(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 4/98) < home RiV >
Farewell old fellow
Metzinger geht. Erinnerungen werden wach aus einer langen und doch so kurzen Zeit gemeinsamer Arbeit. Auch ein kleines Stück Hamburger Justizgeschichte.
Anfang der 60er Jahre war ich Präsidialrichter beim Landgericht. Metzinger trat in mein Zimmer und fragte mich, ob er nicht vom Amtsgericht zum Landgericht wechseln könne, aber er wolle zu Kitzing, dem damaligen vortrefflichen Vorsitzenden der Mietekammer. Für mich war Metzinger ein Glücksgriff für das Landgericht, und sein Wunsch wurde erfüllt. Ich hörte nur Lob über seine Arbeit in der Mietekammer, bis er den Wunsch äußerte, in die auf Grund ihrer hohen Ansprüche bekannte Fiskuskammer zu gehen. Die Namen Schürmann, Pruß, Dr. Sittel und Dr. Wilkens standen für Qualität. Ab und zu nahm ich mir die Zeit, Urteile von Metzinger zu lesen. Es waren - dem Ideal des damaligen Vizepräsidenten am OLG Dr. Reimers entsprechend - wahre Kunstwerke, geprägt durch Sorgfalt, Farbe und Überzeugungskraft.
1970 wurde Dr. Stiebeler OLG-Präsident. Ich ging zu ihm als Präsidialrichter. Kuno Ross war damals Referendarvater - und wer freute sich nicht auf die Zusammenarbeit auch mit diesem tollen Mann? Es waren die Zeiten des Aufbruchs, die auch uns beim OLG ergriffen hatte. Dr. Stiebeler setzte sich mit Leib und Seele für die einstufige Juristenausbildung ein, mir war der Sektor Justizplanung übertragen. Daß man bei der Justiz planen sollte, war damals ein schier unglaublicher Gedanke. Das Projekt "dreistufiger Gerichtsaufbau" stand im Raum, maßgeblich betrieben von Dantzer aus Bonn, zuvor Senatspräsident beim OLG Hamburg. Und wieder trat Metzinger irgendwann in mein Zimmer. Inzwischen war er Beisitzer im 1. Zivilsenat. Irgendwie schien ihn die planerische Arbeit zu packen, an der er sich freiwillig (neben seiner Senatsarbeit, häufig in den Abendstunden) in meinem Zimmer beteiligte. Metzinger diskutierte, analysierte, rechnete. Unendlich viele Gedanken begann er zu entwickeln, die, wenn ich fest saß, aus Stücken ein Ganzes machten. So wurden wir beide immer besser, besser sogar als die Justizbehörde - bildeten wir uns ein. Und Krüger-Spitta, damals noch Referent im Planungsstab bei der Justizbehörde, nannte uns "die zornigen alten Männer".
Als ich zum Amtsgericht ging, wurde Metzinger mein Nachfolger bei Dr. Stiebeler, das "beste Pferd im Stall". Ein Mann, der das Ganze suchte, die Einheit der Gerichte, die Gemeinsamkeit mit der Justizbehörde. Und immer wieder schaute er bei mir vorbei, um seine Gedanken im Gespräch zu überprüfen. Als die Justizbehörde einen neuen Amtsleiter brauchte, kam Metzinger ins Gespräch. Es war die Zeit der Justizsenatorin Leithäuser. Ich wurde gebeten, das Feld zu sondieren. Zwischen den Gerichten und dem Sievekingplatz gab es trotz mancher unvermeidlicher Meinungsverschiedenheiten so etwas wie Vertrauen. Der für die Gerichte zuständige Vertreter der Behörde sollte allseitige Akzeptanz haben. Ich ging zu Dr. Stiebeler und fragte ihn, was er von dem Plan Metzinger hielte. Der Mann ist "viel zu schade", war seine Antwort - und Dr. Stiebeler mußte es wissen, kannte er doch diese Behörde in- und auswendig. Aber Metzinger wollte sich dieser neuen Aufgabe nicht verschließen. Dr. Stiebeler ließ ihn schweren Herzens ziehen, denn er wußte, Metzinger war der Richtige.
1980 kam ich zum Landgericht. Metzinger saß bei der Justizbehörde als Beauftragter des Haushalts. An der Drehbahn gab es noch Dr. Röhl, Senatsdirektor, früher Vizepräsident des Landgerichts, und, später hinzukommend, Hardraht, der Tür an Tür mit Metzinger wirkte. Nun mußte ich zu Metzinger als "Bittsteller" für das Landgericht, wenn es um Geld und Stellen ging. Metzinger hörte zu, analysierte mit Bedacht, in der Hand ein dicker Ringblock, in dem er alles, aber auch alles über die Justiz notiert hatte. Manch Kröte mußte ich schlucken, aber ich wußte, Metzinger hatte alles sorgfältig durchdacht, mehr war nicht drin.
Einige Zeit später ging Metzinger zum Amtsgericht. Er hatte sich zu diesem Amt nicht gedrängt. An sich war er als Nachfolger von Jan Albers als OVG-Präsident vorgesehen. Aber man brauchte ihn für die schwerste Aufgabe, welche die Hamburgischen Gerichte zu vergeben haben. Wir beide aber waren einander im Erdgeschoß des Ziviljustizgebäudes - Anbau - erneut nähergerückt, getrennt durch die Grundbuchhalle. Und jetzt kam Metzinger wieder vorbei, nur um zu sprechen, etwas los zu werden. Gelegentlich sah ich ihn auch, wie er abends gedankenverloren das Rund der Grundbuchhalle durchschritt. Und wenn er mein Zimmer betrat, dann wußte ich, es wird ein langes und gutes Gespräch. Denn Metzinger war offen und fair, auch mir ein ehrlicher Ratgeber, wenn ich nicht weiterkam. Einer seiner vielen schweren Stunden für das Amtsgericht durchlebte er, als ihm mitgeteilt wurde, daß das Geld für das neue Amtsgericht Hamburg-Nord nicht mehr zur Verfügung stände. Er saß bei mir und zeigte mir den Brief der Justizbehörde. Ich fühlte mit ihm: Metzinger, dem Kämpfer für sein Amtsgericht, war ein Stück Lebenswerk aus der Hand geschlagen worden.
Bald wird Metzinger mit vielen verdienten Dankesreden verabschiedet werden. Ich werde irgendwo hinten stehen und denken: Farewell old fellow.
Roland Makowka