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Neun Monate "Hier und Jetzt":
Das Mahnmal

I.

"... die Ästhetik des Gebäudes ist an empfindlicher Stelle gestört. Die ... Mittelachse wird ihm geraubt ..., durch das Mahnmal. ... Es muß irritieren, anstoßen und ... stören. Die Betonmauer provoziert. ... Die dem Oberlandesgericht zugewandte kühle Betonmauer mutet sich allen zu, die dort arbeiten, das Gericht aufsuchen oder auch nur neugierig vorbeischauen. Die Wand ist ein Stein des Anstoßes ...".

So Prof. Hoffmann-Riem am 1. Oktober 1997 (vgl. MHR 4/1997 S. 18 ff.). Das Zitierte ist, wie offensichtlich, aus dem Kontext gerissen - einem Zusammenhang, auf den zurückzukommen sein wird. Aber zunächst einmal kann man den damaligen Befund nur bestätigen, zumal nach neun Monaten des Augenscheins im Wechsel der Jahreszeiten:

Wer von den Wallanlagen zum Portal des OLG blickt, dem springt die Betonwand mit ihrer bildhaften bunten Glanzseite ins Auge: wie eine große Hamburg-Werbung, der man andernorts durchaus etwas hätte abgewinnen können, die hier aber, als Fremdkörper und Barriere, die natürliche Sichtachse zerbricht. Wie zutreffend angemerkt: eine Zumutung. Vom Portal des OLG prallt das Auge gegen die nackte, dunkle Betonwand mit der Jahreszahl "1933", statt - einem eingewurzelten Hang folgend - über die Wallanlagen zum Brahmsplatz zu schweifen: Ästhetisch und zugleich für den normalen Lebensvollzug: das sinnliche Ein- und Ausatmen (dessen Organ diesmal nicht die Lunge, sondern das Auge ist) eine Katastrophe. Ist Katastrophe übertrieben? Vermutlich insofern, als der Mensch früher oder später abstumpft und Objekte, die ihn stören, zu ignorieren lernt und an ihnen einfach vorbeitrottet - ein Habitus, der sich allerdings ehedem: angesichts der kleinen schäbig-schiefbeinigen Tafel (vgl. Bertram MHR 1/1997 S. 5), viel leichter einschleifen konnte.

Überflüssig, dies auszubreiten und fortzuspinnen: Der Initiator des Mahnmals besteht, wie gesagt, selbst darauf, daß eine Kritik solcher Art an sich durchaus berechtigt sei - oder berechtigt wäre, wenn ..., ja wenn nicht der besondere Zweck der Wand und ihres Ensembles, also der hier maßgebende geistige, politische und moralische Gesamtzusammenhang einer solchen (sozusagen vordergründig normalen) Betrachtung ihr Recht entzöge und den Weg zu einem anderen: korrekteren Verständnis wiese.

II.

Das Mahnmal soll die Erinnerung daran wachhalten und verlebendigen, daß in den zwölf Jahren des NS-Regimes auch die Hamburger Justiz in beschämender Weise sich in Terror und Willkür hat einbinden lassen. Taugt es dafür?

Vielleicht sollte man versuchen, auch diese Frage zunächst ganz praktisch, d.h. empirisch zu beantworten: Wirkt es denn rein tatsächlich psychologisch dahin, im Betrachter die Erinnerung, die Beschäftigung mit dem gedachten Thema oder die Reflexion darüber anzuregen? Das ist vermutlich zu verneinen. Ich habe zwar (sowenig wie sonst jemand) Umfrage gehalten. Aber alle Stimmen, die inzwischen an mein Ohr geschlagen sind, bestätigen meine Skepsis: Die Leute scheinen sich über die ihnen vor die Nase gesetzte Mauer einfach zu ärgern - und damit basta.

Aber - und jetzt erst kommen wir ins tiefere Wasser: - dürfen die es denn beim Ärger (den sie zunächst ja auch verspüren sollen!) bewenden lassen? Überhören und ignorieren sie damit nicht die Botschaft von "Hier + Jetzt", über die sich bei Prof. Hoffmann-Riem manches findet? Ich will über seine (und Gloria Friedmanns) Interpretation nicht streiten oder rechten? Wer die Dinge jedenfalls auf Anhieb so nicht verstanden hat, nimmt die Deutung gern zur Kenntnis und zieht sie in Betracht. Das tut der denkende Mensch ja auch sonst: Auf der documenta z.B. oder seit unlängst in der Hamburger Galerie der Gegenwart kann man erfahren und lernen, wie sich Objekte und Werke erläutern und deuten lassen. Aber dem Betrachter bleibt dort frei zuzustimmen oder abzulehnen. Hier aber scheint es anders zu sein, und just dies verdient alle Aufmerksamkeit: Während dem Dissidenten auf der documenta allenfalls der Kunstverstand abgesprochen wird (was sich verschmerzen läßt), steht hier nicht weniger als der Ruf moralisch - politischer Rechtschaffenheit auf dem Spiel:

"... Sollte die Justiz nicht die Kraft haben, die Erinnerung pflegend (scil.: hier insbesondere durch Blumen- und Pflanzenpflege) zu erhalten - woher sollten wir dann die Zuversicht nehmen, sie könnte das sehr viel Schwierigere leisten, den Rechtsstaat pflegend zu bewahren?" (Prof. Hoffmann-Riem a.a.O.).

Über die Intoleranz, welche diesen bemerkenswerten Schluß a minori ad maius durchtränkt, sollte man eigentlich baß erstaunen - eigentlich: Denn faktisch dürfte es jedem, der Ohren hat zu hören und Augen zu sehen, geläufig sein, daß in der deutschen NS-Bewältigung Rückgriffe auf solch’ subtile Drohmuster nicht selten sind. Widerspruch wird schnell als Indiz für reaktionäre Gesinnung, Unbelehrbarkeit und dergleichen unter Verdacht gesetzt:

Wer hier dem Mahnmal seine Zustimmung auch letztlich versagt, zeigt damit, daß er aus dem schlimmen Sündenfall seines Berufsstands nichts gelernt hat, der Opfer nicht gedenken will und deshalb als Diener des Rechtsstaats auch heute von nur dubioser Tauglichkeit ist.

Damit wäre der Anfang vom Ende jedes unbefangenen Diskurses eingeläutet. György Konrad (Präsident der Berliner Akademie der Künste) hat sich unlängst die Freiheit genommen, im Berliner Mahnmalsstreit die Rücksichtslosigkeit und didaktische Gnadenlosigkeit der dortigen Entwürfe zu geißeln und die rhetorische Ausbeutung des Naziterrors zur Legitimation das Publikum abschreckender, unverständlicher Denkmale kritisch unter die Lupe zu nehmen (vgl. FAZ vom 26. November 1997), was man ihm als Juden und Naziopfer wohl oder übel durchgehen ließ.

III.

Ich gerade ungern in den Geruch der Rechthaberei, halte aber immer noch für richtig, was ich unter Denkmal und Gedenken in den MHR 1/1997 nach reiflicher Überlegung zu Papier gebracht hatte: Erinnerung ist ein freier, geistiger Akt. Er läßt sich wohl anregen, begleiten, vertiefen und erweitern - auch auf Gegenstände und Themen, die heutigen Generationen ferner liegen als einer früheren. Aber sie läßt sich nicht schuhriegeln, erzwingen oder dekretieren. Über Wege, die dem geistigen Akt kommensurabel und förderlich sind, hatte ich mich geäußert. Auch Mahnmale und Gedenkstätten mögen hier (wenngleich, wie ich finde, erst in zweiter Linie) in Betracht kommen. Auch dafür gibt es gelungene Beispiele - erschütternde, bewegende, nachdenklich stimmende Gestaltungen, Kunstwerke (um mit Karin Wiedemann: MHR 1/1997 S. 7 zu reden), die unser Gedenken tragen können. Die vor dem Oberlandesgericht gezogene Querwand, fürchte ich, ist durchaus ungeeignet, diese seelisch lebendige Beziehung zwischen Betrachter und Thema zu knüpfen ; und über den Versuch, eine solche nach der Maxime "friß Vogel oder stirb!" zu verordnen, wäre jedes Wort schon eines zuviel.

IV.

Oder irre ich über das entscheidende Motiv der Aktion? Lag es vielleicht weniger im Geistigen als in purer Demonstration: Das Mahnmal als Beweis von Tatkraft, Entscheidungsfähigkeit und politischem Instinkt? Diese Leistungsparameter stehen schließlich hoch im Kurs.

"In gut zehn Jahren mögen die Hamburger entscheiden, ob der Glanz weg ist, ob sie ein neues Bild von sich haben wollen" (Prof. Hoffmann-Riem in MHR 4/1997 S. 20). Diese Wahlfreiheit betrifft indessen nicht die Mauer selbst, sondern nur das ihrer Südseite aufgewallte Bild.

"Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür", fragen die Frauen in Markus 16 Vs. 3. Damals soll bekanntlich ein Engel vom Himmel herabgestiegen sein, den Stein fortzurollen. Das wird sich bei der Hamburger Mauer gewiß nicht noch einmal ereignen. ...

Günter Bertram