(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/98) < home RiV >
Der Wahlkampf – das bemerkt Heiko Raabe in diesem Heft zu Recht! – schafft stets Biotope eigener Art, aus denen Blumen und Blüten bunt hervorbrechen. Er rührt und wirbelt alle Themen, Thesen und Fragen auf, die das Volk – wir alle! – für aufregend, wichtig und der Antwort bedürftig halten: Wie könnte oder sollte es in einer Demokratie, die mit dem freien Wort, mit Rede und Gegenrede steht und fällt, denn auch anders zugehen? Als töricht jedenfalls erscheinen mir gelegentliche, gern mit staatsmännischer Besorgtheit vorgetragene Ermahnungen, sog. hochsensible Themen wie z.B. Rentensicherheit, Euro, Außen- oder Einwanderungspolitik und weiß der Himmel was sonst alles, doch bitte nicht in den Wahlkampf zu zerren. Gerade dort hinein gehören sie! Denn die Portraits der Kandidaten, wie sie gestikulieren oder in die Ferne blicken, ihre Leib- und Magensprüche: das alles zusammen ist jedem bis zum Überdruß bekannt. Aber wie sie die Lage der Dinge sachlich beurteilen, und was sie täten, würden sie gewählt: Das wäre das einzige, was man wirklich gern wüßte. Weil das Publikum so fragt – oder jedenfalls so und nicht anders fragen sollte -, muß der Erörterung sachlicher Probleme einschränkungslos Tor und Tür geöffnet werden. Letztlich deshalb gibt es auch für Strafjuristen und Kriminologen (denen die mehr gescholtene als gelobte Strafrechtspflege zugerechnet wird) keinen Grund zu bejammern, daß nun auch noch ihr Metier in den Wirbel von Diskussion, Wahlkampf und (unvermeidlicher) Polemik gezogen wird.
Wenn dieses Mitteilungsblatt in den Fächern oder Briefkästen liegt, ist der 27. September 1998 längst Vergangenheit, das Resultat der Wahl "Schnee von gestern". Das jetzt und heute noch mehr oder weniger erregende Getümmel wird – mit Recht – bald vergessen sein. Dennoch sollte man nicht alles aus dem Gedächtnis tilgen: So müßte in den Analen vermerkt bleiben, daß im Wahlkampf ’98 bemerkenswert rigide kriminalpolitische Thesen, Postulate und Grundsätze, die man bislang zu Recht oder Unrecht (und nicht selten mit kopfschüttelnder Häme) der CDU/CSU zugeschrieben hatte, von ganz anderen Kandidaten (und –Innen!) als genuines Gedankengut ihrer je eigenen Partei verkündet worden sind. Wer Spaß am Zitate-Sammeln hat, kommt wahrlich auf seine Kosten. ...
Diese kriminalpolitischen Thesen treffen natürlich nicht schon dieser bemerkenswerten Einstimmigkeit wegen zu. Aber zu behaupten, daß sie allein deshalb (z.B. als "Populismus") falsch wären (frei nach Schiller: "Die Mehrheit ist der Unsinn – Verstand ist stets bei wenigen gewesen!"): Dazu bedarf es wohl einer guten Portion elitären Hochmuts (von dem z.B. Prof. Albrecht in DRiZ 1998, 326 ff: "Die Bedrohung der Dritten Gewalt durch irrationale Sicherheitspolitik", nicht frei zu sein scheint). Nein: man muß die Sache prüfen!
Wie jeder weiß, hatte auch Bürgermeister Voscherau als höchster Repräsentant der regierenden SPD jedenfalls zum Ende des Bürgerschaftswahlkampfs 1997 einer kriminalpolitisch harten Linie das Wort geredet ... mit dem, wie es scheint, bekannten Resultat. Doch bei Licht betrachtet lassen sich sozialpsychologische Kausalitäten nur behaupten, nie beweisen. Jedenfalls war schon im Wahlkampf zu hören, man werde demnächst eine Kommission zusammenrufen, die den Ursachen der (damals vornehmlich diskutierten) Jugendkriminalität auf den Grund gehen solle – umfassend und wissenschaftlich. ...
Die Sache schien (jedenfalls für den Außenstehenden) eingeschlafen und vergessen zu sein, als die Bürgerschaft am 9. Januar 1998 (Drucksache 16/222) die Einsetzung einer sog. Enquete-Kommission (nach Art 25 a der Hamburger Verfassung) beschloß mit dem Auftrag der umfassenden Analyse der Entwicklung der Jugendkriminalität, ihrer gesellschaftlichen Ursachen sowie der Erarbeitung von Handlungs-vorschlägen im präventiven und repressiven Bereich, was dann durch die Auflage, "insbesondere folgende Themenkreise zu berücksichtigen", detailliert wird. Dieses "insbesondere ..." umfaßt dann über 4 ½ eng bedruckte DIN-A-4-Seiten. Durchdringt man das alles, könnte man (bei einer Neigung zum Sarkasmus, die mir glücklicherweise fremd ist) meinen, hier solle nicht nur das Rad, sondern die ganze soziale Welt neu erfunden werden, diesmal aber "wissenschaftlich" ...
Ich werde mich dazu nicht weiter äußern – nicht nur meiner schlichten Gemütsart wegen, sondern deshalb nicht, weil mir die Ehre zuteil geworden ist, selbst in diese Kommission berufen zu werden:
Sie besteht aus 8 Bürgerschafts-abgeordneten (4 : 3 : 1) und 9 sog. Sachverständigen (4 : 3 : 2), die auf Vorschlag der Fraktionen von der Bürgerschaftspräsidentin berufen worden sind; dem Kreis der letzteren bin ich zugerechnet und berufen worden.
Die Sache hat nach dem 09.01. d.J. allerdings ziemlich lange geruht; zur Einberufung und ersten Sitzung kam es kurz vor der Sommerpause – und erst jetzt gewinnt der Geleitzug peu à peu etwas Fahrt. ... Und fahren wird er noch geraume Zeit müssen, obwohl Drucksache 16/222 die kühle Order enthält, der abschließende Kommissionsbericht sei der Bürgerschaft "in schriftlicher Form spätestens bis zum 1. Oktober 1998 zuzuleiten": utopisch, wie jeder weiß.
Vor dem Mobil-Oil-Haus Steinstraße 5, wo erst kürzlich der "Arbeitsstab" der Kommission hat vor Anker gehen können (bis dahin stand er auf dem Papier), traf ich unlängst den Kollegen Detlef Grigoleit: Auch ihn (nein, das auch ist schief, bin ich doch Pensionär!) hat unsere Volksvertretung ehrenvolll zweckentfremdet: durch Berufung in den Arbeitsstab eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses, für den der Volksmund das Kürzel "PUA Filz" erfunden hat. Dieser PUA (der gelegentlich auch vom Hamburger Fernsehen zu besichtigen ist) soll die Umstände, Begleiterscheinungen sowie speziellen und allgemeinen Voraussetzungen aufklären, die mit dem Rücktritt der Senatorin Fischer-Menzel (BAGS) verknüpft waren. Angesichts der oft erprobten Kunst des Kollegen Grigoleit, mit Hilfe seines PC selbst in das ärgste Chaos Grund, Ordnung und System zu bringen, muß man sagen: der rechte Mann am rechten Ort!
Als ich dann das gemeinsame Haus beider Arbeitsstäbe betreten wollte, war das für mich zunächst wie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Versperrte Türen, Kontrolle, Prüfung ...: "Was wollen Sie hier?". Wie weiland beim Betreten des Strafjustizgebäudes (wo mir freilich, weil längst bekannt, eine glatte Passage sicher ist)! Des Rätsels Lösung liegt nicht bei "meiner" Kommission, sondern beim "PUA Filz", der – seinem Auftrag entsprechend – Berge von Behördenakten (deren etliche wohl als brisant gelten) in diversen Zimmern lagert. ...
Wahlkampf – Wissenschaft – Parlament
– Politikberatung: ein jeweils unermeß-
liches Terrain. Ob und was
ein Ausschuß nützt, das weiß man erst später – wenn
überhaupt jemals. Denn auch Evaluationen (ein hübsches Wort für
ex-post-Beurteilungen) verlaufen oft im leeren Zirkel. Aber eins ist sicher:
Man selbst wird nicht dümmer, sondern sieht eine Menge, worauf der
bürgerliche Beruf kein Licht geworfen hatte, wenn man bei solchem
Unterfangen mit Hand anlegt.
Günter Bertram