(Dieser Artikel ist veröffentlicht in MHR 1/98) < home RiV >
Auf Günter Bertram
paßt nichts
Es werden viele Reden gehalten. Taufreden, Hochzeitsreden, Wahlreden. Die meisten passen auf jeden und auf alles. Auf den, dem diese Stunden gehören, paßt nichts.
Der Herr ist mittelgroß, schlank, trägt Pullis - nicht gerade von Joop, sein Gesicht ist scharf geschnitten, asketisch, die Augen nachdenklich und warm. Unrast packt den drahtigen Mann, wenn er ein Thema zu fassen kriegt. Er greift zur Maschine und schreibt. Schreibt er wirklich? Nein, er ziseliert, die Worte sorgfältig wägend, wie Perlen aneinandergereiht. Er malt Wortlandschaften, malt mit kräftigen Farben, und irgendwann macht er einen Punkt. Das heißt: Tief Luft holen, Brüder und Schwestern, es geht weiter.
Er ist ein kritischer Mann, der nach allen Seiten schaut, detailgenau beschreibt, subsumiert, und am Ende weiß man, was er will: Er will die Wahrheit und nicht was opportun erscheint. Ich war ein schlechter Schreiber (ich komme bekanntlich aus Ostpreußen) und gab ihm meine Entwürfe zur Rezension. Als Meister des Wortes hatten nicht viele Sätze vor ihm Bestand. Er strich, ergänzte, korrigierte und wie ein ertappter Schüler wagte ich kaum Widerspruch, schon gar nicht, wenn selbst meine Zeichensetzung nicht klappte. Der Kampf um wohlerdachte Formulierungen war häufig vergebens. Manchmal dachte ich - der hat doch auch den Sinn ein wenig verstellt. Was sollte das, es las sich auch so ganz schön.
In Diskussionen stand er auf, stellte Fragen, beschrieb den Zweifel und bekannte. Ein Kämpfer, während andere schwiegen. Auch ich gehörte zu den Schweigern und fragte mich resignierend: Warum bist Du nicht auf etwas so Kluges gekommen. Wenn seine Hilfe gebraucht wurde, er stellte sich - als Vorstandsmitglied der christlich-jüdischen Gesellschaft, als langjähriges Vorstandsmitglied des Hamburgischen Richtervereins, als Mitglied der Amtsrechtskommission des Deutschen Richterbundes, als Mitglied der Kommission zur Überprüfung von DDR-Richtern in Mecklenburg-Vorpommern. Sein Wort zählte, als schier unentbehrlich wurde er beschrieben - und dabei doch als Mann, der nichts aus sich machte und nur das eine tat: Für jedermann um einer guten Sache willen da zu sein.
Kennt Ihr sein Zimmer drüben? Die Wände voller Bilder, Poster und Plakate. Kein Bürokratenraum - eine Werkstatt des Geistes und des Gesprächs. Und die Wände sagen: Ein Richter muß mehr kennen als seinen Schönfelder, er muß sehen und erleben können. Er muß weit schauen, über den Sievekingplatz hinaus, er muß mit gestalten, aber auch festhalten und verteidigen. Die Bilder sagen aber auch: Wir werden nicht versteckt - ich, Günter Bertram, verstecke mich nicht.
Ich kannte Ihren Vater, lieber Herr Bertram. Er war Vizepräsident des Landgerichts und Vorsitzender der Großen Strafkammer 4 (Jugendkammer). Ich hatte das Glück, bei ihm mehrere Jahre als junger Richter Beisitzer zu sein, zusammen mit Günther Olters. Friedrich Bertram wollte nicht nur Fälle erledigen. Er wollte das Jugendverfahren aus der Sicht des Jugendvollzuges gestalten. Ich verdanke ihm die Teilnahme an vielen Seminaren und Tagungen, in denen er um neue Wege und Ideen rang. Dem christlichen Glauben tief verhaftet, bewegte er uns Beisitzer dazu, mehr Einsichten um das Tun junger Menschen zu gewinnen. Man nannte uns die Kammer der "barmherzigen Brüder". Ich meine, man tat uns Unrecht oder doch Recht, denn Barmherzigkeit sollte auch dem Richter nicht fremd sein.
Zusammen mit dem von uns allen verehrten späteren Senatspräsidenten Fritz Valentin gestaltete Herr Bertram die damalige Fortbildungsstätte für Richter und Staatsanwälte in den Tagungsräumen der Probstei Storman in Hoisbüttel zu einem Hort des offenen Gesprächs, in dem Referenten aller Meinungsrichtungen zu Wort kamen. Der "Geist von Hoisbüttel" war in aller Munde. Fritz Valentin, von Herkunft Jude, war nach dem Kriege in den Hamburgischen Justizdienst zurückgekehrt. Er sprach nie von Vergeltung. An uns jüngere Richter gewandt, versuchte er uns nahezubringen: Lernt aus der Geschichte, seid besser und mutiger als Eure Väter. Erst dann könnt Ihr Euch über die Vergangenheit ein Urteil erlauben.
Denke ich an Sie, lieber Herr Günter Bertram, wird diese bewegende Zeit in mir wach. Auch Sie waren und sind ein Streiter wider den blinden Zeitgeist, der aus den tiefen Quellen des Erlebens und Forschens schöpft. Dahinter steht das Bekenntnis: Ich will ehrlich und glaubwürdig sein, niemals käuflich und marktschreierisch.
Diese innere Einstellung hat ihr berufliches Leben in allen Teilen geprägt. Dabei denke ich an die Entscheidung der Großen Strafkammer 1 als politische Strafkammer aus den 60er Jahren, in der die Beschlagnahme einer DDR-Zeitung aufgehoben wurde. Unter dem Vorsitz von Herrn Dr. Röhl und mit Herrn Quellhorst vertrat die Kammer die Auffassung, daß der westdeutsche Bürger nunmehr mündig genug sein müßte, Ansichten aus der damaligen DDR zu ertragen und zu werten - eine für jene Zeiten bahnbrechende Entscheidung. Sie waren Berichterstatter. Ich denke an die zahlreichen Gespräche, die wir am Sievekingplatz allein oder in Vorstandssitzungen des Richtervereins geführt haben. Mal haben Sie mich gebremst, mal angespornt. Ich denke aber auch an das vorige Jahr, als es über meine Tochter und meine Familie niederging: Sie waren ein treuer, kritischer Wegbegleiter und werden es bleiben.
Ihre Frau kommt aus Schlesien. Gern hätte ich diesen Günter Bertram in meine ostpreußische Heimat versetzt. Da sind auch viele der Menschen schlicht, nachdenklich, bisweilen auch ein wenig rätselhaft. Das Lied "Freundschaft" von Simon Dach will irgendwie auf Ihre Geschichte passen. Die erste Strophe auf Sie und Ihre liebe Frau:
Der Mensch hat nichts so eigen,
so wohl steht ihm nichts an,
als daß er Treu erzeigen
und Freundschaft halten kann;
wann er mit Seinesgleichen
soll treten in ein Band
verspricht sich, nicht zu weichen
mit Herzen Mund und Hand.
Und die zweite Strophe auf Sie:
Die Red’ ist uns gegeben,
damit wir nicht allein
vor uns nur sollen leben
und fern von Leuten sein;
wir sollen uns befragen
und sehn auf guten Rat,
das Leid einander klagen
so uns betreten hat.
"Nun geht er hin und singt nicht mehr", heißt es in einem Liederspiel (Ferdinand Gumbert). Auch das ist falsch. Er wird weitersingen, und wir werden weiter gern zuhören.
Roland Makowka