(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 2/98) < home RiV >
Justiz unter grauem Himmel
Aus Anlaß der Mitgliederversammlung des Hamburgischen Richtervereins am 15. April 1998 beleuchtete der Vorsitzende Heiko Raabe die aktuelle Lage in einführenden Worten, die wir hier - lediglich aus Platzgründen stark gekürzt - wiedergeben:
Der Himmel ist in Hamburg grau verhangen. Dies gilt auch für die Justiz, Gerichte und Staatsanwaltschaften - jedenfalls wenn es um das geht, was mit Begriffen wie Sparen und Konsolidierung umschrieben wird. Klagelieder über Sparmaßnahmen und deren Folgen sind nicht sonderlich originell. ... Den Zusammenbruch der Justiz zu beschwören, war ich nie bereit und möchte auch hier und heute nicht in dieses Lied einstimmen. Dennoch soll klar, unmißverständlich und unaufgeregt zu Protokoll gegeben werden: die beschlossenen Konsolidierungsmaßnahmen werden Leistungsdefizite, zum Teil deutliche Leistungsdefizite der Justiz nach sich ziehen. Sie bedeuten z.B. für das Oberlandesgericht die Schließung mindestens eines Senats, für das Landgericht die Auflösung von zwei bis drei Kammern, für die Staatsanwaltschaft eine solche von drei Abteilungen mit Unterbau und für das Amtsgericht, daß rein rechnerisch etwa zweimal das Amtsgericht Hamburg-Blankenese eingespart werden müßte. Die Realisierung dieser Vorgaben kann ich mir schon stellentechnisch kaum vorstellen. Im übrigen: wo soll dies enden, wenn man hört, daß zumindest für das Folgejahr 2000 weitere Sparmaßnahmen in gleicher Größenordnung erforderlich sein werden und wenn wir uns vor Augen halten, daß wir bereits massive Schlankheitskuren in den letzten Jahren hinter uns gebracht haben - und das alles bei gleichbleibendem Aufgabenkatalog. ... Fehler und Mängel der justitiellen Leistungen sind ganz zwangsläufige Folge, geradezu unvermeidbar. Sie treten ... in allen Bereichen, also flächendeckend auf - auch im Strafverfahren. Denn bei Sparmaßnahmen gibt es keine Schonbereiche. Die Leitungen der Gerichte und Staatsanwaltschaften und die Präsidien haben für eine gleichmäßige Auslastung zu sorgen, für eine gleichmäßige Verteilung der Defizite. Alle vom Gesetzgeber den Gerichten und den Staatsanwaltschaften übertragenen Aufgaben sind gleich viel wert und in gleichem Maße wichtig. Es steht uns nicht zu, insofern zu gewichten, auszusondern oder Prioritäten zu bilden. Hier mag - so er’s will - der Gesetzgeber aktiv werden. ...
Zum Stellenwert einer funktionsfähigen Justiz ... nenne ich nur die Schlagworte: "Wirtschaftsstandort Hamburg" und "Innere Sicherheit". Erwähnen möchte ich jedoch einen Vortrag, den ich jüngst vor Vertretern von Banken und Genossenschaften über Probleme der Justiz gehalten habe. In der anschließenden Diskussion habe ich vieles über die Justiz mir anhören dürfen und müssen und beileibe nicht nur Schmeichelhaftes. In einem Punkt bestand allerdings Einigkeit: alle hätten ... das Gefühl und das Bewußtsein, daß es in diesem Staat jedenfalls noch eine von politischen Einflüssen freie Instanz gebe, an die man sich wenden könne, wenn denn nichts anderes mehr gehe. Also auch die, die ansonsten mit Justiz nichts zu tun haben oder zu tun haben wollen. Dieses Bewußtsein gehöre zum essentiellen Inventar des Rechtsstaats. Nähme es Schaden, gehe es mit diesem Rechtsstaat den Bach runter, erodiere er. ....
Die Sparmaßnahmen werden politisch entschieden. Es wird viel über Schwerpunktbildung und Rasenmähermethode geredet. ... Die Entscheidungen sind auch alles andere als leicht. So kann ich z.B. ... angesichts des Zustandes unserer Schulen Sparmaßnahmen im Schulbereich überhaupt nicht akzeptieren; - dort geht es schließlich um Investitionen für die Zukunft. Auch stellt sich für mich - jedenfalls z.Zt. - noch nicht die von vielen als delikat empfundene Alternative: funktionsfähige Staatsoper oder funktionsfähige Justiz. Dabei darf nur zur Illustration darauf hingewiesen werden: Käme es zum Schwur - und das sage ich als begeisterter Operngänger -, wäre für mich eine funktionsfähige Justiz wichtiger als eine funktionsfähige Oper. Und am Rande und nur, um die unterschiedliche Struktur einmal deutlich zu machen: eine Staatsoper kann eine Neuinszenierung vom Spielplan absetzen. Diese Möglichkeit haben wir nicht, wobei wir auf manche Inszenierungen, die uns einbeschert werden, gut und gerne verzichten könnten aber nicht dürfen. ...
Wir sind auch in jüngster Zeit Angriffen und Verdächtigungen ausgesetzt gewesen. So wird uns - auch von höchster Stelle - vorgeworfen, wir seien nicht reformfähig, bzw. reformunwillig, die richterliche Unabhängigkeit verhindere Reformen. Diese Vorwürfe kommen immer wenig konkret, diffus, sehr pauschal - jedenfalls nicht nachprüfbar - daher. Ich habe dazu Stellung genommen. ... Antworten, Begründungen, Argumente sind nicht gekommen. Im Sinne eines seriösen Umgangs miteinander bin ich nunmehr der Auffassung, daß derartige Pauschalverunglimpfungen nicht mehr ernst
genommen werden können, es sei denn, es werden endlich Roß und Reiter genannt. Alles andere sind Ablenkungsmanöver. ...
Ein Ärgernis besonderer Art hat uns in den letzten Tagen unser ehemaliger Justizsenator einbeschert - unter Umständen nicht gewollt und unbewußt, das vermag ich nicht zu beurteilen, jedenfalls hat er eine Vorlage gegeben. In seiner Rede anläßlich der Verleihung des Emil-von-Sauer-Preises kam er, wie ich meine, ohne Not auf Arbeitszeiten der Richter zu sprechen - ohne Not, da Herr Hoffmann-Riem selbst die Arbeitszeit für einen verfehlten Ansatz der Leistungsbeurteilung hält: es kommt eben nicht auf investierte Zeit, sondern auf erzielte Ergebnisse, also auf Leistung an: also weg von einer inputorientierten Betrachtungsweise. Prompt mußten wir am nächsten Tag in der Presse das Stichwort "fauler Richter" lesen. Wir haben diese unsägliche Diskussion vor einigen Jahren führen müssen und möchten sie nicht wiedereröffnen. Dennoch rein vorsorglich und unmißverständlich: Ich halte diese Redereien - die im übrigen nicht von Herrn Hoffmann-Riem stammen - für ehrabschneidend und - um es gleich einmal ganz deutlich zu sagen - für eine bodenlose Unverschämtheit.
Mögen doch die, die mit solchen Äußerungen recht flapsig und oberflächlich daherkommen, einmal einen komplexen Strafprozeß unter schwierigsten Rahmenbedingungen und unter sorgfältiger Beobachtung durch Öffentlichkeit und Medien leiten und zum Abschluß bringen. Mögen sie doch einmal einen mehrere Bände umfassenden Bauprozeß mit diversen Mängeln und kompliziertesten Rechtsproblemen entscheiden. Mögen sie doch einmal eine hochstreitige Ehescheidung mit allen Folgeproblemen durchführen. Da hilft dann kein Schwadronieren, kein verbales Darüberhinwegwischen. Da ist vielmehr harte und insbesondere professionelle Arbeit gefragt. Ich weiß, wovon ich spreche, war ich doch - und ich schätze mich deswegen glücklich - in allen Bereichen, sozusagen an allen Fronten der ordentlichen Gerichtsbarkeit richterlich tätig. Die Zeiten sind schwieriger geworden: Angeklagte und Verteidiger kämpfen mit allen rechtsstaatlich zu Gebote stehenden Mitteln um einen Freispruch - das ist ihr gutes Recht. Der Bürger ist gegenüber dem Staat und damit auch gegenüber der Justiz anspruchsvoller geworden. Er will es genau wissen, gegebenenfalls durch mehrere Instanzen. Auch das ist sein gutes Recht. Das erfordert aber von dem Richter eine hohe Professionalität und ist im Einzelfall sehr, sehr zeitaufwendig. ...
Ich möchte es positiv wenden: Ich lade jeden von Ihnen - aus Politik, von den Medien und den anderen gesellschaftlichen Bereichen - ein, uns zu besuchen. Ich sichere in jedem Einzelfall persönliche Betreuung zu. Sehen Sie sich an, was Gerichte und Staatsanwaltschaften in der Organisation bereits geleistet haben, was im Werden und was in der Planung ist. Formulieren Sie konkret Ihre Vorstellungen und Wünsche und - insbesondere - diskutieren Sie mit uns. Und zu dieser Diskussion gehört dann selbstverständlich und ganz zweifelsohne die Frage, wo stehen wir - auch Richter und Staatsanwälte - in der Pflicht, um glaubwürdig zu bleiben, was können wir mit eigenen Bordmitteln ändern und verbessern. Dazu gehört aber auch die Frage, in welchen Bereichen die Verantwortlichkeit außerhalb der Justiz liegt: z.B. Besoldungs- und Tarifrecht, Justizfachangestelltenausbildung, die nun wohl doch endlich kommen wird, Bezahlung von Investitionen usw. usf. Und wir werden auf den Rechtsstaat zu sprechen kommen, der zu einem hypertrophen Rechts- und Rechtswegestaat mutiert ist. Wir müssen uns besinnen auf die notwendigen Grundlagen eines Rechtsstaats. Ein Rechtsstaat kann und darf kein staatlich verordnetes Beschäftigungsprogramm sein. Es gehört zu den Delikatessen, aber auch zu den Wahrheiten, daß die, die uns das Geld zuteilen, gleichzeitig unsere Aufgaben definieren - das sage ich wohlwissend, daß es zwischen Bund und Ländern unterschiedliche Zuständigkeiten gibt. Aber im Sinne des groben Rasters der Gewaltenteilung ist diese Aussage zutreffend. Die Parlamente, nicht wir, sitzen an beiden Schrauben - an der Geldschraube und an der Aufgabenschraube. Aufgabenkritik in Richtung Justiz haben die Parlamente zu leisten - wir können nur Anregungen geben, haben diese in der Vergangenheit in bunter Vielzahl unterbreitet (regelmäßig ohne Folgen) und werden bei diesem Thema auch weiterhin gern assistieren und mit Rat und Tat den Parlamenten zur Seite stehen. ...
Politiker verkünden Sparmaßnahmen und reden von dem Gürtel, der enger geschnallt werden muß. Kommt es dann konkret zu Mängeln und Defiziten, wird es in der politischen Szene deutlich ruhiger. Und sind diese Defizite gar schmerzhaft und für die Bevölkerung deutlich spürbar, hört man von einem enger zu schnallenden Gürtel überhaupt nichts mehr. Es folgen dann die Schuldzuweisungen von der Politik weg in andere Richtungen. Dieses Verfahren ist nicht akzeptabel. Ein Politiker darf nicht nur selektiv Verantwortung übernehmen, sondern trägt eine Schönwetter- und ein Schlechtwetter-Verantwortung.
Zur richterlichen Unabhängigkeit: Ich sehe sie durch Maßnahmen der Dienstaufsicht weiß Gott nicht in Gefahr - in Hamburg schon gar nicht. Sie wird in anderen Bundesländern - wie ich immer wieder höre - wesentlich deutlicher ausgeübt (Stichwort: Geschäftsprüfung). Ich sehe eher Gefahren in dem Dreieck Budget/Konsolidierung/Kostendruck. Im übrigen hoffe ich, daß bei deutlich härteren Rahmenbedingungen als wir sie heute haben, die Richter dann auch von ihrer Unabhängigkeit Gebrauch machen und nicht abducken, Mut beweisen, sich nicht anpassen, im besten Sinne standhaft sind. Und zur Meinungsfreiheit und Meinungsäußerung: Ich wünschte mir, daß Meinungen weniger hinter vorgehaltener Hand, in den Amtsstuben und im gesicherten Kantinenkreis als vielmehr in öffentlicher Rede präsentiert würden. ...
Intern sollen wir streiten. Wir brauchen aber über alle Meinungsunterschiede hinweg nach außen hin dringend den Schulterschluß. Wir haben schwere Zeiten, und sie werden noch sehr viel schwerer - und wir haben kaum Freunde und Verbündete. Nichts erfreut unsere Kritiker so sehr, wie wenn wir aufeinander eindreschen. Das erleichtert ihre Arbeit. Also: intern um die bessere, überzeugendere Sicht und Meinung streiten, nach außen hin gemeinsam für die Justiz und ihre Grundlagen kämpfen. ...
Heiko Raabe