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Dokumentation

Die Presse hat über die Rede Prof. Dr. Hoffmann-Riems anläßlich der Entgegennahme des Emil-von-Sauer-Preises berichtet. Wir drucken im folgenden zwei Berichte aus der WELT und eine Entgegnung des Senators ab.

DIE WELT vom 11.06.1998

Ex-Senator: 10 Thesen gegen
Hamburgs Richter

Rechtsprofessor Hoffmann-Riem: Die Richterschaft zeichnet sich durch Bequemlichkeit, mangelnde Professionalität und Reform-Unlust aus.

Als dem früheren Hamburger Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem (1995-1997), Rechtsprofessor an der Uni Hamburg und damals als Unabhängiger auf dem Ticket der Statt Partei in den Senat gekommen, im Plenarsaal des Oberlandesgerichts feierlich der Emil-von-Sauer-Preis (Insider-Jargon: "Saurer Emil") verliehen wurde, gratulierte ihm das renommierte Justiz-Publikum. Viele hatten in diesem feierlichen Ambiente noch nicht begriffen: Was Hoffmann-Riem da vom Stapel gelassen hatte, ist wie ein Schlag ins Gesicht der Hamburger Richterschaft. In zehn Thesen wirft der Ex-Senator den 900 Richtern und Staatsanwälten mangelnde Professionalität, Bequemlichkeit und Reform-Unlust vor:

Seit die Rede des Ex-Senators in Kopien auf den Tischen der Richterschaft kursiert, breitet sich Empörung in den Justizgebäuden am Sievekingplatz aus. Wolfgang Hoffmann-Riem hat die 900 Hamburger Diener Justitias (Richter und Staatsanwälte) an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen. Er hat ihre richterliche Unabhängigkeit und damit ihr wichtigstes Privileg zur Diskussion gestellt. Richter haben keine festen Dienstzeiten und können ihre Arbeitszeit selbst bestimmen.

Gegenüber der WELT hat Hoffmann-Riem gestern noch einmal für die Beibehaltung der richterlichen Unabhängigkeit plädiert und betont, daß viele Richter angesichts der hohen Belastung viel mehr leisten als von ihnen verlangt werden kann. Sonst werde aus Autonomie schnell Anomie (mangelnde Anpassung an neue soziale Tatbestände).

Justizintern werden seine Thesen überwiegend als "verfehlt und kontraproduktiv" abgetan. Der frühere Präses der Justizbehörde zum Protest am Sievekingplatz: "Das habe ich auch erwartet." Das Reformkonzept "Justiz 2000" müsse realisiert werden, um neue Strukturen in Hamburgs Justiz zu schaffen.

"Reform 2000 läuft in den Gerichten auf vollen Touren", erklärt Hamburgs Gerichtssprecherin Sabine Westphalen, "und zwar mit hohem Engagement und vielen Überstunden in der Richterschaft." In seiner Rede anläßlich der Übergabe des Emil-von-Sauer-Preises (traditionsgemäß verliehen von der Hamburger Anwaltschaft für besondere Verdienst um die Juristerei) hat Wolfgang Hoffmann-Riem auch jenes Verfahren am Bundesgerichtshof kritisiert, mit dem sich Richter erfolgreich dagegen gewehrt hatten, ihnen eine Präsenzpflicht aufzuerlegen. "Richter, entscheiden hier in eigener Sache", bemängelt er.

"Hinter der Forderung nach festen Dienstzeiten verbirgt sich oft der Vorwurf, Richter seien faul", so Heiko Raabe, Vizepräsident des Oberlandesgerichts, als Vorsitzender des Hamburgischen Richtervereins. "Das ist grotesk, auch wenn Hoffmann-Riem das so nicht gesagt hat."


DIE WELT vom 12.06.1998

Justiz-Schelte: Hamburgs Richter wehren sich

Heftige Reaktionen auf die Kritik von Ex-Senator Hoffmann-Riem."Arbeit auf hohem Niveau"

Hamburgs Richterschaft ist empört und wehrt sich gegen Vorwürfe, die der frühere Justizsenator Wolfgang Hoffmann-Riem (1995 bis 1997) erhoben hat. "Richter sind nicht bequem, unprofessionell und reformunfähig", sagte der Vorsitzende des Hamburgischen Richtervereins, Dr. Heiko Raabe, gestern der WELT. Raabe ist Vizepräsident des Oberlandesgerichts und spricht als Justizvereins-Chef für etwa 600 von 900 Hamburger Richtern und Staatsanwälten.

Anläßlich der Verleihung des Emil-von-Sauer-Preises, von der Hamburger Anwaltschaft traditionsgemäß für besondere Verdienste um die Juristerei vergeben, hatte Hoffmann-Riem die Diener Justitias an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen und sowohl die richterliche Unabhängigkeit als auch die frei zu wählenden Arbeitszeiten zur Diskussion gestellt. Die WELT stellte die kritischen Ausführungen des Rechtsprofessors in zehn Thesen zusammen.

Die Lektüre löste gestern Wirbel in der Justizbehörde und in den Gerichten aus. Gehört hatten viele schon von der umstrittenen Rede des Ex-Senators, aber gelesen hatten sie noch nicht alle. Hoffmann-Riems Manuskript ist gestern zum meistkopierten und meistgefragten Papier in Hamburgs Justizstuben geworden.

Dies gilt auch für die Umgebung von Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD), einst selbst Richterin Hamburg. Über ihre Sprecherin ließ die Senatorin gestern sagen, sie wolle sich aus politischen Gründen nicht an der Diskussion um Hoffmann-Riems Thesen beteiligen.

Steht die richterliche Unabhängigkeit wirklich Reformen in der Justiz im Wege? "Diese Unabhängigkeit", formulierte Monika Rolf-Schoderer, Vorstandsmitglied im Richterverein, gestern, "ist kein persönliches Privileg, sie dient allein dem rechtsuchenden Bürger." Monika Rolf-Schoderer ist Präsidialrichterin am Oberlandesgericht. Die Justiz habe wiederholt Erkenntnisse von Unternehmensberatern in den Arbeitsabläufen umgesetzt. Wie zum Beispiel Untersuchungsergebnisse der Firma Kienbaum.

Mißbrauchen Richter ihre Freiheit, daß sie keine festen Dienstzeiten haben, sondern kommen und gehen können, wann sie wollen? "Präsenzpflicht und Faulheit, was oft behauptet wird, haben nichts miteinander zu tun", sagt Heiko Raabe. "Wenn Richter ihre Arbeitszeit frei gestalten können, dann führt das zu höherer Effektivität. Richter und Staatsanwälte arbeiten durchweg mehr, als das in einer festgelegten Arbeit möglich wäre. Die Erledigungsquote liegt gerade in Hamburg auf hohem Niveau.

Arbeitet Justitias Bodenpersonal kostenbewußt? Dazu Richtervereins-Chef Raabe: "Die Gerichte haben jetzt schon Budgets und tun alles, um Kosten zu sparen."

Gibt es kurzen Prozeß, um die Verfahren nicht zu teuer zu machen? "Auf keinen Fall", so Monika Rolf-Schoderer. "Es kann nicht sein, daß wir nur fünf Zeugen hören, weil kein Geld da ist, wenn zehn für eine Entscheidung erforderlich sind. Das wäre ein Eingriff in unsere Unabhängigkeit."

Hamburgs Richterschaft ist also viel besser als ihr Ruf? "Deutlich besser", betont Heiko Raabe. "Es gibt aber auch bei uns noch viel zu tun."


Schreiben Prof. Dr. Wolfgang Hoffmann-Riems vom 15.06.1998 an die
Gerichtspräsidenten

Im Hamburgteil der Tageszeitung "Die Welt" haben sich jüngst zwei Artikel mit meiner Rede anläßlich der Überreichung des Emil-von-Sauer-Preises beschäftigt. Beide Artikel sind voller Unrichtigkeiten.

Mir liegt an der Klarstellung, daß ich meine Rede nicht als Justizschelte verstanden habe. Auch hat sie keine "zehn Thesen" gegen Hamburgs Richter enthalten, wie eine der Überschriften suggeriert. Ich habe insbesondere an keiner Stelle gesagt, die Richterschaft zeichne sich durch Bequemlichkeit, mangelnde Professionalität oder Reform-Unlust aus, wie aber behauptet wird. Vielmehr habe ich eine kritische Grundsatzrede über strukturelle Voraussetzungen von Unabhängigkeit gehalten, und zwar in vergleichender Betrachtung der Unabhängigkeit der Hochschullehrer, Rechtsanwälte, Journalisten und Richter. In diesem Zusammenhang habe ich über mögliche Fehlverständnisse des Privilegs der Unabhängigkeit gesprochen. Als ein Beispiel hat mir die Argumentation des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung zur Präsenzpflicht von Richtern gedient; übrigens habe ich nicht das Ergebnis, sondern nur die Art der Argumentation kritisiert. In der Sache habe ich mich sogar ausdrücklich gegen feste Dienstzeiten der Richter ausgesprochen. Völlig aus der Luft gegriffen ist es, wenn der Eindruck erweckt wird, ich hätte den Richtern gar Faulheit oder Reform-Unlust vorgeworfen. Davon handelt meine Rede an keiner Stelle. Sie beschäftigt sich auch nicht mit den Kosten von Verfahren, erst recht enthält sie nicht die Aussage, die Richter würden "kurzen Prozeß machen".

Der Autor hatte mich vor seinem ersten Artikel angerufen. Dabei hatte ich bemerkt, daß er meine Rede durchgängig mißverstanden hatte. Ich hatte versucht, ihn auf Mißverständnisse hinzuweisen. Das hat offenbar nicht hinreichend gefruchtet.

Der Autor des Artikels hat meiner Rede nicht nur einen unrichtigen Akzent gegeben. Er hat auch nicht meine persönlichen Überzeugungen getroffen. Ich habe in meiner Zeit als Justizsenator gern mit der Hamburger Justiz zusammengearbeitet und keinen Anlaß zur Justizschelte gehabt. Ich habe mich von dem hohen Einsatz der Justiz bei der Bewältigung der immer größer werdenden Aufgaben überzeugt und mit besonderer Freude gesehen, daß die Hamburger Justiz sich auf das schwierige Projekt der Reform der Justizverwaltung eingelassen hat. Sie ist damit auf dem besten Weg, den nicht nur von mir kritisierten Befund noch nicht optimaler Strukturen der jeweiligen Organisationen und im Organisationsverbund mit der Justizbehörde zu bereinigen. In meiner Rede habe ich einzelne Defizite, die aus meiner Sicht z.T. noch bestehen, bezeichnet, aber zugleich zu begründen versucht, daß die insoweit laufende Reform nicht mit dem auch von mir hochgeachteten Postulat richterlicher Unabhängigkeit kollidiert.

Wolfgang Hoffmann-Riem