensentscheidungen von StA und Jugendrichtern laufend milder, die Sachbehandlung überhaupt laxer geworden / 53 ff GA /, so daß der Gutachter sich zu fragen veranlaßt sah, ob hier nicht eine beachtliche Zahl von Fällen "unter den großen Diversionsteppich gekehrt" worden seien / 54 f - eine Beurteilung, die dann freilich nicht ohne Widerspruch geblieben ist.

Das paßte nun allerdings schlecht (oder gerade gut!!) in den Wahlkampf, der insoweit (wie man neudeutsch zu sagen pflegt) "hochsensibilisiert" war. Bürgermeister Voscherau hatte damals, wohl mehr oder weniger auf eigene Faust und unter insg. nur mäßigem Beifall seiner Partei, Sicherheit vor Verbrechen nebst law and order auf seine Fahnen und auf Wahlplakate geschrieben, die sein Portrait trugen. Letztere hingen im Herbst 1997 überall auch in Neuwiedenthal, was dort als etwas kühn ins Auge sprang.

So konnte es im Grunde kaum überraschen, daß die Aufregung damals auch in unseren Prozeß hineinschwappte: Nachdem wir das NWT-Verfahren für die weniger Belasteten getrennt und durch Entscheidungen beendet hatten, die man - allein auf Mediengeraune über eine nicht-öffentliche Verhandlung gestützt - als glimpflich betrachten konnte, erteilte Voscherau dem Gericht eine öffentliche Rüge: Es habe falsch und unverständlich entschieden ... zu lasch, zu lau, wie damals der Spruch ging.

Im Strafjustizgebäude fand sich prompt eine Phalanx zusammen, die seiner Rüge die fällige Gegenrüge erteilte. ...

- Hier möchte ich die Bemerkung einflechten, daß sich kein Gericht durch eine derartige (oder sonstige) Intervention von hoher Hand beeindrucken lassen darf. Bei solchen Anlässen hat gelegentlich auch der Richterverein so etwas wie ein Wächteramt (das er bekanntlich immer wieder übt). Als unabhängiges Gericht aber und Teil der 3. Gewalt sollte man beileibe nicht in Weh - und Selbstmitleid verfallen oder herumjammern: Denn was ficht es uns schon an? Die Unabhängigkeit der Rechtsprechung kann - solange die Verfassung gilt! - wirklich und letztlich nur durch die Richter selbst weggeworfen werden: durch Ducken, Angst oder Anpasserei. -

Jugendkriminalität - um im Text fortzufahren - ist also ein unerschöpfliches Thema. Nun habe ich im letzten Mitteilungsblatt einen Umstand angeführt, der mich allerdings eher hemmt, darüber jetzt weiter zu reden:

Es gibt seit dem Sommer d.J. eine Enquetekommission der Hamburger Bürgerschaft, die endlich einmal wissenschaftlich klären und feststellen soll, wie die einschlägigen Kriminaldaten wirklich aussehen, was eine derartige Delinquenz verursacht und welche Schritte dagegen einzuleiten sind: nicht nur von der Justiz, sondern auch von Behörden, Schulen, der Gesellschaft, den Elternhäusern: überhaupt irgendwie und von allen ...

Da ich dieser hochmögenden Kommission angehöre, beschäftige ich mich von Amts so oft mit dieser Materie, daß ich kaum Lust spüre, mich auch hier noch, sozusagen in meiner Freizeit darüber zu verbreiten. Letztlich verstieße es gegen alle Diskretion, wollte ich schon heute die Gelegenheit benutzen, Ihnen vorauszusagen, was erst später irgendwann - Ende 1999 oder Anfang 2000 - im voluminösen Schlußbericht für die Bürgerschaft stehen wird - auf den die Hamburger Öffentlichkeit zweifellos mit angehaltenem Atem wartet. Immerhin fallen am Rande ein paar Lesefrüchte - ganz außerhalb meiner Amtsverschwiegenheit - vom Baum der Erkenntnis ab:

Der Arbeitsauftrag erfaßt auch die Schule - sinnvollerweise, da sie ja das Nadelöhr ist, durch das unsere Jugend ins zunehmend problematische Leben eingelassen wird, und wo die Schwierigkeiten sich bekanntlich oft schon anbahnen. Der o.g. Prof. Pfeiffer (der bei der Hamburger Schulbehörde offenbar einen Stein im Brett hat), hat für eben dieses Amt im September d.J. ein bemerkenswertes Gutachten vorgelegt:

– "Gewalterfahrungen und Kriminalitätsfurcht von Jugendlichen in Hamburg" –,

aufgrund einer repräsentativen Befragung von 3.500 Hamburger Schülern der Klassenstufen 9 (Alter 14 - 16 Jahre) in 155 Klassen. Diese wurden - wie bei sozialwissenschaftlichen Erhebungen üblich - recht differenziert befragt: z.B. im einzelnen nach ihrer Viktimisierung (Opfer-Werdung), aber auch nach eigenen Gewalttätigkeiten.

Hier ein paar Befunde:

26,1 % der befragten Schüler waren im Jahre 1997 Gewaltopfer geworden (im einzelnen: Körperverletzung ohne Waffe: 13,6 %; Raub: 10,1 %; Erpressung: 6,5 %; Körperverletzung mit Waffe: 6 %; sexuelle Gewalt: 3,3 %) / 67. Der weitaus größte Teil dessen blieb der Polizei verborgen, wurde ihr von den Schülern also nicht angezeigt (vgl. / 68). Dieser sozusagen statistische Einblick ins Dunkelfeld ist deshalb bemerkenswert, weil er die Vermutung stützt, daß die jugendkriminologischen Daten der PKSt. nur einen ungewöhnlich kleinen Bruchteil der wirklichen Taten widerspiegeln, was einige Spekulationen erledigt, denen zufolge die Jugend von der Polizei vorschnell und übermäßig "kriminalisiert" wird, und mit der PKS letztlich kaum etwas anzufangen ist.

Pfeiffer wiederholt seinen Befund vom Mai d.J., daß Opfer der Jugendgewalt ganz überwiegend Kinder und junge Leute selbst sind:

"Die Opferziffern der 18 bis unter 21jährigen haben zwischen 1988 und 1996 um mehr als das Dreifache zugenommen (+ 222,5 %), die der Jugendlichen sind sogar um mehr als das Fünffache angestiegen (+ 423,7 %)", während sich für die über 60jährigen nichts geändert hat /14 und Abb. 6) /. Wer als Praktiker seine Erfahrungen besitzt, wird davon nicht überrascht sein; aber nun hat man's genau und schwarz auf weiß.

Ein Weiteres: Pfeiffer fragt nach Faktoren, deren statistische Erfassung geradezu als political incorrect erscheint: Nicht nur läßt er sich auf das Raster "Inländer - Ausländer" ein, sondern er hantiert mit genaueren Differenzierungen wie z.B.

Er gelangt dann im Täter/Opfer-Vergleich zu Resultaten, die den Praktiker wiederum nicht überraschen, die man bislang aber doch vorsichtshalber für rein persönliche, im Prinzip zufällige Erfahrungen gehalten hatte, deren Extrapolation über den Bereich unmittelbarer eigener Kenntnis hinaus als unzulässig galt:

Die Deutschen seit Geburt (= 67,7 % der befragten Schüler), stellen 27 % aller Gewalttäter; ihre Opfer sind zu 81,1 % wiederum deutsche Schüler, zu knapp 1 % Türken, im übrigen Osteuropäer und andere Ausländer: vgl. Tb. 23 / 112 /

Die türkischen Schüler (7,5 % der Befragten) stellen 31,6 % der Gewalttäter, aber nur 2,8 % der Gewaltopfer. /aaO/. Ihre Opfer sind zu 79,3 % Deutsche, 9,8 % Osteuropäer und 7,5 % andere Ausländer. (Osteuropäer: 13,3 % Täter und 10,9 % Opfer). Danach kann, jedenfalls im Rahmen dieser Befragung, schwerlich die Rede davon sein, daß die Gewalttätigkeit deutscher gegen ausländische oder gar türkische Mitschüler ein kriminologischer Prototypus sei. Die umgekehrte Lage ist ungleich häufiger und belastet einige Schulen auf das schwerste.

Hier dreht es sich also um alltägliche Jugendkriminalität, ohne jeden politischen Anstrich i.S. des ebenso beliebten wie fast beliebigen verwendbaren rechts-links-Etiketts; und es ist jedenfalls hier offensichtlich ganz unmöglich, zwischen Opfern und Tätern Lichterketten zu ziehen. ...

Die von Pfeiffer aufgelisteten Daten und Zahlen sind nun keine polizeilichen, möglicherweise durch Vorurteile verfälschten Ermittlungsresultate, sondern Ergebnisse von Opferbefragungen, die durch Täterbekundungen (z.B. der türkischen Schüler selbst) auch statistisch bestätigt und erhärtet werden.

Pfeiffer bohrt weiter: Können frühkindliche oder jugendliche Gewalterfahrungen innerfamiliärer Art die späteren eigenen Gewalttaten von Schülern mit verursacht haben? Er zieht die entsprechenden Selbstauskünfte vergleichend heran (früher Opfer = später Täter?) und bejaht die Ausgangsfrage. Dann stellt er fest, daß innerfamiliäre Mißhandlungen bei anderen "Ethnien", in z.B. türkischen Familien mit 23 % weit an der Spitze liegen vor (von Geburt) Deutschen (8 %), Aussiedlern und eingebürgerten Deutschen (18 %) und anderen Ausländern (19 %). Ich will das alles nicht weiter ausspinnen, Sie nur noch auf eine diskussionswürdige Aktualisierung der Befunde aufmerksam machen: Der 24. DJGT hat - Pfeiffer folgend - die Abschaffung des elterlichen Züchtigungsrechts verlangt. Das ist wohl auch zum Inhalt der rot-grünen Koalitionsverhandlung in Bonn geworden und, soweit ich weiß, in diesem Sinne als Gesetzgebungsvorhaben vereinbart worden. Rechtstechnisch heißt das wohl, daß die "erzieherische" Ohrfeige künftig (in Ermangelung der traditionellen Rechtfertigung) als Körperverletzung strafbar wäre (Schwere Mißhandlungen und Quälereien - dies nebenbei - sind schon de lege lata nicht gerechtfertigt, also strafbar).

Was immer man davon hält: Wer das rechtspolitisch vorhat - und keine nur rhetorische Strafgesetzgebung zelebrieren will -, der muß offensichtlich die Courage aufbringen, in ausländische, hier (in Hamburg) vor allem in türkische Familien hinein zu regieren. Denn wir wissen nun auch statistisch, daß dort ungleich öfter und mehr geprügelt, geschlagen und Gewalt geübt wird als in deutschen (wo das natürlich auch viel zu viel passiert!). Diese Entschlossenheit zur Intervention verträgt sich aber schlecht mit dem Bekenntnis, die - wie man sagt: - "kulturelle Identität" aller fremden Ethnien unbedingt zu respektieren, also so etwas wie eine doppelte Staatsbürgerschaft auch im kulturellen Sinne hinzunehmen. Man kann das eine oder das andere wollen, aber schwerlich beides zugleich. Indessen prangen die beiden zueinander widersprüchlichen Parolen, wie mir scheint, auf einem Banner ...

Nun habe ich mich also - auftragsgemäß - doch etwas über Jugendkriminalität verbreitet und bin dabei vom 100. ins 1000. gekommen. ...

 

Lassen Sie mich nun aber schnell noch das Thema wechseln und - entgegen der Ankündigung, mich nicht wiederholen zu wollen - auf etwas zurückkommen, was ich schon am 30. Januar zu sagen versucht hatte:

Churchill hat den Satz geprägt, die Demokratie sei eine sehr schlechte Regierungsform, aber eine bessere als alle übrigen. Nichts anderes gilt - mutatis mutandis - für das Institut der richerlichen Unabhängigkeit. Man kann über sie sich das Maul zerfetzen und dafür viel Zutreffendes und Peinliches anführen. Herr Dr. Dr. Röhl pflegte, nachdem er zur Justizbehörde gegangen war, gelegentlich anzumerken, er würde eigentlich gern einen Essay verfassen über die unzulässigen Inanspruchnahmen richterlicher Unabhängigkeit. Leider hat er es nicht getan, denn darin hätte vieles gestanden, das man redlicherweise gar nicht hätte leugnen können. Und wer (wie ich) einige Zeit in der Amtsrechtskommission des DRiB und 40 Jahre hier im Geschäft gesessen hat - mit offenen Ohren -, der weiß, wie Gerichtsleitungen gelegentlich in Verzweiflung geraten können über Fehlleistungen, Versagen, Schwächen und Laxheiten im eigenen Betrieb, die sich wegen der richterlichen Unabhängigkeit wesentlich schwerer ausbügeln oder "moderieren" lassen als ohne dieselbe. Es liegt mir kurzum fern, die Richterschaft - meinen eigenen Berufsstand, mich selbst - zu idealisieren. Allerdings idealisiere ich nun auch die Gesellschaft im übrigen nicht. Die Gauß'sche Normalverteilung der Talente, die nicht nur Genies, sondern auch Nieten und Mittelmaß kennt, ist ein Gesetz von allgemeiner Gültigkeit. Doch geht es gar nicht um die Frage, wo denn nun in Staat und Gesellschaft Tüchtigkeit, Talent, Fleiß, Sensibilität und Kompetenz in höherem Maße als anderswo versammelt sind. Auch über Effizienz, Mittelverwendung und - Verschwendung muß man nicht erst den jährlichen Bericht der Rechnungshöfe oder des Steuerzahlerbundes lesen, um ins Grübeln zu kommen. Da schneidet die Justiz nach meiner Kenntnis vergleichsweise hervorragend ab und scheint einer externen Belehrung nicht gerade zu bedürfen. ... Aber das ist gar nicht das Thema. Es geht um anderes:

Ohne Beschränkung, Brechung und Kontrolle wächst jede Macht sich zum Kraken aus und bringt Mißbrauch, Korruption und Willkür hervor. Dieser Satz, dem als rein abstrakten wohl niemand widerspricht, würde gleichwohl in den Wind gesprochen bleiben ohne eine ingeniöse Erfindung des Staatsrechts: die Gewaltenteilung.

Dabei ist eine reine Rechtsbindung und Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt - gegenüber beiden anderen - insofern am wichtigsten, als Parlament und Exekutive in der Realität des demokratischen Parteienstaats innigst miteinander verwoben und verquickt sind. Deshalb liegt es im Interesse aller, daß nicht auch noch die dritte Gewalt sich dort hineinziehen läßt oder genötigt wird, bei den stärkeren Bataillonen ergebenst zu antichambrieren. Sie muß ihre Autonomie mit Zähnen und Klauen verteidigen - im Interesse des Gemeinwesens!

Das gilt auch heute! Wenn Prof. Hoffmann-Riem anläßlich seiner v. Sauer-Preis-Rede am 02.04.1998 meinte, in unserer glücklich errungenen Demokratie drohe der richterlichen Unabhängigkeit keine wirkliche Gefahr mehr, jedenfalls nicht von der Exekutive (obschon die Richer selbst insoweit an durchweg lächerlichen Einbildungen litten: vgl. Redetext S. 5, 8 ff), dann gibt er sich naiver als ein Mann seiner Erfahrung sein kann. ... Aber über den politischen Betrieb im demokratischen Parteienstaat, der mit seinem Filz durch alle Poren - leider auch der Institutionen! - quillt und drängt, ist zu vieles allgemeinkundig (vgl. nur ZEIT-Dossier Nr. 28 vom 2. Juli 1998: Rainer Frenkel - Der rote Filz. Daß Filz in beliebigen Farben auftritt: schwarz, gelb, grün oder sonstwie, braucht nicht hinzugesetzt zu werden!), als daß ich Sie damit langweilen sollte. ...

Man muß also gar nicht an "Politikverdrossenheit" leiden und von ihrem grassierenden Mißtrauen angesteckt sein, um in der Unabhängigkeit jedenfalls der Justiz eine unbedingt schützenswerte Bastion zu erkennen. Das ist realistische Soziologie, weiter nichts, und hat mit einem moralisierenden Raisonnement nichts zu tun.

Müssen Sie nun lange raten, wieso und warum ich mich in derartige Abstraktionen verloren habe? Sie alle, wann immer der Justizdienst für Sie geendet hat, haben Roland Makowka als unseren getreuen Eichelhäher krächzen hören: "Jetzt spart ihr die Justiz aber kaputt!" - bekannte Probleme also ? Geht es heute, bei Justiz 2000 - wieder nur um's (unvermeidliche) Sparen?

Wohl kaum: daß es sich um mehr dreht, ist unstreitig und wird in den Projekt-Papieren eigens herausgestellt. Aber was genau ist der weitergehende Zweck? Vielleicht doch der Neuzuschnitt, die Reduktion und "Anpassung" der richterlichen Unabhängigkeit? Das wäre dann ein offenbar aufregendes Thema. In den letzten Mitteilungsblättern ist es angeklungen, und vor 14 Tagen hat es hier nebenan - in der überfüllten Grundbuchhalle - zur streitigen Verhandlung gestanden.

Sie sehen (und damit schließe ich), welch' unentbehrlicher Laden unser Richterverein nach wie vor ist, wenn ihm jetzt solche "Herausforderungen" vor die Füße gerollt werden ..., den wir also nach wie vor dringlich brauchen, den Sie mit Ihren alljährlichen Beiträgen am Leben erhalten und dem Sie überhaupt immer wieder Treue und Loyalität beweisen: indem Sie z.B., wenn geblasen wird, kommen - wie heute abend!

... Nun aber ist es wirklich Zeit für den gemütlichen Teil des Abends!

Günter Bertram