(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 3/98) < home RiV >
Vorausgesetzt, die Äußerungen der Betroffenen sind richtig wiedergegeben worden:
Es ist das selbstverständliche Recht eines Richters wie das eines jeden Bürgers, seine persönliche Meinung zu staatlichem Handeln zu äußern. Er hat sich dabei so zu verhalten, daß das Vertrauen in seine Unabhängigkeit nicht gefährdet wird. Ich vermag nicht zu erkennen, daß die betroffenen Amtsrichter sich mit ihrer Kritik an der Gnadenpraxis in der Sache oder im Ton über dieses Mäßigungsgebot hinweggesetzt haben.
Das Gnadenrecht des Staatsoberhaupts, ursprünglich abgeleitet aus der göttlichen Vergebung, verträgt keine Beliebigkeit. Deshalb bestimmt z.B. Art. 44 Abs. 2 der Hamburgischen Verfassung wie im übrigen alle Verfassungsordnungen des Bundes und der Länder, daß Amnestien (allgemeine Gnadenerweise) eines Gesetzes bedürfen. Auch wenn es "nur in jedem dritten Fall zu einer Begnadigung gekommen ist", ändert das doch nichts daran, daß die Akten entgegen üblicher Praxis nicht aufgrund eines Antrages des Verurteilten, sondern von Amts wegen der Gnadenabteilung der Justizbehörde vorgelegt worden sind. Es fragt sich in der Tat, ob diese pauschale Vorgehensweise durch eine Vereinbarung von Vollstreckungsbehörde und Gnadenabteilung gedeckt ist oder nicht vielmehr einer gesetzlichen Grundlage bedarf.
Sollten die Berichte zutreffen, wonach die beanstandete Gnadenpraxis auf die Fälle wegen Fahrgeldhinterziehung Verurteilter beschränkt ist, stellt sich die weitere Frage, ob diese Beschränkung nicht in willkürlicher Weise "durch die Hintertür" rechtspolitische Gewichtungen durchsetzen will, denen sich der Gesetzgeber ausdrücklich versagt hat. Nur am Rande sei darauf hingewiesen, daß die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde und das Gericht nach den §§ 455 bis 459 f. StPO eine ganze Palette von Möglichkeiten haben, dem Verurteilten entgegenzukommen, bis hin zu der Anordnung, daß die Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe unterbleibt, wenn die Vollstreckung für den Verurteilten eine unbillige Härte wäre.
Der Vorstellung, Richter dürften sich nicht "einmischen", haftet reichlich Obrigkeitsstaatliches an. Richter müssen sich sogar "einmischen", nämlich dann, wenn die Gnadenabteilung einen Gnadenerweis widerruft und der Verurteilte gerichtliche Entscheidung begehrt. Ich könnte mir gut vorstellen, daß eine derartige Entscheidung in Fällen der hier erörterten Art wenig schmeichelhafte Ausführungen zur Art des Gnadenverfahrens enthalten würde.
Wenn die Senatorin das praktizierte Verfahren billigt, hat sie es nicht nötig, sich damit zu verteidigen, es sei vor ihrer jetzigen Amtszeit vereinbart worden. Billigt sie es nicht, kann sie es mit einem Federstrich beenden.
Dr. Jürgen Franke, Richter a.D.