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Günter Bertram:

(Fast) 40 Jahre

Ich will die knappe Zeit, die mir nach so vielen guten Worten bleibt, nicht mit Reden darüber vertun, daß und inwiefern Sie mich mit wahrlich übertriebenem Lob und Lorbeer überschüttet haben. Ich möchte mich darauf beschränken, Ihnen allen für Ihr Kommen zu danken, dabei aber doch Ihnen, Frau Görres-Ohde, Herrn Dr. Manasse, Herrn Dr. Makowka, Frau Wiedemann und Herrn Backen, die Sie hier das Wort ergriffen, und den Wachtmeistern und Wachtmeisterinnen, die Sie mich so reizend mit Rosen bedacht haben, zu danken: für die so überaus günstige Nachrede, die Sie über mich geführt haben. Wenn Sie mich von meiner eigenen Vortrefflichkeit auch nicht überzeugen konnten, so haben Sie mich doch tief gerührt: Durch Ihre so liebevoll und mit mich geradezu beschämender Überschwenglichkeit in Worte gefaßten Sympathie. Sympathie, in Gemeinschaft und täglicher Kollegialität entstanden, ist ja der Stoff, aus dem die zahllosen treuen Bande geknüpft sind, die dem Leben und Treiben in unserem scheinbar so nüchternen Amt Farbe, Tiefe und Wärme geben, welche auch durch die Pensionierung nicht zerrissen werden. Die nicht zerrissen werden, sich aber dennoch - unausweichlich ! - wandeln, umfärben und bald locker werden. Das zu bezweifeln, wäre frommer Selbstbetrug, nahegelegt durch die Stimmung, von der die Stunde der Trennung nun einmal durchwirkt ist. Ich will nicht leugnen, daß diese Einsicht heute zugleich ein Wermutstropfen in meinem Glase ist.

Bitte, nehmen Sie - Sie alle! - dies als Kompliment und Huldigung meinerseits an Sie, statt vieler Dankesworte !

1. Die Richterrobe, die ich heute - nach fast 4o Jahren - an den Nagel hänge, ist verschlissen und besteht, nüchtern betrachtet, eigentlich in nicht mehr als einem Fetzen Spinnstoff und wird deshalb - wenn sie nicht noch als Kinder - Mummenschanz Liebhaber findet - irgendwann in einer Recylingtonne enden: Kein Erbstück also, kein Vermächtnis! - Die Richterrobe als Vermächtnis: In einem übertragenen Sinne wäre das vielleicht kein schlechtes - ein sogar lohnendes Thema. Aber dazu ( wenn Sie überhaupt solange durchhalten) später ! -

2. Als ich die Robe anzog - 1961 - war kalter Krieg.

So ganz selbstverständlich schien es damals nicht, daß es bei ihm sein Bewenden behalten sollte: Im WS 1958 hörte ich als Referendar in Speyer den brillanten Rußlandkenner Klaus Mehnert. Er sprach zur aktuellen Lage, die im Zeichen des Chruscht-schow’schen Berlin-Ultimatums stand, und schloß mit der düsteren Prognose, vielleicht würden die Westmächte dem Druck nicht standhalten (immerhin hatte auch der SPIEGEL damals seinen Lesern vorgerechnet, eine Verlegung Westberlins in die Lüneburger Heide käme billiger als ein Konflikt nur wegen Berlins), und Mehnert empfahl seinen Hörern menschlichen Anstand auch unter sowjetischer Besatzung ....

Aber der Krieg blieb kalt (Ulbricht löste sein Flüchtlingsproblem bekanntlich anders), und das Hamburger Verwaltungsgericht, bei dem ich zunächst als Assessor landete, hatte sich mit gewissen Folgen der politischen Lage zu befassen: Den Klagen von Ostzonenflüchtlingen auf Erteilung des sog. C.-Scheins (der politische Fluchtgründe voraussetzte), und dem Verlangen von Wehrdienstverweigerern auf Anerkennung ihrer Gewissensgründe, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Nebenher - das ging schon auf Referendarszeiten zurück, als H.H. Ruths noch "Referendarvater" war - hatte ich mich daran beteiligt, Referendar- und Assessorengruppen, ehe sie nach Berlin reisten, zu indoktrinieren (wie wir selbstironisch zu sagen pflegten), sie also zu "impfen" mit DIAMAT, HISTOMAT, Politökonomie, Lenins Strategie & Taktik udgl., womit ich mich schon als Student im Arbeitskreis Ost der Univ. Hamburg abgegeben hatte (zu dessen Referentenstamm, um Ihnen einen bekannteren Namen als den meinen zu nennen, auch der Student/Referendar H.-U. Klose gehörte (HISTOMAT - auch Strategie und Taktik). Ich fand das alles viel aufregender als das eigentliche Referendariat, wofür ich bei meinem Ausbilder Direktor Hardraht viel Verständnis fand, der deshalb für gelegentliche Defizite in der Beklagtenstation ein Zitat aus dem Vorwort zur Kritik der Politischen Ökonomie von 1859 als Ausgleich in Zahlung nahm.

3. Vom Verwaltungsgericht führte mich der Weg 1962 zum Landgericht: in die neu gegründete Zivilkammer 25 mit ihrer frisch bestellten Direktorin Käthe Manasse. Zu ihr - auch über den Einfluß, den die Begegnung mit beiden Manasses auf meinen "geistigen Haushalt gewonnen hat - müßte ich mehr sagen, als es die Zeit erlaubt. 1994, anläßlich ihres Todes, habe ich im Mitteilungsblatt eine Würdigung meiner alten Direktorin versucht und das, was ich heute zu sagen hätte, jedenfalls angedeutet.

Diese persönliche Verbindung, der ich weitere Namen anfügen müßte (wie Fritz Valentin, Kurt Rosenow u.a.), hat mich auch bestätigt und bestärkt in meiner Aversion gegen eine Mode, für die man erst viel später das passende (zunächst durchaus ironische) Etikett aus Amerika importieren sollte: polical correctness, deren Ursprung nicht im Ethos, sondern der Angst liegt, wegen öffentlich verpönter Worte an den Tugendpranger gestellt zu werden.

4. Lassen sie mich eine Frage streifen, über die wir uns ( im Freundeskreis ) damals die Köpfe heiß geredet hatten:

Muß, wer (wie wir) herumkritisiert, nicht eigentlich zur Mitarbeit auch in einer politischen Partei bereit sein und dort seine Haut für vermeintlich klügere Einsichten zu Markte tragen? Ich fand dies - letztendlich - durchaus plausibel:

Meine Neigung galt (1965: kurz vor der großen Koalititon) der SPD:

Die CDU hatte lange genug - mein Gott: 6 Jahre schon! - regiert. Die SPD trug keine braun angefärbte Weste: Sie hatte, glücklos zwar und lasch - aber im Gegensatz zu "den Bürgerlichen"! - den Nazis immerhin widerstrebt. Und sie hatte jetzt hervorragende Leute: die Riege ihrer Bürgermeister mit Reuther, Kaisen, Brauer, den bei uns als Innensenator bewährten H. Schmidt u.a..

Mein Richteramt störte mich dabei überhaupt nicht:

Die Geschichte selbst: die unrühmliche Rolle der Richterschaft nach 1918: ihre fatale Republikfeindschaft verlieh meinem Schritt ins Bergedorfer Kreisbüro der SPD so etwas wie höhere Weihen. Auch die politische Soziologie schien mir Recht zu geben: Die Bürgerlichen saßen ohnehin fast überall in allen Sätteln - ob mit oder ohne Parteibuch von CDU, FDP oder DP -, sozusagen seit Kaisers Zeiten. Wenn die Arbeiterschaft, in Gestalt der SPD, in den Ämtern und auch den Richterroben jetzt ein bißchen mehr Geltung und Einfluß verlangte, so war das im Grunde nur ein Versuch, historische Gerechtigkeit herzustellen. Warum sollte man ihr dabei nicht helfen dürfen ? (Daß diese Inanspruchnahme der Geschichte dem gleichen logischen Grundmuster folgt, mit dem viel später versucht wurde, die sog. "Gleichstellung" (nicht die Gleichberechti-
gung !
) zu rechtfertigen, zeigt die ungebrochene Vitalität dieser Rhetorik).

Mein Vater, damals hier Vizepräsident, machte, als ich ihm meinen Schritt beiläufig kundtat, ein etwas betretenes Gesicht, sagte aber wenig. Schließlich merkte ich aber doch, daß ihn die so scharfsinnig diskutierbare Prinzipienfrage nach der Kompatibilität von Richteramt und Parteifunktion (oder -mitgliedschaft ) nicht sonderlich bewegte. Seine Skrupel lagen anderswo und schienen mir im theoretischen Gehalt ein bißchen dürftig:

Der alte Vize fand nämlich, weil Hamburg - demokratisch vollkommen legitimerweise! - eine SPD - Stadt sei, dürfe schon die Verwaltung, erst recht aber die Justiz: die Richterschaft sich nicht auch noch dort anseilen oder anseilen lassen. Nach seinem Geschmack war es geboten, schon den blossen Verdacht des Opportunismus' - der Bedachtnahme auf Karrieredienlichkeit - peinlich zu meiden. Damals fehlte mir der Sinn für solcherlei Bedenklichkeiten und Skrupel; später sind mir allerdings doch noch vertiefte Einsichten zugewachsen.

Aus der SPD bin ich übrigens Anfang 1986 - nachdem ich den Parteikurs schon jahrelang aus vielen Gründen mißbilligt hatte, unter Hinterlassung eines langen Abschiedsbrief
(der vermutlich niemanden interessierte) wieder ausgetreten.

5. Zurück zum Landgericht: Sein damaliger Chef Dr.Clemens, der sich anläßlich seiner Präsidenten-Tees von Interessen und Neigungen seiner Richter einen Eindruck zu verschaffen suchte, sorgte dafür, daß ich nach meinen zivilistischen Zeiten in die GS 1 - die sog. politische - kam. Ihm war daran gelegen, daß in den damaligen Zeiten des kalten Krieges jedenfalls in Hamburg eine liberale politische Rechtsprechung gewährleistet blieb. Mein erster Vorsitzender dort - Siegfried Gees, ein katholischer Freigeist mit ausgeprägten Neigungen zu Literatur, Sarkasmus und Bonmot - starb sehr jung; ihm folgte Dr. Dr. Röhl ... die älteren Beisitzer waren zunächst v. Gerkan, dann Quellhorst. Ich war der Benjamin.

Politische Rechtsprechung: Das war z.B. die strafrechtliche Durchsetzung des KPD-Verbots von 1956, das mit ziemlich ausufernden Straftatbeständen verquickt war - ohne daß hier in Hamburg deshalb irgendjemanden der Kopf abgerissen worden wäre. Die Genossen wurden regelmäßig vom altgedienten kaiserlichen Rittmeister Dr. Curt Wessig verteidigt -; einem preußischen Kommunisten von Schrot und Korn: Soweit ich mich erinnere, erwuchs das meiste damals gleich in Rechtskraft...

Später - als wir auch in Hamburg mit..politischer Agitation und allerhand Firlefanz überschwemmt wurden, konnte man zuweilen den nostalgischen Seufzer vernehmen: was das doch für Zeiten gewesen seien - mit dem alten Wessig und den braven Kommunisten...

6. Gestatten Sie einen biographischen Zeitsprung:

3o Jahre später, nach manchen Umwegen und Wanderungen, fügte es das Schicksal - sagen wir nüchterner: das Präsidium ! - erneut, daß ich (nun als Vorsitzender) in der politischen Strafkammer saß. Aber wie hatte sich die Welt inzwischen geändert ! Die Sowjetunion war dabei, auseinanderzufallen, die SED trat ab und wurde unversehens zum Objekt einer neuen, mehr oder weniger glücklosen Vergangenheitsbewältigung.

Hier in Hamburg jedenfalls drehte es sich bald um PKK oder DevSol, den erbitterten Streit zwischen Türken und Kurden oder interne Schlachten verfeindeter Ausländerorganisationen, der hier auf deutschem Boden mit erbarmungsloser Gewalt ausgetragen wurden.

Gewiß gab auch eine gewisse Kontinuität: Die "Volksverhetzung" hatte uns schon 1967 (im Zusammenhang einer Verunglimpfung Prof. Weichmanns vgl. BGHSt 21, 371) beschäftigt, und 3o Jahre danach ging es dann um Garry Lauck und seinen NS-Kampfruf... Aber dies alles und die problematische Geschichte des § 13o StGB (Volksverhetzung ) ist jetzt ein zu weites Feld...

Da ich aus den Gleisen der Chronik herausgesprungen bin, lassen Sie mich aus der Spätzeit noch berichten, daß ich 1991 mit einer besonderen Vergangenheitsbewältigung betraut wurde: in Form der Mitarbeit im sog. Beirat des Schweriner Justizministers. Wir dort waren die Tauben des Aschenputtelmärchens: "Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen !": Ins Kröpfchen gestopft werden sollten die unverbesserlichen SED-Kader der alten Justiz, ins Töpfchen sozusagen die "Mitläufer und Unbelasteten". Uns plagten dabei einige Skrupel: Waren wir zu diesem Quasi -Richteramt denn legitimiert? Aber wer sonst sollte die - sachlich drängende ! - Aufgabe übernehmen ? Ob unsere Empfehlungen letztlich überhaupt Wirkungen gehabt haben und welche: das werden unsere Schweriner Kollegen besser als ich beurteilen können.

7. Aber zurück in die 60er und 70er Jahren:

Es war die Zeit der Hamburger NS-Prozesse, an denen von Ihnen, die Sie hier sitzen, nicht wenige beteiligt waren: als Staatsanwälte, Richter oder Verteidiger, im Protokoll, auf den Geschäftsstellen, als Wachtmeister oder - wie unser verdienter Herr Schell, einer der Kundigsten ! - als Rechtspfleger. Die Eröffnungskompetenz für die Schwurgerichte, die zu Perioden einberufen wurden, lag bei der GS 7 des späteren LGPräs Ehrhard. Das Schwurgericht war ein riesiger Laden: 3 Richter, 6 Geschworene nebst Ergänzungsrichtern und - Geschworenen .

Auch die GS 1 wurde zwecks Verhandlung eines NS-Falles zum Schwurgericht gemacht.... Der Fall war kein besonders großer, aber doch ein typischer - für mich unvergeßlich: Der Angeklagte -Rosenbaum -: ein schlichter Kleinbürger, auf seine Art pflichttreu, gehorsam und befehlsergeben bis zur Devotheit, von unanfechtbarer Privatmoral. Er wird durch die Umstände der Zeit: durch Drill, Schulung, Gewöhnung, Verführung und Verhetzung zum Massenmörder: Schuld und Schicksal!

8. Dann folgte ein Zwischenspiel als Untersuchungsrichter. Auch er ist - wie das Schwurgericht - heute nur noch eine Reminiszens für Prädikatsprüflinge. Damals mußte jeder schwurgerichtlichen Verfahrenseröffnung eine richterliche Voruntersuchung voraufgehen. Diese Prämisse nun konnte zum Nadelöhr werden, wenn bei der Staatsanwaltschaft viele Sachen liquide waren. So hier: Der Gang der Hamburger NS-Verfahren wurde in der Presse, zumal im Ausland, als schleppend kritisiert, und Simon Wiesenthal warf seinen langen Schatten über Drehbahn und Sievekingplatz. Peter Schulz war gerade Justizsenator geworden. Er begriff die politische Brisanz der Lage sofort: Der Stau mußte dringlich aufgelöst und dafür junge, aktive Richter für die Sachen gefunden werden. So erging die Zusage, Dienstleistung dieser Art könnten hinfort an die Stelle der sog. 3. Prüfung beim Strafsenat treten. Nicht wenige ergriffen diese Chance; ich selbst wurde 197o Herrn Plambecks Nachfolger als UR 2 für das sog. Riega-Verfahren...

9. NS - Verfahren wurden für mich auch später ein lebensbegleitendes Thema: 1972 erhielt ich als "Landgerichtsdirektor" - wie es damals noch hieß - den Vorsitz eines solchen SchwG.; und mit NSG-Prozessen - unterschiedlicher, im Kern aber erschreckend gleichförmiges Art - habe ich mich dann über 12 Jahre lang beschäftigt: Schwerste, massenhafte Verbrechen : graue, unauffällige, "normale" Täter; etwa vom Typ Rosenbaum .

Wie passen diese beiden Welten zusammen ? Man schluckt und würgt: Manche von Ihnen kennen diese Ratlosigkeit - in die jeder, ob Staatsanwalt, Richter oder Verteidiger, verfällt. Auch Historiker, die übrigens oft als Sachverständige herangezogen wurden, auch Philosophen und Soziologen haben sich die Köpfe zermartert:

"Ganz normale Männer" lautet das Fazit des amerikanischen Historikers Christopher Brovning nach gründlichem Studium Hamburger Prozeßakten über das Reserve-Polizeibataillon 101 (Sachbuch rororo 9968, 1993). Es sind übrigens die gleichen Akten, allerdings weniger gründlich gelesen und mit lautem Medienwirbel gedeutet, auf denen auch Daniel Goldhagen fußt ("Hitlers willige Vollstrecker").

Man sieht: Die Vergangenheit läßt uns nicht los!

10. Auch sonst rührten diese Verfahren an Grundfragen:

Für aufgeklärte Geister waren Schuld, Sühne und Vergeltung nur Metaphysik, unwissenschaftliche, unvernünftige Begriffe. Lediglich pragmatische Zwecke - diverse Spielarten von Prävention - ließen sie gelten.

Aber wer sehen konnte, kam nicht daran vorbei, daß es kaum einen einzigen NS-Täter gab, den man deshalb - oder gar zur Resozialisierung - ins Zuchthaus hätte schicken dürfen. Nichts als der Grundsatz von Schuld und Sühne konnte diese Verfahren begründen. Bemerkenswert jedoch, daß es oft die Vorkämpfer einer rein pragmatischen Lehre waren, die zugleich mit Nachdruck für die Durchführung von NS-Verfahren und schließlich auch gegen ihre Verjährbarkeit stritten. Ich entsinne mich des Versuchs, auf einem unserer Bierabende dem früheren Justizsenator U. Klug zu beweisen, daß man den einen oder den anderen Standpunkt vertreten könne, aber nicht - wie er ! - beide zugleich. Leider haben wir uns vor seinem Tode darüber nicht mehr verständigen können....

11. Anfang der 70er Jahre bin ich irgendwie an den sich gerade frisch gründenden FB 17: die einphasige Juristenausbildung geraten, in Lehre und Praxis. Das habe ich nie bereut:

Man macht sich heute vom Bildungsenthusiasmus schon der späten 6oer Jahre kaum noch eine Vorstellung. Ich habe damals als braver SPD-Soldat in solchen Ewigkeitsdebatten gesessen ( in denen meist die jungen Pädagogen das Wort führten). Auch die Juristenausbildung war in Gärung, auch in Hamburg. Wieder ein uferloses Thema, zu dem sich Freundliches, allerdings auch Kritisches sagen ließe ...

Ob ich - hier in Hamburg - mit meinen Beiträgen für je einzelne etwas Nützliches bewirkt habe, können nur diese selbst beurteilen. Daß aber jedenfalls ich dabei viel gelernt habe, das weiß ich; und für Anregungen, Gespräche und die Erweiterung des Horizonts, die mit allem vermacht war, bin ich heute noch dankbar.

12. Auch innenpolitisch waren es tolle Zeiten, die 70er:

Der Hamburger Andrawes - Prozeß und die publizisten Rückblenden auf das Jahr 1977 haben unlängst daran erinnert.

An zahlreichen Hochschulen schwelgten die studentischen Wortführer in marxistischen Phrasen; auch Professoren nahmen - aus Überzeugung oder Opportunismus - gelegentlich zum gleichen Vokabular ihre Zuflucht. Wände fand man mit kriegerischen Plakaten behängt, mit Parolen beschmiert: Die spätkapitalistische Gesellschaft wurde gerüttelt und geschüttelt, Vorlesungen bestreikt und gesprengt. Manch’ akademischer Lehrer ließ sie lieber gleich ausfallen oder verlegte sie ins private Grüne ....

Da ich auf die Nazizeit sozusagen beruflich trainiert war, trug ich die Frage mit mir herum, wie Leute, die sich jetzt kräftig rühmten, dem Faschismus so tapfer die Stirn zu bieten, sich wohl unter den damaligen Gewalten verhalten haben würden. Ich habe hundert Gründe für ein sehr skeptisches Urteil gefunden und an die bessere Moral des ganzen Protestbetriebs nie geglaubt (vgl. Fritz Valenthin am 26.6.67 im Haus am Schüberg: RiV.-Mi. 1/1983 S. 4 ff:
8 f ).

13. Kommen wir zu unserem Mitteilungsblatt:

In den Vorstand gelotst hatte mich - anno 1979 - Roland Makowka, wer auch sonst ? Ich wurde damit beauftragt, mich um das Vereinsblatt zu kümmern:

Es erschien damals unregelmäßig, wurde von Matrizze abgezogen, war grau und zuweilen etwas schwer zu entziffern. Das änderte sich 5 Jahre später (Heft 1/1985): Da erblickten die ersten MHR das Licht der Welt - eine Kreation von Frau Wiedemann, die sie nach und nach immer perfekter zu gestalten wußte.


Lieber Roland Makowka:

Mit Ihnen verbindet mich eine Zusammenarbeit von über 15 Jahren. Wie oft haben wir hier - da drüben ! - in Ihrem verqualmten Zimmer noch spät beisammengehockt und uns die Kopfe zerbrochen; Dann wurde geschrieben... : Sie haben - wie könnten Sie auch anders, es widerspräche Ihrer innersten Natur ! - die Redaktion niemals ängstlich zu bedrängen oder gar zu gängeln gesucht, was als Kompliment natürlich zugleich für den ganzen Vorstand gilt.

Und daß man selbst, als verantwortlicher Redakteur, ein solches Vertrauen durch verläßliche Loyalität zu erwidern sucht, ist eine selbstverständliche Anstandspflicht. Diese ungeschriebenen, bewährten Prinzipien haben Sie dem Richterverein als gute Tradition hinterlassen...

Ihnen, dem rastlosen Anreger, verdanke ich zahllose Anstöße und Ideen:

Das waren fruchtbare, bewegte und ertragreiche gemeinsame Zeiten, die ich nie und nimmer missen möchte!

 

Liebe Frau Wiedemann:

Bei Ihnen wird die Chefredaktion in kundiger und schon längst bewährter Hand liegen. Ich brauche es eigentlich nicht zu wiederholen: An meiner auch künftigen Mithilfe soll's nicht fehlen. Aber Kapitän - hier hat unsere Sprache ein Femininum nun wirklich nicht zur Hand, aber Sie scheinen vom inneren Zwang, linguistische Kunststücke vorzuturnen, Gott sei Dank ganz frei zu sein ! -, aber Kapitän sind jetzt Sie: Gute Weiterreise!

14. An Themen wird es dem Mitteilungsblatt nicht fehlen, denn der Zeitlauf selbst wird für immer Neues sorgen; beständig ist nur der Wechsel (übrigens auch in den hohen Ämtern: Im ersten Mitteilungsblatt d.J. 1977 (1/1977 S. 4 ) begrüßt der Vorsitzende Makowka Herrn Gerh. Moritz Meyer als den siebten Justizsenator; jetzt hätte Herr Raabe die neue/alte Senatorin schon mit der "14" bewillkommnen müssen... ).

Der Richterverein wird auch künftig klar und deutlich zu sprechen haben: Reformen und Änderungen unterstützend, wo sie geboten, fruchtbar und vernünftig sind ( wofür die Senatorin am Montag an dieser Stelle geworben hat). Er wird sich dabei aber auch die Freiheit bewahren müssen, zu widersprechen, wo ihm Widerspruch geboten scheint. So immer dann, wenn die Axt den Wurzeln einer unabhängigen Rechtsprechung zu nahe kommt. Die Autonomie der dritten Gewalt ist weder ein Standesprivileg der Richterschaft, noch zum persönlichen Luxus der Amtsverwalter geschaffen. Ohne Art. 97 GG wäre die Verfassung nicht mehr sie selbst.

Um es - rein spekulativ - auf mein altes Metier zuzuspitzen: Sobald der Gesetzgeber den § 244 StPO um einen Absatz 7 wie folgt ergänzt,

"Eine Beweiserhebung ist immer dann unzulässig, wenn ihre Kosten das Gerichtsbudget sprengen oder über Gebühr belasten würden",

dann könnte er mit dieser Novelle zugleich die Schließung der Strafgerichte verfügen und sie als Appendix - nämlich unselbständigen Anhang - dem Finanzressort zuschlagen... Wie gesagt: ein blosses Schauermärchen. Und doch wäre es vielleicht nicht unnütz, wenn die Gänse auf dem Kapitol nicht schliefen, sondern notfalls beizeiten anhüben zu schnattern ...

Ich muß es bei diesen - hingeworfenen - Sätzen belassen: Dem Mitteilungsblatt - viel mehr wollte ich nicht sagen ! - wird auch künftig der Stoff nicht ausgehen.

15. Ich freue mich, außer der Kollegenschaft Juristen sozusagen beider Sparten vor mir zu haben: Staatsanwälte und Rechtsanwälte, Strafverteidiger zumal:

Was alles verbindet mich doch mit Ihnen: sozusagen mit beiden Seiten meines alten Tresens ! Ich kann der Erinnerung nicht ihren Lauf lassen; die Zeit verbietet es.

Zur Anwaltschaft im besonderen gewandt, darf ich aber bemerken, daß ich Ihnen gegenüber nur alles wiederholen könnte, was Herr Makowka hier bei seinem Abschied, andere Kollegen zu ihrer Zeit und Herr Franke jetzt im November aus gleichem Anlaß gesagt und angestimmt haben: Ein Lob der Anwälte - um einen bekannten Titel umzukehren !

Nun will ich aber auch nicht kneifen und doch noch einen Stier sozusagen bei den Hörnern packen:

Über das leidige Thema "Konflikt-verteidigung" hat es hier 1997 ein Podium gegeben; darüber hatte ich selbst mich früher im juristischen Schrifttum verbreitet: Nicht auf Grund persönlicher Frustrationen, sondern in Kenntnis sonst gesicherter Befunde. Freilich muß man hier (wie auch sonst im Leben ) fairerweise die alte, dialogfördernde Erkenntnis hinzusetzen: "Peccatur extra et intra muros". Auf dieser Basis haben wir in der Justizbehörde schon wiederholt um runde Tische beisammen gesessen ...

Nun habe ich selbst doch noch, kurz vor Toresschluß, eine forensische Kontroverse sozusagen "einschlägiger Art" ausgefochten: "Ganz ohne Not!", sagten die einen; "die war längst fällig!", die anderen.

Wie es sich im gesitteten Rechtsstaat gehört, war es ein Strafsenat des Hans.OLG, der dann entschied:

Daß er dabei meine strittige Verfügung aufgehoben hat, will ich hier keineswegs verschweigen. Er hat dabei aber - was wohl doch gewichtiger ist als der individuelle Fall - an Grundsätze erinnert, die in Hamburg zwischen Anwaltschaft und Gericht ohnehin in selbstverständlicher Geltung stehen, deren rechtsförmige Verbriefung für einen kleinen Randbereich des forensischen Alltags sich aber vielleicht als segensreich erweisen könnte.

"Die Robe als Vermächtnis":

Ich will Ihnen darüber nun doch nichts mehr erzählen und kann darauf umso eher verzichten, als ich einiges von dem, was ich heute loswerden wollte, jetzt schon nebenher als Konterbande in meine - undiszipliniert hin- und herhüpfende ! - Biographie eingeschmuggelt hatte.

Nun muß ich den Schluß finden und zugleich den Übergang zu den kargen Genüssen, die in der anstoßenden Cafeteria Ihrer harren: immer noch oder jetzt nach den vielen Worten wieder. Denn so arg wie Christian Morgensterns Palmströhm möchte ich es mit Ihnen doch nicht treiben:

Korf und Palmströhm geben je ein Fest.

Dieser lädt die ganze Welt zu Gaste:

doch allein zum Zwecke, daß sie - faste!

einen Tag lang sich mit nichts belaste!

Und ein - Antihungersnotfonds ist der Rest...

Soviel altruistische Selbstkasteiung soll Ihnen jetzt nicht abverlangt werden, und für den Sonntagsklingelbeutel bin ich unzuständig. Aber lassen sie mich die Trommel - mit aller Behutsamkeit! - für einen ganz weltlichen Zweck rühren:

Die Grundbuchhalle, in der wir jetzt sitzen oder stehen, leidet Not. Werfen Sie ihr einen obolus in den Hut! Die Hüte finden Sie rundum verstreut.


Günter Bertram